Verkehrsrecht

Unbegründeter Antrag auf prüfungsfreie Neuerteilung der Fahrerlaubnis – Grenzen gerichtlicher Sachverhaltsaufklärung

Aktenzeichen  Au 7 K 15.1781

Datum:
7.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 11 Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2
StGB StGB § 69
VwGO VwGO § 166

 

Leitsatz

1 Der Ablauf einer vom Strafgericht festgelegten Sperrfrist führt gemäß § 69a StGB nicht dazu, dass wieder von der Fahreignung auszugehen ist. Die Sperrfrist gibt nur den Mindestzeitraum an, währenddessen der Verurteilte infolge seiner aus der begangenen Straftat abgeleiteten Gefährlichkeit für den Straßenverkehr in jedem Falle als ungeeignet anzusehen ist. Ob die eignungsausschließende Gefährlichkeit fortbesteht, ist im Anschluss daran von der Straßenverkehrsbehörde auch bei Ersttätern eigenständig zu beurteilen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Schluss auf die fahrerlaubnisrechtliche Nichteignung wegen fehlender Beibringung eines angeforderten Gutachtens ist nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (Anschluss BVerwG NJW 2005, 3081). (redaktioneller Leitsatz)
3 Bedarf die Prüfung einer Fahreignung wegen vorangegangener Alkoholproblematik einer medizinisch-psychologischen Fachbeurteilung, kann die Frage der Eignung nicht durch das Gericht selbst geklärt werden, sondern der Sachverhalt ist von der Behörde aufzuklären (Abgrenzung zu BVerwG NVwZ-RR 2002, 93). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt … bewilligt, soweit sie beantragt, den Beklagten zu verpflichten, den Antrag der Klägerin auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis für die Klassen B, BE, C1 und C1E unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre Verpflichtungsklage auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1 und C1E.
Der am … 1977 geborenen Klägerin wurde im Jahre 1995 eine Fahrerlaubnis der (damaligen) Klasse 3 erteilt.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 19. Dezember 2013 (rechtskräftig seit 23.1.2014) wurde gegen die Klägerin wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen verhängt. Der Klägerin wurde die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von 15 Monaten angeordnet. Dieser Verurteilung lag im Wesentlichen zugrunde, dass die Klägerin am 13. November 2013 gegen 12:35 Uhr ein Fahrzeug führte, obwohl sie infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war. Beim Abbiegevorgang nach rechts hatte sie ihr Fahrzeug nicht mehr unter Kontrolle, kam auf den Gehweg und fuhr eine Mülltonne an, die dann gegen zwei Kinder prallte. Der Geschädigte … wurde dadurch an beiden Knien und Sprunggelenken verletzt und erlitt ein Hämatom an der Stirn. Die Geschädigte … erlitt ein geschwollenes Sprunggelenk und Bauchschmerzen. Eine bei der Klägerin am 13. November 2013 um 13:32 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,02 Promille. Der Führerschein der Klägerin wurde von der Polizei um 13.00 Uhr sichergestellt.
Mit Urteil des Amtsgerichts … vom 28. Oktober 2014 (rechtskräftig seit 5.11.2014) wurde die Klägerin wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung des Strafbefehls vom 19. Dezember 2013 zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt. Die Fahrerlaubnisentziehung aus der einbezogenen Verurteilung wurde aufrechterhalten und eine weitere Sperrfrist von acht Monaten angeordnet. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass die Klägerin am 13. November 2013 gegen 14:10 Uhr mit einem Kraftfahrzeug zu sich nach Hause fuhr, obwohl die Polizei kurz zuvor um 13:00 Uhr ihren Führerschein aufgrund der mit dem o.g. Strafbefehl geahndeten Trunkenheitsfahrt sichergestellt hatte.
