Verkehrsrecht

Warn- und Erziehungsfunktion des Stufensystems bei Entzug der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  Au 7 K 16.1459

Datum:
16.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 144752
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 4 Abs. 5 S. 5, Abs. 6 S. 2, S. 3

 

Leitsatz

1 Nach § 65 Abs. 3 Nr. 3 S. 1 StVG in der Fassung ab dem 1.5.2014 sind auf Entscheidungen, die bis zum Ablauf des 30.4.2014 begangene Zuwiderhandlungen ahndeten und erst nach diesem Termin im Fahreignungsregister gespeichert worden sind, die Neuregelungen des Fünften Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 28.8.2013 anzuwenden, wozu auch das in § 4 Abs. 2 S. 3 gesetzlich fixierte Tattagsprinzip gehört. Für die Frage, auf welcher Tatsachengrundlage bzw. unter Zugrundelegung welcher zeitlichen Abfolge die Umrechnung „alter“ in „neue“ Punkte zu erfolgen hat, ist indessen in § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG nF eine hiervon abweichende Sonderregelung getroffen worden. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
2 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Rückwirkung bestehen nicht. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zutragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO).
Die zulässige Klage führt in der Sache nicht zum Erfolg. Der Bescheid des Landratsamts … vom 13. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die Entziehung der Fahrerlaubnis durfte hier erfolgen, weil der Kläger zwischenzeitlich 8 Punkte im Fahreignungsregister (FAER) erreicht hatte, und zwar unabhängig davon, ob die Warn- und Erziehungsfunktion des Mehrfachtäterpunktesystems, die für die Bestimmungen des § 4 StVG in der bis zum 30. April 2014 geltenden Fassung des Gesetzes (im Folgenden StVG a.F.) anerkannt war, bereits durch die zum 1. Mai 2014 Fassung des Gesetzes, oder erst durch die zum 5. Dezember 2014 in Kraft getretenen Fassung entfallen ist. Die Übergangsregelungen des § 65 Abs. 3 StVG lassen eine andere Berechnung nicht zu.
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis im angefochtenen Bescheid stützt sich auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 5. März 2003, BGBl I S. 310, berichtigt S. 919, zuletzt geändert durch Art. 15 G vom 24.5.2016, BGBl I S. 1217 – StVG. Danach hat die Behörde eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich für deren Inhaber 8 Punkte oder mehr im Fahreignungs-Bewertungssystem ergeben, da dieser dann als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt.
Maßgeblich ist dabei die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten Behördenentscheidung, hier also – ein Widerspruchsverfahren wurde nicht durchgeführt – der Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheids am 15. September 2016.
Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG ist für das Ergreifen der jeweiligen Maßnahmen im Fahreignungs-Bewertungssystem nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Er-greifung der jeweiligen Maßnahme führenden Tat ergibt (Tattagsprinzip). Gemäß § 4 Abs. 6 StVG darf die Behörde eine Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG nur ergreifen, wenn sie vorher die Maßnahme der jeweils davor liegenden Stufe ergriffen hat. Sofern dies nicht der Fall war, ist die Maßnahme der jeweils vorherigen Stufe zu ergreifen und der Punktestand verringert sich (§ 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 StVG).
Seit der Fassung des § 4 Abs. 5 und 6 StVG wie sie durch Gesetz vom 28. November 2014 (BGBl I S. 1802) erfolgte und zum 5. Dezember 2014 in Kraft getreten ist, gilt, dass Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor dieser Verringerung begangen wurden und von denen die nach Landesrecht zuständige Behörde erst danach erfährt, den sich nach der Verringerung ergebenden Punktestand erhöhen (§ 4 Abs. 6 Satz 4 StVG).
Nach der gesetzlichen Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG (Stand ab 1. Mai 2014) ist auf Entscheidungen, die bis zum Ablauf des 30. April 2014 begangene Zuwiderhandlungen ahnden und erst ab dem 1. Mai 2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, das Gesetz in der ab dem 1. Mai geltenden (wohl jeweiligen) Fassung anzuwenden. Die Umrechnung der Punkte, die im Verkehrszentralregister nach dem Straßenverkehrsgesetz in der bis zum 30. April 2014 geltenden Fassung des Gesetzes (StVG a.F.) gespeichert sind, erfolgt nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG. Nachträgliche Veränderungen des Punktestands im Verkehrszentralregister (z.B. durch Tilgungen) werden (nur) nach Maßgabe des § 65 Abs. 3 Nr. 6 StVG berücksichtigt.
2. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat der Kläger hier zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses 8 Punkte im Fahreignungsregister erreicht.
a) Im Einzelnen darf hierzu zunächst auf die Darstellung der Berechnung der alten und neuen Punkte durch die Fahrerlaubnisbehörde im Bescheid vom 13. September 2016 Bezug genommen werden (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO). Die Berechnungen sind inklusive der insoweit erfolgten Punktereduzierungen und berücksichtigten Tilgungen zunächst korrekt. Die Fahrerlaubnisbehörde hat die jeweils nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG a.F. erforderlichen Maßnahmen zutreffend durchgeführt.
Die erste und zweite Maßnahmestufe nach dem Punktesystem des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG a.F. wurden für den Kläger korrekt durchlaufen. Er war am 27. August 2010 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a.F. mit Hinweis auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar verwarnt worden (s. Nr. 5 in der oben unter I.4 dargestellten Tabelle) beim Stand von 9 Punkten (Maßnahme der Stufe 1). Am 4. Juli 2012 erfolgte die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG a.F. (zweite Stufe) bei einem – bekannten – Punktestand von 16 Punkten (s. Tabelle Nr. 9). Durch die Tat vom 20. April 2012 (Tabelle Nr. 11, 3 Punkte) erhöhte sich der Punktestand zum Tattag 20. April 2012 auf 19 Punkte. Da sich diese Punkte jedoch vor der Verwarnung vom 4. Juli 2012 (Tabelle Nr. 9) ergeben hatten, war gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG a.F. eine Punktereduzierung auf 17 Punkte vorzunehmen. Im Folgenden ergaben sich zwei Tilgungen (Tabelle Nr. 12, 13; insgesamt 5 Punkte Abzug). Der Kläger konnte seinen Punktestand somit auf 12 Punkte abbauen. Er wurde daher beim erneuten Erreichen von 15 – bekannten – Punkten durch den Verkehrsverstoß vom 6. August 2013, rechtskräftig am 25. Oktober 2013, zum zweiten Mal am 13. November 2013 nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG a.F. verwarnt (Tabelle Nr. 16), da er diese zweite Maßnahmestufe zum zweiten Mal „von unten“ erreicht hatte.
Erst am 29. November 2013 wurde die Tat vom 15. Mai 2013 (Rechtskraft 23. Oktober 2013, 3 Punkte, Tabelle Nr. 17) bekannt, durch die der Kläger zum Tattag 15. Mai 2013 wiederum 18 Punkte erreicht hatte. Auch hier war wiederum gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG a.F. eine Reduzierung auf 17 Punkte vorzunehmen, da die Tat vor der Verwarnung vom 13. November 2013 (Tabelle Nr. 16) stattgefunden hatte.
Die für eine erneute Verwarnung maßgebliche 14-Punkte-Grenze hat der Kläger danach nicht mehr unterschritten, es musste also im Folgenden keine erneute Verwarnung mehr erfolgen. Durch die Tilgung der Tat vom 20. September 2008 (1 Punkt, Nr. 3 der Tabelle) und einen Abzug von 2 Punkten wegen der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung (Tabelle Nr. 19), ergaben sich zum Zeitpunkt der Umstellung auf das Fahreignungsregister zum 1. Mai 2014 insgesamt 14 Punkte nach dem alten System. Diese am 1. Mai 2014 verbliebenen 14 Punkte im Verkehrszentralregister waren gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG in 6 Punkte im Fahreignungsregister umzurechnen. Der Kläger war somit in die Stufe zwei des Maßnahmensystems des § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG (Verwarnung) einzuordnen. Diese Einordnung allein führte nicht dazu, dass die Maßnahme der Stufe zwei des Fahreignungs-Bewertungssystems zu ergreifen gewesen wäre (§ 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG), da die Stufe zwei (14 bis 17 Punkte) im Verkehrszentralregister bereits erreicht war und die entsprechende Maßnahme am 13. November 2013 von der Fahrerlaubnisbehörde ergriffen worden war. Eine gesonderte Information des Betroffenen über die Umstellung und Einordnung ist im vom Gesetz nicht vorgesehen.
