Verkehrsrecht

Antrag auf Anordnung der aufschiebende Wirkung – Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  M 6 S 17.5301

Datum:
28.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 5303
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, § 88, § 122 Abs. 1
VwZVG Art. 37 Abs. 4 S. 1
BayVwVfG Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, Art. 46

 

Leitsatz

Wer als Heroinabhängiger substituiert wird, ist im Hinblick auf eine hinreichend beständige Anpassungs- und Leistungsfähigkeit in der Regel nicht geeignet, ein Kraftfahrzeug zu führen. Nur in seltenen Ausnahmefällen ist eine positive Beurteilung möglich, wenn besondere Umstände dies im Einzelfall rechtfertigen, etwa eine mehr als einjährige Substitution, eine psychosoziale stabile Integration, die nachgewiesene Freiheit von Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen incl. Alkohol seit mindestens einem Jahr, der Nachweis für Eigenverantwortung und Therapie-Compliance sowie das Fehlen einer Störung der Gesamtpersönlichkeit. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500.- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Gegen den 19… geborenen Antragsteller wurde im Februar 2017 ein Ermittlungsverfahren unter anderem wegen illegalen Handels mit Heroin durchgeführt. Am … Februar 2017 fand eine mit Durchsuchungsbeschluss angeordnete Durchsuchung der Wohnung an der Meldeadresse des Antragstellers statt. Es wurde unter anderem ein Papierbriefchen mit 0,5 g Heroin und 5 Suboxone-Tabletten (8 mg/2 mg, mit dem Wirkstoff Buprenorphin) sichergestellt. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung am … Februar 2017 gab der Antragsteller an, dass er mit 18 Jahren Heroin probiert habe, es dann gelassen habe, mit 21 oder 22 dann wieder Heroin genommen habe und seither nicht mehr davon weg gekommen sei. Momentan nehme er Subutex und versuche in ein Substitutionsprogramm zu kommen. Auf die Frage, woher er die Subutex Tabletten habe, die bei ihm sichergestellt wurden, antwortete der Antragsteller, dass er den Namen nicht nennen wolle. Er habe Heroin im Darknet bestellt und an eine bestimmte Person im Darknet Kunden vermittelt. Hierfür habe er von dieser Person Heroin zum Eigenkonsum bekommen. Auf die Frage woher er jetzt Heroin bekomme, antwortete der Antragsteller, von der Straße, weitere Angaben wolle er dazu nicht machen.
Mit seit … August 2017 rechtskräftigem Strafbefehl wurde gegen den Antragsteller eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 1 Abs. 1 Betäubungsmittelgesetz – BtMG – i.V.m. Anlage I und Anlage III zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG verhängt.
In den Akten (Blatt 42) befindet sich ein an den Antragsteller gerichtetes Anhörungsschreiben vom … September 2017 zum Entzug der Fahrerlaubnis, mit dem ihm auch Gelegenheit gegeben wird, seinen Führerschein bis 2. Oktober 2017 freiwillig bei der Fahrerlaubnisbehörde abzugeben.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2017 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids), gab dem Antragsteller auf den Führerschein spätestens 5 Tage nach Zustellung des Bescheids bei der Fahrerlaubnisbehörde abzugeben (Nr. 2), ordnete die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis an (Nr. 3) und drohte für den Fall, dass der Antragsteller der Verpflichtung aus Nr. 2 nicht rechtzeitig nachgekommen würde, ein Zwangsgeld in Höhe von 250.- EUR an (Nr. 4). Nr. 5 und 6 des Bescheids regeln die Kosten.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach Nr. 9.1 der Anlage 4 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) im Regelfall nicht bestehe. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde damit begründet, dass der Antragsteller regelmäßig Betäubungsmittel konsumiere und die Maßnahme zum Schutz von Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer sofort greifen müsse. Die Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis könne nicht bis zu einer verwaltungsgerichtlichen Klärung der Rechtmäßigkeit des Bescheids zurückgestellt werden. Das Verhalten des Antragstellers in der Vergangenheit lasse befürchten, dass er weiterhin Betäubungsmittel konsumieren werde, was eine erhebliche Unfallgefahr begründe. Dies gelte es mit sofortiger Wirkung zu verhindern.
Mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2017, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am 9. November 2017, erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers unter Vollmachtvorlage für diesen Klage, über die noch nicht entschieden ist (M 6 K 17.5299) und stellten mit gleichem Schriftsatz den Antrag,
„die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, hilfsweise die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen“.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Antragsteller sei im Strafverfahren nicht anwaltlich vertreten gewesen und habe daher keine Gelegenheit gehabt seine Angaben während der Durchsuchung am … Februar 2017 zu korrigieren oder zu konkretisieren. Die Fahrerlaubnisbehörde habe ihre Maßnahme nur auf die Angaben des Klägers gestützt. Das Landratsamt gehe davon aus, dass der Antragsteller angehört worden sei und sich nicht geäußert habe. Dem Antragsteller sei jedoch kein Anhörungsschreiben bekannt. Soweit er sich erinnere, habe er ein solches Schreiben niemals erhalten. Er hätte sonst sofort die Gelegenheit ergriffen, seine Angabe, dass er seit seinem 21. oder 22. Lebensjahr heroinabhängig sei, zu korrigieren. Die Anhörung sei nicht förmlich zugestellt worden, was in vergleichbaren Fällen üblich sei.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 20. November 2017 wurde der Antragsteller aufgefordert innerhalb einer Frist von 2 Wochen eine Haaranalyse eines zertifizierten Labors vorzulegen. Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2017 legten die Bevollmächtigten für ihren Mandanten das Ergebnis der Haaranalyse des A* … … … … … (***) vom … November 2017 vor. Dem Gutachten liegt eine Gesamtlänge der Haarprobe von 5 cm zu Grunde. In der Haarprobe wurde 3,0 ng/ml Morphin nachgewiesen. Die Bevollmächtigten erklärten hierzu, dieser Wert stehe im Zusammenhang mit der Einnahme von Substitutionsmitteln, die der Antragsteller verschrieben bekomme. Er unterziehe sich einer Substitutionstherapie. Am … Dezember 2017 legten die Bevollmächtigten per Fax ein Attest der Hausärztin des Antragstellers vor, in welchem diese bestätigt, dass sich der Antragsteller seit dem … Februar 2017 bei ihr in Substitutionsbehandlung befinde und mit 800 mg Substitol täglich behandelt werde. In dem Attest ist weiterhin ausgeführt, dass sich bei dem Antragsteller in den durchgeführten Drogenscreenings keine Einnahme anderer psychoaktiver Substanzen ergeben habe.
Mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2017 legte der Antragsgegner die Akten vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird auf die Vernehmung des Antragstellers vom … Februar 2017 verwiesen. Die Aussagen aus der Vernehmung dürften herangezogen werden, denn sie seien auf freiwilliger Basis erfolgt. Eine ärztliche oder gutachterliche Bestätigung der Drogenabhängigkeit sei nicht mehr erforderlich. Die Anhörung zur Entziehung der Fahrerlaubnis sei dem Antragsteller mit einfachem Brief übersandt worden. Auch wenn der Antragsteller dieses nicht erhalten hätte, habe er im Rahmen des Antragsverfahrens bzw. Klageverfahrens die Gelegenheit, seine Auffassung darzulegen. Es sei nicht üblich Anhörungen förmlich zuzustellen.
Der Rechtsstreit wurde am 27. März 2018 zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Der Antragsgegner teilte am 29. März 2018 per E-Mail mit, dass der Antragsteller den Führerschein abgegeben habe und dieser dem Landratsamt vorliege.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und im Verfahren M 6 K 17.5299 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ist teilweise bereits unzulässig, im Übrigen unbegründet. Er wurde gem. §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO dahingehend ausgelegt, dass hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 des Bescheids die Wiederherstellung, hinsichtlich Nr. 4 des Bescheids die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 9. November 2017 begehrt wird.
1. Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bereits unzulässig, denn der Antragsteller hat seinen Führerschein bereits bei der Fahrerlaubnisbehörde abgegeben. Damit ist die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Fahrerlaubnisbehörde das in Nr. 4 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) gleichwohl noch beitreiben wird. Daher fehlt es dem Antragsteller für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich Nr. 4 des Bescheids am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (BayVGH, B. v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris).
Demgegenüber hat sich durch die Abgabe des Führerscheins die Verpflichtung hierzu in Nr. 2 des Bescheids nicht erledigt, denn diese stellt den Rechtsgrund für das vorläufige behalten dürfen dieses Dokuments für die Fahrerlaubnisbehörde dar (BayVGH, B. v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris).
2. Die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs in Nr. 3 des Bescheides vom 10. Oktober 2017 entspricht den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
Nach dieser Vorschrift hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Eyermann/Schmidt, VwGO, 14. Auflage 2014, § 80, Rn. 43).
Vorliegend hat die Behörde eine diesen Kriterien genügende und auf den Einzelfall bezogene Begründung gegeben. Sie hat insbesondere dargelegt, dass aus ihrer Sicht Gefahr besteht, dass der Antragsteller weiterhin Betäubungsmittel konsumiert und erläutert, warum sie bei einer weiteren Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens Gefahren für den Straßenverkehr sieht, die es nicht zulassen, mit der Vollziehung der Entscheidung über den Entzug der Fahrerlaubnis bis zum Ende des Rechtsbehelfsverfahrens abzuwarten. Das genügt den formellen Anforderungen des 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
3. Der Antrag war abzulehnen, weil der streitgegenständliche Bescheid vom 10. Oktober 2017 auch im Übrigen (materiell) rechtmäßig ist, sodass die hiergegen erhobene Klage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird.
