Versicherungsrecht

Coronavirus, SARS-CoV-2, Versicherungsschutz, Versicherungsnehmer, Berufung, Rechtsanwaltskosten, Versicherungsbedingungen, Versicherer, Auslegung, Rechtsverfolgungskosten, Leistungsbeschreibung, Versicherung, Berufungsverfahren, Klausel, Zahlung, Klage, Treu und Glauben, unangemessene Benachteiligung, keinen Erfolg

Aktenzeichen  25 U 6330/21

Datum:
3.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6332
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

23 O 4131/21 2021-08-19 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19.08.2021, Az. 23 O 4131/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 42.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger betreibt ein Speiselokal in Frankfurt am Main. Er unterhält bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung. Vereinbart sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung infolge von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern – AVBdyn.BS – „BS 311/05“ (fortan: AVBdyn.BS; Anlage K 4).
Der Kläger macht Betriebsschließungen vom 18. März bis 15. Mai 2020 sowie vom 2. bis 25. November 2020 und in der Folgezeit bis März 2021 aufgrund der öffentlichen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 geltend, wobei vom 2. bis 15. November 2020 Tätigkeitsverbote wegen COVID-19-Erkrankungen des Klägers und vierer Mitarbeiter bestanden hätten. Der Kläger hat Zahlung von 42.000 € Tagesentschädigung nebst Zinsen und Rechtsverfolgungskosten verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Der Kläger beantragt,
Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München vom 19.08.2021 – Az. 23 O 4131/21, zugestellt am 19.08.2021, wird beantragt,
1.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 42.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2.die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.142,14 freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klagepartei zurückzuweisen.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Der Senat hat mit Beschluss vom 30. November 2021 (Bl. 181/183 d. A.) Hinweise erteilt.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
1. Nach § 1 AVBdyn.BS besteht kein Versicherungsschutz für Betriebsschließungen zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 (fortan auch: Corona). § 1 Abs. III AVBdyn.BS ist als abschließende Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger auszulegen und wirksam. Corona ist in dieser abschließenden Aufzählung nicht enthalten.
a) § 1 AVBdyn.BS ist so zu verstehen, dass Versicherungsschutz nur besteht, wenn der Betrieb geschlossen wird zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten, die in § 1 Abs. III Nr. 1, und von Krankheitserregern, die in § 1 Abs. III Nr. 2 AVBdyn.BS aufgezählt sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2022 – IV ZR 144/21, zVb in BGHZ Rn. 13 ff zu ähnlichen Bedingungen mit abschließendem Katalog). Krankheiten und Erreger, die in diesen Listen nicht enthalten sind, sind auch dann nicht in den Versicherungsschutz einbezogen, wenn sie in den §§ 6 und 7 IfSG genannt sind.
aa) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Werden Versicherungsverträge typischerweise mit und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, so sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises maßgebend (BGH, Urteil vom 25. Mai 2011 – IV ZR 117/09, r+s 2011, 295 Rn. 22). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10. April 2019 – IV ZR 59/18, NJW 2019, 2172 Rn. 17 mwN).
bb) Nach diesen Grundsätzen ist § 1 AVBdyn.BS im Sinne einer abschließenden Aufzählung auszulegen.
(1) § 1 AVBdyn.BS ist überschrieben mit „Was ist Gegenstand der Versicherung?“. Nach § 1 Abs. I AVBdyn.BS, überschrieben mit „Welchen Versicherungsschutz bietet Ihnen die Betriebsschließungsversicherung?“, bietet der Versicherer Entschädigung, „wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger … den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt“. In § 1 Abs. III AVBdyn.BS heißt es unter der Überschrift „Welche Krankheiten und Krankheitserreger sind meldepflichtig?“: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: …“, gefolgt von einer listenförmigen Aufzählung von Krankheiten unter Nr. 1, die COVID-19 nicht enthält, und einer solchen von Krankheitserregern unter Nr. 2, die SARS-CoV-2 nicht enthält.
(2) Der für den Versicherungsnehmer erkennbare Sinnzusammenhang, Wortlaut und Zweck der Bedingungen verlangen eine Auslegung dieser Klausel als abschließende Aufzählung.
(a) Bei der Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Abs. III Nr. 1 und 2 AVBdyn.BS handelt es sich erkennbar um eine Beschreibung des versicherten Risikos, nicht um einen Risikoausschluss. Das ergibt sich insbesondere aus der Stellung im Bedingungswerk sowie den Überschriften und dem Zusammenhang der betroffenen Regelungen.
