Verkehrsrecht

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Wiedererlangung des Rechts, von einer in Österreich erteilten Fahrerlaubnis in Deutschland wieder Gebrauch zu machen, Vorangegangene Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Trennung von Cannabiskonsum und Fahren, Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung vor Tilgungsreife der Eintragung über die Entziehung der Fahrerlaubnis, Verstoß gegen Unionsrecht (verneint)

Aktenzeichen  11 CE 21.2868

Datum:
25.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4421
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 6, § 29
FeV § 11 Abs. 8, § 14 Abs. 2 Nr. 1, § 29 Abs. 4
RL 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1, 11 Abs. 4 Unterabs. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 7 E 21.1759 2021-10-29 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung eine Verpflichtung des Antragsgegners, ihm vorläufig das Recht zuzuerkennen, von seiner österreichischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen.
Der Antragsteller ist österreichischer Staatsbürger, hat seinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich und erwarb dort 2008 die Fahrerlaubnis der Klassen A und B.
Mit Bescheid vom 10. August 2015, der insoweit bestandskräftig ist, entzog die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt Pf. dem Antragsteller die österreichische Fahrerlaubnis für den Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland. Zur Begründung heißt es, der Antragsteller habe am 26. Juni 2014 in L. im öffentlichen Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis gesteuert. In der entnommenen Blutprobe seien 7,9 ng/ml THC sowie 103,1 ng/ml THC-Carbonsäure festgestellt worden. Damit habe der Antragsteller dokumentiert, dass er als gelegentlicher Konsument die Einnahme von Cannabis und das Fahren nicht trennen könne, und sei nach § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Mit Schreiben vom 8. Juli 2021 beantragte der Antragsteller beim Landratsamt L., ihm das Recht, von seiner österreichischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, wieder zuzuerkennen.
Das Landratsamt forderte den Antragsteller daraufhin mit Schreiben vom 27. Juli 2021 auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu der Frage vorzulegen, ob er künftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis und dessen Nachwirkungen führen werde.
Nachdem der Antragsteller erklärt hatte, er halte die Gutachtensaufforderung für unvereinbar mit dem Unionsrecht und werde ihr nicht nachkommen, lehnte das Landratsamt den Antrag mit Bescheid vom 16. August 2021 ab. Aus der Nichtvorlage des Gutachtens sei auf mangelnde Eignung zu schließen.
Am 26. August 2021 ließ der Antragsteller Klage auf Wiedererteilung des Rechts, von seiner österreichischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen (7 K 21.1758), erheben, über die das Verwaltungsgericht Augsburg noch nicht entschieden hat, sowie eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO beantragen. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe in seinem Urteil vom 23. April 2015 (C-260/13) angenommen, es stehe mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip in Einklang, wenn die Wiedererlangung des Rechts, von einer ausländischen Fahrerlaubnis nach deren Aberkennung wieder in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, von der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens oder dem Ablauf eines Zeitraums von fünf Jahren abhängig gemacht werde. Daraus folge, dass eine Verweigerung der Anerkennung der österreichischen Fahrerlaubnis des Antragstellers auch ohne positive medizinisch-psychologische Begutachtung nach Ablauf von fünf Jahren nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar sei. Bei einem Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache drohten dem Antragsteller, der in Grenznähe zu Deutschland wohne, mit Blick auf die Unzulänglichkeit des öffentlichen Nachverkehrs im grenznahen Raum wesentliche Nachteile, insbesondere in Bezug auf die Ausübung seines unionsrechtlich garantierten Freizügigkeitsrechts sowie der Dienstleistungsfreiheit.
Mit Beschluss vom 29. Oktober 2021 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Der Antragsteller habe bereits keine schweren und unzumutbaren Nachteile bei einem Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache und damit keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Besondere Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland, z.B. beruflicher oder familiärer Art, habe er nicht vorgetragen. Ferner habe der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er habe nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf Wiedererteilung des Rechts, von seiner österreichischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Das Landratsamt habe diese nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV zu Recht von einer positiven medizinisch-psychologischen Begutachtung abhängig gemacht, ohne dass dem die unionsrechtlichen Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung der Fahrerlaubnisse sowie der Verhältnismäßigkeit entgegenstünden.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der der Antragsgegner entgegentritt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers, in dessen Mittelpunkt die Frage der Verwertbarkeit der Eintragung über die Aberkennung der Inlandsfahrberechtigung nach Ablauf von fünf Jahren steht, nicht bei interessengerechter Auslegung in erster Linie auf die vorläufige Feststellung einer ohne Weiteres bestehenden Inlandsfahrberechtigung auf der Grundlage der österreichischen Fahrerlaubnis und nur hilfsweise auf deren vorläufige – konstitutive – Wiedererteilung gerichtet ist (vgl. auch VGH BW, U.v. 27.6.2017 – 10 S 1716/15 – DAR 2017, 597 = juris Rn. 31; BVerwG, U.v. 15.9.2021 – 3 C 3.21 – NJW 2021, 3479 = juris Rn. 13 ff; zur vorläufigen Feststellung vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2012 – 11 AE 12.1311 – juris Rn. 16).
