Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis, zurecht gefordertes MPU-Gutachten nicht vorgelegt, Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohung wegen Ermessenausfall

Aktenzeichen  B 1 K 21.571

Datum:
9.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37446
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 Satz 1
FeV § 46 Abs. 1 Satz 1
FeV § § 14 Abs. 1 Satz 3
FeV § 11 Abs. 8 Satz 1
VwZVG Art. 19 Abs. 1, Art. 29 Abs. 1 und 2, Art. 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Ziffer III des Bescheids des Landratsamts … vom 11.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 19.03.2021 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
Die gemäß § 88 VwGO erfolgte Auslegung des Klagebegehrens, insbesondere der im Schriftsatz vom 13.05.2021 enthaltenen Anträge, ergibt, dass der Kläger sich mittels einer Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamts vom 11.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 19.03.2021 wenden will. Dies entspricht dem erkennbaren Klageziel des Klägers, die erfolgte Fahrerlaubnisentziehung aufzuheben, keine Kosten hierfür entrichten zu müssen, und seinen Führerschein wieder ausgehändigt zu erhalten.
Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen geringen Teil Erfolg.
1. Der streitgegenständliche Bescheid des Landratsamts erweist sich nur hinsichtlich der vorgenommenen Zwangsgeldandrohung als rechtswidrig. Es ist daher die in Ziffer III des Bescheids des Landratsamts vom 11.02.2021 erfolgte Zwangsgeldandrohung aufzuheben und die Klage im Übrigen abzuweisen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Im Hinblick auf die Zwangsgeldandrohung steht dem Kläger für die vorliegende Klage nach wie vor ein Rechtsschutzbedürfnis zu, auch wenn das Landratsamt mit Bescheid vom 25.02.2020 bezüglich der Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins die Anwendung von unmittelbarem Zwang angedroht hat und der Führerschein sich auch nicht mehr im Besitz des Klägers befindet, sondern am 29.05.2020 bei der Polizeiinspektion …-Land abgegeben, und von dort dem Landratsamt übersandt wurde. Denn wegen nicht rechtzeitiger Erfüllung der Ablieferungspflicht des Führerscheins ist das angedrohte Zwangsgeld gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG mittlerweile fällig geworden. Dies hat das Landratsamt dem Kläger auch mit Schreiben vom 25.02.2020 mitgeteilt und den Kläger zur Zahlung des Zwangsgelds aufgefordert. Obwohl das Landratsamt das Zwangsgeld gemäß Art. 37 Abs. 4 VwZVG nicht mehr beitreiben darf, weil ihm der Führerschein inzwischen vorliegt, muss berücksichtigt werden, dass nunmehr eine Forderung gegen den Kläger im Raum steht. Es kann im Hinblick hierauf so lange nicht davon gesprochen werden, die Androhung entfalte keine Beschwer mehr, als die Zwangsgeldforderung nicht erloschen ist oder das Landratsamt nicht zugesichert hat, diesen Anspruch nicht mehr geltend zu machen (vgl. BayVGH, B.v. 14.09.2006 – 11 CS 06.1475, 11 C 06.1476 – juris, Rn. 31).
Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer III des streitgegenständlichen Bescheids des Landratsamts vom 11.02.2020 erfolgte rechtswidrig. Eine Zwangsgeldandrohung steht als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (Art. 19 Abs. 1, Art. 29 Abs. 1 VwZVG). Neben dem „ob“ der Androhung des Verwaltungszwangs kommt der Behörde dabei auch ein Auswahlermessen zu, welches der zur Verfügung stehenden Zwangsmittel (Art. 29 Abs. 2 VwZVG) sie bestimmt. Bei der Androhung eines Zwangsgelds (Art. 31 Abs. 1 VwZVG) steht dessen Höhe ebenfalls im Ermessen der Behörde (Art. 31 Abs. 2 VwZVG).
Im Falle der Androhung eines Zwangsgelds als dem im Regelfall mildesten Zwangsmittels sind die Anforderungen an die Ermessensausübung bzw. deren Begründung nicht zu überspannen. Die Begründung der Zwangsgeldandrohung in Ziffer III des streitgegenständlichen Bescheids des Landratsamts vom 11.02.2020 lässt aber überhaupt keine Ermessenserwägungen, insbesondere nicht zur Höhe des angedrohten Zwangsgelds (Art. 31 Abs. 2 Satz 2 und 4 VwZVG), erkennen. Insofern ist hier von einem Ermessensausfall auszugehen, der auch nicht durch das Nachschieben weiterer Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt werden kann.
b) Im Übrigen erweist sich der streitgegenständliche Bescheid als rechtmäßig.
Das Landratsamt hat als zuständige Fahrerlaubnisbehörde zu Recht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen, und in der Folge nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV auch zu Recht dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht zunächst gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die Begründung des Bescheids des Landratsamts vom 11.02.2020 und des Widerspruchsbescheids vom 19.03.2021 und macht sich diese zu eigen. Ergänzend hierzu wird, insbesondere zum Vorbringen des Klägers, Folgendes ausgeführt:
aa) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist jemand u.a. dann ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn er gelegentlich Cannabis konsumiert und den Konsum von Cannabis und das Fahren nicht trennt.
Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen (sog. Zusatztatsachen). Weigert sich der Betroffene sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf diese bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 19 m.w.N.). Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Dies gilt auch bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens (vgl. BayVGH, B.v. 26.05.2021 – 11 CS 21.730 – juris, Rn. 16).
bb) Vorliegend erweist sich die Begutachtungsaufforderung des Landratsamts vom 23.10.2019 in formeller und materieller Hinsicht als rechtmäßig.
