Verkehrsrecht

Schwere Persönlichkeitsveränderung durch pathologische Alterungsprozesse

Aktenzeichen  11 ZB 17.2532

Datum:
11.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 502
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 46 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Es ist Sache des Klägers, ein Gutachten entsprechend der Gutachtensanordnung in Auftrag zu geben und sicherzustellen, dass es von einem Verkehrsmediziner erstellt wird, denn die Untersuchung erfolgt auf Grund eines Auftrags des Betroffenen (§ 11 Abs. 6 S. 5 FeV). Behauptet er später eine unzureichende Qualifikation, ist gleichwohl nicht ersichtlich, worin er beschwert ist, wenn die Behörde das Gutachten akzeptiert hat. (redaktioneller Leitsatz)
2 Waren Uhren- und PANDA-Test im Rahmen einer Begutachtung auf schwere Persönlichkeitsveränderung durch pathologische Alterungsprozesse nicht möglich, da der Kläger die gestellten Aufgaben nicht verstanden hat und ist dieser nach seinen eigenen Angaben Analphabet und seine im Jahr 2015 verstorbene Ehefrau habe früher die Verkehrsschilder für ihn gelesen, ist die Schlussfolgerung der Ärztin, der Kläger leide an einer mittelschweren Demenz und sei nicht mehr fahrgeeignet, auf dieser Grundlage nicht zu beanstanden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 K 16.1919 2017-10-09 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.
IV. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1929 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen 1b, 3, 4 und 5 (erteilt 1951).
Mit Strafbefehl vom 23. Dezember 2015 verhängte das Amtsgericht Schwabach gegen den Kläger eine Geldstrafe wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Dem lag zu Grunde, dass der Kläger am 7. Oktober 2015 nach Aussage des Geschädigten und von drei Zeugen zu weit links gefahren war, mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte und weiterfuhr. Bei der polizeilichen Vernehmung machte er einen stark verwirrten Eindruck.
Am 29. November 2015 hielt die Polizei den Kläger an, da er einen sehr unsicheren Fahrstil aufwies und mit seinem Fahrzeug auf eine Verkehrsinsel gefahren war. Der Kläger gab an, ihn habe das Blaulicht geblendet, das nach Angaben der Polizisten jedoch erst nach der Auffahrt auf die Verkehrsinsel eingeschaltet worden sei.
Mit Schreiben vom 18. Mai 2016 forderte das Landratsamt Roth (im Folgenden: Landratsamt) den Kläger daraufhin auf, ein Gutachten eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines Facharztes für Neurologie/Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation beizubringen. Es sei zu klären, ob eine psychische Erkrankung nach Nr. 7 ff. der Anlage 4 zur FeV vorliege, die das sichere Führen von Kraftfahrzeugen beeinträchtigen könne.
Das Gutachten der (D* … …*), Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 14. Juli 2016 kommt zu dem Ergebnis, bei dem Kläger liege eine mittelschwere Demenz vor. Er habe im Mini-Mental-Status-Test (MMST) nur 13 von 30 möglichen Punkten erreicht. Es liege eine schwere Persönlichkeitsveränderung durch pathologische Alterungsprozesse vor und der Kläger sei Analphabet. Er sei daher nicht mehr in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppen 1 und 2 gerecht zu werden.
Mit Bescheid vom 12. September 2016 entzog das Landratsamt ihm daraufhin die durch das Landratsamt am 22. Dezember 1998 ersetzte Fahrerlaubnis der Klasse 3 und forderte ihn auf, den Führerschein unverzüglich abzugeben.
Die gegen den Bescheid vom 12. September 2016 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Ansbach abgewiesen. Gemäß dem vorgelegten Gutachten sei der Kläger ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt. Der Kläger macht geltend, das Gutachten sei nicht nachvollziehbar. Es sei nicht ausgeführt, wie die Ärztin auf die Punktzahl in dem Test gekommen sei. Darüber hinaus handele es sich nicht um eine Verkehrsmedizinerin. Der Hausarzt habe bestätigt, dass der Kläger fahrtauglich sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungs-verfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGH 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 54), ergeben sich die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und 5 VwGO) nicht.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16). Das ist vorliegend nicht der Fall.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Mai 2016 (BGBl I S.1217), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S.1674), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Nach Nr. 7.3 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen wer unter einer schweren Persönlichkeitsveränderung durch pathologische Alterungsprozesse leidet.
Hier steht aufgrund des schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie D* … … vom 14. Juli 2016 fest, dass der Kläger unter einer solchen Erkrankung leidet. Dass dem Gutachten die konkrete Auswertung des MMST nicht beigefügt ist, ist unschädlich. Nach Nr. 2 Buchst. a Satz 3 und 5 der Anlage 4a zur FeV müssen im Gutachten alle wesentlichen Befunde wiedergegeben und die Untersuchungsverfahren angegeben werden. Es ist danach jedoch nicht erforderlich, sämtliche Untersuchungen und deren Ergebnisse im Detail zu beschreiben und weitere Unterlagen beizugeben. Beim MMST handelt es sich um einen standardisierten Fragebogen, mit dem ein Screening auf Demenz durchgeführt wird. Der Fragebogen kann im Internet aufgerufen werden (z.B. auf www.dgho.de) und wird bei der Untersuchung ausgefüllt. Weitere Tests, z.B. der Uhren- und PANDA-Test waren nach dem Gutachten nicht möglich, da der Kläger die gestellten Aufgaben nicht verstanden hat. Nach seinen eigenen Angaben ist er Analphabet und seine im Jahr 2015 verstorbene Ehefrau hat früher die Verkehrsschilder für ihn gelesen. Die Schlussfolgerung der Ärztin, der Kläger leide an einer mittelschweren Demenz und sei nicht mehr fahrgeeignet, ist auf dieser Grundlage nicht zu beanstanden.
Dass es sich bei der Ärztin, die das Gutachten verfasst hat, eventuell nicht um eine Verkehrsmedizinerin handelt, da sie im Briefkopf des Gutachtens nicht die Bezeichnung „Verkehrsmedizin“ führt, sondern nur unter ihrer Unterschrift den Zusatz „Verkehrsmedizin“ angegeben hat, führt nicht zur Unverwertbarkeit des Gutachtens. Es war Sache des Klägers, ein Gutachten entsprechend der Gutachtensanordnung in Auftrag zu geben und sicherzustellen, dass es von einem Verkehrsmediziner erstellt wird, denn die Untersuchung erfolgt auf Grund eines Auftrags des Betroffenen (§ 11 Abs. 6 Satz 5 FeV). Sollte er tatsächlich eine Ärztin beauftragt haben, die den in der Beibringungsaufforderung gestellten Anforderungen nicht entspricht und wurde das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten aber gleichwohl vom Landratsamt akzeptiert, so ist nicht dargelegt, weshalb der Kläger dadurch beschwert sein sollte.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, gegen welche Verfahrensvorschriften das Verwaltungsgericht verstoßen haben soll.
3. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
4. Dem Kläger kann keine Prozesskostenhilfe gewährt werden, da die Rechtssache aus den vorstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, Anh. § 164 Rn. 14).
6. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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