Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines Fahreignungsgutachtens

Aktenzeichen  M 26 S 16.277

Datum:
17.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 46767
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 2 S. 1, S. 3 Nr. 5, Abs. 8, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

Im Falle einer auf § 11 Abs. 8 FeV gestützten Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines geforderten Fahreignungsgutachtens ist für die Beurteilung der dafür erforderlichen Rechtmäßigkeit der Beibringungsaufforderung der Zeitpunkt ihres Ergehens maßgeblich (Fortführung von VG München BeckRS 2016, 41379). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerpartei wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung ihrer Fahrerlaubnis u. a. der Klassen A, B und C1.
Im Rahmen eines beim Amtsgericht A… anhängigen Verfahrens legte der Antragsteller dort ein ärztliches Attest eines Facharztes für Kardiologie vom … Mai 2013 vor, ausweislich dessen er an einer schweren Herzerkrankung leide, die u. a. schon mehrmals zu Herzstillstand und hierdurch notwendig gewordener Reanimation geführt habe. Dieses Attest wurde der Fahrerlaubnisbehörde am … Dezember 2014 übermittelt. Mit Schreiben vom … Juli 2015 forderte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller auf, bis zum … September 2015 ein Gutachten eines Arztes bei einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen, das die Fahreignung des Antragstellers im Hinblick auf die Herzerkrankung klären sollte. In der Folgezeit brachte der Antragsteller das geforderte Gutachten nicht bei.
Mit Bescheid vom 3. November 2015 entzog die Fahrerlaubnisbehörde der Antragstellerpartei die Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die Ablieferung des Führerscheins binnen drei Tagen nach Zustellung (Nr. 2 und 3) sowie die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids an (Nr. 4).
Über den dagegen eingelegten Widerspruch ist noch nicht entschieden.
Mit Schriftsatz vom … Januar 2016 erhob die Antragstellerpartei zudem Anfechtungsklage.
Sie beantragte sinngemäß beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Zur Begründung trägt der Bevollmächtigte des Antragstellers im Wesentlichen vor, der Antragsteller habe eine ärztliche Stellungnahme vom … Oktober 2015 und zuvor ein ärztliches Attest vom … August 2015 vorgelegt. Aus beiden ergebe sich eindeutig, dass aus kardiologischer fachärztlicher Sicht nach Implantation eines Herzschrittmachers beim Antragsteller keine Einschränkungen der Fahrtauglichkeit mehr gegeben seien. Der Verdacht auf fehlende Fahreignung sei damit ausgeräumt, so dass kein Anlass für eine Gutachtensaufforderung mehr bestehe.
Die Antragsgegnerpartei beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit Beschluss vom 16. Februar 2016 wurde die Verwaltungsstreitsache auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig. Zwar ist die vor Entscheidung über den Widerspruch erhobene Anfechtungsklage derzeit unzulässig, da es an der Sachurteilsvoraussetzung der ordnungsgemäßen Durchführung eines Vorverfahrens fehlt (§ 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und auch die Voraussetzungen des § 75 VwGO nicht erfüllt sind. Gleichwohl ist der eingelegte Widerspruch zulässig und stellt einen Hauptsacherechtsbehelf dar, dessen aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich angeordnet bzw. wiederhergestellt werden kann.
Der Antrag ist jedoch unbegründet. Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, die auch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache berücksichtigt. Im hier zu entscheidenden Fall bestehen jedoch keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids.
Auch die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegebene Begründung entspricht den an sie gemäß § 80 Abs. 3 VwGO zu stellenden Anforderungen. Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die der Klage und dem Widerspruch grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Eyermann/Schmidt, VwGO, 14. Auflage 2014, § 80, Rn. 43). Hier hat die Fahrerlaubnisbehörde – was die Antragsbegründung auch nicht infrage stellt – ein überwiegendes öffentliches Interesse am sofortigen Ausschluss möglicherweise fahrungeeigneter Inhaber einer Fahrerlaubnis vom öffentlichen Straßenverkehr ausreichend dargelegt.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Die Fahrerlaubnisbehörde hat auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen, da er das geforderte fachärztliche Gutachten nicht zum angeordneten Termin vorgelegt hat. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Behörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 FeV). Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der ärztlichen Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.6.2008 – 3 B 99/07 – NJW 2008, 3014 f.).
Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens durch den Bewerber anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen. In der Anordnung bestimmt die Behörde auch, ob das Gutachten von einem für die Fragestellung zuständigen Facharzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV) oder von einem der in den Nummern 2 bis 5 dieser Vorschrift genannten Ärzte erstellt werden soll. Hier hat sich die Fahrerlaubnisbehörde in nicht zu beanstandender Weise für einen Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 zur FeV erfüllt, entschieden (BayVGH, B.v. 07.12.2006 – 11 CS 06.1350 – VRR 2007, 123; NK-GVR, § 11 FeV, Rn. 71 m. w. N.). Die Berechtigung hierzu hat die Antragsbegründung ebenso wenig infrage gestellt wie die Tatsache, dass die beiden vom Antragsteller vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen jeweils nicht von einem solchermaßen qualifizierten Mediziner erstellt wurden.
Die Antragsbegründung hebt vielmehr ausschließlich darauf ab, dass es bereits an ausreichenden Tatsachen für den Erlass der Beibringungsaufforderung fehle, nachdem der Antragsteller durch zwei belastbare ärztliche Bescheinigungen ausreichend nachgewiesen habe, dass keine Zweifel an seiner Fahreignung gerechtfertigt seien. Hierbei verkennt die Antragsbegründung aber, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beibringungsaufforderung im Fall einer auf § 11 Abs. 8 FeV gestützten Entziehung der Fahrerlaubnis derjenige des Ergehens der Beibringungsaufforderung ist (VG München, B.v. 13.10.2015 – M 6b S 15.3163 – Juris). In diesem Zeitpunkt lag der Fahrerlaubnisbehörde lediglich das ärztliche Attest eines Facharztes für Kardiologie vom … Mai 2013 vor. Dass sich hieraus ausreichende Tatsachen für das Bestehen von Fahreignungszweifeln im Sinne von Nr. 4.1 der Anlage 4 zur FeV (Herzrhythmusstörungen mit anfallsweiser Bewusstseinstrübung oder Bewusstlosigkeit) ergaben, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Ausführung.
Nachdem die Tatbestandsvoraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund fehlender Fahreignung gegeben sind, ist die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen. Ein Ermessen steht der Fahrerlaubnisbehörde dabei nicht zu (Sitter, Straßenverkehrsstrafrecht, Loseblatt, Teil 8/2.4.12.1, S. 1).
Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der einstweiligen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V. m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
Rechtliche Bedenken gegen die im Bescheid enthaltenen Festsetzungen zu den Zwangsmitteln bzw. den Kosten des Verwaltungsverfahrens wurden weder vorgetragen, noch sind solche sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG i.V. m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anhang zu § 164 Rn. 14).


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