Strafrecht

Verzögerter Abbau von THC im Blut durch Medikamenteneinnahme – Gelegentlicher Cannabiskonsum

Aktenzeichen  M 26 S 16.1941

Datum:
30.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV FeV § 46 Abs. 1 S. 1
Anlage 4 zur FeV 9.2.2

 

Leitsatz

Für die Beurteilung der Eignung zum Führen eines Fahrzeugs trotz gelegentlichem Cannabiskonsum iSv 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV kann es dahinstehen, ob ein Medikament den Abbau von THC im Blut verzögert hat, wenn – wie hier – hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme fehlenden Trennungsvermögens vorliegen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerpartei wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klasse B.
Der Antragsteller führte am … November 2015 ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr unter dem Einfluss von Cannabis. Die ihm entnommene Blutprobe ergab einen THC-Wert von a… ng/ml.
Mit Bescheid vom … März 2016 entzog die Fahrerlaubnisbehörde der Antragstellerpartei die Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die Ablieferung des Führerscheins bis spätestens … März 2016 (Nr. 2 und 3) sowie die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids an (Nr. 4).
Über den dagegen erhobenen Widerspruch ist noch nicht entschieden.
Mit Schriftsatz vom … April 2016 beantragte die Antragstellerpartei durch ihre Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs wiederherzustellen.
Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, ein zweimaliger Konsum von Cannabis sei nicht gesichert. Das vom Antragsteller eingenommene Medikament verzögere möglicherweise den Abbau von THC im Blut, so dass der am Tattag festgestellte THC-Wert von a… ng/ml möglicherweise doch mit dem eingeräumten Konsum eines Joints am … November 2015 erklärbar sei.
Die Antragsgegnerpartei beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit Beschluss vom 30. Mai 2016 wurde die Verwaltungsstreitsache auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, die sich auch an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert. Danach bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Entziehungsbescheids (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegebene Begründung entspricht den an sie gemäß § 80 Abs. 3 VwGO zu stellenden Anforderungen. Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die der Klage und dem Widerspruch grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Eyermann/Schmidt, VwGO, 14. Auflage 2014, § 80, Rn. 43). Hier hat die Fahrerlaubnisbehörde nachvollziehbar dargelegt, dass dem Antragsteller die Fahrerlaubnis nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache belassen werden kann, da ansonsten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten würde.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis ist die Fahreignung nur dann gegeben, wenn der Konsum und das Führen von Kraftfahrzeugen getrennt werden und – unabhängig von der Teilnahme am Straßenverkehr – zusätzlich zum Konsum von Cannabis kein Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen gemacht wird und kein Kontrollverlust oder keine Persönlichkeitsstörung vorliegt (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV).
Gelegentlicher Konsum von Cannabis wird angenommen, wenn der Konsument die Drogen mehrmals, aber deutlich weniger als täglich zu sich nimmt. Mindestvoraussetzung ist ein zweimaliger Konsum, soweit es sich dabei um zwei selbstständige Konsumvorgänge handelt (BayVGH, B.v. 27.3.2006 – 11 CS 05.1559; Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, § 11 FeV, Rn. 40 m. w. N.). Ein länger in der Vergangenheit liegender Cannabiskonsum kann auch nach einer Abstinenzperiode dann zur Einstufung eines Konsums als gelegentlich berücksichtigt werden, wenn es sich bei dem ersten Konsum nicht um ein einmaliges Probierverhalten gehandelt hat. Entscheidend ist, ob der Abstand zwischen erstem und zweitem Konsum so groß ist, dass davon ausgegangen werden müsste, dass die Erfahrungen, die im ersten Umgang mit einer Droge gewonnen wurden, beim zweiten Umgang nicht mehr präsent gewesen sind (Haus/Krumm/Quarch, a. a. O., Rn. 41). In der Rechtsprechung wird beispielsweise ein Zeitraum von über fünf Jahren zwischen den einzelnen Konsumakten als ausreichend angesehen, um die Voraussetzung des gelegentlichen Cannabiskonsums zu bejahen (OVG Berlin-Brandenburg – B.v. 16.06.2009 – OVG 1 S 17.09 – NZV 2010, 531).
