Verkehrsrecht

Fahrerlaubnisentzug wegen Alkoholmissbrauch

Aktenzeichen  M 26 S 16.1173

Datum:
17.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV FeV § 11 Abs. 7, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. e, § 46 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Gemäß Nummer 8.2 der Anlage 4 FeV setzt die Wiedererlangung der Fahreignung nach vorangegangenem Alkoholmissbrauch voraus, dass eine “Beendigung des Missbrauchs” stattgefunden hat. Dies setzt voraus, dass der Betroffene die Fähigkeit erlangt hat, zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeugs und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum hinreichend sicher zu trennen. (redaktioneller Leitsatz)
Besitzt eine Person nicht die Willenskraft oder die Einsichtsfähigkeit, die Aufnahme von Alkohol an dem Punkt zu beenden, jenseits dessen dieses Rauschmittel Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit zeitigt, bzw. ab dieser Schwelle vom Führen von Fahrzeugen im Straßenverkehr konsequent Abstand zu nehmen, lässt sich ihre Fahreignung nur bejahen, wenn sie sich vollständig des Alkoholgenusses enthält. Jeder Konsum in nicht völlig vernachlässigbarem Umfang ist dann schädlich. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis u. a. der Klasse B.
Im Juni 2014 wurde er mit rechtskräftigem Urteil wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt (Blutalkoholkonzentration von a… Promille). Die Fahrerlaubnis wurde ihm entzogen.
Nach Ablauf der Sperrfrist legte er ein positives Fahreignungsgutachten vom … Mai 2015 vor. Dieses enthält als Grundlage für die positive Prognose die fachliche Forderung nach einem Alkoholverzicht. Am … Juni 2015 wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis neu erteilt.
Am … November 2015 führte die Polizei bei ihm im Zusammenhang mit einem möglichen Fall von häuslicher Gewalt einen freiwilligen Atemalkoholtest durch, der ausweislich des polizeilichen Aktenvermerks vom gleichen Tag einen Wert von b… Promille ergab.
Gestützt auf diesen Sachverhalt forderte ihn die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom … Dezember 2015 unter Berufung auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu folgender Fragestellung beizubringen: „Ist aufgrund des erneuten Konsums von Alkohol zu erwarten, dass der Untersuchte erneut ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird und/oder liegen als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 (Fahrerlaubnisklassen B, AM, L) infrage stellen?“
Der Antragsteller brachte das Gutachten nicht bei. Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 1. März 2016 entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis, forderte ihn zur Ablieferung seines Führerscheins binnen einer Woche ab Zustellung des Bescheids auf, erklärte beide Verfügungen für sofort vollziehbar und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von a… € für den Fall der nicht fristgerechten Ablieferung des Führerscheins an.
Der Antragsteller ließ durch seine Bevollmächtigten Klage erheben. Außerdem wurde einstweiliger Rechtsschutz mit dem Antrag begehrt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 1. März 2016 wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht ausreichend begründet. Es werde lediglich dargelegt, dass die sofortige Vollziehung notwendig sei, um alle Verkehrsteilnehmer zu schützen. Die erneute Alkoholisierung stehe nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr. Seit dem Vorfall im Jahr 2014 sei der Antragsteller nicht mehr negativ im Straßenverkehr aufgefallen. Aus dem freiwilligen Atemalkoholtest ergebe sich nicht der sichere Nachweis einer Atem- oder Blutalkoholkonzentration in bestimmter Höhe.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, die sich auch an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert. Danach bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Entziehungsbescheids (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegebene Begründung entspricht den an sie gemäß § 80 Abs. 3 VwGO zu stellenden Anforderungen. Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die der Klage und dem Widerspruch grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Eyermann/Schmidt, VwGO, 14. Auflage 2014, § 80, Rn. 43). Hier hat die Fahrerlaubnisbehörde ausreichend dargelegt, dass vom Antragsteller eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, die nur durch die Anordnung des Sofortvollzugs wirksam bekämpft werden kann.
2. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Wer Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn betreibt, ist zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet (vgl. Nr. 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung). Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn liegt dann vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Diese Voraussetzung ist beim Antragsteller erfüllt. Aus dem Gutachten vom … Mai 2015, das in sich schlüssig und nachvollziehbar ist, ergibt sich, dass der Antragsteller nur dann fahrgeeignet ist, wenn er künftig auch ohne Zusammenhang mit dem Straßenverkehr strikten Alkoholverzicht übt.