Am 1. Juli 2015 beantragte die Klägerin die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1 und C1E. Daraufhin forderte die Fahrerlaubnisbehörde die Klägerin mit Schreiben vom 20. Juli 2015 dazu auf, bis zum 30. September 2015 ein medizinischpsychologisches Gutachten vorzulegen. Hierbei wurde auf die oben dargestellten Verurteilungen Bezug genommen. Als Rechtsgrundlage für die Gutachtensanordnung wurde § 11 Abs. 3 Nr. 5 FeV genannt. Bei der Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis sei eine Begutachtung regelmäßig erforderlich, wenn mehrere vorsätzliche Fahrten nachgewiesen worden seien und /oder wenn sie neben anderen Straftaten im Verkehr begangen worden seien. Das Gutachten solle folgende Frage klären: „Ist trotz der aktenkundigen erheblichen Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr nicht zu erwarten, dass Frau … erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird?“ In diesem Schreiben wurde u. a. auch darauf hingewiesen, dass die Behörde bei Nichtvorlage des Gutachtens die Nichteignung der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen als erwiesen ansehen könne und in diesem Fall den Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ablehnen werde.
Der Klägerbevollmächtigte führte mit Schriftsatz vom 5. August 2015 aus, warum nach Meinung der Klägerseite die Forderung nach Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens zurückzunehmen sei. Nachdem die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 6. August 2015 mitgeteilt hatte, dass die Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens weiterhin gefordert werde, bat der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 20. August 2015 um Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheids.
Mit Bescheid vom 3. November 2015 lehnte der Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1 und C1E ab.
Der Bescheid wurde im Wesentlichen dahingehend begründet, dass die Klägerin am 13. November 2013 mehrere Straftaten begangen habe, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stünden. Im konkreten Fall sei die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 5 FeV das geeignetste und verhältnismäßigste Mittel, um die aufgetretenen Fahreignungsbedenken aufzuklären. Da ein derartiges Gutachten von der Klägerin verweigert werde, habe gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung der Klägerin geschlossen werden können, so dass der Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis abzulehnen sei.
Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbestätigung am 5. November 2015 zugestellt.
Am 7. Dezember 2015 ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben und beantragen:
Unter Aufhebung des Bescheids vom 3. November 2015 wird der Beklagte verurteilt, der Klägerin die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1 C1E zu erteilen.
Gleichzeitig wurde beantragt,
der Klägerin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu bewilligen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass durch den Beklagten vollkommen unberücksichtigt geblieben sei, dass auf Seiten der Klägerin lediglich einmal am 13. November 2013 strafrechtlich relevante Verstöße erfolgt seien. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei nicht von erheblichen Eignungszweifeln auszugehen. Die Taten hätten eindeutig Ausnahmecharakter und hätten im Zusammenhang mit einem familienrechtlichen Streit über das Sorgerecht für zwei Kinder gestanden. Die Klägerin sei ansonsten verkehrsrechtlich vollkommen unauffällig.
Der Beklagte beantragte mit Schreiben vom 13. Januar 2016,
die Klage abzuweisen.
In der Gutachtensaufforderung vom 20. Juli 2015 seien die Tatsachen, die die Eignungszweifel erweckten, ausdrücklich aufgeführt worden. Die erforderliche Ermessensausübung sei ausreichend dokumentiert und begründet worden, so dass die Aufforderung rechtmäßig gewesen sei. Wegen der Nichtbeibringung des Gutachtens dürfe auf die Nichteignung der Klägerin geschlossen werden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nur zum Teil begründet.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO liegen nicht vor, soweit die Klage entsprechend dem Klageantrag ausdrücklich darauf gerichtet ist, den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 3. November 2015 zu verpflichten, der Klägerin die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1 und C1E (neu) zu erteilen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Sie sind jedoch erfüllt, soweit die Klägerin unausgesprochen hilfsweise begehrt, den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 3. November 2015 zu verpflichten, ihren Antrag auf (Neu-) Erteilung der Fahrerlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Nur insoweit ist der Klägerin daher auch ihr Prozessbevollmächtigter nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen.
Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 S. 1 ZPO, § 117 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Danach kann der Klägerin, die nach den vorgelegten Erklärungen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt (nachfolgend 1.) zwar nicht bewilligt werden, soweit sie die Verpflichtung des Beklagten begehrt, ihr die Fahrerlaubnis für die Klassen B, BE, C1, C1E neu zu erteilen (nachfolgend 2.). Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aber zum maßgeblichen Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg, soweit die Klage auf die Verpflichtung des Beklagten gerichtet ist, den Antrag der Klägerin auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (nachfolgend 3.).
1. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist in der prozessualen Situation einer Verpflichtungsklage grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts. Maßgeblich für die der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zugrunde zu legende Sach- und Rechtslage ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2013 – 10 C 12.1757 – juris, Rn. 25; B.v. 19.3.2013 -10 C 13.334, 10 C 13.371 – juris Rn. 26 m. w. N.). Die Entscheidungsreife tritt dabei regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (§ 166 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ein (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39.07 u. a. – juris Rn. 1). Da die Klägerin die Belege, die der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beizufügen sind (§ 166 VwGO in Verbindung mit § 117 Abs. 2 Satz 1 Abs. 4 ZPO; vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2010 7 C 10.10396 – juris Rn. 12), mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 26. Januar 2016 vorlegte, war der Prozesskostenhilfeantrag vom 7. Dezember 2015 mit dem Eingang dieses Schreibens am 27. Januar 2016 entscheidungsreif.
2. Keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet die Klage zum danach maßgeblichen Zeitpunkt im Januar 2016 (und auch nicht zum Zeitpunkt dieser Entscheidung), soweit sie auf die Verpflichtung des Beklagten gerichtet ist, der Klägerin die Fahrerlaubnis für die Klassen B, BE, C1, C1E (ohne Überprüfung der Fahreignung) zu erteilen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach § 20 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), gelten im Verfahren auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i. d. F. d. Bek. vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, 919), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2015 (BGBl I S. 904), müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Dies ist gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 FeV der Fall, wenn sie die körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt. Gibt es hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Mangel vorliegen könnte, ist die Fahrerlaubnisbehörde nach Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV grundsätzlich verpflichtet, Maßnahmen zur Aufklärung bestehender Fahreignungszweifel zu ergreifen.
Im maßgeblichen Zeitpunkt Januar 2016 und auch noch im Zeitpunkt dieser Entscheidung bestehen Zweifel an der (charakterlichen) Eignung der Klägerin zum Führen von Kraftfahrzeugen, die bisher nicht durch ein medizinischpsychologisches Gutachten ausgeräumt wurden.
Nach dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. November 2015 (Az.: 11 BV 14.2738, juris), mit dem der Bayerische Verwaltungsgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung geändert und sich u. a. der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in seinen Entscheidungen vom 18. Juni 2012 (10 S 452/10 – juris), vom 15. Januar 2014 (10 S 1748/13 – juris), und vom 7. Juli 2015 (10 S 116/15 – DAR 2015, 592 Rn. 34 ff.) angeschlossen hat, hat die Fahrerlaubnisbehörde nach einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, im Wiedererteilungsverfahren unabhängig von der bei der Verkehrsteilnahme vorgelegenen Blutalkoholkonzentration die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV (zwingend) anzuordnen. Lag in der Vergangenheit Alkoholmissbrauch vor, wovon nach einer auf Alkoholmissbrauch beruhenden Entziehung im Sinne einer Tatbestandswirkung auszugehen ist, ist die Fahreignung gemäß Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV erst dann wieder gegeben, wenn der Missbrauch beendet und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist. Dies ist durch ein medizinischpsychologisches Gutachten aufgrund von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV zu klären. Jedenfalls kommt es nicht darauf an, ob die Entziehung wegen Alkoholmissbrauchs durch ein Strafgericht oder durch eine Verwaltungsbehörde erfolgt ist. Die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund von § 69 StGB ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung, deren Verhängung ausschließlich von der Frage der Ungeeignetheit zum Führen Kraftfahrzeugen abhängt (vgl. Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 69 StGB Rn. 1 und 12 m. w. N.). Der strafgerichtlichen Feststellung der Ungeeignetheit kommt dabei keinesfalls eine geringere Bedeutung zu als der verwaltungsbehördlichen. Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 3 Abs. 3 und 4 StVG der strafgerichtlichen Entziehung den Vorrang eingeräumt. Allein der Ablauf der vom Strafgericht festgelegten Sperrfrist führt gemäß § 69aStGB nicht dazu, dass wieder von der Fahreignung auszugehen ist. Die zeitliche Befristung der Sperre bedeutet nicht, dass die vom Strafrichter nach Maßgabe des § 69 Abs. 1 und 2 StGB verneinte Eignung mit dem Ablauf der Sperre automatisch wieder zu bejahen wäre. Die Sperrfrist gibt nur den Mindestzeitraum an, währenddessen der Verurteilte infolge seiner aus der begangenen Straftat abgeleiteten Gefährlichkeit für den Straßenverkehr in jedem Falle als ungeeignet anzusehen ist. Ob die eignungsausschließende Gefährlichkeit fortbesteht, ist im Anschluss daran von der Straßenverkehrsbehörde auch bei Ersttätern eigenständig zu beurteilen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v.20.2.1987 – 7 C 87/84 – BVerwGE 77, 40). Auch im Falle der strafgerichtlichen Entziehung wegen Alkoholmissbrauchs bedarf es daher der Überprüfung durch ein medizinischpsychologisches Gutachten, ob die Fahreignung entsprechend den Vorgaben der Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV wieder erlangt wurde.
So liegt der Fall hier.
Die Fahrerlaubnis ist der Klägerin mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 19. Dezember 2013 aufgrund ihrer Trunkenheitsfahrt (1,02 Promille) vom 13. November 2013 wegen (fahrerlaubnisrechtlichen) Alkoholmissbrauchs (hier § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB) und damit aus einem der unter den Buchstaben a bis c des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV genannten Gründe entzogen worden. Aufgrund dieser strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf der Teilnahme der Klägerin am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruhte, muss die Klägerin, um wieder eine Fahrerlaubnis zu erhalten, zunächst ihre Fahreignung durch ein medizinischpsychologisches Gutachten nachweisen, welches die Frage zu klären hat, ob zu erwarten ist, dass sie erneut unter (unzulässig hohem) Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führen wird.
Einen solchen Nachweis ihrer Fahreignung hat die Klägerin bisher nicht erbracht.
Das Vorliegen der Fahreignung wird vom Gesetz positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert; die Nichtfeststellbarkeit der Fahreignung geht zulasten des Bewerbers (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 2 StVG Rn. 41). Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange – wie hier – Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen (vgl. VGH BW, U.v. 18.6.2012 – 10 S 452/10 – VBlBW 2013, 19).
Damit stellt sich die Klage auf prüfungsfreie Neuerteilung der Fahrerlaubnis als unbegründet dar.
3. Der Klageantrag, den Antrag der Klägerin auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, der in dem weiterreichenden Antrag, den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1 und C1E zu erteilen, enthalten ist, hat dagegen hinreichende Aussicht auf Erfolg.
a) Der Bescheid des Beklagten vom 3. November 2015, mit dem der Antrag auf (Neu-) Erteilung der Fahrerlaubnis abgelehnt wurde, erweist sich als rechtswidrig. Die Fahrerlaubnisbehörde durfte nicht deshalb gemäß § 11 Abs. 8 FeV von der fehlenden Eignung der Klägerin ausgehen, weil diese das mit Schreiben vom 20. Juli 2015 geforderte medizinischpsychologische Gutachten nicht beigebracht hat. Der Schluss auf die Nichteignung ist nämlich nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, B.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04; BayVGH, B.v. 5.6.2009 – 11 CS 09.69; BayVGH, B.v. 19.2.2009 – 11 ZB 08.1466 – jeweils juris; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 11 FeV Rn. 55).
Dies ist hier nicht der Fall, da die Anordnung zur Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens vom 20. Juli 2015 nicht den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV genügte. Danach legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind.
