Verwaltungsrecht

Ausweisungsinteresse wegen Verstoßes gegen die Passpflicht

Aktenzeichen  2 M 137/21

Datum:
7.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 2. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGST:2022:0107.2M137.21.00
Normen:
§ 3 Abs 1 AufenthG 2004
§ 5 Abs 1 Nr 2 AufenthG 2004
§ 10 Abs 3 S 3 AufenthG 2004
§ 28 Abs 1 S 1 Nr 1 AufenthG 2004
§ 48 Abs 2 AufenthG 2004
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Spruchkörper:
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Leitsatz

Dem Ausweisungsinteresse gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (juris: AufenthG 2004) kann nicht entgegengehalten werden, dass sich eine allein auf die Passlosigkeit des Ausländers gestützte Ausweisung als unverhältnismäßig erweisen werde. Für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (juris: AufenthG 2004) kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer tatsächlich ausgewiesen werden könnte.(Rn.35)

Verfahrensgang

vorgehend VG Magdeburg, 11. Oktober 2021, 9 B 484/21 MD, Beschluss

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 11. Oktober 2021 – 9 B 484/21 MD – geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine bevorstehende Abschiebung.
Der am (…) 1980 geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 10. Juli 2017 in das Bundesgebiet ein und stellte am 27. Juli 2017 einen Asylantrag, zu dessen Begründung er vortrug, er werde aufgrund seiner Homosexualität von seiner Familie mit dem Tod bedroht. Der Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. September 2017 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 9. April 2018 – 11 A 33/17 MD – abgewiesen. Das Urteil ist seit dem 26. Mai 2018 rechtskräftig (BA Bl. 114). Der Antragsteller wurde nachfolgend wegen Passlosigkeit geduldet. Die Duldungen enthielten jeweils den Zusatz: „Der Inhaber genügt mit dieser Bescheinigung nicht der Pass- und Ausweispflicht“.
Am 2. August 2018 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine bis zum 1. November 2018 befristete Duldung sowie eine Beschäftigungserlaubnis für eine am 1. August 2018 beginnende Ausbildung zum Verkäufer bei der Firma T. (BA Bl. 117 ff.). Am 13. September 2018 verlängerte sie die Duldung bis zum 31. Juli 2020 (BA A Bl. 138). Nachdem der Antragsteller die Abschlussprüfung nicht bestanden hatte, verlängerte die Antragsgegnerin die Duldung am 30. Juli 2020 bis zum 31. Januar 2021, um ihm die Wiederholungsprüfung zu ermöglichen (BA A Bl. 223 ff.). Auch die Wiederholungsprüfung bestand er nicht (BA Bl. 295). Das Beschäftigungsverhältnis bei seinem Ausbildungsbetrieb endete am 31. Juli 2020 (BA Bl. 209). Nachfolgend arbeitete der Antragsteller als Verkaufshilfe bei einer Bäckerei (BA Bl. 229) und bei E. (BA Bl. 254). Das Arbeitsverhältnis bei E. wurde im Dezember 2020 beendet, weil die Verlängerung seiner Duldung ungewiss war (BA Bl. 265). Am 19. Mai 2021 erhielt der Antragsteller die Bestätigung eines Pflegedienstes aus B-Stadt, dass er dort als Pflegehelfer beschäftigt werden könne (BA Bl. 386).
Am 6. November 2020 heiratete der Antragsteller den deutschen Staatsangehörigen F. S. (BA Bl. 248).