Im hier zu entscheidenden Fall ist davon auszugehen, dass der Antragsteller gelegentlich Cannabis konsumiert. Ein einmaliger Konsum kann nur dann angenommen werden, wenn der Betreffende entweder erstmals im Rahmen eines Probierkonsums Cannabis zu sich genommen hat oder frühere Konsumakte derart weit zurück liegen, dass daran nicht mehr angeknüpft werden kann und er aus besonderen Umständen heraus einmalig Cannabis eingenommen hat. Dabei ist vor dem Hintergrund des äußert seltenen Falles, dass eine Person nach einem einmaligen Cannabiskonsum zum einen bereits kurz darauf ein Kraftfahrzeug führt und zum anderen dann auch noch trotz der geringen Dichte der polizeilichen Verkehrsüberwachung in eine Verkehrskontrolle gerät und die Polizei einen Drogentest veranlasst, in einem Akt der Beweiswürdigung regelmäßig die Annahme gerechtfertigt, dass ohne substantiierte Darlegung des Gegenteils nicht von einem einmaligen Konsum ausgegangen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 21.04.2015 – 11 ZB 15.181 – juris; B.v. 7.1.2014 – 11 CS 13.2427, 11 C 13.2428 – juris; OVG NW, B.v. 12.3.2012 – 16 B 1294/11 – DAR 2012, 275). So liegt der Fall hier, nachdem ein substantiierter Vortrag für einen einmaligen Probierkonsum vollständig fehlt und sich Anhaltspunkte hierfür auch nicht aus den Akten entnehmen lassen.
Gegen das Trennungsgebot wird dann verstoßen, wenn der Betroffene objektiv unter dem Einfluss einer THC-Konzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, bei der davon ausgegangen werden muss, dass sich das Risiko einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit durch negative Auswirkungen des Konsums auf den Betroffenen signifikant erhöht. Für die Frage des Trennungsvermögens kommt es nicht darauf an, ob bei einer konkreten Fahrt drogenbedingte Fahruntüchtigkeit vorlag (Haus/Krumm/Quarch, a. a. O., Rn. 43). Ganz überwiegend geht die obergerichtliche Verwaltungsrechtsprechung davon aus, dass eine zur Annahme mangelnder Fahreignung führende Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs bereits ab einem im Blutserum festgestellten THC-Wert von 1,0 ng/ml anzunehmen ist (OVG Münster, Urt.v. 1.8.2014 – 16 A 2806/13; OVG Weimar, B.v. 6.9.2012 – 2 EO 37/11 – NZV 2013, 413; OVG Bremen, B.v. 20.7.2012 – 2 B 341/11 – NZV 2013, 99; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 16.6.2009 – 1 S 17/09 – NZV 2010, 531; BayVGH, B.v. 10.03.2015 – 11 CS 14.2200). Das Bundesverwaltungsgericht (Urt.v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – SVR 2015, 194) hat entschieden, dass eine tatrichterliche Beweiswürdigung, die ab einem Grenzwert von 1,0 ng/ml THC im Blut von fehlendem Trennungsvermögen auszugeht, nicht beanstandet werden kann. Vor diesem Hintergrund lässt das Gericht den hier festgestellten THC-Wert von a… ng/ml im Blut des Antragstellers für die Annahme des fehlenden Trennungsvermögens ausreichen. Ob der Abbau von THC im Blut des Antragstellers durch die Einnahme eines Medikaments möglicherweise verzögert wurde, kann deshalb dahinstehen.
Die Frage, ob die Fahreignung wieder erlangt wurde, muss die Behörde in einem Entziehungsverfahren nur dann prüfen, wenn der Betroffene eine Verhaltensänderung plausibel behauptet und belegt oder unabhängig hiervon gewichtige und belastbare Anhaltspunkte vorliegen (Jagow, Fahrerlaubnis- und Zulassungsrecht, Loseblatt, § 46 FeV, S. 113q2 m. w. N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist regelmäßig derjenige der letzten Behördenentscheidung, also im Fall der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens der Erlass des Widerspruchsbescheids, ansonsten der Erlass des Entziehungsbescheid selbst (Jagow, a. a. O., § 46, Rn. 113t m. w. N.). Ein Widerspruchsbescheid liegt zwar noch nicht vor. Es ist aber davon auszugehen, dass ein solcher vor dem 9. November 2016 erlassen werden wird, so dass die Frage der Wiedererlangung der Fahreignung im hier zu entscheidenden Fall auch im Hauptsacheverfahren keine Rolle spielen wird.
Nachdem die Tatbestandsvoraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund fehlender Fahreignung gegeben sind, ist die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen. Ein Ermessen steht der Fahrerlaubnisbehörde dabei nicht zu (Sitter, Straßenverkehrsstrafrecht, Loseblatt, Teil 8/2.4.12.1, S. 1).
Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der einstweiligen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
Rechtliche Bedenken gegen die im Bescheid enthaltenen Festsetzungen zu den Zwangsmitteln bzw. den Kosten des Verwaltungsverfahrens wurden weder vorgetragen, noch sind solche sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anhang zu § 164 Rn. 14).


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