Verkehrsrecht

Vorladung zum Verkehrsunterricht

Aktenzeichen  M 23 K 16.948

Datum:
27.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVO StVO § 48
VwGO VwGO § 114
StVZO StVZO § 53a Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2

 

Leitsatz

1 Eine Ladung zum Verkehrsunterricht kommt auch in Betracht, wenn der Betroffene sich über die Folgen seines verkehrswidrigen Verhaltens nicht im Klaren ist oder zu erkennen gegeben hat, dass es ihm am erforderlichen Verantwortungsbewusstsein fehlt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Zur Hebung der Verkehrsdisziplin rechtfertigen selbst weniger gewichtige Verkehrsverstöße eine Ladung zum Verkehrsunterricht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Die streitgegenständliche Vorladung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Landratsamt hat den Kläger rechtmäßig zum Verkehrsunterricht geladen.
Das Gericht kann die getroffene Ermessensentscheidung des Beklagten gemäß § 114 S. 1 VwGO nur eingeschränkt daraufhin überprüfen, ob der Beklagte das ihm eingeräumte Ermessen erkannt, von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht und ob er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten hat.
Hiervon ausgehend lässt sich feststellen, dass das Landratsamt die gesetzlichen Grenzen des durch § 48 StVO eröffneten Ermessens nicht überschritten hat, vgl. § 114 Abs. Satz 1 VwGO.
Nach § 48 StVO ist derjenige, der Verkehrsvorschriften nicht beachtet, auf Vorladung der Straßenverkehrsbehörde verpflichtet, an einem Unterricht über das Verhalten im Straßenverkehr teilzunehmen.
Diese tatbestandlichen Voraussetzungen sind erfüllt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger am … September 2015 mit seinem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnahm, ohne einen Verbandskasten, ein Warndreieck oder eine Warnweste mitzuführen. Hierdurch missachtete der Kläger die Verkehrsvorschrift des § 35h Abs. 3 der Straßenverkehrszulassungsverordnung (StVZO) sowie der §§ 53a Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StVZO. Der von Klägerseite im Verwaltungsverfahren eingebrachte Einwand, es bedürfe eines den Verkehrsverstoß feststellenden Bußgeldbescheids, vermag das Gericht nicht zu folgen. Ein solcher ist von § 48 StVO nicht vorgesehen. Tatbestandlich ausreichend ist vielmehr jeder Verkehrsverstoß, ohne Rücksicht auf dessen Ahndung. Zudem wurden die von Klägerseite begangenen Verkehrsverstöße bestandskräftig mit der Verwarnung samt Verwarngeld vom 22. September 2015 geahndet.
Bei der damit durch § 48 StVO eröffneten Ermessensentscheidung sind keine Ermessensfehler ersichtlich.
Insbesondere liegt der von Klägerseite angenommene Ermessensfehlgebrauch nicht vor. Das Landratsamt hat in einer dem Zweck des § 48 StVO entsprechender Weise von der Ermächtigung Gebrauch gemacht, indem sie ausweislich der Bescheidsbegründung auf das beim Kläger gegebene Erziehungsbedürfnis abgestellt hat. Entgegen der von Klägerseite vorgetragenen Ansicht kann eine Ladung zum Verkehrsunterricht nämlich nicht nur gerechtfertigt sein, wenn dem Betroffenen die Kenntnis einzelner Verkehrsvorschriften fehlt. Vielmehr kommt eine solche auch in Betracht, wenn der Betroffene sich über die Folgen seines verkehrswidrigen Verhaltens nicht im Klaren ist oder zu erkennen gegeben hat, dass es ihm am erforderlichen Verant-wortungsbewusstsein fehlt (BVerwG, U.v. 18.9.1970 – VII C 53.69 – juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 22.10.1990 – 11 B 90.655 – juris; B.v. 25.10.2012 – 11 ZB 12.985 juris Rn. 14 ff.). So dient der Verkehrsunterricht auch der Weitergabe von Erfahrungen, die gerade beim Verkehrsunterricht die Notwendigkeit einzelner Verkehrsregelungen sichtbar machen sollen, um erzieherisch auf den Betroffenen einzuwirken. Damit soll letztlich die Verkehrsdisziplin gehoben werden (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage 2013, § 48 StVO Rn. 8; Müller, in: Fachanwaltskommentar Verkehrsrecht, 2. Auflage 2014, § 48 StVO Rn. 5; Jan-ker/Hühnermann/BeckOK, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage 2016, § 48 StVO Rn. 4). Indem das Landratsamt ausweislich der im Bescheid gegebenen Begründung diesen Erziehungszweck verfolgt, hat es von dem Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung Gebrauch gemacht. Ein Ermessensfehlgebrauch ist demnach nicht gegeben.
