Aktenzeichen W 6 S 16.722
StVG StVG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3, § 28 Abs. 3 Nr. 6, § 29 Abs. 3 Nr. 2, § 65 Abs. 3 Nr. 2
VwZVG VwZVG Art. 19 Abs. 1
Leitsatz
Der Gesetzgeber hatte in § 28 Abs. 3 Nr. 4 bis 9 StVG aF ausdrücklich nicht nur Entscheidungen über Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr sowie Entscheidungen über Ordnungswidrigkeiten, sondern auch weitere Entscheidungen der Verwaltungsbehörden in den Katalog der tilgungshemmenden Eintragungen aufgenommen. Auch der Umstand, dass bestimmten Eintragungen ausdrücklich keine tilgungshemmende Wirkung zugebilligt worden war (§ 28 Abs. 3 Nr. 10 bis 13 StVG aF), zeigt im Umkehrschluss, dass auch der behördliche Entzug der Fahrerlaubnis die Tilgung hemmen soll. (redaktioneller Leitsatz)
Die Fahrerlaubnisbehörde ist gemäß § 4 Abs. 5 S. 4 StVG an rechtskräftige Entscheidungen über Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gebunden. Diese Bindung der Fahrerlaubnisbehörde gilt mittelbar auch für Gerichte, da diese lediglich die Entscheidungen der Fahrerlaubnisbehörden überprüfen (hier: Einwand, man sei nicht der “geblitzte” Fahrer bei einem rechtskräftig verhängten Bußgeld). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Es wird festgestellt, dass die am 28. Juni 2016 (W 6 K 16.647) erhobene Klage gegen die Nr. 2 des Bescheides vom 31. Mai 2016 aufschiebende Wirkung hat.
II.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nr. 4 des Bescheids vom 31. Mai 2016 wird angeordnet.
III.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
IV.
Von den Kosten hat der Antragsteller 4/5 und der Antragsgegner 1/5 zu tragen.
V.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist im Besitz der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L, S und M. Er wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit des Entzugs seiner Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem.
Dem Antragsteller war in der Vergangenheit mit Bescheid vom 8. Dezember 2006 die Fahrerlaubnis wegen Erreichens von damals 18 oder mehr Punkten entzogen worden. Die Wiedererteilung erfolgte am 9. November 2007. Mit Datum vom 29. November 2009 erfolgte eine erneute Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringens eines geforderten Gutachtens. Die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis erfolgte am 25. August 2010.
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2012 verwarnte das Landratsamt Main-Spessart den Antragsteller beim Punktestand von 8 Punkten (nach dem alten Punktesystem) und ermahnte ihn eindringlich zu künftig verkehrsgerechtem Verhalten. Mit Schreiben vom 10. August 2015 verwarnte das Landratsamt Main-Spessart den Antragsteller beim Punktestand von 6 Punkten (nach dem neuen Fahreignungs-Bewertungssystem) erneut und ermahnte ihn nochmals eindringlich zu künftig verkehrsgerechtem Verhalten.
Nach einer Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 28. April 2016 ergab sich für den Antragsteller folgender Punktestand:
Tattag
Verkehrsverstoß
Entscheidung/Rechtskraft
Punkte
15.7.2011
Benutzung eines Mobiltelefons
20.9.2011/7.10.2011
1 (alt)
20.7.2012
Geschwindigkeitsverstoß
13.9.2012/2.10.2012
3 (alt)
14.9.2012
Kind ohne Sicherung
18.10.2012/6.11.2012
1 (alt)
11.1.2013
Geschwindigkeitsverstoß
26.3.2013/11.4.2013
3 (alt)
20.7.2014
Geschwindigkeitsverstoß
2.9.2014/19.9.2014
1
25.11.2014
Geschwindigkeitsverstoß
10.2.2015/28.2.2015
1
15.4.2015
Benutzung eines Mobiltelefons
7.8.2015/27.8.2015
1
8.12.2015
Geschwindigkeitsverstoß
17.3.2016/8.4.2016
1
Mit Bescheid vom 31. Mai 2016 entzog das Landratsamt Main-Spessart dem Antragsteller die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen (Nr. 1). Der Antragsteller wurde aufgefordert, den Führerschein der Klassen B, BE, C1, C1E, L, S und M, ausgestellt vom Landratsamt Main-Spessart am 25. August 2010, Führerschein-Nr. …, umgehend, spätestens jedoch innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides dem Landratsamt Main-Spessart zu übermitteln. Sollte der Führerschein verloren oder sonst abhandengekommen sein, sei innerhalb dieser Frist eine Versicherung an Eides statt über den Verbleib beim Landratsamt Main-Spessart abzugeben (Nr. 2). Die Nrn. 1 und 2 des Bescheides seien kraft Gesetzes sofort vollziehbar (Nr. 3). Sollte der Antragsteller der Aufforderung unter Nr. 2 innerhalb der festgesetzten Frist nicht nachkommen, werde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR zur Zahlung fällig (Nr. 4).
