Verkehrsrecht

Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, Keine Ausfallerscheinungen;

Aktenzeichen  B 1 E 22.29

Datum:
25.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13351
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
StVG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
FeV § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt.
FeV Nr. 8.1 der Anlage 4 zur

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A2, AM, B, BE, C1, C1E und CE nach strafgerichtlicher Entziehung.
Der Antragsteller wurde am 2. April 2021 gegen 22.49 Uhr einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen. Laut Polizeibericht ging der Kontrolle kein Fahrfehler des Antragstellers voraus. Im Auto hätten sich außerdem seine Tochter und deren Freund befunden. Bei der Kontrolle habe deutlicher Atemalkoholgeruch wahrgenommen werden können. Ein freiwillig durchgeführter Atemalkoholtest habe um 22:55 Uhr einen Wert von 0,52 mg/l und um 23:51 Uhr 0,59 mg/l ergeben. Die am 3. April 2021 gegen 00.15 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 1,12 ‰.
Dem Protokoll der Polizeiinspektion … vom 3. April 2021 ist weiter zu entnehmen, dass der Antragsteller angegeben habe, am 2. April 2021 gegen 20:30 Uhr 2 × 0,5 l Bier zu Hause getrunken zu haben. Der ärztliche Bericht vom 3. April 2021 weist folgende Feststellungen aus: Gang (geradeaus) sicher, Drehnystagmus feinschlägig, Finger-Finger-Prüfung, Finger-Nasen-Prüfung sicher, Sprache deutlich, Pupillen unauffällig, Pupillenlichtreaktion prompt, Bewusstsein klar, Denkablauf geordnet, Verhalten beherrscht, Stimmung gereizt, äußerlicher Anschein des Einflusses von Alkohol leicht bemerkbar.
Mit seit 27. August 2021 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 17. August 2021 wurde der Antragsteller wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. Die Fahrerlaubnis wurde ihm entzogen, der Führerschein eingezogen. Die Verwaltungsbehörde dürfe für die Dauer von noch 3 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilen. Von der Sperre ausgenommen seien die Fahrerlaubnisse der Klassen L und T.
Auf den Antrag des Antragstellers vom 23. September 2021 hin auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis forderte das Landratsamt mit Schreiben vom 9. November 2021 die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Fahrtauglichkeitsgutachtens einer Begutachtungsstelle für Fahreignung. Die Beibringungsaufforderung stütze sich § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt. FeV. Zur Begründung wurde auf die Trunkenheitsfahrt vom 2. April 2021 verwiesen. Zur Trunkenheitsfahrt seien folgende Anhaltspunkte und Tatsachen hinzugetreten, die die Annahme eines Alkoholmissbrauchs begründeten und die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung erforderlich machten. Der allgemeinen Verkehrskontrolle seien keine Fahrfehler vorausgegangen. Ausfallerscheinungen seien ebenfalls nicht festgestellt worden (wird ausgeführt). Die gegenüber der Polizei angegebenen Trinkangaben stimmten mit der gemessenen Blutalkoholkonzentration nicht überein. Nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung sei auch bereits bei einer einmaligen Fahrt unter hoher Alkoholkonzentration ohne weitere Anzeichen einer Alkoholwirkung von Missbrauch auszugehen. Bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt und einer derartig hohen Blutalkoholkonzentration wie vorliegend liege der Verdacht auf längerfristigen missbräuchlichen Umgang mit Alkohol nahe, der auf eine hohe Trinkfestigkeit schließen lasse. Die absolute Fahruntüchtigkeit sei bei Kraftfahrern mit einem Blutalkoholgehalt ab 1,1‰ gegeben, bereits bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,3‰ beginne die relative Fahruntüchtigkeit mit längerer Reaktionszeit, Störung des Raumsehens und einer Enthemmung, sodass ein erhöhtes Verkehrsrisiko von derart beeinflussten Kraftfahrern ausgehe. Da der Antragsteller mit der relativ hohen Blutalkoholkonzentration von 1,12‰ die Fahrstrecke ohne Ausfallerscheinungen und sicher zurückgelegt habe, müsse von einer gewissen Alkoholgewöhnung ausgegangen werden, die die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahrtauglichkeitsgutachtens rechtfertige. Er werde daher aufgefordert, bis 11. Februar 2022 ein solches Gutachten vorzulegen. Folgende Fragestellungen seien zu klären:
Liegen körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen beim Antragsteller vor, die mit einem missbräuchlichen Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können? Ist zu erwarten, dass das Führen von Kraftfahrzeugen der o.g. Klassen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann?