Die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger findet sich zu Beginn des Bedingungswerks. § 1 Abs. I AVBdyn.BS enthält zwar nicht selbst die listenförmigen Aufzählungen, verweist aber auf diese durch die Verwendung des – auf derselben Seite in gleicher Höhe – in § 1 Abs. III definierten Begriffs der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger. Dies dient erkennbar nur der sprachlichen Entlastung der Regelung von einer umfangreichen Aufzählung.
Der Überschrift „Was ist Gegenstand der Versicherung?“ ist klar zu entnehmen, dass in § 1 AVBdyn.BS – einschließlich § 1 Abs. III – das versicherte Risiko primär bestimmt wird. Dagegen ist § 4 mit der eindeutigen Überschrift „Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen? (Ausschlüsse)“ versehen. Diese Regelung enthält in § 4 Nr. 4 auch einen Ausschluss für – so die Überschrift – „Krankheiten und Krankheitserreger“, nämlich Prionenerkrankungen oder den Verdacht hierauf. Das Vorhandensein einer solchen Regelung in einem eigenen Paragrafen des Bedingungswerks zeigt ebenfalls deutlich, dass § 1 als primäre Risikobeschreibung zu sehen ist, die durch Ausschlüsse in § 4 eingeschränkt wird.
(b) Aus dem Wortlaut des § 1 AVBdyn.BS einschließlich der verwendeten Bezugnahmen erkennt der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass nur die in der Regelung eigens genannten, nicht aber noch weitere oder alle Infektionskrankheiten versichert sind.
(aa) Versicherungsschutz besteht nach § 1 Abs. I AVBdyn.BS „beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger“. Welche Krankheiten und Erreger dies sein können, kann nicht unmittelbar § 6 IfSG („Meldepflichtige Krankheiten“) oder § 7 IfSG („Meldepflichtige Nachweise von Krankheitserregern“) entnommen werden, weil § 1 Abs. III AVBdyn.BS eine eigene Definition versicherter meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger vornimmt. Schon wegen dieser eigenständigen Definition kann ein Versicherungsnehmer nicht erwarten, die Bedeutung des hier verwendeten Begriffs der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger decke sich vollständig mit dem infektionsschutzrechtlichen Begriff.
Die Definition in § 1 Abs. III AVBdyn.BS erwähnt zwar die §§ 6 und 7 IfSG. Dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen ist aber bei natürlicher, unbefangener Betrachtung zu entnehmen, dass maßgeblich „die folgenden“ Krankheiten sein sollen, nämlich diejenigen, die nach einem Doppelpunkt unmittelbar folgend im Anschluss an den fraglichen Satz in den Versicherungsbedingungen abgedruckt sind. Ein durchschnittlicher Leser kann als „die folgenden … Krankheiten und Krankheitserreger“ ohne Anstrengung diejenigen ausmachen, die dem Einleitungssatz im Abdruck unmittelbar nachfolgen.
(bb) Dagegen gibt der Wortlaut der Versicherungsbedingungen keinen Hinweis darauf, dass statt der – bei natürlicher Betrachtung – naheliegenden abgedruckten Listen die Aufzählungen in den §§ 6 und 7 IfSG maßgeblich sein sollten.
In diesem Zusammenhang bedeutet die Formulierung „die folgenden“ in der Beschreibung des versicherten Risikos zugleich, dass auch nur die folgenden Krankheiten und Erreger dem Versicherungsschutz unterfallen. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird eine möglichst eindeutige, abschließende und nicht nur beispielhafte Beschreibung des versicherten Risikos erwarten. Zudem würde der durchschnittliche Leser zur Einleitung einer bloß beispielhaften, nicht abschließenden Aufzählung mit einem Wort wie „insbesondere“ oder „beispielhaft“ rechnen, das hier aber fehlt.