Zur Begründung führte das Landratsamt Main-Spessart im Wesentlichen aus: Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG habe die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich im Fahreignungsregister ein Stand von 8 oder mehr Punkten ergebe. Der Antragsteller habe zwischen dem 15. Juli 2011 und dem 8. Dezember 2015 wiederholt erhebliche Verkehrszuwiderhandlungen begangen. Die entsprechenden Entscheidungen seien rechtskräftig geworden. Das Landratsamt sei an die jeweils ergangene Entscheidung gebunden. Es habe sämtliche vorrangige Maßnahmen nach dem Punktsystem ergriffen. Für den Antragsteller habe sich nach dem neuen Fahreignungs-Bewertungssystem umgerechnet ein maßgeblicher Stand von 4 Punkten bis zum Ablauf des 30. Juli 2014 ergeben. Nach weiteren Verkehrsverstößen und anschließender zweiter Verwarnung bei 6 Punkten sowie nach zwei weiteren rechtskräftig geahndeten Verkehrsverstößen mit 2 Punkten habe sich ein maßgeblicher Stand von 8 Punkten ergeben. Die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins ergebe sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 FeV. Die Anfechtungsklage gegen die in Nr. 1 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis habe kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung (§ 4 Abs. 9 StVG). Die Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins bzw. ersatzweisen Abgabe der Versicherung an Eides statt (Nr. 2) dieses Bescheides sei gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Die Androhung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG.
Am 28. Juni 2016 ließ der Antragsteller im Verfahren W 6 K 16.647 Klage erheben und im vorliegenden Verfahren am 14. Juli 2016 beantragen,
die aufschiebende Wirkung „des Bescheids“ des Antragsgegners vom 31. Mai 2016 anzuordnen.
Zur Begründung ließ er im Wesentlichen ausführen, der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig. Die Ordnungswidrigkeiten mit Rechtskraft zum 2. Oktober 2012, 6. November 2012 und 11. April 2013 hätten wegen der zweijährigen Tilgungsfrist spätestens ab dem 11. April 2015 der Tilgung unterlegen und hätten somit nicht mehr bei der Punktberechnung herangezogen werden dürfen. Darüber hinaus sei der Antragsteller der Auffassung, dass er die Ordnungswidrigkeit mit Rechtskraft zum 8. April 2016 nicht begangen habe und sich dies auch eindeutig aus dem Lichtbild entnehmen lasse. Entsprechende Unterlagen seien angefordert und würden weitergeleitet.