Die Antragsgegnerin hatte den Antragsteller zuvor mehrfach zur Vorlage von Personaldokumenten aufgefordert, erstmals mit Schreiben vom 28. Juni 2018 (BA Bl. 96). Die vom Antragsteller vorgelegte ID-Karte reiche nicht aus, um seine Identität zu klären. Notwendig sei zusätzlich ein Pass oder eine Geburtsurkunde mit einer deutschen Übersetzung (BA Bl. 100 und 102). Hierauf teilte der Antragsteller mit Schreiben vom 23. Juli 2018 mit, dass er keinen Reisepass besitze (BA Bl. 106), und übersandte mit Schreiben vom 13. August 2018 einen Auszug aus dem Geburtenregister vom 25. Juli 2018 (BA Bl. 130 f.). Bei der Erteilung der Duldung vom 2. August 2018 wurde der Antragsteller auf seine Mitwirkungspflicht nach § 82 AufenthG hingewiesen (BA Bl. 119). Am 12. November 2019 wurde ihm der „Nüfus“ (Personalausweis) zur Passbeantragung übergeben (BA Bl. 155). Am 21. Juli 2020 teilte er telefonisch mit, dass er am 18. August 2020 einen Termin im Konsulat zur Beantragung eines Passes habe (BA Bl. 209). Nachdem die Antragsgegnerin am 1. Oktober 2020 erfahren hatte, dass der Antragsteller beim Standesamt T-Stadt im Zuge seiner Eheschließung mit Herrn S. einen am 18. August 2020 ausgestellten Pass vorgelegt hatte (BA Bl. 237), forderte sie ihn mit Schreiben vom 9. Oktober 2020 zur Vorlage seines Nationalpasses auf (BA Bl. 242). Mit weiterem Schreiben vom 22. Oktober 2020 forderte sie ihn auf, seinen Pass bis zum 26. November 2020 vorzulegen (BA Bl. 243). Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 16. November 2020 Widerspruch ein und erklärte, durch die Eheschließung am 6. November 2020 besitze er die unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die geforderten Unterlagen zur Feststellung seiner Identität lägen der Antragstellerin bereits vor (BA Bl. 247). Mit Schreiben vom 24. November 2020 machte die Antragsgegnerin den Antragsteller darauf aufmerksam, dass zu den Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch die Erfüllung der Passpflicht gehöre, und forderte ihn auf, seinen Nationalpass am 7. Dezember 2020 vorzulegen. Am 7. Dezember 2020 legte der Antragsteller seinen am 18. August 2020 ausgestellten türkischen Nationalpass bei der Antragsgegnerin vor (BA Bl. 259 – 260). Mit Schreiben vom 10. Dezember 2020 beantragte er die Verlängerung der Duldung bzw. unbefristeten Aufenthalt (BA Bl. 258).
Am 16. Dezember 2020 beantragte er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Familienzusammenführung unter Hinweis auf den Umstand, dass er seit dem 6. November 2020 mit dem deutschen Staatsangehörigen F. S. verheiratet sei (BA Bl. 266 – 268). Der Lebensunterhalt sei gesichert, da Herr S. 1.235,91 € und er selbst 1.216,58 € verdiene. Es sei ihm unmöglich, zur Beantragung eines Visums zurück in die Türkei zu fliegen. Seine Ehe werde in der Türkei nicht anerkannt. Zwar sei Homosexualität in der Türkei kein Straftatbestand, das Land sei aber homophob und Gewalttaten gegen Homosexuelle seien an der Tagesordnung.
Mit Schreiben vom 3. Mai 2021 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an (BA Bl. 329 ff.). Hierbei verwies sie auf die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 AufenthG. Ein Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG bestehe nicht, da ein Ausweisungsinteresse vorliege. Der Antragsteller habe in der Vergangenheit durch den Aufenthalt im Bundesgebiet ohne den notwendigen Reisepass den Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt. Er sei seit dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens am 26. Mai 2018 zur Passbeschaffung und Vorlage eines gültigen Reisepasses in der Ausländerbehörde verpflichtet gewesen. Sein am 18. August 2020 ausgestellter Reisepass sei aber erst am 7. Dezember 2020 vorgelegt worden. Damit habe er sich über einen Zeitraum von 2 Jahren und 3 Monaten ohne den notwendigen Reisepass im Bundesgebiet aufgehalten. Er habe auch nicht nachgewiesen, dass ihm die Passbeschaffung im maßgeblichen Zeitraum unzumutbar gewesen sei. Die ausgestellte Duldung sei im Übrigen mit dem Hinweis versehen: „Der Inhaber genügt mit dieser Bescheinigung nicht der Pass- und Ausweispflicht.“ Damit habe der den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Das (generalpräventive) Ausweisungsinteresse sei auch hinreichend aktuell. Zudem sei nicht nachgewiesen, dass sein Lebensunterhalt gesichert sei. Einkommensnachweise lägen lediglich für die Monate September und Oktober 2020 vor. Der Antragsteller gehe derzeit keiner Beschäftigung nach, da ihm gekündigt worden sei. Das Einkommen seines Ehemanns sei für die Bedarfsgemeinschaft nicht ausreichend. Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sei nicht möglich. Weder der Umstand, dass der Antragsteller homosexuell sei, noch die eheliche Lebensgemeinschaft mit seinem Ehemann begründeten ein Ausreisehindernis. Der Antragsteller müsse zur Nachholung des Visumverfahrens auch nicht dauerhaft in sein Heimatland zurückkehren. Der Vorgang könne von Deutschland aus organisiert werden, um den Aufenthalt so kurz wie möglich zu gestalten.