b) Erst nach Umstellung auf das Fahreignungsregister zum 1. Mai 2014 wurde der Verkehrsverstoß vom 21. September 2013 (Tabelle Nr. 21) am 1. September 2014 rechtskräftig und somit ins FAER eingetragen, gemäß der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG in der ab dem 1. Mai 2014 geltenden Fassung mit 1 Punkt nach dem neuen Punktesystem (auch nach der Rechtslage vor dem 1. Mai 2014 hätte der Kläger für diese Ordnungswidrigkeit einen Punkt im Verkehrszentralregister erworben, vgl. Nr. 7 i.V.m Nr. 5.4 der Anl. 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – in der bis zum 30. April 2014 gültigen Fassung). Die zugrundeliegende Tat war noch vor der (letzten) Verwarnung vom 13. November 2013 (Tabelle Nr. 16) begangen worden. Durch den zeitlich nach Nr. 17 und vor Nr. 16 der Tabelle gelegenen Verstoß hätte der Kläger ohne die Rechtsänderung nach dem StVG a.F. zum Tattag 21.9.2013 wiederum (nur) 17 Punkte erreicht (§ 4 Abs. 5 Satz 2 StVG a.F.).
Dieser Verstoß wurde jedoch rechtskräftig erst nach der Änderung des Gesetzes zum 1. Mai 2014, aber noch vor der weiteren Änderung des § 4 Abs. 5, 6 StVG durch Gesetz vom 28. November 2014 (BGBl I S. 1802), mit der diese Bestimmung zum 5. Dezember 2014, also erst nach der Eintragung dieses Punktes, ihre nunmehr aktuelle Fassung erhielt. Der Kläger beruft sich nun darauf, dass wiederum gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG a.F. eine Reduzierung auf 17 Punkte vorzunehmen sei, da die Tat vor der Verwarnung vom 13. November 2013 stattgefunden hatte, bzw. dass dieser Punkt nicht zu berücksichtigen sei, weil dem Gesetz in der Fassung vor dem 5. Dezember 2014 ebenso noch eine Warn- und Erziehungsfunktion zukam, wie der Regelung nach StVG a.F.
c) Nach der bis zum 1. Mai 2014 geltenden Fassung des Gesetzes (im Folgenden StVG a.F.) war anerkannt, dass dem Stufensystem des § 4 Abs. 3 StVG a.F. eine sogenannte Warn- und Erziehungsfunktion zukam. Die Punkte wurden jeweils reduziert, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber eine maßgebliche Punktezahl erreicht oder überschritten hatte, ohne dass die einschlägige Maßnahme des Stufensystems ergriffen worden war (§ 4 Abs. 5 StVG a.F.). Wurden der Behörde nach Ergreifen einer Maßnahme weitere Punkte für Taten bekannt, die vor Ergreifen der Maßnahme begangen wurden, waren diese Punkte nicht zu berücksichtigen, es blieb bei der reduzierten Punktezahl.
Die Bestimmung des § 4 Abs. 5 StVG a.F. sollte nach dem Regelungskonzept des Gesetzgebers mithin sicherstellen, dass die Ungeeignetheitsvermutung des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG a.F. aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erst greift, wenn der Betroffene zuvor alle „Warnstufen“ durchlaufen hat, um sein Verhalten rechtzeitig zu ändern bzw. die vorgesehenen Punktereduzierungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen.
Ob diese Warn- und Erziehungsfunktion, die dem Punktsystem des § 4 Abs. 3 StVG a.F. zugrunde lag, bereits mit der Gesetzesänderung zum 1. Mai 2014, oder erst mit der Neufassung des § 4 Abs. 5 und 6 StVG durch Gesetz vom 28. November 2014 (BGBl I S. 1802) zum 5. Dezember 2014 entfallen ist, ist umstritten und nicht abschließend geklärt (offen gelassen, BVerwG, U.v. 26.1.2017 – 3 C 21/15 – juris, Rn. 32, sowie BayVGH, B.v. 25.10.2016 – 11 CS 16.1875 – juris; Abkehr von der Warn- und Erziehungsfunktion erst in der ab dem 5.12.2014 gültigen Fassung des Gesetzes SächsOVG, B.v. 7.7.2015 – 3 B 118/15 – juris, Rn 14).
