Verkehrsrecht

§ 7 Abs. 5 StVO bei Spurwechsel auf Autobahn

Aktenzeichen  10 U 3493/20

Datum:
9.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36055
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 7 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 5
ZPO § 91 Abs. 1, § 313a Abs. 1 S. 1, § 540 Abs. 2, § 543 Abs. 2 S. 1, § 544 Abs. 2 Nr. 1, § 708 Nr. 10, § 711, § 713

 

Leitsatz

§ 7 Abs. 5 StVO gilt auch bei Spurwechsel auf Autobahnen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

14 O 38/19 2020-05-29 Endurteil LGMUENCHENII LG München II

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 16.06.2020 wird das Endurteil des LG München II vom 29.05.2020 (Az. 14 O 38/19) aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).
B.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
1. Die Anwendbarkeit des § 7 V StVO auch auf Spurwechsel auf Autobahnen ergibt sich aus der Systematik des § 7 StVO: § 7 I StVO gilt innerhalb und außerhalb geschlossener Ortschaften, nur § 7 III StVO enthält eine – ausdrückliche – Beschränkung auf den innerörtlichen Verkehr. Deshalb wird die Anwendbarkeit des § 7 V StVO auch auf Spurwechsel auf Autobahnen regelmäßig ohne weiteres bejaht (vgl. etwa OLG Nürnberg SP 1994, 6; OLG Frankfurt OLGR 1998, 21, das zurecht darauf hinweist, dass § 7 V StVO auf Autobahnen wegen der dort gefahrenen hohen Geschwindigkeiten in besonderem Maße gilt; OLG Hamm NZV 1995, 194; VersR 1999, 1166; SP 1999, 226; NZV 2000, 373; Senat, Urt. v. 15.04.2005 – 10 U 1696/05; v. 01.12.2006 – 10 U 4707/06 (Juris).
a) Der Kläger gab an (B l. 18 d. A.), dass er die Spur wechselte, vom Gas ging und ein paar Sekunden später den Aufprall spürte. Nach dem Sachverständigengutachten sind die Beschädigungen im Hinblick auf die seitlich orientierte Stoßkomponente mit einem Spurwechsel des klägerischen Fahrzeugs vereinbar, während die seitliche Stoßkomponente sowie das Auslaufverhalten für einen Auffahrunfall eher atypisch sind. Dass der klägerische Pkw zum Zeitpunkt der Kollision möglicherweise auf der linken Spur bereits fahrbahnparallel eingeordnet war, genügt zum einen nicht für die Annahme eines nicht nur in technischer, sondern auch in rechtlicher Hinsicht abgeschlossenen Spurwechsels. Zum anderen bestand für einen seitlichen Versatz des klägerischen Fahrzeugs nach links nach einem in technischer Hinsicht abgeschlossenen Spurwechsel kein Anlass.
b) Der Senat geht daher entsprechend dem bereits erteilten Hinweis, was sich im Übrigen auch aus der Anstoßposition und der späteren Drehbewegung des Klägerfahrzeugs im Lichte der Ausführungen des Sachverständigen ergibt, davon aus, dass der streitgegenständliche Verkehrsunfall im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des Klägers erfolgte. Es besteht daher ein Anschein dafür, dass der Kläger unter Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO den Fahrstreifen gewechselt hat, ohne auf das von hinten herannahende Fahrzeug des Beklagten zu 1) zu achten und dessen Gefährdung auszuschließen.
c) Der Kläger hätte den gegen ihn sprechenden Anschein erschüttern müssen, was ihm jedoch nicht gelang. Der Senat folgt insoweit dem Erstgericht, dass der Kläger nicht nachweisen konnte, dass er geblinkt hat.
2. Zu einer Mithaftung des Beklagten zu 1) gelangt man nur, wenn dieser unfallursächlich zu schnell fuhr oder falsch auf den Spurwechsel reagierte.
a) Aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen N. ergibt sich, dass der Beklagte zu 1) auch nicht mit überhöhter Geschwindigkeit, selbst einer Überschreitung der Richtgeschwindigkeit gefahren ist.
b) Eine verspätete Reaktion ist ebenfalls nicht bewiesen. Bei einem nicht schnellen, verkehrsüblichen Spurwechsel mit einer Gesamtspurwechselzeit von 4,5 Sekunden, welcher vorliegend angesichts der Verkehrssituation mit auf die Autobahn einfahrenden Fahrzeugen in Betracht zu ziehen ist, erreicht der Seat die Fahrbahnmittelmarkierung 1,3 Sekunden vor Kollision. In diesem Fall ergibt sich keine Vermeidbarkeit für den Beklagten zu 1), selbst wenn der Kollisionsort schon auf der linken Fahrspur war.
3. Bei Berücksichtigung der vom Sachverständigen genannten Spurwechselzeiten und bei Annahme einer Reaktionszeit für den Beklagten ab Überfahren der Mittellinie durch den Kläger hätte es zwar bei Unterstellung einer Spurwechselzeit von 5,5 Sekunden gerade noch bei Einleitung einer Vollbremsung seitens des Beklagten technisch ausgereicht, nicht mit dem Klägerfahrzeug zu kollidieren. Wenn man aber berücksichtigt, dass der Beklagte dann sowohl nach links hätte etwas ausweichen müssen und auf nasser Fahrbahn bei einer Geschwindigkeit über 100 Stundenkilometer eine Vollbremsung hätte einlegen müssen, überwiegt das Verschulden des Klägers wegen seines verkehrsordnungswidrigen Spurwechsels soweit, dass eine etwaige Haftung der Beklagten aus Betriebsgefahr zurücktreten muss.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


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