Für das Gericht bestehen keine Zweifel daran, dass der Kläger am 22.06.2019 ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis geführt und im Zeitraum davor – zumindest gelegentlich – Cannabis konsumiert hat. Seine diesbezüglichen bisherigen Einlassungen hat der Kläger weder im gerichtlichen Eilverfahren (B 1 S 21.724) noch im hier vorliegenden Hauptsacheverfahren in Abrede gestellt, sondern vielmehr bestätigt. In seiner Antragsschrift vom 18.06.2021 im Eilverfahren (Az.: B 1 S 21.724) führt der Kläger aus, dass er es in der schwierigen Phase nun endlich geschafft habe mit dem Cannabis aufzuhören. Dies lässt nur den Schluss zu, dass der Kläger vortragen will, erst nach der Verkehrskontrolle am 22.06.2019 und der damit beginnenden „schwierigen Phase“ für ihn, den Konsum von Cannabis eingestellt zu haben. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass er den – bisher eingeräumten – zuvor stattgefundenen Cannabis-Konsum erneut bestätigt.
Anhaltspunkte dafür, dass es sich bezüglich des vom Kläger eingeräumten Cannabis-Konsums um ein Missverständnis handeln könnte, weil sich die Kommunikation mit dem Kläger als gehörlosen Menschen als nicht so einfach gestaltet, sind nicht ersichtlich. Seitens des Klägers wird hierfür auch nichts näher vorgetragen, sondern nur pauschal auf diese Möglichkeit verwiesen.
Das Landratsamt hat den Kläger daher zurecht gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert. Der Tatbestand des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV war erfüllt, da beim Kläger sowohl gelegentlicher Cannabis-Konsum als auch mit der Fahrt unter Cannabis-Einfluss am 22.06.2019 eine sog. Zusatztatsache vorlag. Das der Behörde von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV eingeräumte Ermessen hat das Landratsamt pflichtgemäß ausgeübt und seine rechtskonformen Erwägungen in der Begutachtungsaufforderung vom 23.10.2019 ausführlich dargelegt.
cc) Die vom Kläger erhobenen Einwendungen gegen eine solche medizinisch-psychologische Begutachtung durch eine anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Prognostizierung seiner künftigen Fahreignung können nicht durchgreifen. Für eine generelle mangelnde Wissenschaftlichkeit dieser Untersuchungsmethode oder eine nicht ausreichende Qualität des TÜV als einer der möglichen Begutachtungsstellen für Fahreignung, bei der ein solches Gutachten in Auftrag gegeben werden kann, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Solche werden vom Kläger auch nicht vorgetragen. Die bloße nicht näher substantiierte Behauptung ist nicht ausreichend, um hier Zweifel hervorzurufen, zumal die vom Verordnungsgeber in § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV in der vorliegenden Konstellation vorgesehene medizinisch-psychologische Untersuchung in einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (§ 11 Abs. 3 Satz 1 FeV) auch höchstrichterlich als rechtens angesehen wird (vgl. BVerwG, U.v. 11.04.2019 – 3 C 9/18 – juris, Rn. 23 ff.).
dd) Auch der vom Kläger vorgelegte Abstinenzbeleg der … S. L. Service GmbH vom 30.07.2020 kann vorliegend den zwingenden Schluss auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht hindern.
Zwar kann in entsprechender Anwendung der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung nach regelmäßigem Cannabiskonsum wiedererlangt werden, wenn der Betroffene einen einjährigen Abstinenzzeitraum absolviert und die Nachhaltigkeit des Einstellungswandels durch eine positive medizinisch-psychologische Untersuchung belegt hat. Die Frage der Wiedererlangung der Fahreignung ist auch im Entziehungsverfahren zu prüfen, wenn eine Wiedererlangung in zeitlicher Hinsicht bereits möglich ist (sog. verfahrensrechtliche Einjahresfrist) und der Betreffende eine beachtliche Abstinenzbehauptung erhoben hat (VG München, B.v. 17.02.2020 – M 26 S 19.6322 – juris, Rn. 22; BayVGH, B.v. 05.12.2018 – 11 CS 18.2351 – juris, Rn. 12 f. m.w.N.)
Der vom Kläger vorgelegte Beleg umfasst nur einen Abstinenzzeitraum von zwei Monaten vor der ihm am 13.07.2020 entnommenen Haarprobe. Jedenfalls aber fehlt es hier an einem Nachweis über einen gefestigten Einstellungswandel, der künftig keine Fahrten mit einem Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis mehr erwarten lässt. Ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Klärung dieser Frage, wie es bereits vom Landratsamt mit Schreiben vom 23.10.2019 gefordert wurde, hat der Kläger auch im Widerspruchsverfahren nicht vorgelegt. Von einer möglichen Wiedergewinnung der Fahreignung konnte damit auch im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 19.03.2021 nicht ausgegangen werden.
ee) Das Landratsamt wie auch die Widerspruchsbehörde konnten und mussten daher hier auf die Nichteignung des Klägers schließen, weil der Kläger das rechtmäßig geforderte medizinisch-psychologische Gutachten einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung nicht fristgerecht vorgelegt hat (vgl. BVerwG, U.v. 05.07.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78). Die Vorschrift des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV räumt der Behörde kein Ermessen hinsichtlich der Frage ein, ob aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Fahrungeeignetheit des Betroffenen geschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2012 – 11 CS 12.2276 – juris, Rn. 13 m.w.N.). Die persönliche und berufliche Situation des Klägers musste daher außer Betracht bleiben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Beklagte unterliegt nur zu einem geringen Teil, da sich lediglich die Zwangsgeldandrohung und damit eine – auch nicht streitwertrelevante – Nebenverfügung als rechtswidrig erweist.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – jedenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.


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