Am 7. Mai 2021 stellte der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg im Verfahren 9 B 381/21 MD einen Eilantrag, mit dem er die Erteilung einer Duldung bis zum Abschluss des Anhörungsverfahrens zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Familienzusammenführung begehrte (BA Bl. 335 ff.). Er sei seiner Passbeschaffungspflicht hinreichend nachgekommen. Bereits im September 2018 habe er sich per E-Mail mit der türkischen Botschaft in Verbindung gesetzt, aber erst am 13. November 2019 einen Termin zur Passbeantragung erhalten. Am 6. Mai 2020 habe er nach mehrfachen telefonischen Anfragen und E-Mails einen weiteren Termin zur Vorsprache im Konsulat bekommen. Am 27. August 2020 habe er schließlich den Pass bekommen. Es sei nicht sein Verschulden, wenn das Konsulat ein Jahr benötige, um auf seine Anfrage zu reagieren. Zur Glaubhaftmachung seiner Bemühungen zur Passbeschaffung legte er schriftliche Erklärungen von Herrn F. S. vom 6. Juni 2021 (BA Bl. 407 – 409), von Herrn M. S. vom 6. Juli 2021 (BA Bl. 410 – 411) sowie von Herrn H. M. vom 7. Juni 2021 (BA Bl. 413 – 415) vor. Zudem machte er geltend, gemäß § 105 Abs. 2 AufenthG sei er während seiner Ausbildung von der Pflicht zur Passbeschaffung befreit gewesen.
Mit Beschluss vom 16. Juni 2021 – 9 B 381/21 MD – schlug das Verwaltungsgericht den Beteiligten zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits einen Vergleich vor, wonach sich die Antragsgegnerin verpflichten sollte, die Abschiebung des Antragstellers bis zum Abschluss des Anhörungsverfahrens bezüglich seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 16. Dezember 2020, längstens jedoch bis zum 31. August 2021, auszusetzen (BA Bl. 420 ff.). Der Ausgang des Verfahrens stelle sich derzeit als offen dar. Es sei fraglich, ob der Antragsteller einen Pass in zumutbarer Weise i.S.d. § 48 Abs. 2 AufenthG habe erlangen können. Zudem sei zu prüfen, ob gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vom Regelerteilungserfordernis der Lebensunterhaltssicherung abzusehen sei. Der Vergleich wurde von den Beteiligten angenommen.
Am 9. Juli 2021 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine Duldung, die mit Abschluss des Anhörungsverfahrens bezüglich seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 16. Dezember 2020, spätestens am 31. August 2021 erlöschen sollte (BA Bl. 449).
Mit Bescheid vom 21. Juli 2021 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Zur Begründung wiederholte sie die Ausführungen aus dem Anhörungsschreiben vom 3. Mai 2021. Ergänzend führte sie aus, es seien nach wie vor aktuelle Ausweisungsinteressen gegeben. Der Antragsteller habe nicht alles Zumutbare unternommen, um sich einen Pass zu beschaffen. Den Seiten des türkischen Generalkonsulats lasse sich entnehmen, dass eine Terminvereinbarung zur Passbeschaffung online erfolge. Es sei nicht erkennbar, dass eine Beantragung auch per E-Mail oder Telefon möglich sei. Sie habe am 15. Juli 2021 eine E-Mail mit einer allgemeinen Anfrage zur Passbeschaffung an das Generalkonsulat in Hannover übersandt und noch am gleichen Tag eine Rückantwort mit den maßgeblichen Informationen und Links zur Passbeschaffung erhalten. Es sei daher nicht nachvollziehbar, weshalb der Antragsteller über Monate Anfragen per Telefon oder E-Mail favorisiert habe, wenn ein Online-Terminbuchungssystem existiere und zudem keine Rückinformationen über die türkischen Behörden erfolgt seien. Ein ernsthaftes Bemühen zur Passbeschaffung liege nicht vor. Es habe für den Antragsteller seit der Beendigung des Asylverfahrens am 26. Mai 2018 die Möglichkeit bestanden, problemlos über die Online-Terminvergabe einen Termin zu buchen. Ein monatelanges Abwarten, ob eine Rückmeldung der türkischen Behörden auf Telefonanrufe bzw. E-Mails erfolge, sei nicht angezeigt gewesen. Unzureichende Bemühungen zur Passbeschaffung lägen selbst dann vor, wenn der Antragsteller ab dem 13. November 2019 alles Zumutbare unternommen haben sollte. Zudem habe der Antragsteller entgegen seiner Verpflichtung aus § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG seinen Pass nicht rechtzeitig bei der Ausländerbehörde vorgelegt. Er habe seinen Reisepass, der sich seit dem 27. August 2020 in seinem Besitz befinde, erst nach der dritten Aufforderung vom 24. November 2020 am 7. Dezember 2020 vorgelegt. Auch die Sicherung des Lebensunterhalts des Antragstellers sei nicht nachgewiesen. Zwar könne gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abgesehen werden. Notwendig für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG jedoch ein strikter Rechtsanspruch, der hier nicht vorliege. Der Antragsteller sei auch entgegen § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist. § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV sei nicht anwendbar, da kein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorliege. Auch verfüge der Antragsteller nicht über die nach § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV erforderliche Duldung. Die aufgrund des Vergleichs im Eilverfahren erteilte Duldung reiche nicht aus. Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sei nicht möglich. Es seien weder tatsächliche noch rechtliche Ausreisehindernisse ersichtlich. Über die Homosexualität des Antragstellers als Asylgrund sei bereits im Asylverfahren rechtskräftig entschieden worden. Hieran sei sie gemäß § 42 Satz 1 AsylG gebunden. Selbst bei Durchführung eines Folgeverfahrens sei die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 39 Satz 1 Nr. 4 AufenthG nicht möglich, weil die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 AufenthG nicht vorlägen. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise des Antragstellers ergebe sich auch weder aus Art. 6 GG noch aus Art. 8 EMRK.
Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 11. August 2021 Widerspruch ein, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist.
Am 12. August 2021 hat der Antragsteller (erneut) bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt.
Am 1. September 2021 hat er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Folgeantrag nach § 71 AsylG gestellt (GA Bl. 36).
Mit Beschluss vom 11. Oktober 2021 – 9 B 484/21 MD – hat das Verwaltungsgericht Magdeburg die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller eine Duldung zu erteilen, bis rechtsbeständig über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 16. Dezember 2020 entschieden ist, und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht. Er habe einen Anspruch auf Erteilung der von ihm am 16. Dezember 2020 beantragten Aufenthaltserlaubnis. Die Aussetzung der Abschiebung sei zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes geboten, wenn von dem Ausländer die Einholung eines Aufenthaltstitels aus dem Ausland nicht abverlangt werden könne. Soweit die Voraussetzungen des § 39 AufenthV vorlägen, sei die Abschiebung aus rechtlichen Gründen unzulässig und könne durch den Erlass einer auf Erteilung einer Duldung gerichteten einstweiligen Anordnung gesichert werden. Dies sei vorliegend der Fall. Der Antragsteller könne sich für den von ihm geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Duldung zur Durchführung des Erteilungsverfahrens aus dem Inland auf § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV berufen. Er habe am 6. November 2020 mit einem deutschen Staatsangehörigen die Ehe geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt sei er im Besitz einer allgemeinen Duldung gewesen. Er habe auch einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Dem von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG geforderten Anspruch stünden die von der Antragsgegnerin in ihrem Ablehnungsbescheid vom 21. Juli 2021 aufgeführten Gründe nicht entgegen. Ein Ausweisungsinteresse i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen der ca. zweijährigen verschuldeten Passlosigkeit liege nicht vor. Zwar komme es für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nicht darauf an, ob der Ausländer tatsächlich ausgewiesen werden könne. Vielmehr reiche es aus, dass ein Ausweisungsinteresse abstrakt, also nach seinen tatbestandlichen Voraussetzungen, vorliege. Auch generalpräventive Gründe könnten ein Ausweisungsinteresse begründen. Eine allein auf die Passlosigkeit gestützte Ausweisung des Antragstellers dürfte sich jedoch aller Voraussicht nach als unverhältnismäßig erweisen, denn der Antragsteller genieße den Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK. Deshalb könne ein Ausweisungsinteresse, das sich allein auf generalpräventive Erwägungen stützen lasse, nicht für der Versagung für die vom Antragsteller begehrte Aufenthaltserlaubnis herangezogen werden. Wegen des mit einer Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG sei es insoweit unbeachtlich, ob dem Antragsteller ein kurzfristiges Verlassen zum Zwecke der Nachholung des Visumsverfahrens zumutbar sei. Ein Anspruch i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG scheitere auch nicht an der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Vorliegend bestünden begründete Anhaltspunkte dafür, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis – und damit zukünftig – dauerhaft gesichert sei. Der Lebensunterhalt müsse zum Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis noch nicht gesichert sein; die Prognose müsse jedoch ergeben, dass er in Zukunft gesichert sei und nicht nur gesichert werden könne. Zwar spreche vorliegend gegen eine positive Prognose, dass der Antragsteller seine Ausbildung zum Verkäufer nicht erfolgreich abgeschlossen habe. Bereits vor der Wiederholungsprüfung, die er ebenfalls nicht bestanden habe, habe er jedoch einen befristeten Arbeitsvertrag mit einer Bäckerei abgeschlossen und sich im Mai 2021 um ein Praktikum bei einem Pflegedienst beworben, bei dem er eine Beschäftigung als Pflegehelfer anstrebe. Die Gesamtschau der persönlichen Verhältnisse des Antragstellers gäben Anlass für eine positive Prognose, bei der nicht völlig unberücksichtigt gelassen werden dürfe, dass nach § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG regelmäßig von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abgesehen werden solle. Dem Antragsteller könne auch nicht entgegengehalten werden, er erfülle die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 AufenthG nicht. Denn es wäre widersprüchlich, ihn auf die Einholung eines Visums im Rahmen des § 39 AufenthV zu verweisen, dessen Ziel gerade darin bestehe, die Voraussetzungen für das Absehen vom Visumserfordernis zu normieren.