Das Landratsamt Main-Spessart beantragte für den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 18. Juli 2016,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Auffassung, wonach die eingetragenen Ordnungswidrigkeiten mit Rechtskraft 2. Oktober 2012, 6. November 2012 und 11. April 2013 wegen der zweijährigen Tilgungsfrist spätestens ab dem 11. April 2015 der Tilgung unterlegen hätten, gehe fehl. Das Landratsamt Main-Spessart habe dem Antragsteller am 9. November 2007 die Fahrerlaubnis neu erteilt, nachdem die Fahrerlaubnis zuvor mit Bescheid vom 8. Dezember 2006 wegen Erreichens von 18 Punkten im Mehrfachtäterpunktsystem entzogen worden sei. Die Tilgungsfrist habe mit dem Datum der Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 9. November 2007 begonnen (§ 29 Abs. 5 StVG) und betrage zehn Jahre (§ 29 Abs. 1 Nr. 3b StVG). Somit unterlägen die vom Antragsteller benannten Ordnungswidrigkeiten nicht der Tilgungsfrist von zwei Jahren. Der Hinweis, dass der Antragsteller die Ordnungswidrigkeit mit Rechtskraft 8. April 2016 nicht begangen habe, könne zu keiner anderen Bewertung führen, da die Fahrerlaubnisbehörde an eine rechtskräftige Entscheidung bei einer Ordnungswidrigkeit gebunden sei (§ 4 Abs. 5 Satz 4 StVG). Der Antragsteller sei seiner Verpflichtung, den Führerschein zu übergeben, nicht nachgekommen. Gegenüber der Polizei habe er angegeben, diesen nicht mehr auffinden zu können.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 6 K 16.647) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang teilweise begründet; im Übrigen ist der Antrag unbegründet.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, soweit der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 1 des Bescheids vom 31. Mai 2016 anzuordnen. Da im vorliegenden Fall die Entziehung der Fahrerlaubnis auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG (in der ab 5.12.2014 anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 28.11.2014, BGBl I S. 1802) gestützt wurde, hat die Anfechtungsklage gemäß § 4 Abs. 9 StVG insoweit keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
Der auf die Nr. 2 des Bescheides vom 31. Mai 2016 bezogene Antrag ist bei sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO) ebenfalls zulässig, da das Landratsamt Main-Spessart unzutreffender Weise von einer sofortigen Vollziehbarkeit ausgeht. Denn bezüglich der Pflicht, den Führerschein bei der Behörde abzuliefern (Nr. 2 des Bescheids) ist nicht von einer sofortigen Vollziehbarkeit kraft Gesetzes auszugehen, da die zugrundeliegende Norm des § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV kein formelles Gesetz i. S. d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ist (vgl. BayVGH, B. v. 22.09.2015 – 11 CS 15.1447 – juris – Rn. 23 unter Aufgabe der vorigen Rechtsprechung, vgl. z. B. BayVGH, B. v. 29.03.2007 – 11 CS 06.874 – juris).
Soweit sich der Antrag gegen die in Nr. 4 verfügte Zwangsgeldandrohung richtet, ist er zulässig. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. Art. 21a Satz 1 des Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) entfaltet die Klage gegen die Zwangsgeldandrohung keine aufschiebende Wirkung. Gemäß Art. 21a Satz 2 VwZVG gelten § 80 Abs. 4, 5, 7 und 8 der VwGO entsprechend. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in einem solchen Fall auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen.
Der Antrag ist zum Teil – im tenorierten Umfang – begründet; im Übrigen ist er unbegründet.
Entfällt kraft Gesetzes die aufschiebende Wirkung, so kann gemäß § 80 Abs. 5 VwGO das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen, wobei es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien trifft. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. seines Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B. v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B. v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 68 und 73 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Der Antrag betreffend Nr. 2 des Bescheides ist begründet, weil das Landratsamt Main-Spessart die aufschiebende Wirkung der am 28. Juni 2016 (W 6 K 16.647) erhobenen Klage missachtet hat, so dass eine entsprechende gerichtliche Feststellung ausdrücklich auszusprechen war, zumal das Landratsamt schon Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet hat und auf den ausdrücklichen Hinweis im Schreiben des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 15. Juli 2016 nicht reagiert hat. Unter anderem hat das Landratsamt Main-Spessart gegenüber der Polizei angegeben, es hätte den Bescheid für sofort vollziehbar erklärt, obwohl dies nicht den Tatsachen entspricht.
Der Antrag mit Bezug auf die Nr. 4 des Bescheides ist begründet, weil die Zwangsgeldandrohung rechtswidrig ist. Denn entgegen Art. 19 Abs. 1 VwZVG liegt der Vollstreckungsmaßnahme kein unanfechtbarer oder sofort vollziehbarer Verwaltungsakt zugrunde liegt, da – wie soeben ausgeführt – die Klage gegen die Nr. 2 des Bescheides aufschiebende Wirkung hat.
