Strafrecht

Rechtswidrigkeit der Fahrerlaubnisentziehung bei einmaliger Fahrt unter Cannabiseinfluss

Aktenzeichen  M 26 K 16.4642

Datum:
9.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6896
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 7
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten kann die Fahrerlaubnisbehörde nach einer nur einmaligen Fahrt mit einem Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis grundsätzlich nicht gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen (Anschluss BayVGH BeckRS 2017, 108147). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 2016 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 18. September 2016 werden aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid und der Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Erweist sich ein Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder nur bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 – 14 FeV entsprechende Anwendung.
Ein gelegentlicher Cannabiskonsument ist dann fahrungeeignet, wenn er nicht zwischen Konsum und Fahren trennt oder zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen oder eine Störung der Persönlichkeit oder ein Kontrollverlust vorliegen (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV). Im hier zu entscheidenden Fall kommt allein das Zusatzmerkmal der nicht ausreichenden Trennung zwischen Konsum und Fahren in Betracht. Bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten kann die Fahrerlaubnisbehörde jedoch nach einer – wie hier – nur einmaligen Fahrt mit einem Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis grundsätzlich nicht gemäß § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen. Zur Begründung wird auf die den Beteiligten bekannte Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Urteil vom 25. April 2017 (11 BV 17.33 – DAR 2017, 417), der die 26. Kammer des Verwaltungsgerichts München gefolgt ist und die sich der entscheidende Einzelrichter zu Eigen macht, Bezug genommen. Deshalb kann dahinstehen, ob der Kläger gelegentlicher Cannabiskonsument ist. Aus dem von dem Beklagten in Bezug genommenen Internet-Eintrag ergibt sich nichts anderes. Selbst wenn er dem Kläger zuzurechnen sein sollte, ergibt sich hieraus nicht mit hinreichender Sicherheit, dass der Kläger regelmäßiger Cannabiskonsument ist. Eine grundsätzlich betäubungsmittelfreundliche Einstellung führt nur dann zur fehlenden Fahreignung, wenn nicht – solange kein regelmäßiger Konsum vorliegt und keine harten Drogen konsumiert werden – hinreichend zwischen Konsum einerseits und dem Fahren andererseits getrennt werden kann. Aus den oben dargelegten Gründen kann im Fall des Klägers hiervon nicht ausgegangen werden, nachdem er bislang nur einmal im Zusammenhang mit Cannabis im Straßenverkehr auffällig wurde.
Vor diesem Hintergrund haben auch die sonstigen angegriffenen Verfügungen im streitgegenständlichen Bescheid, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis selbst akzessorisch sind, keinen Bestand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Berufung war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, nachdem die Entscheidung von der Entscheidung anderer Oberverwaltungsgerichte (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 124, Rn. 12 m.w.N.) abweicht und die Rechtsfrage durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht geklärt ist (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter schließt die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht aus (BVerwG, U.v. 9.3.2005 – 6 C 8/04 – NVwZ 2005, 821). Ebenso wenig besteht eine Verpflichtung des Einzelrichters in einem solchen Fall, den Rechtsstreit auf die Kammer zurück zu übertragen (BVerwG a.a.O.).


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