Wie bereits unter 2. ausgeführt wurde, hat die strafrechtliche Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teilnahme der Klägerin am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruhte, zur Folge, dass die Fahrerlaubnisbehörde im Verfahren auf (Neu-)Erteilung der Fahrerlaubnis die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV zwingend anzuordnen hat, um aufzuklären, ob Alkoholmissbrauch im straßenverkehrsrechtlichen Sinne, d. h. das Unvermögen zur hinreichend sicheren Trennung eines die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsums vom Führen von Kraftfahrzeugen, vorliegt oder nicht.
Dies ist hier nicht erfolgt. Die Gutachtensanordnung wurde vielmehr auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV gestützt (was der damals herrschenden Rechtsmeinung entsprach) und die Frage zielte dementsprechend auf Aufklärung, ob die Klägerin zukünftig erheblich oder wiederholt gegen straßenverkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird. § 13 FeV ist jedoch eine Spezialvorschrift gegenüber § 11 FeV und deshalb bei Verdacht auf Alkoholmissbrauch vorrangig anzuwenden (Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 13 FeV Rn. 15).
b) Die Frage der Fahreignung kann im vorliegenden Fall durch das Gericht nicht abschließend geklärt werden. Zwar ist das Gericht grundsätzlich gehalten, die Sache spruchreif zu machen und die Tatsachen, die einen geltend gemachten Anspruch begründen oder ausschließen, selbst aufzuklären. Dem stehen vorliegend jedoch Besonderheiten entgegen (vgl. auch BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 3 C 14/01 – NVwZ-RR 2002, 93, wo ein Bescheidungsurteil wegen einer noch abzulegenden Fahrprüfung nicht beanstandet wurde). Die Aufklärung alkoholbedingter Eignungszweifel ist in den §§ 11 ff. FeV speziell geregelt. Danach obliegt es dem Fahrerlaubnisbewerber, ein von der Behörde gefordertes Gutachten in Auftrag zu geben und die Kosten der Begutachtung zu tragen (vgl. § 11 Abs. 6 FeV). Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass das Gericht an Stelle der Behörde eine Begutachtung veranlasst. Im vorliegenden Fall können die Fahreignungszweifel nach der Regelung in § 13 FeV jedoch nur durch die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens, d. h. des Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Kraftfahreignung (vgl. § 11 Abs. 3 FeV), ausgeräumt werden, welches der Mitwirkung der Klägerin bedarf. Da hierbei medizinische und psychologische Aspekte zu berücksichtigen sind, muss eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle unter anderem mit einer ausreichenden Anzahl von Ärzten und Psychologen ausgestattet sein (vgl. Anlage 14 zur FeV). Zur Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens ist die Klägerin jedoch nicht bereit, wie sich aus den Ausführungen des Klägerbevollmächtigten sowohl im Verwaltungsverfahren (Schreiben vom 5.8.2015) als auch im Klageverfahren Klageschrift vom 7.12.2105) entnehmen lässt. Sie ist der Auffassung, dass Eignungszweifel nicht vorliegen, da die abgeurteilten Straftaten, also auch die Alkoholfahrt vom 13. November 2013, eindeutig Ausnahmecharakter gehabt hätten, und sie daher einen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis gerade ohne die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens habe. Dem Anliegen der Klägerin, sich erst dann einer medizinischpsychologischen Begutachtung zu unterziehen, wenn abschließend gerichtlich geklärt ist, dass die materiellen Voraussetzungen dafür vorliegen, wird dadurch Rechnung getragen, dass der Beklagte im noch zu erlassenden Bescheidungsurteil unter Aufhebung des Bescheids vom 3. November 2015 zur Neubescheidung verpflichtet wird. Der Beklagte hat dann nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens eine formell ordnungsgemäße Gutachtensanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV zu erlassen und, wenn die Klägerin der Aufforderung nachkommt, auf der Grundlage des medizinischpsychologischen Gutachtens, sonst aufgrund von § 11 Abs. 8 FeV erneut über den Antrag zu entscheiden.
4. Liegen damit die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO vor, soweit die Klägerin die Verpflichtung des Beklagten begehrt, ihren Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, so ist der Klägerin auch nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO ihr Prozessbevollmächtigter beizuordnen. Denn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist angesichts der Bedeutung der Sache für die Klägerin erforderlich.


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