Strafrecht

Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen

Aktenzeichen  11 C 16.2116, 11 C 16.2118

Datum:
14.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 29 Abs. 1 S. 1 a.F. (1995)
StVG StVG § 65 Abs. 9 S. 1
FeV FeV § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. b
StVZO StVZO § 13a Abs. 3 S. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I.
Die Verwaltungsstreitsachen mit den Az. 11 C 16.2116 und 11 C 16.2118 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II.
Die Beschwerden gegen die Ablehnung der Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden zurückgewiesen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten für eine noch zu erhebende Klage gegen die Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen, insbesondere auch Mofas, und für einen noch zu stellenden Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
Der 1965 geborene Antragsteller erhielt am 1. März 1993 die Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 (alt) wieder erteilt.
Am 6. April 1995 führte er ein Kraftfahrzeug (Pkw) im öffentlichen Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,52 ‰. Er wurde deshalb mit Urteil des Amtsgerichts Haßfurt vom 30. Juni 1995, rechtskräftig seit 8. Juli 1995, der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten (zur Bewährung) verurteilt; ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für die Wiedererteilung von 15 Monaten verfügt.
Bereits am 20. Juni 1995 war der Antragsteller erneut mit einem Kraftfahrzeug (Mofa) und einer BAK von 1,83 ‰ im öffentlichen Straßenverkehr gefahren. Das Amtsgericht Haßfurt sprach ihn mit Urteil vom 8. September 1995, rechtskräftig seit 16. September 1995, der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr schuldig und verurteilte ihn unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil vom 30. Juni 1995 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten (zur Bewährung). Für die Tat vom 20. Juni 1995 hielt das Strafgericht eine Freiheitsstrafe von vier Monaten für schuld- und tatangemessen. Dem Antragsteller wurde für die Dauer von drei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen. Die Maßregel der Besserung und Sicherung gemäß dem Urteil vom 30. Juni 1995 blieb ausdrücklich aufrechterhalten (Nr. 5 des Urteilstenors).
Das im Rahmen eines Antrags auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vorgelegte medizinisch-psychologische Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vom 23. Dezember 1996 war negativ. Am 31. Januar 1997 erteilte die Behörde dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis der Klasse 5 (alt).
Am 8. Juli 2003 führte der Antragsteller ein Kraftfahrzeug (Mofa) im öffentlichen Straßenverkehr mit einer BAK von 1,98 ‰. Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 5. August 2003 wurde deshalb gegen den Antragsteller eine Geldstrafe in Höhe von 25 Tagessätzen verhängt; ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für die Wiedererteilung von sieben Monaten verfügt.
Am 1. Juli 2015 führte der Antragsteller ein Kraftfahrzeug (Mofa) im öffentlichen Straßenverkehr mit einer Atemalkoholkonzentration (AAK) von 0,25 mg/l. Gemäß der Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 19. November 2015 wurde deshalb gegen den Antragsteller unter dem 21. Juli 2015 ein Bußgeld verhängt (Rechtskraft: 12.11.2015).
Mit Schreiben vom 9. Dezember 2015 ordnete die Fahrerlaubnisbehörde aufgrund der vier Fahrten unter Alkoholeinfluss (1995 bis 2015) die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Frage an, ob zu erwarten sei, dass der Antragsteller das Führen von fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher werde trennen können.
Nachdem der Antragsteller kein Gutachten beibrachte, untersagte ihm die Fahrerlaubnisbehörde mit Bescheid vom 24. August 2016 das Führen von fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen, insbesondere auch Mofas, und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheids an.
Die Anträge des Antragstellers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten für eine noch zu erhebende Klage gegen den Bescheid und für einen noch zu stellenden Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht Würzburg mit Beschlüssen vom 26. September 2016 ab.
Hiergegen richten sich die Beschwerden des Antragstellers, denen der Antragsgegner entgegentritt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerden bleiben ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, da eine Klage und ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen den Bescheid vom 24. August 2016 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
1. Wie bereits im Verwaltungsverfahren und in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht der Antragsteller auch in den Beschwerden geltend, dass die „Voreintragungen“ aus dem Zeitraum 1995 bis 2003 nicht mehr verwertbar seien und daher die Gutachtensbeibringungsanordnung rechtswidrig sei. Das ist jedoch, wie das Verwaltungsgericht in seinen Beschlüssen vom 26. September 2016 zutreffend darlegte, nicht der Fall. Alle in der Gutachtensbeibringungsanordnung als zu berücksichtigend angeführten Taten sind noch verwertbar, was für die Rechtmäßigkeit der Anordnung erforderlich ist, unabhängig davon, dass allein die beiden letzten Taten von 8. Juli 2003 und 1. Juli 2015 eine Anordnung zur Beibringung des geforderten Gutachtens gerechtfertigt hätten (vgl. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV).
