Verkehrsrecht

Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, Fehlende Antragstellung, Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis, Neuerteilungsvoraussetzungen nach langer Zeit ohne Fahrpraxis, Fahrpraxis mit Mofa nicht ausreichend

Aktenzeichen  M 19 K 19.2196

Datum:
27.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13709
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 21 Abs. 1 S. 1
FeV § 20 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren. Denn in den ordnungsgemäßen Ladungen ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage bleibt ohne Erfolg. Sie ist bereits unzulässig, hilfsweise wäre sie jedoch auch unbegründet.
1. Die Klage ist mangels vorliegenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Denn der Kläger hat vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens bei der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde, hier dem Landratsamt Freising, keinen Antrag auf Neuerteilung gestellt. Ein Anspruch auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis setzt jedoch zunächst voraus, dass ein solcher bei der Fahrerlaubnisbehörde gestellt wurde und diese Gelegenheit zu einer Entscheidung hierüber hatte. Der Kläger hat jedoch wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass er eine Entscheidung der Behörde über die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nicht wünsche, solange eine solche Neuerteilung unter Auflagen gestellt werde.
1.1. Zwar hat sich der Kläger mit handschriftlichem Schreiben vom 29. März 2000, vom 21. März 2018, vom 9. April 2018 und vom 3. Mai 2018 zwecks Wiederteilung seiner Fahrerlaubnis an die Fahrerlaubnisbehörde gewandt. Gemäß § 21 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV), ist der Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde oder Stelle oder der Fahrerlaubnisbehörde schriftlich oder in elektronischer Form zu stellen.
Setzt das förmliche Verwaltungsverfahren einen Antrag voraus, so ist er schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu stellen (Art. 64 BayVwVfG). Hierbei kann die Behörde grundsätzlich die Verwendung der für bestimmte Anträge vorgesehenen Formblätter verlangen, auch wenn dies nicht durch Rechtsvorschriften ausdrücklich vorgeschrieben ist, soweit dadurch die Antragstellung nicht unzumutbar erschwert wird (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Auflage 2021, § 64 Rn. 6 m.w.N.). Auch wenn in keiner Rechtsvorschrift für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis die Abgabe des Antrags auf einem besonderen Formular vorgesehen ist, ist eine Behörde im Rahmen ihres Organisationsermessens insbesondere aus Zweckmäßigkeitsgründen zur Aufforderung zur Ausfüllung eines Anzeigevordrucks ermächtigt. Allerdings bleibt zu bezweifeln, ob in derartigen Fällen gesetzlich nicht vorgegebener Formulare die nicht formgerechte Antragstellung allein bereits zur Ablehnung als unzulässig führt (vgl. Kallerhoff/Fellenberg in Stelkens/Bonk/Sachs Verwaltungsverfahrensgesetz 9. Auflage 2018, § 24 Rn. 85).
1.2. Diese Klärung kann vorliegend jedoch offenbleiben. Denn der Kläger hat sowohl durch die fehlende Übermittlung des von der Behörde mit Schreiben vom 3. April 2018 übersandten Formblatts, als auch durch gesonderte Klarstellung zum Ausdruck gebracht, keinen Antrag stellen zu wollen. Er betonte explizit in seinem Schreiben vom 3. Mai 2018 gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde, keinen (formgerechten) Antrag stellen zu wollen.
Er brachte damit im Vorfeld zum Ausdruck, eine Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde über seinen Antrag nicht zu wünschen, da eine solche mit einer Bearbeitungsgebühr verbunden gewesen wäre. Nachdem er damit in eindeutiger Weise seinen Willen äußerte, eine Entscheidung über einen etwaig gestellten Antrag nicht zu wünschen, kam für die Fahrerlaubnisbehörde auch keine etwaige Auslegung der Schreiben des Klägers als Anträge in Betracht. Ebenso legte der Kläger auch im Klageverfahren schriftlich dar, einen Antrag nur für den Fall einer positiven Verbescheidung habe stellen zu wollen und bestätigt damit sein Anliegen, auf eine Antragstellung im Sinne des § 21 FeV bewusst verzichtet zu haben.
Das Gericht ist daher nicht berechtigt, über die Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu entscheiden. Denn ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage besteht nur dann, wenn sich der Kläger zuvor erfolglos an die Behörde gewandt hat. Wenn ein solcher Antrag nicht gestellt wurde, kann die Klage schon allein aus diesem Grund keinen Erfolg haben. Dies entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 1.4.2020 – 11 CE 20.397 – juris Rn. 9 ff.), der zufolge der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz aus Gründen der Gewaltenteilung nicht vorbeugend konzipiert ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 23.6.2016 – 2 C 18.15 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 28.11.2019 – 10 CE 19.2234 – juris Rn. 5; B.v. 24.1.2017 – 4 CE 15.273 – juris Rn. 16). Die den Gerichten übertragene Kontrollfunktion gegen Maßnahmen der Behörden setzen grundsätzlich erst nachgelagert ein. Es ist dem Rechtsschutzsuchenden in der Regel zuzumuten, die Verwaltungsmaßnahme abzuwarten und anschließend um Rechtsschutz bei den Gerichten zu ersuchen. Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erfordert daher regelmäßig den Erlass einer Maßnahme, der nachfolgend Gegenstand gerichtlicher Überprüfung ist.