Die Ermessensausübung begegnet auch im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit keinen Bedenken. Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass es sich bei den festgestellten Verstößen um keine solchen von besonderem Gewicht handelt. Nichtsdestotrotz lässt § 48 StVO die Ladung zum Verkehrsverstoß auch bei Verkehrsverstößen der festgestellten Art zu (s.o.). So steht der Anordnung nicht entgegen, dass ein Verstoß gegen § 35h Abs. 3 StVZO (Warnweste) nur mit EUR 5,00,- und Verstöße gegen § 53a Abs. 2 Nr. 1 (Warndreieck) und Nr. 3 (Warnweste) jeweils mit EUR 15,00,-geahndet werden (§ 69a Abs. 3 Nr. 7c, Nr. 19 StVZO i.V.m. Nr. 206.2 u. 222.6 der Bußgeldkatalog-Verordnung – BKatV).
Liegen dem Sachverhalt aber konkrete Umstände zugrunde, welche beim Betroffenen erkennbar ein fehlendes Verantwortungsbewusstsein aufweisen, so rechtfertigen zur Hebung der Verkehrsdisziplin selbst weniger gewichtige Verkehrsverstöße eine Ladung zum Verkehrsunterricht (BayVGH, U.v. 18.9.1970 – VII C 53.69 – juris Rn. 13).
Vor diesem Hintergrund erweist sich die Anordnung in Nr. 1 des Bescheids auch als angemessen. Der Kläger hat in der Verkehrskontrolle vom *. August 2015 durch seine Aussagen klar zum Ausdruck gebracht, dass er die Pflicht zum Mitführen des Ers-te-Hilfe-Materials, des Warndreiecks und der Warnweste als nicht wichtig erachtet, ihm dies sogar „egal“ sei. Dem hat der Kläger hinzugefügt, „in so ein Auto passe das nicht rein“. Hiermit gab der Kläger unmissverständlich zum Ausdruck, dass er die Optik seines … Oldtimers über die Sicherheit im Straßenverkehr stellt. Aufgrund dieser und weiterer Aussagen des Klägers waren genügend Anhaltspunkte gegeben, welche die Annahme der kontrollierenden Polizeibeamten stützen, dass der Kläger die mitzuführenden Gegenstände auch zukünftig nicht in seinem … mitführen werde. Diese berechtigte Annahme wird zudem dadurch gestützt, dass der Kläger sich seiner Verkehrsverstöße durchaus bewusst war. So hat sein Bevollmächtigter vor Bescheiderlass mit Schreiben vom … Januar 2016 erklärt, dass der Kläger aufgrund seiner langjährigen Fahrpraxis zu der gegenständlichen Thematik nichts dazu-lernen könne, da er die Verkehrsvorschriften aufgrund seiner jahrelangen Fahrpraxis kenne. In der mündlichen Verhandlung gab der Prozessbevollmächtige wiederum kund, dass der Kläger die gegenständlichen Verkehrsverstöße durchaus kenne. War der Kläger sich seines verkehrswidrigen Verhaltens aber bewusst, wiegt sein Verhalten schwerer und offenbart umso mehr ein Bedürfnis nach einer Verkehrserziehung.
Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht dessen, dass Vorladung zum Verkehrsunterricht lediglich von geringer Eingriffsintensität gekennzeichnet ist, ist Nr. 1 des Bescheids verhältnismäßig und damit insgesamt rechtmäßig.
Ebenso erweist sich die Zwangsgeldandrohung als rechtmäßig. Gleiches gilt im Hinblick auf die Kostenfestsetzung (Gebühren und Auslagen). Sie beruht auf § 6a Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Satz 1 StVG i.V.m. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) und Gebühren-Nummer 262 der Anlage zur GebOSt und bewegt sich im untersten Bereich des Gebührenrahmens.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO und unter dem Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO abzuweisen.


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