Strafrecht

Wiedereinsetzung – genügende Entschuldigung bei Verdacht auf Covit-19 Infektion

Aktenzeichen  15 Qs 46/20

Datum:
4.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StV Spezial – 2021, 4
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 44 S. 1, § 329 Abs. 7, § 412

 

Leitsatz

1. Zeigt der Angeklagte zwei Tage vor dem Fortsetzungstermin der Hauptverhandlung auf den Einspruch gegen einen Strafbefehl Symptome für eine Covid-19 Infektion (hier plötzlicher Kreislauzusammenbruch und 38,8 Grad Fieber), worauf eine Testung vorgenommen und Quarantäne angeordnet wurde, ist sein Fernbleiben vom (fortgesetzten) Einspruchstermin genügend entschuldigt, zumal das (hier negative) Testergebnis erst später bekanntgegeben wurde und das Gerichtsgebäude ohnehin nur von fieberfreien Personen ohne respiratorische Symptome betreten werden durfte. (Rn. 3 – 5 und 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch das Fernbleiben des Verteidigers, der den Angeklagten hätte vertreten dürfen, ist genügend entschuldigt, da auch bei ihm aufgrund der mehrstündigen gemeinsamen Autofahrt mit dem Angeklagten zum ersten Hauptverhandlungstermin wenige Tage vor Auftreten der Symptome beim Angeklagten ein nicht unerhebliches Risiko einer Covid-19 Infektion bestand. Eine freiwillige Isolierung des Verteidigers war zumindest bis zum Vorliegen des Testergebnisses des Angeklagten sinnvoll und bei einer Risikoabwägung auch geboten. (Rn. 3 – 5 und 9) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers Prof. Dr. Dr. … eingelegt durch Schriftsatz seines Verteidigers Herrn Rechtsanwalt S…, vom 09.12.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 26.11.2020 wird dieser aufgehoben und dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand vor Versäumung der Hauptverhandlung gewährt.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
Gegen den Beschwerdeführer erging am 04.06.2020 ein Strafbefehl des Amtsgerichts München. Dieser wurde dem Verteidiger des Beschwerdeführers Herrn Rechtsanwalt S… am 03.07.2020 zugestellt. Mit Telefax vom 06.07.2020 legte der Verteidiger Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Mit Terminsverfügung vom 04.08.2020 beraumte das Amtsgericht München Termin zur mündlichen Hauptverhandlung für den 28.09.2020 an. Am 25.09.2020 teilte der Verteidiger mit, dass der Angeklagte am 25.09.2020 eine Probenentnahme wegen des Verdachts auf Covid-19 bekommen habe. Mit Terminsverfügung vom 28.09.2020 bestimmte das Amtsgericht neuen Termin zur Hauptverhandlung am 21.10.2020 und ordnete das persönliche Erscheinen des Angeklagten an. Sowohl der Verteidiger als auch der Angeklagte wurden ordnungsgemäß am 01.10.2020 mittels Empfangsbekenntnis bzw. Postzustellungsurkunde zum Termin geladen.
Zum Hauptverhandlungstermin vom 21.10.2020 erschienen sowohl der Angeklagte als auch der Verteidiger des Angeklagten. Die Sitzung wurde nach Einvernahme eines Zeugen unterbrochen und Fortsetzungstermin für den 27.10.2020 bestimmt. Das persönliche Erscheinen des Angeklagten zum Fortsetzungstermin wurde angeordnet. Der Verteidiger und der Angeklagte nahmen an Ladungs Statt vom Termin Kenntnis.
Mit Telefax vom 26.10.2020, eingegangen beim Amtsgericht München am 26.10.2020 teilte der Verteidiger mit, dass er mit dem Angeklagten gegen 9.50 Uhr telefoniert habe und dieser ihm mitgeteilt habe, dass er am 25.10.2020 einen plötzlichen Kreislaufzusammenbruch erlitten und ein Fieber entwickelt habe, welches die Ehefrau mit 38,8 Grad gemessen habe. Der KV-Bereitschaftsdienst habe am 25.10.2020 ein Testung auf Covid-19 durchgeführt. Ein Testergebnis liege noch nicht vor. Auch der Verteidiger könne nicht erscheinen. Es seien zwar die Vorgaben eingehalten worden, allerdings sei er mit dem Angeklagten zusammen zum Termin gefahren. Zum Zeitpunkt des Verfassens des Schriftsatzes um 10.30 Uhr habe er keine Symptome. Er begebe sich nach Unterschrift nach Hause, um eine Weiterverbreitung zu unterbinden. In diesem Schreiben gab er ferner seine Handynummer bekannt. Dem Telefax war ein Telefax des Angeklagten beigefügt, in dem dieser seine Symptome schilderte und dem eine Patienteninformation Coronavirus der KVB beilag.