Vorliegend kommt auch keine ausnahmsweise anderweitige Beurteilung in Betracht. Dem Kläger ging es gerade nicht um eine Beschleunigung seines Verfahrens. Einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hatte er nicht gestellt; im Übrigen besteht im Falle der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis regelmäßig keine Gefahr, dass irreversible Fakten geschaffen werden und dadurch nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen (BayVGH, B.v. 4.10.2005 – 11 CE 05.2304 – juris Rn. 17). Der Kläger lehnte eine gebührenpflichtige Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde vielmehr allein aus Kostengründen ab. Die von der Fahrerlaubnisbehörde veranschlagten Kosten in Höhe von 117,98 EUR für die Verbescheidung eines Antrags auf Neuerteilung sind dem Betroffenen jedoch zumutbar und in keiner Weise unverhältnismäßig (vgl. zu Begutachtungskosten BayVGH, B.v. 1.4.2020 – 11 CE 20.397 – juris Rn. 11). Der Kläger versuchte dagegen die Verwaltungsgebühren zu umgehen und unmittelbar eine gerichtliche Entscheidung zu erlangen. Gerade dies soll mit dem Zulässigkeitserfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses ausgeschlossen werden.
2. Lediglich hilfsweise sei dargelegt, dass die Klage auch im Falle ihrer Zulässigkeit unbegründet gewesen wäre.
Ein Anspruch auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ohne Nachweis über aktuell bestehende theoretische und praktische Kenntnisse ist im Fall des Klägers nicht ersichtlich.
Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 FeV). § 15 FeV (Nachweis einer theoretischen und einer praktischen Prüfung) findet vorbehaltlich des § 20 Abs. 2 FeV keine Anwendung (§ 20 Abs. 1 Satz 2 FeV). Dies ist gemäß § 20 Abs. 2 FeV jedoch dann nicht der Fall, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 FeV (theoretische Prüfung) und § 17 Abs. 1 FeV (praktische Prüfung) erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt.
Nach § 20 Abs. 3 FeV bleibt die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 FeV unberührt. Vorliegend kann dahinstehen, ob bereits diese Vorschrift aufgrund § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV wegen der vergangenen Fahrerlaubnisentziehung (Trunkenheitsfahrt) der Erteilung des begehrten Führerscheins entgegensteht.
Denn der Kläger kann die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis zum grundsätzlich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts jedenfalls schon deshalb nicht beanspruchen, weil die Fahrerlaubnisbehörde deren Erteilung zu Recht von Nachweisen über theoretische und praktische Kenntnisse hätte abhängig machen müssen.
Seit der Fahrerlaubnisentziehung im Jahr 1995 sind zwischenzeitlich 27 Jahre vergangen. Bei einer sehr langen Zeit ohne Fahrpraxis ist die Annahme des Fehlens der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne des § 20 Abs. 2 FeV berechtigt (vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2021 – 11 ZB 20.3146 – juris Rn. 14: VG Trier, U.v. 10.3.2020 – 1 K 2868/19.TR – juris Rn. 34; Sächs OVG, B.v. 15.2.2016 – 3 D 89/15 – juris Rn. 6; BVerwG, U.v. 27.10.2011 – 3 C 31/10 – juris Rn. 11).
Die Dauer fehlender Fahrpraxis ist regelmäßig der einzige Anhaltspunkt für Zweifel an der Fahrbefähigung, da der Betroffene im Straßenverkehr wegen des Fehlens der einschlägigen Fahrerlaubnis weder negativ auffallen noch umgekehrt das Fortbestehen seiner Befähigung unter Beweis stellen kann (BayVGH, U.v. 17.4.2012 – 11 B 11.1873 – juris Rn. 29). Denn typischerweise schwinden mit zunehmender Dauer der fahrerlaubnislosen Zeit die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten und die Bewältigung neu hinzugekommener Anforderungen an Kraftfahrer. Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dahingehend, dass andere Verkehrsteilnehmer, die ebenfalls jahrelang keine Fahrpraxis hatten, dann aber wieder aktiv am Straßenverkehr teilnehmen wollen, keine praktische Fahrprüfung ablegen müssen, besteht nicht. Insoweit liegen schon keine vergleichbaren Sachverhalte vor, denn das bloße Nichtgebrauchmachen von einer fortbestehenden Fahrerlaubnis ist von der in § 20 FeV näher geregelten Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung zu unterscheiden (vgl. Haus in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Auflage 2021 § 20, Rn. 30).
Die Fahrpraxis mit einem Mofa reicht nicht aus. Denn es kommt ausschließlich auf die erlaubnispflichtige Teilnahme am Straßenverkehr an. Ein – nicht fahrerlaubnispflichtiges – Mofa ist im Vergleich zu einem erlaubnispflichtigen Kfz deutlich langsamer und damit erheblich weniger gefährlich. Gleiches gilt für die Fahrpraxis mit einem Fahrrad.
Eine aktive Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr wird daher nicht durch eine Teilnahme am Straßenverkehr mit einem fahrerlaubnisfreien Mofa kompensiert (vgl. OVG NRW, B.v. 22.3.2012 – 16 A 55/12 – juris Rn. 12; VG Gelsenkirchen B.v. 13.12.2011 – 9 K 5357/10 – juris Rn. 8).
Aus den dargestellten Gründen war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


Ähnliche Artikel


Nach oben