Verwaltungsrecht

Ein Nichtbetreiben kann als Zurücknehmen des Asylantrages gelten

Aktenzeichen  M 17 S 17.39356

Datum:
29.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 25, § 36 Abs. 4

 

Leitsatz

Wird nach zweimaliger ordnungsgemäßer Ladung zur Anhörung dieser nicht gefolgt, wird wegen der Nichtbetreibensvermutung der Asylantrag als zurückgenommen fingiert. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Afghanistans, Zugehöriger der Volksgruppe der Usbeken und sunnitischen Glaubens. Er reiste nach eigenen Angaben im Juli 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 2. September 2016 Asylantrag.
Mit Schreiben vom 1. Dezember 2016 bzw. 7. April 2017, die jeweils an die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers adressiert waren, wurde dieser zur Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … Januar 2017 bzw. … April 2017 geladen, zu der er jedoch in beiden Fällen nicht erschien.
Mit Bescheid vom 27. April 2017, per Einschreiben am selben Tag zur Post gegeben, stellte das Bundesamt das Verfahren ein (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2). Es forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 3). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass aufgrund des Nichterscheinens vermutet werde, dass der Antragsteller das Verfahren nicht betreibe (§ 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG). Der Asylantrag gelte damit als zurückgenommen. Abschiebungsverbote seien weder vorgetragen noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamts vor.
Die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers erhoben mit Schriftsatz vom 8. Mai 2017, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, Klage gegen diesen Bescheid (M 17 K 17.39355) und beantragten gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17. November 2016 (A 9 K 380/16 – juris) Bezug genommen. Danach sei eine unzutreffende Belehrung in der Terminsbenachrichtigung wegen ihres spezifischen Sachbezugs gegenüber der allgemeinen Belehrung nach § 30 Abs. 4 AsylG von herausgehobener Bedeutung und in der Folge geeignet, beim Asylbewerber Fehlvorstellungen über die Rechtsfolgen seines Ausbleibens beim Anhörungstermin zu erwecken. Der Klage fehle auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Ferner habe der Antragsteller den Termin zur Anhörung mangels Reisefähigkeit nicht wahrnehmen können. Er habe diesbezüglich eine ärztliche Bescheinigung beim Bundesamt eingereicht.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 17.39355 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 27. April 2017 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
1. Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
2. An der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidungen bestehen hier keine derartigen ernstlichen Zweifel.
2.1 Ein Asylantrag gilt als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wobei das Nichtbetreiben vermutet wird, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist (§ 33 Abs. 1 Abs. 2 Nr. 1 AsylG). Die Vermutung gilt jedoch nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte (§ 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG).
2.2 Im vorliegenden Fall erschien der Antragsteller trotz zweimaliger Ladung nicht zur Anhörung, so dass das Nichtbetreiben vermutet werden kann.
a) Insbesondere erfolgte die Ladung zur Anhörung hier auch ordnungsgemäß, was Voraussetzung für die Nichtbetreibensvermutung ist (Gemeinschaftskommentar zum AsylG, Stand November 2016, § 33 Rn. 51 f.). Der Antragsteller wurde insbesondere gemäß § 33 Abs. 4 AsylG über die Rechtsfolgen, vor allem über die Verfahrenseinstellung bei Nichterscheinen zur Anhörung, belehrt (vgl. Bl. 6, 9 der Bundesamtsakte – BA sowie Übersetzung Bl. 11 ff.). Auch in den Ladungen selbst wurde auf die Rücknahmefiktion hingewiesen (Bl. 47, 73 BA). Der Fall unterscheidet sich damit offenbar von dem Sachverhalt, der dem von Antragstellerseite zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17. November 2016 (A 9 K 5380/16 – juris insbes. Rn. 16) zugrundelag. Im Übrigen ist der dortige Fall mit dem Vorliegenden auch deswegen nicht vergleichbar, da die Ladung zur Anhörung nicht – wie hier – an einen Rechtsanwalt, sondern an den rechtsunkundigen Kläger selbst adressiert war.
Selbst wenn die Ladung zur Anhörung als solche dem Antragsteller nicht übersetzt worden sein sollte, führt dies zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Denn wenn der Antragsteller – wie im vorliegenden Fall – aufgrund einer ihm zuvor erteilten Belehrung weiß, dass eine Ladung erfolgen wird und er die Anhörung persönlich wahrzunehmen hat, kann von ihm erwartet werden, dass er sich unverzüglich vom Inhalt des – kurzen – Ladungsschreibens, das er aufgrund des Briefkopfes mit Bundesadler etc. ohne Weiteres als offizielles, sein Asylverfahren betreffendes Schreiben identifizieren kann, Kenntnis verschafft, etwa, indem er eine andere Person um Hilfe bittet (vgl. VG Gelsenkirchen, B.v. 21.11.2016 – 14a L 2519/16.A – juris Rn. 30). Dies gilt hier umso mehr, als die Ladungen jeweils den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers übermittelt wurden.
b) Entgegen der Ausführungen der Prozessbevollmächtigten wurden nach Aktenlage auch keine Atteste o.ä. vorgelegt, die beim Antragsteller fehlende Reisefähigkeit bestätigten und damit gegebenenfalls das Nichterscheinen zu den beiden Anhörungen hätten entschuldigen können. Insbesondere enthält das Schreiben von Dr. … … … September 2016 (Bl. … BA) letztendlich nur die Empfehlung, dass der Antragsteller zu seinem Bruder ziehen sollte.
Das Verfahren konnte somit gemäß § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG eingestellt werden. Dem Antragsteller musste vorher auch nicht Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben werden, da § 25 Abs. 5 AsylG hier nicht anwendbar ist (Gemeinschaftskommentar zum AsylG, Stand November 2016, § 33 Rn. 53).
Gegebenenfalls kann der Antragsteller beim Bundesamt die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen (§ 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
2.3 Auch das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht ersichtlich. Das Gericht nimmt insoweit vollumfänglich auf die Begründung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Weder im Eilverfahren noch im Hauptsacheverfahren wurden von Antragstellerseite Gründe vorgebracht, die zur Bejahung von Abschiebungsverboten führen könnten.
Insbesondere sind arbeitsfähige, gesunde junge Männer – wie der Antragsteller – auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten, so dass für alleinstehende männliche Staatsangehörige keine extreme Gefahrenlage besteht (BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 12; B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris Rn. 5; B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30929 – juris Rn. 2; B.v. 22.12.2016 – 13a ZB 16.30684 – juris Rn. 7; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 60). Gerade Rückkehrer aus dem Westen sind dabei in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch die Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in Nachbarländer Afghanistans geflohen sind, wesentlich höher (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 21). Atteste o.ä., wonach die Arbeitsfähigkeit des Antragstellers eingeschränkt wäre, wurden nicht vorgelegt.
2.3 Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 38 Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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