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um u.a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht. Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – NVwZ-RR 2014, 558 = juris Rn. 5 m.w.N.). Die begehrte Regelung muss zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig sein und es muss ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache sprechen (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, § 123 Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene nicht fahrgeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht befähigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2018 – 11 CE 18.1170 – juris Rn. 15; B.v. 11.12.2014 – 11 CE 14.2358 – juris Rn. 18; B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20; s. auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 20 FeV Rn. 6).
2. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, da der Antragsteller jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen konnte. Eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der Klage – mag sie bei interessengerechter Auslegung auf Feststellung einer ohne Weiteres bestehenden Inlandsfahrberechtigung oder auf deren konstitutive Wiedererteilung zielen – hat das Verwaltungsgericht zu Recht verneint.
a) Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung richtigerweise zu Grunde gelegt, dass dem Antragsteller, der seinen ordentlichen Wohnsitz i.S.v. § 7 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch das zum Teil zum 2. August 2021 in Kraft getretene Gesetz vom 16. April 2021 (BGBl I S. 822), in Österreich hat, nach nationalem Recht keine Inlandsfahrberechtigung gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 FeV zusteht. Danach dürfen Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis im Umfang ihrer Berechtigung im Inland Kraftfahrzeuge führen, wenn sie hier keinen ordentlichen Wohnsitz nach § 7 FeV haben. Dem steht hier § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FeV entgegen, der bestimmt, dass die Berechtigung nach Abs. 1 u.a. nicht für Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse gilt, denen die Fahrerlaubnis im Inland bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist. Das ist beim Antragsteller der Fall.
Die entsprechende Eintragung im Fahreignungsregister ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats auch noch nicht getilgt. Gemäß § 29 Abs. 3 Satz 3 FeV ist Satz 1 Nummer 3 auf eine EU-Fahrerlaubnis nur anzuwenden, wenn die dort genannten Maßnahmen im Fahreignungsregister eingetragen und nicht nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch das zum Teil zum 1. Januar 2022 in Kraft getretene Gesetz vom 7. Mai 2021 (BGBl I S. 850), getilgt sind. Für die in Rede stehende Eintragung gilt eine Tilgungsfrist von zehn Jahren (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst b i.V.m. § 28 Abs. 3 Nr. 6 Buchst. a StVG), die hier gemäß § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG fünf Jahre nach der Rechtskraft der Entziehung der Fahrerlaubnis begann. Diese Zeitspanne ist offenkundig noch nicht abgelaufen.
b) Dies zu Grunde gelegt hat das Verwaltungsgericht, wovon auch die Beschwerde ausgeht, zutreffend ausgeführt, dass der Antragsteller nach nationalen Bestimmungen keinen Anspruch auf die Wiedererteilung des begehrten Rechts ohne Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens hat.
Nach § 29 Abs. 4 FeV wird das Recht, von einer ausländischen Fahrerlaubnis nach einer der in § 29 Abs. 3 Nr. 3 FeV genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung nicht mehr bestehen. Dazu bestimmt § 3 Abs. 6 StVG, dass für die Erteilung des Rechts, nach vorangegangener Entziehung von einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland wieder Gebrauch zu machen, an Personen mit ordentlichem Wohnsitz im Ausland die Vorschriften über die Neuerteilung entsprechend gelten. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV ist zur Vorbereitung der Entscheidung über die Erteilung der Fahrerlaubnis ein medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen, wenn dem Betroffenen die Fahrerlaubnis wegen der Einnahme von Betäubungsmitteln (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV) entzogen worden war. Diese Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht hier zu Recht bejaht, so dass das Landratsamt aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf mangelnde Fahreignung schließen durfte (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV).
c) Aus vorrangig anwendbarem Recht der Europäischen Union kann der Antragsteller weder eine ohne Weiteres bestehende Inlandsfahrberechtigung noch einen Anspruch auf konstitutive Wiedererteilung des Rechts, von seiner österreichischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, herleiten. Auf die unionsrechtlichen Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung der Fahrerlaubnisse sowie der Verhältnismäßigkeit beruft sich die Beschwerde ohne Erfolg.
