Versicherungsrecht

Rückzahlung von gezahlten Versicherungsprämien sowie Herausgabe von gezogenen Nutzungen nach Widerspruch gegen einen Lebensversicherungsvertrag

Aktenzeichen  73 O 2650/16

Datum:
19.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 145837
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 5a
BGB § 242

 

Leitsatz

Das Widerspruchsrecht gem. § 5a VVG aF ist verwirkt, wenn der Versicherungsnehmer die Rechte aus der Lebensversicherung bereit mit ihrem Abschluss abgetreten hat, die Abtretung über den gesamten Vertragszeitraum bestand, dass Vertragsverhältnis voll abgewickelt worden ist und der Versicherungsnehmer die Auszahlung der Ablaufleistung (an den Zedenten) zunächst unwidersprochen hingenommen hat. (Rn. 27 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 17.688,96 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
I.
Zunächst ist auszuführen, dass eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergehen konnte, da der Widerruf der Zustimmung zum schriftlichen Verfahren unwirksam ist. Die entsprechende Zustimmung der Parteien ist nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich, § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Seitens der Klägerin wird nicht vorgetragen, weshalb es zu einer wesentlichen Änderung der Prozesslage gekommen sein soll. Auch sonst ist eine solche nicht ersichtlich. Insbesondere kann sich eine solche nicht aus dem Hinweisbeschluss des Gerichts vom 20.07.2017 heraus ergeben, da die Zustimmung zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch beide Parteien erst nach diesem Hinweisbeschluss erfolgt ist. Auch ein Anwaltswechsel führt nicht zu einer wesentlichen Änderung der Prozesslage. Die Dreimonatsfrist ist gewahrt, § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO.
II.
Die unproblematisch zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
1. Zwar entsprach die streitgegenständliche Belehrung nicht den (damaligen) gesetzlichen Regelungen, da – worauf die Klägerin zurecht hingewiesen hat – kein Hinweis auf die gemäß § 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. vorgeschriebene Schriftform für die Widerspruchserklärung hinweist (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2004, Az. IV ZR 58/03). Denn die in § 5 a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. geforderte Belehrung über das Widerspruchsrecht schloss nach dem Sinnzusammenhang mit § 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. eine Belehrung über die zur Wirksamkeit des Widerspruchs erforderliche Schriftform ein (BGH, a.a.O.).
Auch ist ein Widerspruch nicht gemäß § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ausgeschlossen, da dieser nach obergerichtlicher Rechtsprechung, die hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden muss (vgl. BGH, Urteil vom 07.05.2014, Az. IV ZR 76/11), in den Fällen, in denen eine ordnungsgemäße Belehrung nicht stattgefunden hat, dahingehend teleologisch reduzierend auszulegen ist, dass die zeitliche Beschränkung für die Ausübung des Widerspruchsrechts von 1 Jahr keine Anwendung findet.
2. Jedoch ist im vorliegenden Fall (ausnahmsweise) von einer Verwirkung des Widerspruchsrechts der Klägerin auszugehen.
Ein Recht ist dann verwirkt (§ 242 BGB), wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf eingerichtet hat (und sich auch darauf einrichten durfte), dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen werde (Grüneberg in Palandt, BGB, 76. Aufl., § 242, RdNr. 87).
Grundsätzlich kann der Versicherer im Falle einer (wie hier) nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung kein schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen, da er die Situation selbst herbeigeführt hat (vgl. u.a., BGH, Urteil vom 01.06.2016, Az. IV ZR 343/15). Etwas anderes kann sich im Einzelfall jedoch dann ergeben, wenn der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten während der Vertragslaufzeit beim Versicherer den Eindruck erweckt hat, den Vertrag fortsetzen zu wollen und sein nachträglicher Widerspruch deshalb treuwidrig erscheint (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.12.2016, Az. 12 U 137/16). Hierbei ist die „normale“ Vertragsausführung nicht ausreichend, vielmehr müssen besonders gravierende Umstände hinzutreten. Ob diese Umstände gemäß § 242 BGB zu einer Verwirkung des Widerspruchsrechts führen, ist dabei immer vom Einzelfall abhängig.