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet. Die dargelegten Gründe gebieten die Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes hat keinen Erfolg. Der Antragsteller hat – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nach der Rechtsprechung des Senats scheidet die Erteilung einer Duldung für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens aus gesetzessystematischen Gründen grundsätzlich aus, wenn ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels – wie hier – ein Bleiberecht in Form einer Fiktion nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG nicht ausgelöst hat und demzufolge ein nach Antragsablehnung gestellter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig ist. Die Erteilung einer Duldung widerspräche der in den genannten Vorschriften zum Ausdruck gekommenen gesetzlichen Wertung, für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens nur unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht zu gewähren. Eine einstweilige Anordnung wird in aller Regel auch im Hinblick auf den besonderen Versagungsgrund des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht kommen, dem – neben § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG – die prinzipielle Wertung des Gesetzgebers zu entnehmen ist, dass visumspflichtige Ausländer ihre Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur vom Ausland aus verfolgen und durchsetzen können; daraus folgt allerdings umgekehrt, dass in den Fällen, in denen Ausnahmen vom Versagungsgrund des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Betracht kommen, grundsätzlich auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung möglich sein muss. Gleiches gilt, wenn der Ausländer den Aufenthaltstitel gemäß § 39 AufenthV im Bundesgebiet einholen kann. Von dem Grundsatz, dass eine einstweilige Anordnung aus gesetzessystematischen Gründen ausscheidet, kann zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG eine Ausnahme geboten sein, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann (vgl. Beschluss des Senats vom 10. Juni 2021 – 2 M 65/21 – juris Rn. 11).
Hiernach kommt eine einstweilige Anordnung im Hinblick auf das Verfahren auf Erteilung der am 16. Dezember 2020 beantragten Aufenthaltserlaubnis nicht in Betracht. Der Antragsteller kann die von ihm beantragte Aufenthaltserlaubnis nicht nach § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthG im Bundesgebiet einholen, weil er keinen Anspruch auf Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis hat.
1. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG steht die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag – wie hier – unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Abweichendes gilt gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nur im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Die Ausnahmeregelung in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG erfasst nur strikte Rechtsansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben und bei denen alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 1 C 37.07 – juris Rn. 21; Urteil vom 17. Dezember 2015 – 1 C 31.14 – juris Rn. 20).
Einen solchen strikten Rechtsanspruch hat der Antragsteller nicht.
a) Zu den Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gehört insbesondere die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, wonach im Regelfall kein Ausweisungsinteresse vorliegen darf. Ob eine Ausnahmesituation vorliegt, bei der von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden kann, ist im Rahmen des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG unerheblich (vgl. Beschluss des Senats vom 22. März 2021 – 2 L 132/19 – juris Rn. 35).
Bei dem Antragsteller besteht ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Nach dieser Regelung wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.
Der Antragsteller hat den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält. Nach § 3 Abs. 1 AufenthG dürfen Ausländer nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung befreit sind; für den Aufenthalt im Bundesgebiet erfüllen sie die Passpflicht auch durch den Besitz eines Ausweisersatzes (§ 48 Abs. 2).
