Verkehrsrecht

Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung, ärztliches Gutachten mit dem Ergebnis einer fortgeschrittenen Drogenproblematik (Cannabis und Amphetamin), Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens

Aktenzeichen  11 ZB 22.394

Datum:
3.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13353
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 8, 14 Abs. 2 Nr. 1
Nr. 2, 20 Abs. 1 S. 1, 22 Abs. 2 S. 1, S. 5
Anlage 4 Nr. 9.1
Nr. 9.5

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 8 K 19.1328 2021-12-20 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgelegt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ohne vorherige Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 5. Juni 2015 hatte die Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen. Der vorangegangenen Aufforderung zur Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens war der wegen Betäubungsmittelbesitzes (Amphetamin und Cannabis) verurteilte Kläger nicht nachgekommen.
Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 9. Januar 2017 verurteilte das Amtsgericht Regensburg den Kläger erneut wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln.
Am 29. März 2018 beantragte der Kläger die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A und B (einschließlich Unterklassen). Mit Schreiben vom 4. Juli 2018 forderte die Beklagte ihn zur Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens auf und wies darauf hin, dass gegebenenfalls noch ein weiteres Gutachten zur endgültigen Feststellung der Fahreignung erforderlich sei.
Der Kläger legte ein ärztliches Gutachten der pima-mpu GmbH vom 11. März 2019 vor. Danach habe er phasenweise täglich Cannabis und ebenfalls häufiger Amphetamine eingenommen sowie einen Probekonsum synthetischer Cannabinoide eingeräumt. Andere psychoaktiv wirkende Stoffe habe er nicht konsumiert. Es bestehe eine fortgeschrittene Drogenproblematik, aber kein fortgesetzter Konsum. Der Kläger habe Abstinenz seit 2016 angegeben. Objektiv gestützt durch Drogenscreenings sei dies seit 2019.
Mit Schreiben vom 3. Juni 2019 ordnete die Beklagte die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens bis spätestens 3. Oktober 2019 zur Klärung der Fragen an, ob der Kläger trotz der Hinweise auf (frühere) Drogeneinnahme ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 sicher führen könne und ob insbesondere eine stabile Abstinenz vorliege und deshalb nicht zu erwarten sei, dass der Kläger weiterhin Betäubungsmittel nehme oder andere psychoaktiv wirkende Arzneimittel oder Stoffe missbräuchlich konsumiere.
Am 25. Juli 2019 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage erhoben und in der mündlichen Verhandlung beantragt, die Beklagte zur Erteilung der Fahrerlaubnis ohne vorherige medizinisch-psychologische Untersuchung zu verpflichten. Das vorgelegte ärztliche Gutachten belege, dass er fahrtauglich und drogenfrei sei. Ein weiteres Gutachten sei daher nicht erforderlich.
Mit Urteil vom 20. Dezember 2021, dem Kläger zugestellt am 13. Januar 2022, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Untätigkeitsklage sei zulässig, aber unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis. Die Beklagte habe deren Erteilung zu Recht von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig gemacht. Durch das ärztliche Gutachten sei das Konsumverhalten des Klägers aufgeklärt worden. Voraussetzung für die Wiedererlangung der Fahreignung bei Konsum harter Drogen sei eine nachweisbare einjährige Abstinenz sowie ein tiefgreifender Einstellungswandel. Dies bedürfe einer Abklärung durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten. In der mündlichen Verhandlung habe der Kläger jedoch erklärt, er könne und wolle keine aktuellen Nachweise vorlegen.
Zur Begründung des mit Schriftsatz vom 10. Februar 2022 eingereichten Antrags auf Zulassung der Berufung machen die Prozessbevollmächtigten des Klägers ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend, das außerdem der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Dezember 2005 (11 CS 05.1350) widerspreche. Die Frist zur Vorlage des medizinisch-psychologischen Gutachtens bis spätestens 3. Oktober 2019 sei derart knapp bemessen gewesen, dass der Kläger den erforderlichen Nachweis einer einjährigen Abstinenz nicht habe führen können. Außerdem habe die Beklagte es unterlassen, den Kläger zur Abgabe von Urin- bzw. Haarproben zu verpflichten.