Aus der Verwendung des Wortes „namentlich“ ergibt sich nichts anderes. Dieses wird hier nicht in der Bedeutung von „insbesondere“ verwendet und kann auch nicht so verstanden werden (vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 1. Juli 2021 – 8 U 5/21, juris Rn. 33 ff). Zwar kann dem Wort diese Bedeutung zukommen, beispielsweise in Formulierungen wie „der Weg ist kaum passierbar, namentlich nach Regen“ oder „überall, namentlich aber im Gebirge“. Doch ergibt sich hier aus dem Kontext der Verwendung („folgenden … namentlich genannten Krankheiten“), dass „namentlich“ im Sinne von „beim Namen genannt“ zu verstehen ist. Auch die Wortstellung entspricht nicht der Einleitung einer beispielhaften Aufzählung, sondern müsste bei einer solchen lauten: „… sind namentlich die folgenden …“
Der Einschub in der Formulierung „die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten …“ nimmt der Wendung „die folgenden“ nicht die Bedeutung, sich auf die nach dem Doppelpunkt folgenden Listen zu beziehen. Aus der Erwähnung des Infektionsschutzgesetzes in der Klausel kann nicht der Schluss gezogen werden, dass damit alle in diesem Gesetz aufgenommenen oder auch später hinzukommenden Krankheiten und Krankheitserreger versichert seien. Wenn der Versicherer hier eine Liste der versicherten Krankheiten und Erreger in eine Klausel seiner Versicherungsbedingungen aufnimmt, macht dies deutlich, dass damit nicht nur über den Inhalt des Infektionsschutzgesetzes informiert werden oder Versicherungsschutz angepriesen werden soll. Vielmehr werden im Sinne einer rechtlich verbindlichen Regelung die Krankheiten aufgezählt, für die Versicherungsschutz versprochen wird.
Gegen ein Verständnis, wonach die im Bedingungswerk abgedruckten Listen lediglich der schnelleren Information des Versicherungsnehmers dienen würden, während maßgeblich die Aufzählungen in den §§ 6 und 7 IfSG seien, spricht schließlich die Überlegung, dass die Versicherungsbedingungen auf dem Stand, den sie bei Abschluss des Versicherungsvertrags hatten, naturgemäß nicht alle nachfolgenden Gesetzesänderungen einbeziehen und wiedergeben können. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer kann schon aus diesem Grund nicht erwarten, dass es statt der abgedruckten Listen auf den Gesetzestext ankäme.
(cc) Der in erster Linie maßgebliche Bedingungswortlaut macht einem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer vielmehr klar, dass der Versicherer lediglich das Risiko bestimmter Krankheiten oder Krankheitserreger übernehmen will. Verhielte es sich anders, hätte die Beklagte es bei der Regelung in § 1 Abs. I AVBdyn.BS belassen können. Die Definition in Abs. III wäre demgegenüber sinnlos gewesen. Eine um Beachtung des Sinnzusammenhangs bemühte Auslegung muss deshalb zu dem Ergebnis kommen, dass es sich bei der Aufzählung in § 1 Abs. III AVBdyn.BS um eine abschließende Darstellung der versicherten Risiken handelt (vgl. OLG Stuttgart, Vers 2021, 580, 581; OLG Celle, Urteil vom 1. Juli 2021 – 8 U 5/21, juris Rn. 31).
Aus dem Wortlaut der Bedingungen ergibt sich, dass der Versicherer unter der Voraussetzung leistet, dass eine der spezifiziert aufgeführten meldepflichtigen Krankheiten oder Erreger vorliegt. Damit kommt es nicht darauf an, ob für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar ist, dass der Katalog der aufgezählten Erkrankungen und Erreger nicht mit den in §§ 6, 7 IfSG genannten übereinstimmt, denn der Versicherungsnehmer kann beim Durchlesen der Bedingungen feststellen, dass nur der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende, aktuelle Stand abgesichert ist und damit für ein Auftreten anderer Erkrankungen für ihn Deckungslücken entstehen können (vgl. OLG Dresden, VersR 2021, 961, 965).
(c) Erkennbarer Zweck der Leistungsbeschreibung ist es, den Leistungsumfang zu bestimmen. Insbesondere soll dem Versicherer eine Kalkulation ermöglicht werden. Der Versicherungsnehmer soll informiert entscheiden können, ob die Versicherung die ihm drohenden Risiken abdeckt und abgeschlossen werden soll.
Ausgehend von diesem Zweck ist eine Erwartung des Versicherungsnehmers nicht begründbar, der Versicherer werde Versicherungsschutz für alle Infektionskrankheiten ohne Unterschied gewähren und ohne die Möglichkeit, die Gefahrträchtigkeit einer Krankheit abschätzen zu können (vgl. OLG Hamm, r+s 2020, 506; OLG Stuttgart, r+s 2021, 139 Rn. 18 ff mwN, 31). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennt anhand der Klausel die Krankheiten und Erreger, für die Schutz besteht. Er muss davon ausgehen, dass er nur insoweit geschützt – und dass die Prämie entsprechend kalkuliert – ist, weil andernfalls keine Aufzählung erforderlich wäre und weil kein Zusatz wie „insbesondere“ angebracht ist.