Für die Frage, wie lange dem Inhaber einer Fahrerlaubnis bzw. dem Führer eines Fahrzeugs ein in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten entgegengehalten werden darf, sind ausschließlich die gesetzlichen Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen maßgeblich. Zur Begründung im Einzelnen wird auf die zutreffenden Ausführungen in den Beschlüssen des Verwaltungsgerichts (jeweils BA S. 7 f.) verwiesen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Nach § 65 Abs. 9 Satz 1 StVG (in der bis 30.4.2014 geltenden Fassung – anwendbar gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG n. F.) werden Entscheidungen, die vor dem 1. Januar 1999 im Verkehrszentralregister eingetragen worden sind, bis 1. Januar 2004 nach den Bestimmungen des § 29 StVG in der bis 1. Januar 1999 geltenden Fassung getilgt, wobei sie nach § 52 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes in der bis 31. Dezember 1998 geltenden Fassung verwertet werden dürfen, jedoch längstens bis zu dem Tag, der einer zehnjährigen Tilgungsfrist entspricht.
a) Für die Trunkenheitsfahrt des Antragstellers vom 6. April 1995 galt gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 13a Abs. 2 Nr. 2a StVZO (jeweils in der Fassung bis 1.1.1999) grundsätzlich eine fünfjährige Tilgungsfrist, da die Freiheitsstrafe nur drei Monate betrug. Es kann offen bleiben, ob hier ausnahmsweise eine zehnjährige Tilgungsfrist galt, weil das Strafgericht mit Urteil vom 8. September 1995 unter Einbeziehung der weiteren Tat vom 20. Juni 1995 auf eine Gesamtstrafe von fünf Monaten erkannt hat. Denn die Tilgung dieser Eintragung wurde jedenfalls gehemmt durch die Tat vom 20. Juni 1995. Nach § 13a Abs. 3 Satz 1 StVZO hinderten Eintragungen von strafgerichtlichen Entscheidungen mit Ausnahme solcher, in denen von Strafe abgesehen worden ist, die Tilgung aller anderen gerichtlichen Entscheidungen und der verwaltungsbehördlichen Entscheidungen wegen Ordnungswidrigkeiten. Das bedeutet hier, dass die Tat vom 6. April 1995 solange nicht zu tilgen war, bis auch die Tat vom 20. Juni 1995 zu tilgen war.
b) Für die Tat vom 20. Juni 1995 galt eine zehnjährige Tilgungsfrist, da für diese Tat – unabhängig von der Gesamtstrafenbildung – jedenfalls eine viermonatige Freiheitsstrafe „verhängt“ wurde (§ 13a Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. Nr. 2a StVZO). Sie wäre daher im Jahr 2005 zusammen mit der Tat vom 6. April 1995 zu tilgen gewesen. Aufgrund der neuerlichen Verurteilung durch das Amtsgericht Haßfurt vom 5. August 2003 wegen der Trunkenheitsfahrt vom 8. Juli 2003, die noch vor Ablauf der Tilgungsfrist für die Taten vom 6. April und 20. Juni 1995 begangen wurde, ist eine weitere Tilgungshemmung eingetreten. Es kann offen bleiben, ob sich diese Tilgungshemmung wegen der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 9 Satz 1 StVG (in der bis 30.4.2014 geltenden Fassung) unmittelbar aus § 13a Abs. 3 Satz 1 StVZO oder aus § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG (gültig vom 18.9.2002 bis 30.4.2014) ergibt. Denn auch nach letzterer Vorschrift ist, sind im Register mehrere Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG über eine Person eingetragen, die Tilgung einer Eintragung vorbehaltlich der Regelungen in den Sätzen 2 bis 5 erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. In der Rechtsprechung ist im Übrigen auch geklärt, dass die Vorschrift des § 29 Abs. 6 StVG (gültig vom 18.9.2002 bis 30.4.2014) auch für die „Altfälle“ vor dem 1. Januar 1999 anzuwenden ist (vgl. BVerwG, B. v. 21.5.2012 – 3 B 65.11 – NJW 2012, 3115). Was im Sinne von § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbs. 2 StVG (in der bis 30.4.2014 geltenden Fassung) einer zehnjährigen Tilgungsfrist entspricht, ergibt sich aus § 29 StVG (in der bis 30.4.2014 geltenden Fassung) einschließlich der Regelung über den Beginn der Tilgungsfrist in § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG und der Regelung über eine Hemmung des Ablaufs der Tilgungsfrist in § 29 Abs. 6 StVG.