Im Übrigen ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage – betreffend Nr. 1 des Bescheides vom 31. Mai 2016 – unbegründet.
Eine summarische Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ergibt, dass die Klage voraussichtlich mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird. Es spricht einiges dafür, dass die in Nr. 1 getroffene Regelung formell und materiell rechtmäßig und der Antragsteller dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Auf den vorliegenden Fall findet § 4 StVG in der ab 5. Dezember 2014 anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 28. November 2014 (BGBl I S. 1802) Anwendung, da auf den Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 31. Mai 2016 (Zustellung am 1.6.2016) abzustellen ist. Die gerichtliche Prüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung der handelnden Verwaltungsbehörde auszurichten (vgl. BayVGH, B. v. 02.12.2015 – 11 CS 15.2138 – juris unter Verweis auf BVerwG, U. v. 27.09.1995 – 11 C 34.94 – BVerwGE 99, 249). In Ermangelung eines Widerspruchsverfahrens ist dies hier der Zeitpunkt der Bekanntgabe des streitbefangenen Bescheids.
Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist ihm zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben. Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde für das Ergreifen einer Maßnahme auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Damit hat der Gesetzgeber das von der Rechtsprechung zur Rechtslage vor der Gesetzesänderung zum 1. Mai 2014 entwickelte Tattagprinzip normiert. Der Antragsteller hat durch die am 8. Dezember 2015 begangene und am 17. März 2016 geahndete Ordnungswidrigkeit (Rechtskraft 8.4.2016) acht Punkte erreicht, so dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen war.
Der Antragsteller hat das Stufensystem ordnungsgemäß durchlaufen. Die Fahrerlaubnisbehörde verwarnte ihn mit Schreiben vom 30. Oktober 2012 nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, StVG a. F.), damals zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S.3044), bei einem angenommenen Stand von 8 Punkten (erste Stufe der Maßnahmen nach dem Punktsystem). Diese Verwarnung war nach Einführung des Fahreignungs-Bewertungssystems zum 1. Mai 2014 nicht zu wiederholen, da die (Neu-)Einordnung nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG allein (Umrechnung der Punkte) nicht zu einer Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem führt (§ 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG, BayVGH, B. v. 07.01.2015 – 11 CS 14.2653 – juris Rn. 9).
Auch die zweite Stufe des Punktsystems wurde ordnungsgemäß durchlaufen. Die Fahrerlaubnisbehörde sprach bei einem im Fahreignungsregister eingetragenen Stand von 6 Punkten (nach neuer Fassung) mit Schreiben vom 10. August 2015 eine Verwarnung aus (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 StVG).
Die der Fahrerlaubnisentziehung zugrunde liegenden Eintragungen waren zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses alle noch verwertbar und wurden vom Landratsamt Main-Spessart zu Recht herangezogen.
Die nach altem Recht vorgenommenen Eintragungen bezüglich der Verstöße von 2011 bis 2013 waren bei Erlass des Entzugsbescheides vom 31. Mai 2016 noch nicht tilgungsreif, insbesondere greift entgegen der Auffassung der Antragstellerseite nicht die kurze zweijährige Verjährungsfrist. Denn die rechtswidrigen Verstöße von 2011 bis 2013 unterliegen nach der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG bis 30. April 2019 weiterhin den Tilgungsvorschriften der Bestimmungen des § 29 StVG in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung (StVG a. F.). Nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG a. F. betrugen die Tilgungsfristen bei Entscheidungen über Ordnungswidrigkeiten zwar nur zwei Jahre. Die Tilgung einer Eintragung war nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a. F. indes im Falle der Eintragung mehrerer Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG a. F. regelmäßig erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorlagen (sog. Ablaufhemmung). Die Tilgungsfristen begannen gemäß § 29 Abs. 4 Nr. 4 StVG a. F. bei Bußgeldentscheidungen mit dem Tag der Rechtskraft oder Unanfechtbarkeit der beschwerenden Entscheidungen. Die Tilgungsfristen dieser Verstöße konnten daher wegen der Ablaufhemmung aufgrund nachfolgender Verstöße jeweils innerhalb der Zwei-Jahresfrist nicht ablaufen.