In ihrer Antragserwiderung hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 31. Januar 2022 abgelehnt habe. Die Frist zur Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens habe die Führerscheinstelle zuletzt bis 30. Dezember 2020 verlängert. Der Kläger habe jedoch kein Gutachten vorgelegt. Über den hiergegen vom Kläger mit Schreiben vom 14. Februar 2022 eingelegten Widerspruch habe die Widerspruchsbehörde noch nicht entschieden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen.
1. Wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist die Berufung nur zuzulassen, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16). Aus der Antragsbegründung des Klägers, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – VerfGHE 68, 180 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124a Rn. 54), ergeben sich solche Zweifel nicht. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis ohne Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens hat.
a) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13.12.2010 [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980], zuletzt geändert durch Verordnung vom 18.3.2022 [BGBl I S. 498]). Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die solche Bedenken begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den §§ 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV).
Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist unter anderem, wer Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) einnimmt (Anlage 4 Nr. 9.1 zur Fahrerlaubnis-Verordnung). Auffälligkeiten im Straßenverkehr im Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelkonsum sind hierfür nicht Voraussetzung. Die Wiedererlangung der Fahreignung setzt in der Regel, jedenfalls bei häufigem und/oder längerfristigen Konsum, eine erfolgreiche Entgiftung und Entwöhnung und eine einjährige Abstinenz voraus (Anlage 4 Nr. 9.5 zur Fahrerlaubnis-Verordnung). Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder die Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen hat die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn die Fahrerlaubnis wegen Abhängigkeit oder Einnahme von Betäubungsmitteln entzogen war (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV) oder wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder – ohne abhängig zu sein – weiterhin Betäubungsmittel einnimmt (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV).
b) Dass der Kläger phasenweise täglich Cannabis und ebenfalls häufiger Amphetamine eingenommen sowie zumindest probeweise synthetische Cannabinoide konsumiert hat und dass eine fortgeschrittene Drogenproblematik vorliegt, steht aufgrund des von ihm vorgelegten und nachvollziehbaren ärztlichen Gutachtens vom 11. März 2019 fest. Bereits mit Schreiben vom 4. Juli 2018 hatte die Beklagte ihn darauf hingewiesen, dass je nach dem Ergebnis des ärztlichen Fahreignungsgutachtens gegebenenfalls noch ein weiteres Gutachten zur endgültigen Feststellung der Fahreignung erforderlich sei. Bei fortgeschrittener Drogenproblematik (Hypothese D 2 der für die Begutachtungsstellen entwickelten Beurteilungskriterien [Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung], Hrsg.: Deutsche Gesellschaften für Verkehrspsychologie [DGVP] und für Verkehrsmedizin [DGVM], 3. Auflage 2013, S. 103, 181 ff.) ist eine durch Urin- oder Haarproben nachgewiesene Abstinenz für einen längeren Zeitraum zur Wiedererlangung der Fahreignung allein noch nicht ausreichend. Vielmehr bedarf es der Abklärung durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten, ob die Abstinenz hinreichend stabil und durch eine angemessene und nachvollziehbar dokumentierte Problembewältigung, etwa durch suchttherapeutische Maßnahmen, eine Psychotherapie oder einen fachlichen Beratungsprozess aufgearbeitet und überwunden ist (vgl. hierzu auch D 2.4 N – D 2.6 N der Beurteilungskriterien, S. 104, 184 ff.).