c) Für die Tilgung der Trunkenheitsfahrt vom 8. Juli 2003 ist § 29 Abs. 1 Nr. 3 StVG in der vom 1. Januar 2003 bis 30. April 2014 geltenden Fassung (im Folgenden: StVG a. F.) einschlägig. Denn nach der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG (n. F.) werden Entscheidungen, die nach § 28 Abs. 3 StVG (a. F.) in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung im Verkehrszentralregister gespeichert worden und – wie hier – nicht von Nr. 1 erfasst sind, bis zum Ablauf des 30. April 2019 nach den Bestimmungen des § 29 in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung getilgt und gelöscht.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 StVG (a. F.) unterliegt die Tat vom 8. Juli 2003 ebenfalls einer zehnjährigen Tilgungsfrist. Diese Frist wäre 2013 abgelaufen. Da dem Antragsteller nach dem 8. Juli 2003 keine neue Fahrerlaubnis erteilt wurde, gilt darüber hinaus noch die Regelung über die Anlaufhemmung dieser zehnjährigen Frist nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG (a. F.), wonach die Tilgungsfrist erst nach Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis bzw. spätestens fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung zu laufen beginnt. Demnach gilt hier für die Trunkenheitsfahrt vom 8. Juli 2003 eine insgesamt fünfzehnjährige Tilgungsfrist (also bis 2018), mit der Folge, dass auch die Trunkenheitsfahrten vom 6. April und 20. Juni 1995 bis dahin verwertbar sind.
Dass der Antragsteller seit der letztmaligen Entziehung der Fahrerlaubnis (der Klasse L) durch das Amtsgericht Haßfurt am 5. August 2003 ein fahrerlaubnisfreies Kraftfahrzeug (ein Mofa) im öffentlichen Straßenverkehr führen durfte und geführt hat, steht der Verlängerung der Tilgungsfrist um die maximal bestimmten fünf Jahre nicht entgegen, da diese Möglichkeit jedem offen steht, dem nur die Fahrerlaubnis entzogen wurde, ohne dass ein weitergehendes Verbot des Führens von Kraftfahrzeugen ausgesprochen wurde.
d) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch entschieden, dass hier auch kein relatives Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8 StVG (a. F., entspricht insoweit § 29 Abs. 7 StVG n. F.) besteht. Nach der vom 18. September 2002 bis 20. Juni 2013 geltenden Fassung des § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG dürfen Eintragungen, die einer zehnjährigen Tilgungsfrist unterliegen, nach Ablauf eines Zeitraums, der einer fünfjährigen Tilgungsfrist entspricht, nur noch für ein Verfahren übermittelt und verwertet werden, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat. Das ist hier, wie das Verwaltungsrecht zutreffend festgestellt hat, nicht der Fall. Gleiches gilt insoweit für § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG in der vom 21. Juni 2013 bis 30. April 2014 geltenden Fassung. Nach § 29 Abs. 8 Satz 3 StVG (unverändert gültig von 18.9.2002 bis 30.4.2014) dürfen jedoch außerdem für die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen Entscheidungen der Gerichte nach den §§ 69 bis 69b des Strafgesetzbuchs (StGB) übermittelt und verwertet werden. Das ist hier sowohl für die Taten vom 6. April und 20. Juni 1995 als auch für die Tat vom 8. Juli 2003 einschlägig, weil das Amtsgericht Haßfurt im Urteil vom 8. September 1995 die Maßregel aus dem Urteil vom 30. Juni 1995 (Entscheidungen nach §§ 69 und 69b) ausdrücklich aufrechterhalten und mit Strafbefehl vom 5. August 2003 dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für die Wiedererteilung von sieben Monaten verfügt hat, also ebenfalls Maßnahmen nach §§ 69 bis 69b StGB (Entziehung der Fahrerlaubnis) und 69a StGB (Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis) getroffen hat.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen kostenpflichtig. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil für die Zurückweisung der Beschwerden nach dem hierfür maßgeblichen Kostenverzeichnis jeweils eine Festgebühr anfällt (§ 3 Abs. 2 GKG i. V. m. Anlage 1 Nr. 5502).
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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