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt im Beschluss vom 25. Oktober 2016 (a.a.O.; zu einem ähnlich gelagerten Fall) aus, es spreche vieles dafür, dass erst mit der Einfügung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG zum 5. Dezember 2014 die Abkehr von der Warn- und Erziehungsfunktion im Gesetzestext hinreichend zum Ausdruck gekommen sei. Der Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 1 und 2 StVG in der Fassung vor dem 5. Dezember 2014 habe dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 Satz 1 und 2 StVG a.F. entsprochen. Daraus habe wohl nicht gefolgert werden können, dass mit der Rechtsumstellung zum 1. Mai 2014 eine Abkehr von der Warn- und Erziehungsfunktion einhergehen sollte. Auch die damalige Gesetzesbegründung habe dies nicht nahegelegt. Erst in der Begründung zu § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG in seiner jetzigen Fassung (s. BT-Drucks. 18/2775, S. 10) werde ausgeführt, dass damit eine Ausnahme vom Tattagsprinzip normiert wird (BayVGH, B. v. 25.10.2016 – 11 CS 16.1875 – m.w.N., juris). Die aufschiebende Wirkung der Klage in dem diesem Beschluss zugrunde liegenden Fall wurde daher vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof angeordnet, weil nach Umstellung auf das FAER Punkte für Zuwiderhandlungen gespeichert wurden, die erst nach Umstellung bekannt wurden, aber bereits vor der letzten Verwarnung begangen worden waren. Dementsprechend war durch die Kammer auch im vorliegenden Fall die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden.
d) Auf die Frage, mit welcher Gesetzesfassung die Warn- und Erziehungsfunktion entfallen ist, kommt es hier jedoch nicht entscheidend an, sie kann deshalb offen bleiben. Denn aufgrund der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG Fassung 1. Mai 2014, gleichlautend Fassung 5. Dezember 2014, ist für die Entscheidung das Gesetz in der bis zum 1. Mai 2014 geltenden Fassung jedenfalls nicht anzuwenden. Gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG n.F. sind auch nur Punkte, die in das Verkehrszentralregister eingetragen waren, in Punkte nach dem FAER umzurechnen. Dies war hier bei dem Punkt für die Tat vom 21. September 2013 nicht der Fall; die ihm zugrundeliegende Zuwiderhandlung war nie im Verkehrszentralregister eingetragen, so dass dieser Punkt nicht bei der Umrechnung zu berücksichtigen war. Vielmehr war er nach der Umrechnung der im Verkehrszentralregister am 1. Mai 2014 eingetragenen 14 Punkte auf 6 Punkte im FAER gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG nach der neuen Fassung des Gesetzes zu berücksichtigen. Somit trat er zu den 6 Punkten, die aufgrund der Umrechnung entstanden waren, hinzu, was mit dem Tattagsprinzip bzw. der Warn- und Erziehungsfunktion früherer Gesetzesfassungen insoweit nicht kollidiert, als die Übergangsvorschriften hierzu als Sonderregelung gegenüber der Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG in der Fassung ab dem 1. Mai 2014 anzusehen sind.