Der Antragsteller hielt sich nach dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens, für dessen Dauer der Ausweispflicht mit der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung genügt wurde (vgl. § 64 Abs. 1 AsylG), vorwerfbar etwa 2 Jahre und 3 Monate ohne Pass oder Ausweisersatz im Bundesgebiet auf. Das seine Klage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 9. April 2018 – 11 A 33/17 MD – ist seit dem 26. Mai 2018 rechtskräftig. Der von ihm vorgelegte Pass wurde jedoch erst am 18. August 2020 ausgestellt. Dass er von der Passpflicht befreit gewesen sein könnte, ist nicht ersichtlich. Er war auch nicht im Besitz eines Ausweisersatzes. Gemäß § 48 Abs. 2 AufenthG genügt ein Ausländer, der einen Pass oder Passersatz weder besitzt noch in zumutbarer Weise erlangen kann, der Ausweispflicht mit der Bescheinigung über einen Aufenthaltstitel oder die Aussetzung der Abschiebung, wenn sie mit den Angaben zur Person und einem Lichtbild versehen und als Ausweisersatz bezeichnet ist. Die dem Antragsteller nach Beendigung des Asylverfahrens erteilten Duldungsbescheinigungen waren jeweils nicht als Ausweisersatz bezeichnet, vielmehr enthielten sie den Vermerk, dass der Inhaber mit dieser Bescheinigung nicht der Pass- und Ausweispflicht genügt.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller die Beschaffung eines Passes unzumutbar gewesen sein könnte. Zwar ist § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG als echtes Unterlassungsdelikt ausgestaltet, so dass die Strafbarkeit unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit normgerechten Verhaltens steht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 2020 – 2 RVs 35/20 – juris Rn. 7 m.w.N.). Es war dem Antragsteller jedoch ohne Weiteres zumutbar, einen Antrag auf Erteilung eines Reisepasses bei der diplomatischen Vertretung seines Heimatstaates zu stellen. Grundsätzlich kann ein Ausländer einen Pass nur dann nicht in zumutbarer Weise erlangen, wenn dieser ihm von seinen Heimatbehörden verweigert wird oder wenn er einen solchen nicht in angemessener Zeit oder nur unter schwierigen Umständen erhalten kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 2020 – III-2 RVs 35/20 – a.a.O. Rn. 7). Demgegenüber macht sich nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG strafbar, wer zumutbare Anstrengungen unterlässt und passlos bleibt. Falls die Bemühungen unzumutbar sind oder nicht zum Erfolg führen, genügt es, wenn der Ausländer einen Anspruch auf einen deutschen Ausweisersatz (vgl. § 55 AufenthV) besitzt und dessen Erteilung beantragt hat (vgl. Winkelmann/Stephan, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 95 AufenthG Rn. 23). Der Umstand, dass sich ein ausreisepflichtiger Ausländer durch die Passbeschaffung der Gefahr aussetzt, aus dem Bundesgebiet abgeschoben zu werden, ändert nichts an der Passpflicht und der Zumutbarkeit normgerechten Verhaltens. Denn die Passpflicht dient nicht nur der Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit, sondern soll auch verhindern, dass ausreisepflichtige Ausländer im Bundesgebiet verbleiben, weil sie ohne Ausweispapiere nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 2020 – III-2 RVs 35/20 – a.a.O. Rn. 8).
Gemessen daran bestehen an der Strafbarkeit des Antragstellers nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine Zweifel. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass er einen Pass nicht in zumutbarer Weise erlangen konnte. Insbesondere hat er nicht plausibel gemacht, weshalb es ihm – trotz der Möglichkeit der Online-Terminvergabe – nicht vor dem 13. November 2019 gelungen ist, einen Termin zur Passbeantragung zu erhalten. Die Antragsgegnerin ist daher in ihrem Ablehnungsbescheid vom 21. Juli 2021 zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller nicht alles Zumutbare unternommen hat, um sich einen Pass zu beschaffen. Darüber hinaus hat der Antragsteller auch keinerlei Anstrengungen unternommen, stattdessen einen Ausweisersatz nach § 55 AufenthV zu erhalten.