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 9. November 2017 gegen den Bescheid vom 10. Oktober 2017 war hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 des Bescheids nicht wiederherzustellen.
3.1. Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung.
Die aufschiebende Wirkung entfällt, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat, was vorliegend hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 des Bescheids zutrifft.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO). Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat dabei abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren von erheblicher Bedeutung. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessensabwägung.
Dies zugrunde gelegt rechtfertigt der Umstand, dass der Antragsteller vor Erlass der streitigen Fahrerlaubnisentziehung möglicherweise nicht den Anforderungen des Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG – gemäß angehört wurde, für sich genommen nicht die Zuerkennung vorläufigen Rechtsschutzes. Ob der Antragsteller das Anhörungsschreiben tatsächlich nicht erhalten hat, ist aus der Sicht des erkennenden Gerichts offen, denn er lässt durch seine Bevollmächtigten vortragen, soweit er sich erinnere, habe er ein solches Schreiben niemals erhalten. Selbst wenn die Anhörung nicht ordnungsgemäß bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens durchgeführt worden sein sollte, ist dieser Verfahrensfehler nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG durch die Ausführungen der Beteiligten im Eilverfahren nachgeholt und damit geheilt worden. Jedenfalls aber ist in die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu Lasten des Antragstellers einzustellen, dass eine fehlende Anhörung noch bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Klageverfahrens nachgeholt werden kann. Es gibt keinen Grundsatz, dass allein die formelle Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts die Aussetzung der Vollziehung gebietet, auch wenn absehbar ist, dass der Verwaltungsakt im Ergebnis nicht aufzuheben sein wird, weil der formelle Fehler geheilt werden oder unbeachtlich (vgl. Art. 46 BayVwVfG) bleiben wird.
Der Antrag ist abzulehnen, weil sich die in Nr. 1 des Bescheids vom 10. Oktober 2017 enthaltene Entziehung der Fahrerlaubnis aller Klassen des Antragstellers nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig darstellt und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, sodass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend derjenige der letzten Behördenentscheidung (BVerwG, U.v.23.10.2014 – 3 C §.13 – juris Rn. 13). Somit ist hier auf die Zustellung des Bescheids vom 10. Oktober 2017 am 12. Oktober 2017 abzustellen.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – und § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Antragsteller hat ausweislich des in den Akten befindlichen Protokolls über seine Vernehmung als Beschuldigter am … Februar 2017 den Konsum von Heroin – einem Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes – selbst eingeräumt. Zwar ließ er später durch seine Bevollmächtigten vortragen, dass er die Angabe, er sei seit seinem 21. oder 22. Lebensjahr heroinabhängig, korrigiert hätte, wäre ihm das Anhörungsschreiben bekannt gewesen. Das erkennende Gericht ist jedoch der Auffassung, dass sich der Antragsteller sich an seiner damaligen Aussage festhalten lassen muss. Er ist bis heute nicht drogenfrei, sondern nimmt nach eigenem Bekunden an einer Substitutionsbehandlung teil. Der Antragsteller hat auch zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, kein Heroin konsumiert zu haben.
Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sog. harte Drogen – wie Heroin – konsumiert hat (ständige Rechtsprechung des BayVGH, vgl. z.B. B.v.19.1.2016 – 11 CS 15.2403 – juris).
Der Antragsteller hat die Fahreignung zum maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht wiedererlangt. Die Wiedererlangung der Fahreignung kommt grundsätzlich frühestens nach einjähriger Abstinenz in Betracht (vgl. Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV) und setzt eine stabile Verhaltens- und Einstellungsänderung voraus (BayVGH, B.v. 3.8.2016 – 11 ZB 16.966 – juris Rn. 15 m.w.N.). Der erforderliche lückenlose Nachweis der Betäubungsmittelabstinenz mindestens für die Dauer eines Jahres scheidet hier bereits in zeitlicher Hinsicht aus; im Übrigen hat der Antragsteller keine Abstinenznachweise vorgelegt, sondern lässt vortragen und durch ärztliches Attest bestätigen, dass er an einer Substitutionsbehandlung mit Substitol teilnimmt.