Auf die Folgen des § 11 Abs. 8 FeV bei nicht fristgerechter Vorlage des Gutachtens wurde hingewiesen.
Mit E-Mail vom 16. November 2021 zeigte sich der Bevollmächtigte des Antragstellers an und bekräftigte mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2021, dass es keine Rechtsgrundlage für die Forderung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung gebe und der Antragsteller ein solches Gutachten nicht vorlegen werde. Das Landratsamt werde aufgefordert, bis spätestens 8. Dezember 2021 über den Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu entscheiden.
Mit Bescheid vom 13. Dezember 2021 wurde der Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A2, AM, B, BE, C1, C1E und CE abgelehnt.
Zur Begründung führte das Landratsamt im Wesentlichen aus, dass nach § 2 Abs. 4 StVG eine Fahrerlaubnis nur dann zu erteilen sei, wenn der Bewerber die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfülle und nicht erheblich gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen habe. Würden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung des Bewerbers begründeten, könne die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anordnen. Sodann wurden im Bescheid die Ausführungen zu § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt. FeV und die Feststellungen anlässlich der Verkehrskontrolle und Blutprobe wiederholt. Aus diesen ergebe sich die Notwendigkeit der Einholung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung. Da der Antragsteller sich weigerte, das Gutachten beizubringen, sei das Landratsamt berechtigt, auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nach § 11 Abs. 8 FeV zu schließen.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 4. Januar 2022 ließ der Antragsteller Klage erheben gegen den Bescheid des Landratsamts vom 13. Dezember 2021 und im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes beantragen,
dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO aufzugeben, dem Antragsteller die mit Antrag vom 23. September 2021 beantragte Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A2, AM, B, BE, C1, C1E und CE zumindest vorläufig ab dem 18. November 2021 neu zu erteilen.
Die Forderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens könne nicht auf § 13 Satz 1 Nr. 2a 2. Alt. FeV gestützt werden. Die Behörde meine, dass die Gesamtumstände dafür sprechen würden, dass der Antragsteller trotz einer relativ hohen Alkoholisierung relativ unauffällig gewesen sei und insoweit eine Alkoholgewöhnung vorliegen müsse, die die Annahme eines Alkoholmissbrauchs begründen würden, weil weder ein Fahrfehler der allgemeinen Verkehrskontrolle vorausgegangen sei noch Ausfallerscheinungen vorlägen. Dies erklärte sich ausschließlich dadurch, dass der Antragsteller sowohl im Rahmen der Verkehrskontrolle als auch einige Zeit später bei der ärztlichen Untersuchung gefasst gewirkt habe. Dabei handele es sich um ein regelmäßig zu beobachtendes Phänomen, das auch der Adrenalinausschüttung und der besonderen Konzentrationsanstrengungen der betroffenen Person geschuldet sei. Diese wolle im Rahmen des Vorfalls regelmäßig einen in der Regel bestmöglichen Eindruck hinterlassen, wie vorliegend auch der Antragsteller. Zum Beweis werde die Einholung eines verhaltenspsychologischen und verkehrspsychologischen Sachverständigengutachtens beantragt.