Zwar lässt der Umstand, dass der Versicherungsnehmer die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zur Kreditsicherung abgetreten hat, für sich genommen noch keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass der Versicherungsnehmer in Kenntnis seines Vertragslösungsrechts am Vertrag festgehalten und von seinem Lösungsrecht keinen Gebrauch gemacht hätte. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrages kann sich jedoch in den Fällen der Abtretung zur Kreditsicherung etwa dann ergeben, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 27.01.2016, Az. IV ZR 130/15).
Auch unter Berücksichtigung der hohen Voraussetzungen, die an eine Verwirkung bei nicht ordnungsgemäß erfolgter Widerspruchsbelehrung zu stellen sind, ist das Widerspruchsrecht der Klägerin aufgrund einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls vorliegend als verwirkt anzusehen:
Zum einen hat die Klägerin bereits mit Abschluss des Vertrages ihre Rechte aus dem Versicherungsvertrag zum Zwecke der Kreditsicherung abgetreten, so dass der engstmöglichste zeitliche Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung besteht. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig (die Klägerin ist der Behauptung einer Abtretung in keinem Schriftsatz entgegengetreten, im Übrigen ergibt sich dies auch aus dem als Anlage K 2 vorgelegten Versicherungsantrag, in welchem die Sparkasse W. als Zessionarin aufgeführt ist und der Antrag von der Abtretung abhängig ist (vgl. dortiger Punkt 5). In Frage gestellt worden ist lediglich, ob die Abtretung auch die Todesfallleistung umfasst hat (worauf es im Ergebnis jedoch nicht ankommt, dazu s.u.). Die Abtretung zur Kreditsicherung setzt jedoch zwingend das Bestehen eines wirksamen Vertrages voraus.
Weiterhin kommt erschwerend hinzu, dass die Abtretung über den gesamten Vertragszeitraum bestand. Der entsprechende Vortrag der Beklagtenseite ist unwidersprochen geblieben. Die Abtretung hat bis zur Fälligkeit des Vertrages fortbestanden und die Ablaufleistung wurde in der Folge auch zur Darlehenstilgung an die Zessionarin ausbezahlt. Daraus ist mit der Beklagtenseite abzuleiten, dass seitens der Klägerin während der gesamten Vertragslaufzeit ein ureigenstes Interesse an der Vertragsdurchführung bestand.
Darüber hinaus ist auch zu sehen, dass vorliegend wie ausgeführt, das Vertragsverhältnis voll abgewickelt wurde und die Ablaufleistung geflossen ist (dass diese an die Zessionarin geflossen ist, ist vorliegend unerheblich). Die Auszahlung der Ablaufleistung hat die Klägerin zunächst für immerhin 3 Monate widerspruchslos hingenommen, so dass sich auch unter diesem Gesichtspunkt ein Vertrauensschutz für die Beklagte ergibt.
Die von Seiten der Klägerin hiergegen vorgebrachten Einwände überzeugen das Gericht nicht. Soweit vorgebracht wird, dass beklagtenseits nicht dargelegt worden sei, dass auch die Todesfallleistungen abgetreten wurden, kommt es hierauf nach Ansicht des Gerichts nicht an, da im Falle einer Abtretung zur Kreditsicherung grundsätzlich das Bestehen eines wirksamen Vertrages Voraussetzung ist. Soweit vorgetragen wird, dass vorliegend keine mehrfache Abtretung erfolgt ist, ist auszuführen, dass das Gericht nicht erkennt, weshalb es hierauf ankommen soll, wenn – wie zwischen den Parteien unstreitig – die Abtretung über die gesamte Vertragslaufzeit fortbestanden hat. Zumindest gleicht vorliegend der besondere enge zeitliche Zusammenhang zwischen Vertragsschluss und Abtretung sowie die Dauer der Abtretung, die eventuell nicht erfolgte Abtretung der Todesfallrechte und die lediglich einfache Abtretung aus. Im Übrigen ist das Gericht der Ansicht, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27.01.2016 (bzw. der darauf folgende Beschluss vom 22.03.2016, Az. IV ZR 130/15) so zu verstehen ist, dass hier Mindestvoraussetzungen für eine Annahme der Verwirkung aufgestellt werden sollen, sondern dass es sich hierbei um eine Entscheidung auf Grundlage eines Einzelfalles handelt.
Ergänzend sind vorliegend auch die Besonderheiten des Zeitmoments zu berücksichtigen. Der Widerspruch erfolgte über 20 Jahre nach Vertragsschluss. Durch den Zeitablauf erübrigt sich selbstredend nicht das Umstandsmoment. Allerdings besteht zwischen Umstands- und Zeitmoment eine Wechselwirkung dahingehend, dass an die Umstände um so geringere Anforderungen gestellt werden können, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (BGH, NJW 2006, 219, 220).
Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung all dieser Umstände erscheint es dem Gericht angezeigt, hier ausnahmsweise trotz unwirksamer Belehrung die Verwirkung anzunehmen.
III.
Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 2 ZPO.
V.
Der Streitwert war gemäß §§ 3 ff. ZPO festzusetzen.


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