Ausweislich des Beipackzettels enthält Substitol den Wirkstoff Morphinsulfat. Dementsprechend ergibt sich aus dem von den Bevollmächtigten am … Dezember 2017 vorgelegten Befundbericht des B* … Labor … …, dem Speichelproben des Antragstellers zu Grunde liegen, der Nachweis von Opiaten und Opioiden. Da es sich auch bei Morphin um ein Betäubungsmittel im Sinne der Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz handelt, verwirklicht der Konsument dieser Substanz fortlaufend zumindest den Verlusttatbestand der Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV. Eine Drogenabstinenz ist beim Antragsteller somit nicht gegeben. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in den vergleichbaren Fällen von Personen, die im Rahmen einer Substitutionsbehandlung Methadon konsumieren, zum Ausdruck gebracht, dass die Einjahresfrist, nach deren Ablauf nicht mehr von einem im Sinne von § 11 Absatz 7 FeV feststehenden Verlust der Fahreignung ausgegangen werden darf, frühestens mit dem Ende der Substitutionstherapie beginnt (BayVGH, B.v. 6.11.2007, Az. 11 CS 07.1069 – juris). Er hält hieran in seinem Beschluss vom 5. Juli 2012 (Az. 11 CS 12.1321 – juris) mit der Maßgabe fest, dass die Einjahresfrist nur dann in diesem Zeitpunkt in Gang gesetzt wird, wenn während der Substitutionsbehandlung bereits die nach der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV erforderliche körperliche Entgiftung und psychische Entwöhnung stattgefunden hat. Das erkennende Gericht folgt dieser Auffassung.
3.2 Bei dem Antragsteller liegt auch keine Ausnahme von der Regel im Sinne des Satzes 2 und 3 der Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 zur FeV vor. Bereits nach dem Wortlaut ist hiernach die Anforderung eines Fahreignungsgutachtens nur dann veranlasst, wenn das Vorliegen eines „Ausnahmefalles“ im Sinne des Satzes 1 der Vorbemerkung 3 als Möglichkeit ernsthaft in Erwägung gezogen werden muss. Bei einer Person, die mit Substitol substituiert wird, ist das Verlangen, ein auf diese Bestimmung gestütztes Fahreignungsgutachten beizubringen, dann entbehrlich, wenn gesichert ist, dass die Voraussetzungen, bei denen ungeachtet der Einnahme eines Betäubungsmittels eine (bedingte) Fahreignung unter Umständen zu bejahen sein kann, schlechthin nicht vorliegen können. Vom Antragsteller war kein Fahreignungsgutachten anzufordern. Der Antragsteller ist rechtmäßigerweise auch ohne ein solches Gutachten von fehlender Fahreignung ausgegangen.
Die Erfordernisse, bei deren Erfüllung eine mit Methadon substituierte Person gegebenenfalls als (bedingt) fahrgeeignet angesehen werden kann, ergeben sich vor allem aus dem letzten Absatz des Abschnitts 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, ferner aus den Kriterien D 1.4 N der von der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin entwickelten “Beurteilungskriterien“ (veröffentlicht von Schubert/Dittmann unter dem Titel “Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien“, 3. Aufl. 2013). Die Ausführungen dieser fachlichen Empfehlungen, die sich auf die Methadonsubstitution beziehen, sind auf Substitol übertragbar. In den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung ist unter anderem ausgeführt, dass wer als Heroinabhängiger substituiert wird, im Hinblick auf eine hinreichend beständige Anpassungs- und Leistungsfähigkeit in der Regel nicht geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu führen. Nur in seltenen Ausnahmefällen ist eine positive Beurteilung möglich, wenn besondere Umstände dies im Einzelfall rechtfertigen. Hierzu gehören unter anderem eine mehr als einjährige Substitution, eine psychosoziale stabile Integration, die Freiheit von Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen, incl. Alkohol, seit mindestens einem Jahr, nachgewiesen durch geeignete, regelmäßige, zufällige Kontrollen (z.B. Urin, Haar) während der Therapie, der Nachweis für Eigenverantwortung und Therapie-Compliance sowie das Fehlen einer Störung der Gesamtpersönlichkeit. Im Zeitpunkt des Bescheidserlasses lag bei dem Antragsteller noch keine mehr als einjährige Substitution vor. Auch die Beurteilungskriterien gehen davon aus, dass die Substitution mindestens 12 Monate ohne Rückfall durchgeführt wurde. Somit war bei dem Antragsteller keine medizinisch-psychologische Begutachtung angezeigt. Die Fahrerlaubnisbehörde ist rechtmäßig von Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ausgegangen, so dass die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen war. Ein Ermessensspielraum ist in diesen Fällen nicht gegeben.
Der Antrag war daher abzulehnen.
Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch beim Sofortvollzug der im streitgegenständlichen Bescheid enthaltenen Anordnung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung bestehen nicht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG – i.V.m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).


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