Die zweijährige Tilgungsfrist gilt auch nicht für die am 11. Januar 2013 begangene Verkehrszuwiderhandlung. Zwar kann nach der Übergangsbestimmung des § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 StVG eine Ablaufhemmung nach § 29 Abs. 6 Satz 2 StVG in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung nicht durch Entscheidungen, die erst ab dem 1. Mai 2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, ausgelöst werden. Jedoch hindert § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a. F. die Tilgung der betreffenden Eintragungen. Denn im Fahreignungsregister sind nach § 28 Abs. 3 Nr. 6 StVG auch die unanfechtbaren Entziehungen der Fahrerlaubnis durch das Landratsamt Main-Spessart zu speichern. Dem Antragsteller war vom Landratsamt Main-Spessart sowohl am 8. Dezember 2006 nach dem damaligen Punktsystem als auch mit Bescheid vom 29. November 2009 wegen Nichtvorlegens eines geforderten Gutachtens die Fahrerlaubnis entzogen worden. Die Tilgungsfrist für diese Eintragungen beträgt nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 StVG zehn Jahre. Zudem gilt nach § 29 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. Satz 4 StVG a. F. für Ordnungswidrigkeiten eine spezielle absolute Tilgungsfrist von fünf Jahren. Weder die 10-jährige Tilgungsfrist (beginnend mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis, also 9.11.2007 und 25.8.2010; vgl. § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a. F.) noch die absolute Tilgungsfrist von fünf Jahren (§ 29 Abs. 6 Satz 4 StVG a. F.) waren mit Bezug auf die am 7. Oktober 2011 rechtskräftig gewordene Ordnungswidrigkeit bei Begehung der letzten Tat am 8. Dezember 2015 abgelaufen.
Die Regelung in § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a. F. bestimmt nach ihrem Wortlaut ausdrücklich, dass alle im Register eingetragenen Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG a. F. tilgungshemmende Wirkung haben und auch unanfechtbare oder sofort vollziehbare Entziehungen der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörden (Nr. 6) die Tilgung hemmen. Nicht nur andere Verkehrszuwiderhandlungen haben demnach tilgungshemmende Wirkung. Denn der Gesetzgeber hatte ausdrücklich nicht nur Entscheidungen über Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr sowie Entscheidungen über Ordnungswidrigkeiten, sondern auch weitere Entscheidungen der Verwaltungsbehörden in den Katalog der tilgungshemmenden Eintragungen aufgenommen (vgl. § 28 Abs. 3 Nr. 4 bis 9 StVG a. F.). Demgegenüber hatte der Gesetzgeber gezielt Ausnahmen für bestimmte Eintragungen (vgl. § 28 Abs. 3 Nr. 10 bis 13 StVG a. F.) gemacht, denen er keine tilgungshemmende Wirkung zukommen lassen wollte. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass die tilgungshemmende Wirkung für den hier einschlägigen Tatbestand des § 28 Abs. 3 Nr. 6 StVG a. F. durchaus gewollt war. Es widerspräche auch dem vom Gesetzgeber bei der Tilgung zugrunde gelegten Grundgedanken der erforderlichen längeren Bewährung des wiederholt auffällig gewordenen Kraftfahrers über einen ausreichenden Zeitraum, wenn trotz der Entziehung der Fahrerlaubnis als einschneidende Sanktion für Fehlverhalten angesammelte Punkte ohne Ablaufhemmung getilgt werden sollten (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 16.9.2003 – 12 ME 396/03 – ZfSch 2004, 141; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 29 StVG Rn. 8).
