Verkehrsrecht

Berufung, Geschwindigkeit, Unfall, Gutachten, Unfallzeitpunkt, Vollbremsung, Staatsanwaltschaft, Kollision, Auffahren, Angeklagte, Herabsetzung, Bremsung, Bedeutung, Gegenverkehr, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Aktenzeichen  18 U 7320/19

Datum:
2.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49721
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

7 O 4488/16 2019-11-21 Endurteil LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 21.11.2019, Az.: 7 O 4488/16, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung des Klägers offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dies zeigt die Berufungsbegründung nicht auf. Das Landgericht hat die auf Schadensersatz und Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gerichtete Klage vielmehr zu Recht abgewiesen, weil der Kläger den ihm obliegenden Nachweis nicht hat führen können, dass die Beklagte den streitgegenständlichen Unfall auf der Sommerrodelbahn in O. verschuldet hat. Ob den Kläger ein Mitverschulden an seiner Verletzung trifft, wie das Landgericht angenommen hat, kann deshalb dahinstehen.
1. Für die offensichtlich ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung des Klägers, dass die Beklagte auf der geraden und einsehbaren Strecke vor der Kuppe mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Nach den vom Kläger nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts weist dieser Teil der Rodelbahn keine gefahrträchtigen Stellen auf, weshalb in diesem Abschnitt auch kein Anlass für eine Herabsetzung der Geschwindigkeit besteht. In den Nutzungsbedingungen (Anlage K 1) wird der Benutzer der Rodelbahn ausdrücklich aufgefordert, nicht zu langsam zu fahren.
2. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass die Beklagte ein Auffahren auf seinen stehenden Rodel hätte vermeiden können, wenn sie bereits auf der Höhe des Schildes mit der Aufforderung „Bremsen!“ eine Vollbremsung eingeleitet hätte. Denn an dieser Stelle war die Einleitung einer Vollbremsung nicht geboten. Nach den vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) S. konnte die Beklagte beim Passieren des Schildes den vor dem Kreisel stehenden Rodel des Klägers noch nicht als Hindernis wahrnehmen.
a) Die Aufforderung „Bremsen!“ auf dem – nichtamtlichen, aber durch Dreiecksform und rote Umrandung als „Gefahrzeichen“ ausgewiesenen – Hinweisschild (vgl. Abb. 16 des Gutachtens, Bl. 14) gebietet nach den Nutzungsbedingungen eine Herabsetzung der Geschwindigkeit. Die drei Sterne neben dem Piktogramm eines den Bremshebel betätigenden Rodlers bringen eindeutig zum Ausdruck, dass an dieser Stelle eine starke Bremsung geboten ist. Den Grund hierfür entnimmt der durchschnittliche Benutzer der Rodelbahn dem Symbol „Rechtslinks-Kurvenkombination“ in der Spitze des Schildes. Er versteht den Warnhinweis dahin, dass er beim Durchfahren der angekündigten Kurven mit einer zu hohen Geschwindigkeit durch die Fliehkraft aus der Bahn getragen werden könnte.
Mangels näherer Erläuterungen interpretiert der Benutzer das Bremsgebot aber nicht als Aufforderung, seine Geschwindigkeit so weit herabzusetzen, dass er nach der Einfahrt in die Rechtskurve den Rodel jederzeit innerhalb des überschaubaren Teils der Bahn zum Stillstand bringen kann. Wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, widerspräche ein so starkes Abbremsen ohne konkreten Anlass der Zweckbestimmung der Rodelbahn, bei der ein wesentlicher Teil des Fahrspaßes gerade im schnellen Durchfahren der Kurven besteht. In den Nutzungsbedingungen (Anlage K 1) wird der Benutzer ausdrücklich dazu aufgefordert, nicht zu langsam zu fahren.
Bestätigung finden diese Erwägungen durch das Ergebnis des vom Sachverständigen S. veranlassten zweiten Bremsversuchs, bei dem der Testfahrer den ersten Abschnitt der Rodelbahn ohne Aktivierung der Bremse befuhr, um die mögliche Höchstgeschwindigkeit zu erreichen, und sodann auf Höhe des Schildes „Bremsen!“ eine Vollbremsung einleitete (Gutachten, Bl. 51 ff.). Trotz dieser Vollbremsung hätte er ein Auffahren auf den stehenden Rodel des Klägers nicht vermeiden können, wenn dieser sich in der vom Landgericht vorgegebenen Position befunden hätte (vgl. Gutachten, Bl. 52). In diesem Zusammenhang ist ohne Bedeutung, ob der tatsächliche Standort seines Rodels zum Unfallzeitpunkt entsprechend den Angaben des Klägers um etwa drei bis vier Meter nach hinten zu verschieben ist. Maßgeblich ist vielmehr die aus dem Bremsversuch gewonnene Erkenntnis, dass ein Auffahren auf einen an der vom Landgericht vorgegebenen Position stehenden Rodel selbst dann nicht zu verhindern ist, wenn der Benutzer der Rodelbahn auf das Gebot „Bremsen!“ sofort und mit vollem Krafteinsatz reagiert. Dieser Umstand spricht gegen die Annahme, dass das am Beginn der Rechtskurve aufgestellte Warnschild (vgl. zu dessen Position Abb. 14 des Gutachtens, Bl. 13) dem Schutz der Vorausfahrenden auf dem beim Einfahren in die Kurve noch nicht einsehbaren Teil der Rodelbahn dienen soll.