Würde man § 13 Satz 1 Nr. 2a 2. Alt. FeV im Sinn des Landratsamts interpretieren, bedeutet dies eine Umgehung der Tatbestandsalternativen b) und c). In der vorliegenden Fallkonstellation könne die Forderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens jedenfalls nicht auf § 13 Satz 1 Nr. 2a 2. Alt. FeV gestützt werden. Es werde auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 6.4.2017 – 3 C 24.15 und 3 C 13.16) sowie des VG Bayreuth (U.v. 24.7.2018 – B 1 K 17.624) verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2022 beantragte das Landratsamt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung werde auf den Bescheid vom 13. Dezember 2021 verwiesen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Antragsteller ohne die beantragte Fahrerlaubnis seinen landwirtschaftlichen Betrieb nicht bewirtschaften könne. Im Strafbefehl des Amtsgerichts … seien die Klassen L und T nicht entzogen worden. Außerdem habe er die weiteren Fahrerlaubnisklassen seit 2. April 2021 nicht mehr besessen und habe anscheinend seiner beruflichen Haupttätigkeit in … trotzdem nachkommen können. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern sich hier gravierende Veränderungen ergeben hätten. Selbst wenn derartige Umstände zu erkennen wären, stehe das Interesse der anderen Verkehrsteilnehmer am Schutz ihrer Gesundheit und ihres Lebens dem Interesse des Antragstellers entgegen. Auch bei Berufskraftfahrern in einer vergleichbaren Situation werde Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer ein höherer Stellenwert beigemessen als den wirtschaftlichen Interessen.
Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch wenn es zur Regelung nötig erscheint, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet wird, gemäß § 920 Abs. 2 i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft zu machen. Nach dem Wesen und Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes darf das Gericht nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller dabei nicht schon das gewähren, was er im Falle des Obsiegens in der Hauptsache erreichen würde (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 123 Rn. 13 f.). Allenfalls unter engen Voraussetzungen können im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG die Wirkungen einer Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen werden; so wenn der Antragsteller beim Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache sein Rechtschutzziel nicht mehr erreichen kann, ihm dadurch unzumutbare, irreparable Nachteile entstünden und eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache besteht (Schenke, a.a.O. § 123 Rn. 26). In Anbetracht der erheblichen Gefahren für hochrangige Rechtsgüter Dritter, mit der die Zuerkennung einer Fahrberechtigung an einen nicht geeigneten oder befähigten Kraftfahrer einhergeht, setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung eine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen der Fahrberechtigung voraus. Sie hat dessen ungeachtet mit Rücksicht auf den gebotenen Schutz von Leben und Gesundheit Dritter zu unterbleiben, wenn überwiegende, besonders gewichtige Gründe einer solchen Interimsregelung entgegenstehen (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2014 – 11 CE 14.1962 – juris Rn. 11).
Der Antragsteller kann im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anordnungsanspruch nicht geltend machen. Es erscheint derzeit nicht nachgewiesen, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist, weil er das zu Recht geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht und damit die begründeten Zweifel an seiner Fahreignung nicht ausgeräumt hat. Damit kann nicht festgestellt werden, dass seine Klage auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein würde.
1. Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung gelten die Vorschriften für die Ersterteilung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 FeV). Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG besteht ein Anspruch auf Erteilung einer Fahrerlaubnis nur, wenn der Bewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Das Bestehen der Fahreignung wird vom Gesetz mithin positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert; solange Zweifel an der Fahreignung bestehen und sie nicht ausgeräumt sind, wirkt sich dies zu Lasten des Bewerbers aus. Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die solche Bedenken begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den §§ 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV).
Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist unter anderem, wer – ohne alkoholabhängig zu sein – Alkohol missbräuchlich konsumiert, d.h. das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV). Liegen Anzeichen für Alkoholmissbrauch vor oder begründen sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt. FeV). Ein Ermessen kommt der Fahrerlaubnisbehörde hierbei nicht zu. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, sofern die Untersuchungsanordnung rechtmäßig und kein ausreichender Grund für die Weigerung vorliegt.