Wie ausgeführt hat die Beklagte den Kläger bereits frühzeitig auf die etwaige Notwendigkeit eines weiteren Gutachtens im Anschluss an die ärztliche Untersuchung hingewiesen und ihm die Möglichkeit eingeräumt, die Wiedererlangung der Fahreignung durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu belegen. Sie hat diese Frist auch über den 3. Oktober 2019 hinaus zuletzt bis 30. Dezember 2020 verlängert und dem Kläger damit Gelegenheit gegeben, Nachweise für eine ausreichend lange Abstinenz und für etwaige therapeutische Maßnahmen zu erbringen. Wenn von einer Abstinenz für einen ausreichend langen Zeitraum ausgegangen werden kann, was beim Kläger frühestens ab 2019 der Fall und in zeitlicher Hinsicht noch immer nicht hinreichend nachgewiesen ist, muss deren Stabilität im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung beurteilt werden. Wichtiger Punkt bei der Prognosebeurteilung ist die Frage nach einem offenen und selbstkritischen Umgang mit der Drogenproblematik, wobei der Betreffende seine Rückfallgefährdung realistisch einschätzen können und Vermeidungsstrategien entwickelt haben muss (vgl. Schubert/Hetten/Reimann/Graw, Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Auflage 2018, S. 304 f.). Der Kläger hat jedoch zuletzt in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht jede weitere Mitwirkung an der Klärung seiner Fahreignung ausdrücklich abgelehnt.
Die Fallgestaltung, die der Entscheidung des Senats vom 13. Dezember 2005 (11 CS 05.1350 – juris) zugrunde lag und auf die sich die Bevollmächtigten des Klägers berufen, ist mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Zum einen begehrt der Kläger die Erteilung der Fahrerlaubnis. Ihm obliegt daher der Nachweis der Wiedererlangung seiner Fahreignung (§ 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG). Im Unterschied dazu ging es in der Entscheidung des Senats vom 13. Dezember 2005 im vorläufigen Rechtsschutz um die Entziehung der Fahreignung wegen Fahrungeeignetheit des Betroffenen, wofür die Fahrerlaubnisbehörde – ungeachtet der Mitwirkungsobliegenheiten des Fahrerlaubnisinhabers – nachweispflichtig ist. Außerdem stand anders als im Fall des Klägers die Möglichkeit eines unwissentlichen Betäubungsmittelkonsums im Raum und lag jedenfalls keine fortgeschrittene Drogenproblematik vor.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen Abweichung des Ausgangsurteils von einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Die geltend gemachte Divergenz ist weder hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) noch gegeben.
Zur Darlegung einer Divergenz muss der Rechtsmittelführer einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennen, der einem Rechtssatz eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte widerspricht. Die divergierenden abstrakten Rechtssätze müssen sich auf dieselbe Rechtsvorschrift beziehen und sind einander präzise gegenüberzustellen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 15 m.w.N. zu § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO; BayVGH, B.v. 25.4.2022 – 8 ZB 21.3252 – juris Rn. 19; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2021, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52.14 – juris Rn. 5). Es genügt nicht, wenn der Rechtsmittelführer meint, das Ausgangsgericht habe in der angegriffenen Entscheidung einen in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellten Grundsatz übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt, ohne selbst einen divergierenden abstrakten Rechtssatz aufzustellen (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35.16 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Gemessen daran haben die Klägerbevollmächtigten keine Divergenz dargelegt, die zur Zulassung der Berufung führen würde. Nach ihrer Ansicht steht das erstinstanzliche Urteil im Widerspruch zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Dezember 2005 (11 CS 05.1350), die das Verwaltungsgericht „vollkommen unberücksichtigt“ gelassen habe. Sie benennen jedoch keinen Rechtssatz, den das Verwaltungsgericht im Widerspruch zu dieser Entscheidung aufgestellt hat, sondern rügen lediglich die inhaltliche Unrichtigkeit des Ausgangsurteils. Abgesehen davon, dass dies zur Darlegung einer Divergenz nicht ausreicht, liegt eine solche aus den oben genannten Gründen auch nicht vor.
3. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. Nr. 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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