b) Entgegen der Ansicht des Klägers war die Beklagte auch nicht gehalten, bereits vor dem Warnschild mit der Aufforderung „Bremsen!“ einen Bremsvorgang einzuleiten, weil sie den hinter dem Schild befindlichen Teil der Rodelbahn nicht einsehen konnte (vgl. zu den Sichtverhältnissen Abb. 15 des Gutachtens, Bl. 13).
aa) Das im Straßenverkehr geltende Gebot des Fahrens auf Sicht (§ 3 Abs. 1 Satz 4 StVO) kann auf die ganz anders gearteten Verhältnisse bei Benutzung der Sommerrodelbahn nicht übertragen werden. Anders als ein Teilnehmer am Straßenverkehr muss der Benutzer nicht ständig mit plötzlich auftretenden Hindernissen rechnen. Es gibt keinen Gegenverkehr, dem er ausweichen muss. Ein seitlicher Einstieg in die Bahn, der zu einer unvorhergesehenen Verkürzung des Abstands auf den Vorausfahrenden führen könnte, ist untersagt (vgl. das Schild „START NUR HIER“ am Einstieg, Abb. 7 zum Sachverständigengutachten). Nach den Benutzungsbedingungen darf nur im Notfall auf der Bahn angehalten werden. In einem solchen Fall darf der Benutzer darauf vertrauen, dass der zum Anhalten gezwungene Vordermann zu seinem eigenen Schutz die Bahn unverzüglich wieder freimacht, auch wenn dies – anders als die Verpflichtung zum Verlassen der Bahn bei einsetzendem Regen – in den Nutzungsbedingungen nicht ausdrücklich geregelt ist.
Der Gefahr, infolge zu hoher Geschwindigkeit auf einen langsamer rodelnden Vordermann aufzufahren, soll nach den Benutzungsbedingungen durch den vorgeschriebenen Mindestabstand von 25 m begegnet werden. Dieser Mindestabstand ist bereits beim Start einzuhalten; zur besseren Orientierung sind hinter dem Startbereich die Abstände von 25 m und 50 m durch Hinweistafeln markiert (vgl. Abb. 7 u. 9 des Gutachtens, Bl. 10). Die Beklagte behauptet, dass sie vor dem Start sogar gewartet habe, bis der vorausfahrende Rodel mindestens 100 m entfernt gewesen sei; sie sei erst losgefahren, nachdem dieser nicht mehr zu sehen gewesen sei (Schriftsatz vom 31.01.2017, S. 5 = Bl. 11 d.A.). Der vom Start an durchgehend einzuhaltende Abstand zum Vorausfahrenden von mindestens 25 m, das grundsätzliche Verbot, auf der Bahn anzuhalten, und die – vom Gewicht des Benutzers unabhängige – Höchstgeschwindigkeit der Rodel von ca. 27 km/h (vgl. hierzu Gutachten, Bl. 36 ff.), was etwa 7,5 m/s entspricht, bilden die entscheidenden Unterschiede zum Straßenverkehr, die einer Übertragung des im Straßenverkehr geltenden Gebots eines Fahrens auf Sicht auf die Benutzung der Sommerrodelbahn entgegenstehen.
bb) Entsprechendes gilt für die Verhaltensregeln für Skifahrer (FIS). Dem Strafurteil des Amtsgerichts Miesbach vom 04.07.2017 (Az.: 52 Cs 12 Js 9034/17), auf das der Kläger seine gegenteilige Rechtsansicht stützen möchte, lag ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde: Der damalige Unfall ereignete sich auf einer erkennbar vereisten Rodelbahn. Der Angeklagte konnte die gestürzte Verletzte aus einer Entfernung von mehr als 60 m (!) als Hindernis auf seiner Bahn wahrnehmen. Dass es ihm trotz ausreichender Sichtweite nicht gelang, durch Bremsen oder Ausweichen einen Zusammenstoß zu vermeiden, war nach den Urteilsfeststellungen ausschließlich darauf zurückzuführen, dass er seine Geschwindigkeit vorwerfbar nicht an den vereisten Untergrund angepasst und zudem verspätet reagiert hatte.