Die vom Antragsteller vertretene Auffassung, nach § 105 Abs. 2 AufenthG sei während der Ausbildungszeit der § 60b AufenthG und damit auch die Passpflicht ausgesetzt, ist abwegig. Gemäß § 105 Abs. 2 AufenthG findet § 60b AufenthG auf geduldete Ausländer bis zum 1. Juli 2020 keine Anwendung, wenn sie sich in einem Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis befinden. Die Vorschrift enthält eine Übergangsregelung zur Duldung für Personen mit ungeklärter Identität. Bis zum 1. Juli 2020 findet § 60b AufenthG keine Anwendung auf geduldete Ausländer, wenn diese sich tatsächlich in einem Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis befinden. Damit wird der Ausbildung und Erwerbstätigkeit dieser Personengruppen Rechnung getragen (vgl. Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 105 AufenthG Rn. 3). Auf die Passpflicht wirkt sich die Übergangsregelung des § 105 Abs. 2 AufenthG hingegen nicht aus. Der Passpflicht unterliegen auch geduldete Ausländer (vgl. KG, Beschluss vom 7. Mai 2013 – (4) 161 Ss 68/13 (69/13) – juris Rn. 13; Maor, in: Kluth/Hornung/Koch, Handbuch Zuwanderungsrecht, 3. Auflage 2020, § 4 Rn. 172).
Bei dem etwa 2 Jahre und 3 Monate andauernden Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet ohne den erforderlichen Pass oder Passersatz handelt es sich um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG.
Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich nicht geringfügig i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG (vgl. Beschluss des Senats vom 28. Juli 2014 – 2 L 91/12 – juris Rn. 27 m.w.N.). So stellen etwa die unerlaubte Einreise bzw. der unerlaubte Aufenthalt einen nicht geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften im Sinne dieser Regelung dar (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 54 AufenthG Rn. 95 m.w.N.). Gleiches gilt für den vorwerfbaren Aufenthalt im Bundesgebiet ohne den erforderlichen Pass oder Passersatz über einen nicht unerheblichen Zeitraum (vgl. BayVGH, Beschluss vom 4. Mai 2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 8 [knapp 6 Monate]; OVG NRW, Beschluss vom 11. Januar 2019 – 18 A 4750/18 – juris Rn. 4 [über 20 Monate]). § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG setzt auch nicht voraus, dass der Ausländer wegen des Gesetzesverstoßes, der eine Straftat darstellt, verurteilt worden ist; erforderlich ist nur, dass sich der Rechtsverstoß aus den getroffenen Feststellungen ergibt (vgl. zu § 46 Nr. 2 AuslG 1990: BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1998 – 1 C 27.96 – juris Rn. 30). Bei vorsätzlichen Straftaten kann es nur unter engen Voraussetzungen Ausnahmefälle geben, in denen der Rechtsverstoß als geringfügig zu bewerten ist. Als geringfügige Verstöße kommen Fälle in Betracht, in denen ein strafrechtliches Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist, oder wenn besondere Umstände des Einzelfalls zu der Bewertung führen, dass es sich um einen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 – 1 C 23.03 – juris Rn. 22 f.).
Gemessen daran handelt es sich bei dem Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet ohne den erforderlichen Pass oder Passersatz um einen nicht geringfügigen Rechtsverstoß. Es handelt sich um eine Straftat, die der Antragsteller vorsätzlich begangen hat. Nach Eintritt der Rechtskraft der Ablehnung seines Asylantrages am 26. Mai 2018 wurde er von der Antragsgegnerin aufgefordert, einen Pass vorzulegen. Bei der Erteilung der Duldung am 2. August 2018 wurde er zudem über seine Mitwirkungspflicht nach § 82 AufenthG belehrt. Darüber hinaus enthielten die dem Antragsteller erteilten Duldungen jeweils den Zusatz: „Der Inhaber genügt mit dieser Bescheinigung nicht der Pass- und Ausweispflicht“. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass dem Antragsteller bewusst war, dass er die Passpflicht gemäß § 3 Abs. 1 AufenthG verletzt.
Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob ein nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften auch darin zu sehen ist, dass der Antragsteller entgegen seiner Verpflichtung aus § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG seinen Pass nicht rechtzeitig bei der Ausländerbehörde vorgelegt hat, da er seinen Reisepass, der sich seit dem 27. August 2020 in seinem Besitz befand, erst nach der dritten Aufforderung vom 24. November 2020 am 7. Dezember 2020 vorgelegt hat.
Das Ausweisungsinteresse lässt sich jedenfalls auf generalpräventive Erwägungen stützen. Auch allein generalpräventive Gründe können ein Ausweisungsinteresse begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 16). Solche liegen hier vor. Der Gesetzgeber hat die Passpflicht als Regelerteilungsvoraussetzung ausgestaltet und damit die Wichtigkeit des Passbesitzes für einen rechtmäßigen Aufenthalt betont. Die ausweisrechtlichen Pflichten sind zudem in § 48 AufenthG konkretisiert. Die Passpflicht dient nicht allein der Identitätsfeststellung; ihre Erfüllung gewährleistet auch die Rücknahme des Ausländers durch den Staat, der den Pass oder Passersatz ausgestellt hat. Weigert sich der Betroffene, an der Beschaffung eines Passes mitzuwirken, um so seine Abschiebung zu verhindern, besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, den Verstoß gegen die Passpflicht bzw. die Weigerung, an der Passbeschaffung mitzuwirken, auch infolge des dann begründeten Ausweisungsinteresses mit der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zu sanktionieren, um andere Ausländer in einer ähnlichen Situation zur Mitwirkung an der Passbeschaffung anzuhalten (vgl. BayVGH, Beschluss vom 4. Mai 2020 – 10 ZB 20.666 – a.a.O. Rn. 8).