aa) Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen ist insoweit wie folgt zu zitieren:
„Nach § 65 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 StVG in der Fassung ab dem 1. Mai 2014 sind auf Entscheidungen, die bis zum Ablauf des 30. April 2014 begangene Zuwiderhandlungen ahndeten und erst nach diesem Termin im Fahreignungsregister gespeichert worden sind, die Neuregelungen des Fünften Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 28. August 2013 anzuwenden. Desgleichen trifft zu, dass zu diesen Neuregelungen auch das nunmehr in § 4 Abs. 2 Satz 3 gesetzlich eindeutig fixierte Tattagsprinzip (…) gehört. Für die hier in Rede stehende Frage, auf welcher Tatsachengrundlage bzw. unter Zugrundelegung welcher zeitlichen Abfolge die Umrechnung „alter“ in „neue“ Punkte zu erfolgen hat, ist indessen in § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG n.F. eine hiervon abweichende Sonderregelung getroffen worden. Nach Satz 1 dieser Bestimmung sind Personen, zu denen bis zum Ablauf des 30. April 2014 eine oder mehrere Entscheidungen im – vormals so bezeichneten – Verkehrszentralregister gespeichert worden sind, nach der Tabelle zu § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG n.F. in das (neue) Fahreignungs-Bewertungssystem einzuordnen, was für den mit 14 „alten“ Punkten vorbelasteten Antragsteller zu einem neuen Punktestand von sechs geführt hat. § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 2 StVG n.F. bestimmt, dass die aufgrund dieser Einordnung am 1. Mai 2014 erreichte Stufe für Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zugrunde gelegt wird. Aus diesen – in der Gegenüberstellung mit § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG n.F. spezielleren – Bestimmungen folgt mit hinlänglicher Klarheit, dass für die Umrechnung des vormaligen Punktestandes in Punkte nach dem neuen Fahreignungs-Bewertungssystem auf die bei Ablauf des 30. April 2014 eingetragenen Punkte abzustellen ist. Aus § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG n.F. folgt nichts Abwei-chendes. Wenn nach dieser Bestimmung allein die Einordnung nach Satz 1 nicht zu einer Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem führt, bedeutet das nur, dass die nach den neuen Bestimmungen zu treffenden Sanktionsstufen nicht nur wegen des neuen Punktestandes – zusätzlich zu den schon nach dem alten Punktsystem ergriffenen Maßnahmen – beschritten werden müssen. Vorliegend geht es indessen um eine Maßnahme, nämlich die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG n.F., die nicht allein auf der Neueinordnung vorhandener Punkte beruht, sondern zusätzlich darauf, dass nach der Einordnung weitere Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr in das Fahreignungsregister Eingang gefunden haben. Bestätigt wird die Beschränkung der Umrechnung auf die bis zum Ablauf des 30. April 2014 in das Fahreignungsregister eingetragenen Zuwiderhandlungen bzw. Punkte durch § 65 Abs. 3 Nr. 6 StVG n.F. Soweit in dieser Bestimmung angeordnet wird, dass nachträgliche Veränderungen des Punktestandes nach den Nummern 2 (betrifft Tilgungen) und 5 (betrifft Punkteabzüge wegen der Teilnahme an einem Aufbauseminar oder einer verkehrspsychologischen Beratung) zu einer Aktualisierung der nach der Tabelle zu § 65 Abs. 3 Nr. 4 erreichten Stufe im Fahreignungs-Bewertungssystem führen, verdeutlicht das im Umkehrschluss, dass in sonstigen Fällen der nachträglichen Änderung von Punkteständen, also auch im vorliegenden Fall der nachträglichen Eintragung von punktebewehrten Zuwiderhandlungen in das Fahreignungsregister, keine aktualisierte Umrechnung von Punkten stattfinden soll“ (OVG NW, B.v. 15.4.2015 – 16 B 81/15 – juris, Rn. 7).
bb) Etwas anderes ergibt sich nicht mit Blick auf das nunmehr in § 4 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 5 StVG n.F. normierte sog. Tattagprinzip. Zwar ist dort – in § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG n.F. – geregelt, dass sich Punkte mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben, sofern sie rechtskräftig geahndet wird, und hat die zuständige Behörde dementsprechend – nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG n.F. – für das Ergreifen von Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG n.F. auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Hieraus ergibt sich indes nichts für die Frage, wie die Punktestände nach altem Recht in das neue Recht überführt werden und nach welchen Maßgaben Punkte zu berücksichtigen sind, die auf unter Geltung des alten Rechts begangenen Taten beruhen und erst unter Geltung des neuen Rechts in das (Fahreignungs-) Register eingetragen werden. Insoweit treffen die Übergangsregelungen in § 65 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 und Nr. 4 Satz 1 StVG n.F. eine Sonderregelung, die der Verwaltungspraktikabilität dienen soll (vgl. dazu die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 17/12636, S. 50) und die gerade eine Ausnahme von dem ansonsten nach neuem Recht geltenden Tattagprinzip normiert (OVG Hamburg, B.v. 16.11.2015 – 4 Bs 207/15 -, Rn. 14, juris m.w.N.).