Die in der Begutachtungsaufforderung vom 9. November 2021 genannte Fragestellung ist zur Abklärung eines verkehrsrelevanten Alkoholmissbrauchs und des Trennungsvermögens nicht zu beanstanden.
Auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt. FeV kann eine Begutachtungsaufforderung bei einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 ‰ nur dann gestützt werden, wenn zusätzlich zu der Fahrt unter Alkoholeinfluss weitere Tatsachen vorliegen, die die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn begründen. Geklärt ist mittlerweile, dass allein die strafrechtliche Entziehung der Fahrerlaubnis eine derartige Zusatztatsache dann nicht darstellt, wenn der strafrechtlichen Entscheidung keine tatsächlichen Feststellungen zu entnehmen sind, die jenseits der strafgerichtlichen Eignungsbeurteilung geeignet wären, die Annahme von Alkoholmissbrauch zu begründen (vgl. BVerwG U.v. 6.4.2017 – 3 C 24.15 – juris Rn. 24 und 13.16 – juris Rn. 21 ff.). Derartige Ausführungen sind dem Strafbefehl nicht zu entnehmen.
Nach der neuesten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 2021 (Az. 3 C 3/20 – juris) kann jedoch auch bei einer einmaligen Fahrt unter Alkoholeinfluss mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 ‰, aber 1,1 ‰ oder mehr (im dort zu entscheidenden Fall betrug die Blutalkoholkonzentration 1,35 ‰) zur Klärung von Zweifeln an der Fahreignung ein medizinisch-psychologisches Gutachten gefordert werden, wenn keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt worden sind.
Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt:
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV, der die Fahrerlaubnisbehörde nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille zur Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verpflichtet, dem Rückgriff auf den Buchstaben a Alternative 2 nicht entgegen. Aus dem Wortlaut, der Systematik und der Entstehungsgeschichte von § FEV § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und c FeV lässt sich nicht entnehmen, dass dem Buchstaben c eine „Sperrwirkung“ in dem Sinne zukommt, dass nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille ein Rückgriff auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV von vornherein ausscheidet. Dies lässt außer Acht, dass nach den medizinisch-toxikologischen Erkenntnissen der Alkoholforschung, von denen sich der Verordnungsgeber bei seiner Regelung leiten ließ, bei Personen, die aufgrund ihres Trinkverhaltens eine hohe Alkoholgewöhnung erreicht haben, das deutlich erhöhte Risiko einer erneuten Trunkenheitsfahrt besteht. Ihre Giftfestigkeit führt unter anderem dazu, dass sie die Auswirkungen ihres Alkoholkonsums auf ihre Fahrsicherheit nicht mehr realistisch einschätzen können. Deshalb liegt in dem Umstand, dass ein Betroffener – wie der Kläger – trotz eines bei seiner Trunkenheitsfahrt festgestellten Blutalkoholpegels von 1,1 Promille oder mehr keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen aufgewiesen hat, eine Zusatztatsache im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV. Dieser zusätzliche Umstand und das dadurch indizierte Risikopotenzial rechtfertigen auch mit Blick auf den Buchstaben c, der eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille beim Führen eines Fahrzeugs genügen lässt, ohne dass es dann noch auf das Vorliegen zusätzlicher Tatsachen ankommt, die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.