3. Die Beweislast für das Verschulden der Beklagten trifft bei den im vorliegenden Fall allein in Betracht kommenden deliktischen Schadensersatzansprüchen aus § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB den Verletzten (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 79. Aufl., § 823 Rn. 80, 81). Da der Kläger diesen Nachweis nicht geführt hat, kann letztlich offenbleiben, ob ihn an seiner Verletzung ein Mitverschulden im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB trifft, wie das Landgericht angenommen hat.
Der Senat weist allerdings darauf hin, dass die Darstellung in der Berufungsbegründung, dass dem Kläger in der kurzen Zeit bis zur Kollision ein sofortiges Aussteigen aus dem Rodel nicht möglich gewesen sei (a.a.O., S. 7 = Bl. 276 d.A.), unglaubhaft ist. Die Zeugen C. B. und K. M. hatten in dem seitens der Staatsanwaltschaft Traunstein gegen die Beklagte geführten Ermittlungsverfahren (Az.: 420 Js 1755/14) zeitnah nach dem Unfallereignis übereinstimmend bekundet, dass der Kläger seinen Rodel hinter dem stehenden Rodel der Zeugin M. zunächst bis zum Stillstand abgebremst hatte, danach ausgestiegen war, nach oben „Bremsen!“ gerufen und sich anschließend wieder in seinen stehenden Rodel gesetzt hatte (vgl. Bl. 24 und 32 der beigezogenen Strafakten). In diesem sich selbst gefährdenden Verhalten des Klägers erblickt das Landgericht zutreffend ein Außerachtlassen derjenigen Sorgfalt, die jedem ordentlichen und verständigen Menschen obliegt, um sich selbst vor Schaden zu bewahren (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 254 Rn. 8).
4. Unberechtigt ist der vom Kläger erhobene Vorwurf, der Sachverständige S.- und ihm folgend das Landgericht – habe sich nicht ausreichend mit dem Riss im Heck des klägerischen Rodels (Abb. 24 des Gutachtens) befasst.
a) Aus technischer Sicht kann der Bruch des Rodels nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht als Basis einer Geschwindigkeitsbetrachtung herangezogen werden, weil nicht feststeht, dass der Rodel tatsächlich erst infolge des Auffahrens der Beklagten gebrochen oder jedenfalls weiter gebrochen ist (Gutachten, Bl. 53). Da der Rodel aus Kunststoff besteht, kann eine Vorschädigung im Bereich der Bruchstelle – etwa in Form von Haarrissen – nicht ausgeschlossen werden.
b) Vor allem jedoch ignoriert der Kläger, dass der Sachverständige die ermittelte Kollisionsgeschwindigkeit von ca. 7 km/h (vgl. Gutachten, Bl. 45) auf der Grundlage der ihm im Beweisbeschluss vom 07.05.2018 (Bl. 128/132 d..A.) gemachten Vorgaben errechnet hat, dass der Abstand zwischen den stehenden Rodeln des Klägers, der Zeugin M. und des Zeugen B. vor dem Unfall jeweils etwa einen Meter betrug und ein weiterer Auffahrunfall auf die Rodel der Zeugen M. und B. nicht stattfand. Diese Vorgaben, die ihrerseits auf den Angaben der Zeugen M. und B. im Prozess bzw. im Ermittlungsverfahren beruhen, hatte der Kläger in erster Instanz nicht beanstandet.
Unabhängig davon hat der Sachverständige die von ihm ermittelte Kollisionsgeschwindigkeit von ca. 7 km/h zu Kontrollzwecken auch auf einem zweiten Weg hergeleitet, nämlich mit Hilfe der bei den durchgeführten Versuchen erzielten Höchstgeschwindigkeit der Rodel zwischen 22 und 27,7 km/h, der von ihm gemessenen effektiven Bremsverzögerung von 0,7 m/s² sowie der Distanz von 33,5 m zwischen dem Schild „Bremsen!“ und dem Punkt, an dem der Testfahrer bei der zweiten Versuchsfahrt zum Stehen gekommen war (vgl. Gutachten, Bl. 45; Protokoll vom 28.10.2019, S. 4 = Bl. 222 d.A.).
Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt es deshalb nicht darauf an, ob der Riss in dem vom Kläger benutzten Rodel allein durch das Auffahren der Beklagten verursacht worden ist. Die Behauptung des Klägers, dass sich bei Berücksichtigung des Risses eine weit höhere Kollisionsgeschwindigkeit als 7 km/h errechnen würde, wird durch das Ergebnis der vom Sachverständigen vorgenommenen Berechnungen widerlegt.
Zur Vermeidung weiterer Kosten regt der Senat die Zurücknahme der offensichtlich unbegründeten Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz).


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