Dieses fachliche Postulat steht mit den Vorgaben der Rechtsordnung in Einklang. Gemäß der Nummer 8.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung setzt die Wiedererlangung der Fahreignung nach vorangegangenem Alkoholmissbrauch voraus, dass eine “Beendigung des Missbrauchs” stattgefunden hat. Dies lässt sich vor dem Hintergrund der in der Nummer 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vorgenommenen Legaldefinition des Alkoholmissbrauchs nur bejahen, wenn der Betroffene die Fähigkeit erlangt hat, zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeugs und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum hinreichend sicher zu trennen. Besitzt eine Person nicht die Willenskraft oder die Einsichtsfähigkeit, die Aufnahme von Alkohol an dem Punkt zu beenden, jenseits dessen dieses Rauschmittel Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit zeitigt, bzw. ab dieser Schwelle vom Führen von Fahrzeugen im Straßenverkehr konsequent Abstand zu nehmen, lässt sich ihre Fahreignung nur bejahen, wenn sie sich vollständig des Alkoholgenusses enthält. Auch bei fehlender Alkoholabhängigkeit kann es deshalb – wie hier – unter fahrerlaubnisrechtlichem Blickwinkel geboten sein, die Forderung nach absolutem Alkoholverzicht zu erheben.
Nachdem das Gutachten vom Mai 2015 stammt, ist ohne weiteres davon auszugehen, dass es im Zeitpunkt des anlassgebenden Vorfalls, nämlich im November 2015, noch in allen Einzelheiten Geltung beansprucht. In Bezug auf die inhaltliche Richtigkeit des polizeilichen Aktenvermerks vom … November 2015 hat der Antragsteller, von der genauen Höhe der Atem- oder Blutalkoholkonzentration einmal abgesehen, keine Zweifel angemeldet. Solche sind auch nicht ersichtlich. Im Übrigen kommt es auf die genaue Höhe der vom Antragsteller erreichten Alkoholisierung nicht an, steht doch unzweifelhaft fest, dass er Alkohol in nicht völlig vernachlässigbarem Umfang konsumiert hat. Die Voraussetzung, unter der das Gutachten vom Mai 2015 die Fahreignung des Antragstellers bejaht hat, ist damit weggefallen. Die Frage, ob die Fahreignung (erneut) wieder erlangt wurde, muss die Behörde in einem Entziehungsverfahren nur dann prüfen, wenn der Betroffene eine Verhaltensänderung plausibel behauptet und belegt oder unabhängig hiervon gewichtige und belastbare Anhaltspunkte vorliegen (Jagow, Fahrerlaubnis- und Zulassungsrecht, Loseblatt, § 46 FeV, S. 113q2 m. w. N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist regelmäßig derjenige der letzten Behördenentscheidung, also im Fall der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens der Erlass des Widerspruchsbescheids, ansonsten der Erlass des Entziehungsbescheids selbst (Jagow, a. a. O., § 46, Rn. 113t m. w. N.). Bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids hat der Antragsteller aber noch nicht einmal andeutungsweise behauptet, die Alkoholisierung am … November 2015 sei ein einmaliger Vorfall gewesen, der sich seitdem nicht mehr wiederholt habe und auch nicht mehr wiederholen werde. Vor diesem Hintergrund hätte die Fahrerlaubnisbehörde ohne weitere Gutachtensaufforderung von der Fahrungeeignetheit des Antragstellers ausgehen dürfen (§ 11 Abs. 7 FeV).
Nachdem die Tatbestandsvoraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund fehlender Fahreignung gegeben sind, ist die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen. Ein Ermessen steht der Fahrerlaubnisbehörde dabei nicht zu (Sitter, Straßenverkehrsstrafrecht, Loseblatt, Teil 8/2.4.12.1, S. 1).
3. Selbst wenn man diese Schlussfolgerung als zu weitgehend ansehen würde, wäre der streitgegenständliche Bescheid jedoch ebenfalls gerechtfertigt. Die Beibringungsaufforderung könnte dann auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst e FeV gestützt werden. Nach dieser Vorschrift ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht. Für eine auf diese Vorschrift gestützte Gutachtensanforderung muss ein früherer Alkoholmissbrauch nachgewiesen sein, und Tatsachen müssen die Annahme seiner Fortdauer begründen (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2006 – 11 ZB 05.3395). Dass der Antragsteller früher Alkoholmissbrauch betrieben hat, ergibt sich aus der Trunkenheitsfahrt im Jahr 2014. Der Vorfall am … November 2015 begründet ohne weiteres die Annahme der Fortdauer des Alkoholmissbrauchs, nachdem im Gutachten vom Mai 2015 in rechtlich zulässiger Weise das fachliche Postulat nach einem Alkoholverzicht erhoben wurde (VG Saarlouis, B.v. 25.09.2015 – 5 L 1062/15). Aufgrund der Nichtbeibringung des zu Recht geforderten Gutachtens durfte die Fahrerlaubnisbehörde auf die fehlende Fahreignung des Antragstellers schließen (§ 11 Abs. 8 FeV).
4. Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der einstweiligen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.
5. Rechtliche Bedenken gegen die im Bescheid enthaltenen Festsetzungen zu den Zwangsmitteln bzw. den Kosten des Verwaltungsverfahrens wurden weder vorgetragen, noch sind solche sonst ersichtlich.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anhang zu § 164 Rn. 14).


Ähnliche Artikel


Nach oben