Strafrecht

Voraussetzungen für Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG

Aktenzeichen  201 ObOWi 1075/21

Datum:
25.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28712
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
OWiG § 74 Abs. 2

 

Leitsatz

Nach § 74 Abs. 2 OWiG muss und darf das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil nur dann verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist, obwohl er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entbunden war. Dass ggf. auch der Verteidiger des Betroffenen, der ordnungsgemäß zur Hauptverhandlung geladen war, in der Haupt¬verhandlung nicht erschienen ist, ist unerheblich.  (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 OWi 913 Js 140576/21 2021-06-08 Urt AGERLANGEN AG Erlangen

Tenor

I. Auf den Antrag des Betroffenen wird dessen Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 08.06.2021 zugelassen.
II. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das in Ziffer I. genannte Urteil aufgehoben.
III. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Erlangen zurückverwiesen.

Gründe

I.
Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt verhängte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 03.12.2020 wegen einer am 28.09.2020 begangenen fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h eine Geldbuße von 80,- EUR. Den Einspruch des Betroffenen verwarf das Amtsgericht Erlangen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG mit Urteil vom 08.06.2021. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, den er wie auch die damit vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde (§ 80 Abs. 3 Satz 2 OWiG) mit der Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Verletzung materiellen Rechts begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Stellungnahme vom 05.08.2021 beantragt, auf den Antrag des Betroffenen die Rechtsbeschwerde zuzulassen und auf die Rechtsbeschwerde das Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 08.06.2021 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Das Rechtsmittel erweist sich mit der gemäß § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge der Verletzung von § 74 Abs. 2 OWiG als erfolgreich. Die Einspruchsverwerfung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil, wie die Rechtsbeschwerde zutreffend darlegt, der Betroffene vor der Hauptverhandlung mit Beschluss des Amtsgerichts vom 07.05.2021 von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zum Hauptverhandlungstermin gem. § 73 Abs. 2 OWiG entbunden worden war. Wie § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG ausdrücklich klarstellt, wird die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Die Voraussetzungen für eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG haben nicht vorgelegen. Nach § 74 Abs. 2 OWiG muss und darf das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil nur dann verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist, obwohl er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entbunden war. Dass auch der Verteidiger des Betroffenen, der ordnungsgemäß zur Hauptverhandlung geladen war, in der Hauptverhandlung nicht erschienen ist, ist unerheblich. Der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundene Betroffene kann sich zwar gem. § 73 Abs. 3 OWiG durch einen bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen, er ist hierzu aber nicht verpflichtet. Die Abwesenheit des geladenen Verteidigers kann unter keinen Umständen zur Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG führen (OLG Hamm, Beschl. v. 25.06.2001 – 2 Ss OWi 531/01 bei juris).
Durch das Prozessurteil wurde der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Es liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor, wenn das Vorbringen des Betroffenen aufgrund einer vom Gesetz nicht gedeckten Verfahrensweise unberücksichtigt bleibt.
III.
Der aufgezeigte Gehörsverstoß zwingt den Senat dazu, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Erlangen zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
IV.
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.


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