Verwaltungsrecht

Keine Umdeutung einer Nichtzulassungsbeschwerde in eine Berufung

Aktenzeichen  L 10 AL 125/15 NZB

Datum:
2.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 73048
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 143, § 144

 

Leitsatz

Eine trotz eindeutiger Rechtsmittelbelehrung und entgegen dieser Rechtsmittelbelehrung erhobene Nichtzulassungsbeschwerde kann nicht in eine Berufung umgedeutet werden. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist bei eindeutiger Bezeichnung und entsprechender Begründung auch nicht als Berufungseinlegung auslegungsfähig. (amtlicher Leitsatz)

Verfahrensgang

S 7 AL 18/13 2015-02-18 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I.
Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18.02.2015 – S 7 AL 18/13 – wird verworfen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I. Streitig ist der Eintritt zweier Sperrzeiten (drei Wochen und sechs Wochen) bei einem täglichen Leistungsentgelt in Höhe von 16,22 €.
Das Sozialgerichts Augsburg (SG) hat die verbundenen Klagen mit Urteil vom 18.02.2015 abgewiesen (zugestellt an den Kläger am 13.05.2015). Das Urteil könne mit der Berufung angefochten werden.
Dagegen hat der Kläger ausdrücklich Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) am 27.05.2015 erhoben. Die Berufung hätte gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugelassen werden müssen. Das SG habe gegen rechtsstaatliche Grundsätze und gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung verstoßen. Es habe die Pflicht zur Amtsermittlung verletzt, die strittige Frage nur oberflächlich beantwortet und nur Kommentare zitiert.
Nach Hinweis des Beklagten im Schreiben vom 20.07.2015 und des LSG, das die Akten des SG samt Urteil erst am 26.06.2015 erhalten hat, mit Schreiben vom 11.09.2015 auf die Zulässigkeit der Berufung hat der Kläger im Rahmen eines Befangenheitsantrages gegen die Richter des damals zuständigen 9. Senates am 08.01.2016 ausgeführt, es sei unübersehbar, dass die Berufung angestrebt worden sei. § 123 SGG hätte angewandt werden müssen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II. Die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde ist zu verwerfen. Sie ist nicht zulässig.
Gegen das Urteil des SG ist die Berufung zulässig, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750,00 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Über dieses Rechtsmittel ist der Kläger vom SG zutreffend belehrt worden.
Der Kläger hat dennoch ausdrücklich Nichtzulassungsbeschwerde zum LSG erhoben und darauf hingewiesen, dass die Berufung hätte zugelassen werden müssen. Zudem geht er in seiner Begründung gerade auf Gründe ein, die zur Zulassung einer an sich nicht zulässigen Berufung führen (Abweichen von der obergerichtlichen Rechtsprechung und Verfahrensfehler im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG). Damit aber hat er einen eindeutigen und klaren Antrag auf Zulassung der Berufung im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde gestellt. Das Begehren auf Zulassung der Berufung ist von ihm so deutlich formuliert, dass Zweifel über das Gewollte nicht bestehen. Bei der Auslegung eines Antrages geht das Gericht davon aus, was der Kläger erreichen wollte (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 123 Rn. 3). Hier wollte der Kläger zweifelsohne eine Zulassung der Berufung durch eine Nichtzulassungsbeschwerde erreichen. Der Kläger wollte gerade eine Nichtzulassungsbeschwerde erheben, denn er führt aus, die Berufung hätte zugelassen werden müssen. Eine Auslegung dieses entgegen der vom SG erteilten Rechtsmittelbelehrung eindeutig und klar gestellten Antrages ist deshalb nicht erforderlich und auch nicht möglich. Die vom Kläger erhobene Nichtzulassungsbeschwerde ist einer Auslegung als Berufung daher nicht zugänglich (vgl. dazu BSG, Urteil vom 10.11.2011 – B 8 SO 12/11 B – veröffentlicht in juris für den umgekehrten Fall). Unabhängig davon, ob das eingelegte Rechtsmittel der erteilten Belehrung entspricht oder davon abweicht, ist für die Annahme kein Raum, der Erklärende habe ein anderes als das von ihm bezeichnete Rechtsmittel einlegen wollen (vgl. BSG, Urteil vom 20.05.2003 – B 1 KR 25/01 R – veröffentlicht in juris). Es sind auch keine anderen Umstände hinzugetreten, die entgegen dem Wortlaut der Erklärung den wahren Willen des Erklärenden erkennen lassen, nachdem vorliegend außer der Bezeichnung auch alle übrigen Ausführungen des Klägers für die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde sprechen (vgl. hierzu ebenfalls BSG a. a. O.).
Eine Umdeutung kommt ebenfalls nicht in Betracht. Der Begriff der Umdeutung wird im Gesetz für fehlerhafte Verwaltungsakte (vgl. § 43 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch, § 47 Verwaltungsverfahrensgesetz) und für nichtige Rechtsgeschäfte verwendet (vgl. die Überschrift zu § 140 Bürgerliches Gesetzbuch in der seit 01. 01. 2002 geltenden Fassung). Da es sich bei einem unzulässigen Rechtsmittel weder um das eine noch um das andere handelt, ist bei der Annahme von Umdeutungsmöglichkeiten Zurückhaltung geboten. Für das Verhältnis von Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde kommt aber eine solche Umdeutung wegen der unterschiedlichen Zielrichtung nicht in Betracht (vgl. dazu BSG, Urteil vom 20.05.2003 und Urteil vom 10.11.2011 jeweils a. a. O.).
Die Frage, ob das LSG den Kläger rechtzeitig im Rahmen der prozessualen Fürsorgepflicht nochmals auf die Zulässigkeit der Berufung hätte hinweisen müssen – die SG-Akten samt Urteil sind aber erst nach Ablauf der Berufungsfrist beim LSG eingegangen -, kann vorliegend offen gelassen werden, denn die Nichtzulassungsbeschwerde wäre trotz alledem als unzulässiges Rechtsmittel zu verwerfen, zumal der Kläger auch im Schreiben vom 07.01.2016 im Rahmen eines gestellten Befangenheitsantrages nicht eindeutig erklärt hat, er lege nunmehr Berufung ein. Vielmehr hat er lediglich ausgeführt, es sei unübersehbar, dass er die Berufung angestrebt habe. Die Berufung wird aber von ihm letztendlich über eine Zulassung mittels Nichtzulassungsbeschwerde angestrebt.
Nach alledem war die Beschwerde zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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