Es ist auch nicht ersichtlich, wie die Nichtberücksichtigung des fraglichen Punktes erfolgen könnte.
§ 4 Abs. 5 StVG a.F. ist seit dem 1. Mai 2014 nicht mehr anwendbar, so dass eine Reduzierung wegen Überschreitung von 18 Punkten (§ 4 Abs. 5 Satz 2 StVG a.F.) auf 17 Punkte wegen der nach dem 30. April 2014 eingetretenen Rechtskraft nunmehr nicht mehr erfolgen kann.
Eine Reduzierung nach den Bestimmungen des § 4 Abs. 6 StVG in der Fassung, wie sie vom 1. Mai 2014 bis 4. Dezember 2014 anwendbar war, kommt ebenfalls nicht in Betracht, da keine Überschreitung von sechs Punkten ohne Ergreifung der Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes in dieser Fassung bzw. keine Überschreitung von 8 Punkten ohne Ergreifung der Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes in dieser Fassung vorliegt. Da die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG a.F. gegen den Kläger ergriffenen Maßnahmen (Verwarnungen) gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG in der aktuellen Fassung quasi fortgelten, kann nunmehr nicht davon ausgegangen werden, dass Maßnahmen vor Eintragung des Punktes noch nicht ergriffen wurden.
Wird hingegen auf den Tattag 21. September 2013 abgestellt, wären die genannten Maßnahmen zur Punktereduzierung nach den neueren Fassungen des Gesetzes ohnehin nicht zu ergreifen gewesen, weil die Regelung damals noch nicht galt.
Insgesamt muss daher davon ausgegangen werden, dass auf den unter Nr. 13 der Tabelle erfassten Punkt gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 StVG das Gesetz in seiner neuen Fassung anzuwenden ist, sodass unabhängig von der konkreten Fassung des § 4 Abs. 5 und 6 StVG nach dem 1. Mai 2014 aufgrund der Übergangsregelungen in § 65 Abs. 3 Nr. 3, 4 und 6 StVG der für die Tat vom 21. September 2013 eingetragene Punkt zu berücksichtigen ist.
cc) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Übergangsregelungen in § 65 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 und Nr. 4 Satz 1 StVG n.F. bestehen ebenfalls nicht. Soweit in § 65 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 StVG n.F. der Sache nach normiert ist, dass das neue Recht auch auf Taten anzuwenden ist, die bereits vor seiner Geltung begangen worden sind, ist hiermit zwar eine sog. unechte Rückwirkung verbunden. Eine unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung liegt vor, wenn die Rechtsfolgen einer Norm zwar erst nach ihrer Verkündung eintreten, deren Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits vor der Verkündung „ins Werk gesetzt“ worden sind (vgl. BVerfG, B.v. 7.12.2010, 1 BvR 2628/07, BVerfGE 128, 90, juris Rn. 47, m.w.N.). So liegt es hier, weil die von § 65 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1 StVG n.F. erfassten Taten bereits vor Inkrafttreten der Norm begangen worden sind, ohne dass ihre (verkehrs-) rechtliche Bewertung bereits in der Vergangenheit abgeschlossen worden ist. Die Ahndung der hier inmitten stehenden Ordnungswidrigkeit wurde zwar am 1. September 2014, und damit noch vor Inkrafttreten der letzten Änderung des Gesetzes rechtskräftig. Gleichwohl ist eine abschließende rechtliche Bewertung in verkehrsrechtlicher Hinsicht gerade noch nicht erfolgt, so dass es sich nicht um eine echte Rückwirkung handelt. Eine unechte Rückwirkung ist jedoch mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes vereinbar, wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.7.2010, 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 31, juris Rn. 79 f., m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall, weil das Vertrauen eines wiederholt in Erscheinung tretenden Verkehrsteilnehmers darauf, dass sich die gefahrenabwehrrechtliche Bewertung seiner Verkehrsverstöße für die Zukunft nicht ändert, nicht oder jedenfalls nicht überwiegend schutzwürdig ist. Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegen halten, dass er benachteiligt werde, weil er von seinem Recht auf Inanspruchnahme von Rechtsschutz gegen die Ahndung der ihm vorgeworfenen Verkehrsverstöße Gebrauch gemacht habe. Dass in seinem Fall die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht vorgelegen hätten, wenn auch die am 21. September 2013 begangene Tat noch in das Verkehrszentralregister eingetragen worden wären, spricht nicht gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der hier relevanten gesetzlichen Übergangsregelungen. Die Übergangsregelungen in § 65 Abs. 3 Nr. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 StVG n.F. sehen keinerlei Differenzierungen vor, sondern sie stellen nach Art einer Stichtagsregelung unterschiedslos und ohne Rücksicht auf die hierfür maßgeblichen Gründe auf den Zeitpunkt der Eintragung von Taten im (Verkehrszentralbzw. Fahreignungs-) Register ab. Sie machen die Anwendung des neuen Rechts insbesondere nicht davon abhängig, dass der Betroffene zuvor gegen die Ahndung einer Tat Rechtsmittel eingelegt hat. Gerade die damit verbundene Zufälligkeit (kritisch VGH BW, B.v. 31.3.2015, 10 S 2417/14, NJW 2015, 2134, juris Rn. 7) zeigt, dass es sich bei den für den Kläger nachteiligen Folgen der Anwendung der Übergangsregelung nicht um eine in der Vorschrift angelegte Benachteiligung wegen der Inanspruchnahme von Rechtsschutz handelt, sondern um eine Folge, die mit einer Stichtagsregelung stets verbunden sein kann (zum Ganzen OVG Hamburg, B.v. 16.11. 2015 – 4 Bs 207/15 – juris, Rn. 16ff.).
e) Der für die Tat vom 21. September 2013 eingetragene Punkt konnte und musste somit bei der Berechnung des aktuellen Punktestands berücksichtigt werden; der Kläger hatte im Zeitpunkt des Bescheidserlasses 8 Punkte erreicht:
Zu den 12 Punkten, die nach Tilgung des Verkehrsverstoßes vom 6. Februar 2008 am 23. Februar 2013 (Tabelle Nr. 13) noch übrig waren, waren zum Tattag „6. August 2013“ 3 Punkte (Tabelle Nr. 15), zum Tattag „15. Mai 2013“ (Tabelle Nr. 17) 3 Punkte hinzugekommen. Da der letztere Verkehrsverstoß zum Zeitpunkt der Verwarnung (Tabelle Nr. 16) wegen späterer Rechtskraft bei der Verwarnung nicht berücksichtigt werden konnte, hat das Landratsamt hier zu Recht gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG a.F. eine Punktereduzierung auf 17 vorgenommen. Durch die Tilgung Tabelle Nr. 18 und die Reduzierung Tabelle Nr. 19 ergaben sich zum Stichtag 30. April 2014 somit 14 Punkte, die in 6 Punkte nach dem FAER umgerechnet wurden.
Hinzu kam sodann der Punkt für die Tat vom 21. September 2013 (Tabelle Nr. 21). Nach dem oben Gesagten war dieser Punkt nicht zum Tattag 21. September 2013 zu berücksichtigen, so dass die zu diesem Tattag erreichten 18 Punkte dann nachträglich wieder aufgrund § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG a.F. wiederum zu einer Punktereduzierung auf 17 und aufgrund der Tilgung Tabelle Nr. 18 und die Reduzierung Tabelle Nr. 19 wiederum zu 14 Punkten geführt hätten und erneut eine Umrechnung vorzunehmen gewesen wäre. Vielmehr kam dieser Punkt zu den zum Stichtag bereits umgerechneten 6 Punkten hinzu.
Die nunmehr zu berücksichtigenden 7 Punkte im Fahreignungsregister wurden durch die Tilgung der Punkte für den Verkehrsverstoß vom 31. Mai 2010 am 30. Juni 2015 (Tabelle Nr. 23) auf 6 reduziert. Durch die beiden Punkte aus dem Verkehrsverstoß vom 12. September 2015 haben sich somit nunmehr 8 Punkte ergeben, so dass die Fahrerlaubnis zu entziehen war und die Klage erfolglos bleibt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).


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