(d) Aus dem Umstand, dass bestimmte Krankheiten oder Erreger vom Versicherungsschutz ausdrücklich ausgeschlossen sind (vgl. § 4 Nr. 4 AVBdyn.BS), kann nicht geschlossen werden, dass die vorherige Aufzählung der versicherten Krankheiten und Erreger nicht abschließend gewesen sei. Der Ausschluss hat erkennbar nur den Erklärungswert, dass der Versicherer in bestimmten Fällen keinesfalls Versicherungsschutz gewähren will, unabhängig davon, was nach der primären Risikobeschreibung versichert wäre.
b) Die Regelung in § 1 AVBdyn.BS ist wirksam (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2022 – IV ZR 144/21, zVb in BGHZ Rn. 23 ff zu ähnlichen Bedingungen).
aa) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich nach Satz 2 der Vorschrift auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. So liegt der Fall hier nicht.
(1) Nach dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Dem Versicherungsnehmer soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden (BGH, Urteil vom 4. April 2018 – IV ZR 104/17, NJW 2018, 1544 Rn. 8 mwN). Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht (BGH, Urteil vom 20. November 2019 – IV ZR 159/18, r+s 2020, 45 Rn. 7).
Der Verwender muss die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn kein ungerechtfertigter Beurteilungsspielraum entsteht (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 – III ZR 157/10, VersR 2012, 323 Rn. 27). Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot ist nicht schon dann zu bejahen, wenn Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können (BGH, Urteil vom 13. September 2017 – IV ZR 302/16, r+s 2017, 586 Rn. 15; vom 4. April 2018, aaO).
(2) Gemessen daran ist der Leistungsumfang in § 1 AVBdyn.BS ausreichend transparent geregelt (vgl. auch OLG Stuttgart, r+s 2021, 139 Rn. 41 ff). In diesem Zusammenhang haben die Gesichtspunkte, die bereits bei der Auslegung der Klausel angesprochen wurden, erneut Bedeutung.
Aus den Bedingungen ergibt sich an keiner Stelle, dass die Beklagte grundsätzlich für alle Krankheiten und Krankheitserreger leistet und erst hiernach eine Beschränkung dieses Grundsatzes durch die konkrete Auflistung von Krankheiten und Erregern erfolgt. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut der Bedingungen, dass die Versicherung unter der Voraussetzung leistet, dass eine der spezifiziert aufgeführten meldepflichtigen Krankheiten oder Erreger vorliegen (vgl. OLG Dresden, VersR 2021, 961, 965).
Der Wortlaut der Klausel ist nicht unklar oder mehrdeutig. Versichert sind nicht sämtliche Betriebsschließungen nach dem Infektionsschutzgesetz, sondern nur die in der erkennbar abschließenden Aufzählung genannten. Einen umfassenden Versicherungsschutz kann der Versicherungsnehmer dem Wortlaut nicht entnehmen, was sich aus der Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger sowie der Formulierung ergibt, die nicht den Eindruck erweckt, alle im Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten und Erreger seien versichert. Das Wort „namentlich“ wird in § 1 Abs. III AVBdyn.BS nicht im Sinne von „insbesondere“ verwendet. Es meint an dieser Stelle auch keine Meldepflicht unter namentlicher Nennung der betroffenen Person (vgl. etwa § 9 gegenüber § 10 IfSG), sondern beim Namen genannte Krankheiten und Krankheitserreger, die versichert sein sollen und die der Versicherungsnehmer in der ausführlichen Aufzählung in den Versicherungsbedingungen vorfindet. Dass diese Aufzählung umfangreich ist, liegt in der Natur der Sache.
Mit der Regelungstechnik der abschließenden Aufzählung wird dem Versicherungsnehmer bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden. Der Versicherer ist nach Treu und Glauben nicht gehalten, dem Versicherungsnehmer wirtschaftliche Nachteile und Belastungen noch besser erkennbar zu machen. Wird der Versicherungsumfang in dieser Weise durch eine Aufzählung der versicherten Krankheiten und Erreger bestimmt, muss dem Versicherungsnehmer einleuchten, dass der Versicherer, der sein Risiko begrenzen muss, auf die Weise kalkuliert, dass er ganz bestimmte Krankheiten und Erreger versichert, weil er keinen Einfluss darauf hat, welche weiteren Krankheiten und Erreger der Gesetzgeber in das Infektionsschutzgesetz aufnehmen wird. Dies widerspricht nicht der Forderung, der Versicherungsnehmer müsse die Möglichkeit haben, Lücken im Versicherungsschutz zu erkennen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann bei aufmerksamer Durchsicht und verständiger Würdigung der Regelungen nach deren Formulierung von vornherein nicht davon ausgehen, alle Erkrankungen und Erreger, die künftig in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen werden, seien versichert.