Des Weiteren verfängt auch nicht der weitere Einwand der Antragstellerseite, dass der Antragsteller die letzte Zuwiderhandlung am 8. Dezember 2015 (rechtskräftig 8.4.2016) ausweislich eines Lichtbildes nicht begangen habe. Denn die Fahrerlaubnisbehörde ist gemäß § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG an rechtskräftige Entscheidungen über Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gebunden. Diese Bindung der Fahrerlaubnisbehörde gilt mittelbar auch für Gerichte, da diese lediglich die Entscheidungen der Fahrerlaubnisbehörden überprüfen (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 4 StVG Rn. 4 und 43). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sieht das Gesetz nicht vor. Es ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass Verwaltungsbehörden sowie Gerichte von den rechtskräftigen, strafrechtlichen oder ordnungsrechtlichen Entscheidungen auszugehen haben. Beachtet die Behörde diese Bindungswirkung, kann ihre Entscheidung gerichtlich nicht beanstandet werden. In einem verwaltungsgerichtliches Verfahren zum Punktsystem ist deshalb für die Prüfung, ob ein dem Betroffenen zur Last gelegter Verkehrsverstoß von ihm überhaupt begangen wurde, von vornherein kein Raum (vgl. BayVGH, B. v. 6.3.2007 – 11 CS 06.3024 – juris; B. v. 4.6.2008 – 11 ZB 08.1047 – juris; B. v. 19.6.2009 – 11 CS 09.470 – juris; BVerwG, B. v. 3.9.1992 – 11 B 22/92 – Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 88). Dabei entfalten rechtskräftige Bußgeldbescheide auch im Rahmen des neuen Fahreignungsbewertungssystems nach § 4 StVG Bindungswirkung für die Fahrerlaubnisbehörde in gleicher Weise wie gerichtliche Entscheidungen, selbst wenn sie keiner gerichtlichen Überprüfung unterzogen wurden. Die Bindung besteht grundsätzlich unabhängig von der inhaltlichen Richtigkeit des Bußgeldbescheides (vgl. BayVGH, B. v. 31.10.2014 – 11 CS 14.1627 – juris; VGH BW, B. v. 4.11.2013 -10 S 1933/13 – NJW 2014, 487). Ob in Ausnahmefällen bei evidenter Unrichtigkeit in einer Bußgeldentscheidung etwas anderes gelten kann, kann dahinstehen, weil jedenfalls vorliegend hiervon nicht ausgegangen werden kann. Der Antragsteller hat weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren triftige Belege vorgelegt, aus denen sich gewichtige Anhaltspunkte für eine evidente Unrichtigkeit der getroffenen Entscheidung betreffend den Verkehrsverstoß vom 8. Dezember 2015 ergeben könnten. Im Übrigen spricht auch die Regelung des § 29 Abs. 3 Nr. 2 StVG gegen eine Korrektur, zumal auf eine entsprechende Entscheidung seitens des Antragstellers kein Anspruch besteht. Denn eine Korrektur kommt danach allenfalls in außergewöhnlichen Fällen in Betracht, wenn eine eingetragene Entscheidung materiell unrichtig ist und dem Betreffenden nicht angelastet werden kann, dass sie rechtskräftig geworden ist. Es ist nicht Aufgabe des Verfahrens nach § 29 Abs. 3 Nr. 2 StVG, quasi eine zusätzliche Instanz zur Verfügung zu stellen, in der die rechtlich bereits abgeschossene Angelegenheit erneut überprüft wird, um eine rechtskräftige Entscheidung nachträglich zu korrigieren (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 4 StVG Rn. 101 und § 29 StVG Rn. 27). So ist unverständlich und auch dem Antragsteller vorzuwerfen, dass er nicht bereits im Rahmen des Bußgeldverfahrens Unterlagen vorgelegt oder den tatsächlichen Fahrzeugführer benannt hat bzw. sich dort nachträglich um eine Wiedereinsetzung oder eine Wiederaufnahme bemüht hat.
Nach alldem hat das Landratsamt Main-Spessart dem Antragsteller aller Voraussicht nach zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen.
Eventuelle private und berufliche Interessen können keine ausschlaggebende Rolle zugunsten des Antragstellers spielen. Die mit der Fahrerlaubnisentziehung für den Antragsteller verbundenen Nachteile in Bezug auf seine berufliche Tätigkeit und seine private Lebensführung müssen von ihm im Hinblick auf den hohen Rang der durch die Verkehrsteilnahme eines ungeeigneten Kraftfahrers gefährdeten Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit sowie im Hinblick auf das überwiegende Interesse der Verkehrssicherheit hingenommen werden. Eventuelle persönliche oder berufliche Auswirkungen sind typisch und waren dem Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschrift bekannt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und folgt dem Grad des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47, § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.