[…]
Eine zu einer solchen Blutalkoholkonzentration hinzutretende Zusatztatsache im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV, der Aussagekraft in Bezug auf künftigen Alkoholmissbrauch zukommt, liegt im Fehlen von alkoholbedingten Ausfallerscheinungen trotz dieser Blutalkoholkonzentration (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 6. April 2017 – 3 C 24.15 – Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 24 Rn. 28). Das kommt auch in dem Klammerzusatz zum Ausdruck, den die Begutachtungsleitlinien bei den dort als zweite Fallgruppe für Alkoholmissbrauch angeführten Fällen – „nach einmaliger Fahrt unter hoher Alkoholwirkung (ohne weitere Anzeichen einer Alkoholwirkung)“ – enthalten. Dieser Klammerzusatz solle – so die Kommentierung der Begutachtungsleitlinien – deutlich machen, dass das Erreichen oder Überschreiten des nach der derzeitigen Rechtslage in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Blutalkoholwertes von 1,6 Promille für die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens in jedem Fall für das Vorliegen einer auch bei Trinkgewohnten ungewöhnlich hohen Blutalkoholkonzentration und damit für Alkoholmissbrauch im Sinne der Begutachtungsleitlinien spricht (vgl. Stephan/Brenner-Hartmann a.a.O. S. 251). Damit soll es beim Erreichen oder Überschreiten einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille nicht mehr darauf ankommen, ob außerdem auch noch alkoholbedingte Ausfallerscheinungen fehlten. Dagegen trägt der Klammerzusatz nicht die Annahme, dass das Fehlen von alkoholbedingten Ausfallerscheinungen unterhalb eines Blutalkoholpegels von 1,6 Promille keine aussagekräftige Zusatztatsache im Rahmen von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV sein kann.“
Auch der BayVGH hat nachgehend zu dem Verfahren B 1 K 19.448 (U.v. 11.3.2019) in seinem Beschluss vom 11.3.2019 (Az. 1 ZB 19.448 – juris Rn. 11) ausgeführt, dass das Fehlen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen trotz einer hohen Blutalkoholkonzentration (dort 1,23 ‰) als Zusatztatsachen in Betracht kommen, wenngleich in jenem Verfahren weitere auf einen Missbrauch schließende Tatsachen vorlagen.
Soweit der Antragsteller auf das Verfahren B 1 K 17.624 abstellt, wurde dort entscheidungserheblich auf die Frage abgestellt, ob bereits die strafrechtliche Verurteilung als Zusatztatsache gewertet werden könne.
Unter Berücksichtigung der oben zitierten Entscheidungen des BVerwG und des BayVGH zur Bewertung fehlender Ausfallerscheinungen im Hinblick auf eine Alkoholgewöhnung und die Notwendigkeit der Abklärung eines zukünftigen Trennungsvermögens haben sich die Erfolgsaussichten für den klägerischen Anspruch auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nicht derart verdichtet, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache gerechtfertigt wäre. Zwar liegt die Blutalkoholkonzentration, die beim Antragsteller gemessen wurde, eher im unteren Bereich (eine Alkoholabbauzeit zwischen Tatzeitpunkt und Entnahmezeitpunkt ist nicht berücksichtigt). Jedoch ging der Kontrolle kein Fahrfehler voraus, der gegen eine Alkoholgewöhnung im relevanten Bereich sprechen könnte. Außerdem hat der die Blutabnahme durchführende Arzt im Wesentlich festgehalten, dass der Antragsteller keine Ausfallerscheinungen zeigte und äußerlich nur leicht unter Alkoholeinfluss zu stehen scheine.
Die vom Antragsteller gezogenen Schlussfolgerungen, dass die fehlenden Ausfallerscheinungen einer besonderen Konzentrationsanstrengung in der konkreten Situation geschuldet seien, ist eine Frage, die nicht im Eilverfahren geklärt werden kann.
Zudem ist die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung gerade zum jetzigen Zeitpunkt nicht hinreichend dargelegt. Wie der Antragsgegner ausführt, verfügt der Antragsteller bereits seit 2. April 2021 nicht mehr über eine Fahrerlaubnis und war offensichtlich bislang in der Lage, sowohl seiner Betätigung als Nebenerwerbslandwirt als auch seiner hauptberuflichen Tätigkeit nachzugehen.
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Die Höhe des Streitwertes richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).


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