Eine etwaige Unwirksamkeit der Klausel über die Ausschlüsse (§ 4 AVBdyn.BS) würde nicht zur Intransparenz der Risikobeschreibung (§ 1) führen, weil es sich hier um getrennt zu betrachtende Klauseln handelt, die unabhängig voneinander Bestand haben können. Die beiden Regelungen weisen zwar einen Zusammenhang auf, sind aber trennbar und jeweils für sich betrachtet gesondert zu bewerten; eine mögliche Unwirksamkeit der Ausschlussregelungen führt nicht dazu, dass die Regelung zum grundsätzlichen Umfang des Versicherungsschutzes intransparent würde. Wie bereits ausgeführt handelt es sich bei dem in § 1 dargestellten Leistungsumfang nicht um eine verkappte Ausschlussregelung, sondern um die ausreichend bestimmbare Festlegung der grundsätzlichen Leistungspflicht des Versicherers.
Dass der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft die Musterbedingungen für die Betriebsschließungsversicherung aktuell angepasst hat, ist für die Frage der Auslegung der hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen nicht relevant. Wie bereits dargelegt, ist ein Verstoß gegen das Transparenzgebot nicht bereits dann gegeben, wenn es möglich gewesen wäre, die Bedingungen noch klarer zu formulieren. Vielmehr ist in den für den vorliegenden Fall allein maßgeblichen Versicherungsbedingungen der Leistungsumfang – wie oben ausgeführt – in § 1 AVBdyn.BS bereits ausreichend transparent geregelt.
bb) Die Klausel benachteiligt den Versicherungsnehmer auch nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unangemessen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2022 – IV ZR 144/21, zVb in BGHZ Rn. 38 ff; OLG Dresden, VersR 2021, 961, 965; OLG Celle, Urteil vom 1. Juli 2021 – 8 U 5/21, juris Rn. 47 ff).
c) Da in der wirksam vereinbarten, abschließenden Aufzählung, die den Umfang des Versicherungsschutzes bestimmt, Corona nicht enthalten ist, besteht hierfür kein Versicherungsschutz.
d) Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 26. Januar 2022 (IV ZR 144/21, zVb in BGHZ) eine Entscheidung zur Auslegung und Wirksamkeit von Versicherungsbedingungen getroffen, die vergleichbar sind mit den hier vereinbarten. Darin hat er die vom Berufungssenat in zahlreichen vergleichbaren Verfahren vertretene Rechtsauffassung (vgl. etwa OLG München, Beschluss vom 12. Mai 2021 – 25 U 5794/20, VersR 2021, 1174; vom 20. Juli 2021 – 25 U 5794/20, BeckRS 2021, 19490) bestätigt.
Zwar ist in den hier maßgeblichen Bedingungen – anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall – in § 1 Abs. I kein ausdrücklicher Verweis auf die Definition meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger und im Eingangstext von § 1 Abs. III nicht die Formulierung „im Sinne dieser (Zusatz-)Bedingungen“ enthalten. Ansonsten ist der Eingangstext von § 1 Abs. III jedoch identisch mit demjenigen in den Bedingungen, über die der Bundesgerichtshof im genannten Urteil entschieden hat. Danach ist § 1 Abs. III unter Berücksichtigung des Wortlauts sowie des erkennbaren Zwecks und Sinnzusammenhangs als abschließende Aufzählung auszulegen und wirksam. Auf die vom Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung dargelegten Gründe wird Bezug genommen. Allein der in § 1 Abs. I fehlende Verweis auf § 1 Abs. III und die dort nicht vorhandene Klarstellung rechtfertigen keine andere Entscheidung. Schon aus der Systematik der übersichtlichen Gliederung ergibt sich, dass die Definition des Versicherungsschutzes nicht bei § 1 Abs. I endet, sondern § 1 Abs. III insoweit mit einzubeziehen ist. Darüber hinaus fällt die umfangreiche Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer sofort ins Auge. Dabei wird ihm auffallen, dass es dieser Aufzählung nicht bedurft hätte, wenn die Beklagte alle nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsumfang hätte umfassen wollen.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 ZPO. Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen (s.o. unter 1.d).
Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO.


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