aa) Art. 2 Abs. 1 der RL 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl L 403 S. 18 – RL 2006/126/EG) sieht zwar die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hindern Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der RL 2006/126/EG einen Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins vorübergehend aufhält, jedoch nicht daran, die Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins wegen einer Zuwiderhandlung seines Inhabers abzulehnen, die in diesem Gebiet nach Ausstellung des Führerscheins stattgefunden hat und die gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats geeignet ist, die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen herbeizuführen. Der Gerichtshof hat hierzu insbesondere die Auffassung vertreten, dass nach Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der RL 2006/126/EG ein Mitgliedstaat, der nicht der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes des Inhabers eines in einem anderen Mitgliedstaat erhaltenen Führerscheins ist, wegen der in seinem Hoheitsgebiet begangenen Zuwiderhandlung dieses Inhabers Maßnahmen nach seinen nationalen Rechtsvorschriften ergreifen darf, deren Tragweite auf dieses Hoheitsgebiet beschränkt ist und deren Wirkung sich auf die Ablehnung beschränkt, in diesem Gebiet die Gültigkeit dieses Führerscheins anzuerkennen. Er hat auch entschieden, dass in einer solchen Situation, in der die Fahreignung nicht bei der Ausstellung des Führerscheins, sondern infolge einer vom Inhaber dieses Führerscheins nach dessen Ausstellung begangenen Zuwiderhandlung in Frage gestellt wird, deren Ahndung ihre Wirkungen nur im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats entfaltet hat, in dem diese Zuwiderhandlung begangen wurde, dieser Mitgliedstaat dafür zuständig ist, die Bedingungen festzulegen, die der Inhaber dieses Führerscheins erfüllen muss, um das Recht, in seinem Hoheitsgebiet zu fahren, wiederzuerlangen (EuGH, U.v. 29.04.2021 – C-47/20, F gegen Stadt Karlsruhe – NJW 2021, 2265 = juris Rn. 30-32; U.v. 23.4.2015 – C-260/13, Aykul – NJW 2015, 2945 = juris Rn. 71, 84).
bb) Weiterhin müssen die Gerichte der Mitgliedstaaten zwar nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs untersuchen, ob sich der fragliche Mitgliedstaat durch die Anwendung seiner eigenen Regeln in Wirklichkeit nicht unbegrenzt der Anerkennung des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins entgegenstellt, und dass es in dieser Hinsicht ihre Aufgabe ist, zu überprüfen, ob die von den Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats vorgesehenen Voraussetzungen gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des von der RL 2006/126/EG verfolgten Ziels, das in der Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr besteht, angemessen und erforderlich ist (U.v. 29.4.2021, a.a.O. Rn. 33, 47; U.v. 23.4.2015, a.a.O. Rn. 78, 84).
Die danach gebotene Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Regelungen des Straßenverkehrsgesetzes und der Fahrerlaubnis-Verordnung über die Wiedererlangung des Rechts, nach einer Zuwiderhandlung in Deutschland von einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein wieder Gebrauch zu machen, ergibt jedoch, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, dass die hier maßgeblichen Bestimmungen nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des von der RL 2006/126/EG verfolgten Ziels, der Verbesserung der Sicherheit des Straßenverkehrs, angemessen und erforderlich ist.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers lässt sich dem Hinweis des Gerichtshofs in seiner Entscheidung vom 23. April 2015 (C-260/13, Aykul), die Tatsache, dass die Wiedererlangung des Rechts, in Deutschland ein Kraftfahrzeug zu führen, von der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens oder vom Ablauf eines Zeitraums von fünf Jahren abhängig gemacht werde, erscheine als ein wirksames und zum Ziel der Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr im Verhältnis stehendes Präventionsmittel (a.a.O. Rn. 83), nicht entnehmen, dass der Gerichtshof längere Fristen zur Wiedererlangung der Fahreignung unabhängig von einer Begutachtung als unverhältnismäßig ansieht. Vielmehr verhält sich diese Entscheidung allein zu der für das damalige Verfahren maßgeblichen Tilgungsfrist von fünf Jahren (vgl. auch BVerwG, U.v. 15.9.2021 – 3 C 3.21 – NJW 2021, 3479 = juris Rn. 20).
Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob der Zeitraum von hier 15 Jahren zwischen der Rechtskraft der Entziehung der Fahrerlaubnis und dem Eintritt der Tilgungsreife der entsprechenden Eintragung, nach dessen Ablauf der Ausschluss der Fahrberechtigung in Deutschland – wie oben dargelegt – auch ohne positive medizinisch-psychologische Begutachtung entfällt, für sich genommen angemessen und erforderlich wäre. Denn diese Spanne ist in einer Zusammenschau mit der o.g. rechtlichen Möglichkeit zu bewerten, die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland mit der in Österreich erteilten Fahrerlaubnis – unabhängig von einer Tilgung der Eintragung – nach Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens wieder zu erlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.9.2021, a.a.O. Rn. 20).
Weiterhin ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auf die vorgenannten Vorgaben des Gerichtshofs Bezug nimmt, gemessen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu beanstanden, dass zur Abwehr der Gefahren, die sich für die Sicherheit des Straßenverkehrs daraus ergeben, dass wegen Alkoholkonsums nicht fahrtüchtige Kraftfahrer am Straßenverkehr teilnehmen, während eines Zeitraums von 15 Jahren nach Rechtskraft der Entziehung eine entsprechende Überprüfung des Betroffenen erfolgt, bevor dieser wieder das Recht erhält, Kraftfahrzeuge in Deutschland zu führen (BVerwG, U.v. 15.9.2021, a.a.O. Rn. 19, 24).
Diese Erwägungen beanspruchen im vorliegenden Fall entsprechende Geltung. Das Führen eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung von Cannabis birgt typischerweise keine geringeren Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs als das im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit (vgl. dazu auch Daldrup, Blutalkohol 55, 122/123 f; Möller in Hettenbach/Kalus/Möller/Pießkalla/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 3. Aufl. 2016, § 3 Rn. 122; BVerfG, B.v. 21.12.2004 – 1 BvR 2652/03 – NJW 2005, 349 = juris Rn. 15). Dies gilt im Fall des Antragstellers umso mehr, als er den maßgeblichen Risikogrenzwert von 1,0 ng/ml THC weit überschritten hatte, was für einen relativ engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Cannabis und der Teilnahme am Straßenverkehr oder aber häufigen Konsum spricht (BayVGH, B.v. 7.3.2017 – 11 CS 17.143 – juris Rn. 22; B.v. 23.3.2021 – 11 CS 20.2643 – juris Rn. 26; Möller, a.a.O. § 3 Rn. 127 ff.; Daldrup a.a.O. S. 124 f.). Auf einen häufigen Konsum, der jedenfalls an der Grenze zum regelmäßigen Cannabiskonsum liegt, weist auch der in der Blutprobe festgestellte Wert von 103,1 ng/ml THC-Carbonsäure hin (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2019 – 11 CS 18.2605 – juris Rn. 13). Dies begründet ohne Weiteres im Interesse der Verkehrssicherheit einen entsprechenden Klärungs- und Prüfungsbedarf, zumal es keinerlei Anhalt dafür gibt, dass der Antragsteller die Einnahme von Cannabis aufgegeben hätte und sich die Frage der Trennung von Konsum und Fahren nicht mehr stellte. Wenn die Beschwerde dem gegenüber darauf verweist, der Antragsteller sei seit dem Verstoß im Jahr 2014 im Straßenverkehr nicht mehr aufgefallen, kommt dem keine erhebliche Aussagekraft und kein maßgebliches Gewicht zu (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 24.9.2020 – 11 CS 20.1234 – juris Rn. 21).
cc) Die von der Beschwerde angeregte Vorlage zum Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung der sinngemäßen Frage, ob Art. 2 Abs. 1 RL 2006/206/EG einer mitgliedstaatlichen Regelung wie der hier maßgeblichen entgegensteht, kommt damit von vornherein nicht in Betracht. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der nationalen Bedingungen zur Wiedererlangung des Rechts, nach einer Zuwiderhandlung in einem Mitgliedstaat, in dem der Betroffene sich vorübergehend aufgehalten hat, dort von einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein wieder Gebrauch zu machen, weist der Gerichtshof, wie bereits erwähnt, den Gerichten des fraglichen Mitgliedstaats zu (in diesem Sinne EuGH, U.v. 29.4.2021 – C-47/20, F gegen Stadt Karlsruhe – NJW 2021, 2265 = juris Rn. 33, 47; U.v. 23.4.2015 – C-260/13, Aykul – NJW 2015, 2945 = juris Rn. 78, 84). Abgesehen davon ist aber nach Vorstehendem und mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. September 2021 (3 C 3.21) insoweit kein Klärungsbedarf ersichtlich.
3. Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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