Im Hauptverhandlungstermin vom 27.10.2020 erschienen weder der Angeklagte noch sein Verteidiger. Das Amtsgericht stellte fest, dass das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt sei und verwarf mit Urteil vom 27.10.2020 den Einspruch des Angeklagten gegen Strafbefehl vom 04.06.2020.
Mit Telefax vom 16.11.2020 beantragte der Verteidiger Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand und legte vorsorglich Berufung ein. Er trug zur Begründung vor, der Angeklagte und der Verteidiger seien gesetzlich gezwungen gewesen, nicht zum Hauptverhandlungstermin zu erscheinen. Der Verteidiger sei am 21.10.2020 gemeinsam mit dem Angeklagten zum Gerichtstermin hin- und auch zurück in einem Auto gefahren, bereits der Hinweg habe von 06.20 Uhr bis 09.35 Uhr gedauert. Am 26.10.2020 habe der Angeklagte den Verteidiger über seine Symptome, insbesondere Fieber, informiert. Ferner sei der Angeklagte vom herbeigerufenen Arzt informiert worden, dass bis zum Vorliegen des Testergebnisses Quarantäne bestünde. Er sei weiter vom Angeklagten informiert worden, dass er als Verdachtsfall anzusehen sei. Erst am 30.11.2020 habe der Angeklagten in Erfahrung bringen können, dass der Test negativ gewesen sei. Weiterhin legte er ein Schreiben der KVB vom 12.11.2020 vor, wonach am 26.10.2020 ein COVID-19 Test durchgeführt wurde und der Laborbefund negativ sei.
Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 26.11.2020, dem Verteidiger zugestellt am 02.12.2020, wies dieses den Wiedereinsetzungsantrag zurück. Das Amtsgericht begründete seinen Beschluss dahingehend, dass jedenfalls der Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin hätte erscheinen können. Die selbst auferlegte Quarantäne des Verteidigers sei nicht angezeigt gewesen, schon gar nicht gesetzlich erzwungen. Da der Verteidiger nach § 411 Abs. 2 StPO bevollmächtigt war, hätte er den Angeklagten auch vertreten können.
Mit Telefax vom 09.12.2020, eingegangen am 09.12.2020 legte der Verteidiger gegen den Beschluss des Amtsgerichts München sofortige Beschwerde ein. Sodann wurden die Akten der Kammer durch die Staatsanwaltschaft München I mit Verfügung vom 22.12.2020 zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vorgelegt, mit dem Antrag der Beschwerde stattzugeben. Sowohl das Ausbleiben des Angeklagten als auch das Ausbleiben des Verteidigers sei als ausreichend entschuldigt anzusehen.
II.
Die gemäß §§ 46 Abs. 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist fristgerecht und auch im Übrigen zulässig erhoben, §§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO.
Die Beschwerde ist auch begründet. Nach Ansicht der Kammer ist dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da das Nichterscheinen im Hauptverhandlungstermin unverschuldet war. Nach § 412, § 392 Abs. 7 S. 1 i.V.m. § 44 S. 1 StPO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, den Einspruchstermin wahrzunehmen. Der Angeklagte war durch das Telefax seines Rechtsanwaltes vom 26.10.2020 mit den beigefügten Unterlagen ausreichend entschuldigt. Aufgrund der geschilderten Symptome und der Entnahme eines Abstrichs bestand bis zur Mitteilung des Testergebnisses für den Angeklagten eine Quarantänepflicht. Überdies darf das Gerichtsgebäude ohnehin nur von fieberfreien Personen ohne akute respiratorische Symptome betreten werden. Auch das Nichterscheinen des Verteidigers war ausreichend entschuldigt. Zwar war insoweit eine Isolierung bzw. Quarantäne ärztlich bzw. behördlich nicht angeordnet worden. Tatsächlich bestand aber insbesondere aufgrund der mehrstündigen gemeinsamen Autofahrt des Verteidigers mit dem Angeklagten wenige Tage vor Auftreten der Symptome beim Angeklagten ein nicht unerhebliches Risiko einer COVID-19 Infektion auch beim Verteidiger. Bis zum Vorliegen des Testergebnisses des Angeklagten war eine freiwillige Isolierung des Verteidigers sinnvoll und bei einer Risikoabwägung auch geboten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 465 StPO analog.


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