Das Ausweisungsinteresse ist im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats auch noch aktuell. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16.17 – a.a.O. Rn. 22 ff.) kann auch ein generalpräventiv begründetes Ausweisungsinteresse der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nur dann entgegenstehen, wenn es noch aktuell ist. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16.17 – a.a.O. Rn. 23). Gemessen daran bestehen keine Zweifel an der Aktualität des generalpräventiv begründeten Ausweisungsinteresse wegen des Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet ohne den erforderlichen Pass oder Passersatz.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann dem Ausweisungsinteresse gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht entgegengehalten werden, dass sich eine allein auf die Passlosigkeit des Antragstellers gestützte Ausweisung als unverhältnismäßig erweisen werde. Für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer tatsächlich ausgewiesen werden könnte. Vielmehr reicht es aus, dass ein Ausweisungsinteresse gleichsam abstrakt – d.h. nach seinen tatbestandlichen Voraussetzungen – vorliegt, wie es insbesondere im Katalog des § 54 AufenthG normiert ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16.17 – a.a.O. Rn. 15). Das ist hier der Fall.
b) Da ein Ausweisungsinteresse nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliegt, kann offen bleiben, ob der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auch entgegensteht, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers nicht i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert ist.
c) Aus dem gleichen Grund bedarf es auch keiner Vertiefung, ob einem Anspruch des Antragstellers i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegensteht, weil er ohne das erforderliche Visum eingereist ist.
§ 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthG steht im vorliegenden Fall der Anwendung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Die Vorschrift setzt – wie § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG – einen strikten Rechtsanspruch voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 1 C 15.14 – juris Rn. 15) und befreit lediglich von der Durchführung des Visumverfahrens (vgl. Samel, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 114). Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG müssen für den Tatbestand des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV hingegen erfüllt sein. Das ist hier nicht der Fall.
2. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG glaubhaft gemacht.
Soweit er vorträgt, er sei als Homosexueller und Kurde in seiner Heimat besonderen Gefahren ausgesetzt, ist dies für das vorliegende Verfahren ohne Belang. Sowohl die Entscheidungen über Asylanträge (§ 13 Abs. 2 AsylG), mit denen über die Gewährung von Asyl und die Zuerkennung internationalen Schutzes befunden wird, als auch die Entscheidungen darüber, ob Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen (vgl. § 24 Abs. 2 AsylG), fallen in die ausschließliche Prüfungskompetenz des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (vgl. VGH BW, Beschluss vom 29. November 2018 – 12 S 2504/18 – juris Rn. 13). Die vom Antragsteller geltend gemachten Gefährdungen sind allein im Rahmen dieser Prüfungen relevant. Insoweit liegt mit dem bestandskräftigen Bescheid des Bundesamtes vom 12. September 2017 eine Entscheidung vor, an welche die Antragsgegnerin gemäß § 42 Satz 1 AsylG gebunden ist. Auch die Frage, ob aufgrund des Folgeantrags des Antragstellers vom 1. September 2021 gemäß § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, unterliegt der ausschließlichen Prüfungskompetenz des Bundesamtes. Hierbei ist der Antragsteller bis zur Entscheidung des Bundesamtes über die Einleitung eines neuen Verfahrens und der Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG vor einer Abschiebung geschützt (vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 71 AsylG Rn. 15).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei Streitigkeiten um eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) der halbe Auffangwert des § 52 Abs.2 GKG, mithin 2.500 €, zu Grunde zu legen (so auch Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs). Das gilt auch dann, wenn der Abschiebungsschutz – wie in der Regel – im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erstritten werden soll, weil in diesen Fällen regelmäßig von einer Vorwegnahme der Hauptsache auszugehen und deshalb eine weitere Reduzierung des Streitwerts nicht angemessen ist (vgl. Beschluss des Senats vom 28. April 2010 – 2 O 41/10 – juris Rn. 2).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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