Verkehrsrecht

Medizinisch-psychologisches Gutachten im Wiedererteilungsverfahren nach strafgerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  M 26 K 16.1079

Datum:
21.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 13 S. 1 Nr. 2 lit. d
StGB StGB § 69

 

Leitsatz

Die Fahrerlaubnisbehörde hat nach einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, im Wiedererteilungsverfahren unabhängig von der bei der Verkehrsteilnahme vorgelegenen Blutalkoholkonzentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 S. 1 Nr. 2 lit. d FeV (zwingend) anzuordnen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Berufung wird zugelassen.
V.
Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Kläger hat zum zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis der Klassen B und BE nebst Unterklassen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Fahrerlaubnisbehörde musste – wie durch die Gutachtensanordnung vom … Juli 2015 rechtmäßig umgesetzt – die Erteilung der Fahrerlaubnis an den Kläger von der Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens über die Frage abhängig machen, ob zu erwarten sei, dass er erneut unter (unzulässig hohem) Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führen werde. Ein solches Gutachten hat der Kläger nicht vorgelegt.
Nach § 20 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – gelten im Verfahren auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG – müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Dies ist gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 FeV der Fall, wenn sie die körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt. Gibt es hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Mangel vorliegen könnte, ist die Fahrerlaubnisbehörde nach Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV grundsätzlich verpflichtet, Maßnahmen zur Aufklärung bestehender Fahreignungszweifel zu ergreifen. Das Vorliegen der Fahreignung wird vom Gesetz positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert; die Nichtfeststellbarkeit der Fahreignung geht zulasten des Bewerbers (vgl. Dauer in Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 2 StVG Rn. 41; vgl. § 11 Abs. 8 FeV).
Beim Kläger bestanden in Folge der Trunkenheitsfahrt am … September 2014, die zu einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 316 StGB und zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB führte, Zweifel an der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen. Die Fahrerlaubnisbehörde war deshalb gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV verpflichtet, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen.
Nach dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. November 2015 (11 BV 14.2738 – juris) hat die Fahrerlaubnisbehörde nach einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, im Wiedererteilungsverfahren unabhängig von der bei der Verkehrsteilnahme vorgelegenen Blutalkoholkonzentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV (zwingend) anzuordnen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat damit seine bisherige Rechtsprechung geändert und sich insoweit der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in seinen Entscheidungen vom 15. Januar 2015 (10 S 1748/13 – juris), vom 18. Juni 2012 (10 S 452/10 – juris) und vom 7. Juli 2015 (10 S 116/15 – DAR 2015, 592 Rn. 34 ff.) angeschlossen (ebenso OVG MV, B. v. 22.5.2013 – 1 M 123/12 – ZfSch 2013, 595; VG München, B. v. 19.8.2014 – M 6b E 14.2930 – DAR 2014, 712; offen gelassen von OVG NW, B. v. 21.1.2015 – 16 B 1374/14 – juris; OVG BB, B. v. 17.7.2015 – OVG 1 S 123.14; bereits BayVGH, B. v. 8.10.2014 – 11 CE 14.1776 – DAR 2015, 35; v. 28.11.2014 – 11 CE 14.1962 – juris; a.A. VG München, U. v. 9.12.2014 – M 1 K 14.2841 – DAR 2015, 154; VG Würzburg, B. v. 21.7.2014 – W 6 E 14.606 – DAR 2014, 541; VG Regensburg, B. v. 12.11.2014 – RO 8 K 14.1624 – DAR 2015, 40), nachdem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts inzwischen geklärt ist, dass § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV auch auf die strafgerichtliche Entziehung aufgrund von § 69 StGB zu beziehen ist (BVerwG, B. v. 24.6.2014 – 3 B 71.12 – NJW 2013, 3670). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sieht infolge seiner nunmehrigen Auslegung der Norm unter Buchst. d insbesondere auch keinen Wertungswiderspruch zu § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV, weil die nach seiner Rechtsprechung zu dieser Vorschrift (s. BayVGH, U. v. 17.11.2015 a.a.O Rn.22 ff.) zu fordernde Zusatztatsache neben der einmaligen Trunkenheitsfahrt mit weniger als 1,6 Promille (vgl. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV) in der strafgerichtlichen Feststellung der Nichteignung wegen fahrerlaubnisrechtlichen Alkoholmissbrauchs zu sehen sei. Diese gerichtliche Feststellung wiege schwerer als sonstige Zusatztatsachen, die lediglich die Annahme von Alkoholmissbrauch begründeten und für eine Gutachtensanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV ausreichten (BayVGH a. a. O. Rn. 43). Für diese Sichtweise spricht, dass die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund von § 69 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung darstellt, deren Verhängung ausschließlich von der Frage der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen abhängt (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 69 StGB Rn. 1 und 12 m. w. N.), und der der Gesetzgeber im Sinne von § 3 Abs. 3 und 4 StVG auch Vorrang einräumt. Allein der Ablauf der vom Strafgericht festgelegten Sperrfrist führt gemäß § 69a StGB nicht dazu, dass wieder von der Fahreignung auszugehen ist. Die Sperrfrist gibt nur den Mindestzeitraum an, währenddessen der Verurteilte infolge seiner aus der begangenen Straftat abgeleiteten Gefährlichkeit für den Straßenverkehr in jedem Falle als ungeeignet anzusehen ist. Ob die eignungsausschließende Gefährlichkeit fortbesteht, ist im Anschluss daran von der Straßenverkehrsbehörde auch bei Ersttätern eigenständig zu beurteilen (vgl. BVerwG, U. v.20.2.1987 – 7 C 87/84 – BVerwGE 77, 40).
Lag in der Vergangenheit Alkoholmissbrauch vor, wovon nach alledem nach einer auf Alkoholmissbrauch beruhenden Entziehung im Sinne einer Tatbestandswirkung auszugehen ist, ist die Fahreignung gemäß Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV erst dann wieder gegeben, wenn der Missbrauch beendet und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist. Dies ist durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten aufgrund von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV zu klären.
Der Kläger, dem die Fahrerlaubnis mit Strafbefehl vom … Dezember 2014 aufgrund einer Trunkenheitsfahrt mit a… Promille und folglich wegen (fahrerlaubnisrechtlichen) Alkoholmissbrauchs (hier §§ 316 Abs. 1 und 2, 69, 69a StGB) aus einem der unter den Buchst. a bis c des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV genannten Gründe entzogen worden ist, hat den durch die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu führenden Nachweis, dass er nicht erneut unter (unzulässig hohem) Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führen wird, nicht erbracht. Solange dies so ist, kommt eine prüfungsfreie Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht in Betracht.
Die Berufung und die Revision waren zuzulassen, da die Fragen, die die Anwendung von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst d FeV aufwirft, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt sind (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, § 134 Abs. 2 i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5000,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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