Aktenzeichen M 4 K 16.35780
Leitsatz
1 Die Flüchtlingsanerkennung wegen einer behaupteten Bedrohung im Irak wegen einer Arbeit für eine amerikanische Sicherheitsfirma kommt nicht in Betracht, wenn bereits der Vortrag nicht glaubhaft ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es besteht keine Gruppenverfolgung der Sunniten im Irak. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der vom Bayerischen Staatsministerium des Innern erlassene „Abschiebungsstopp“ für irakische Staatsangehörige vermittelt hinreichenden Schutz vor Abschiebungen hinsichtlich allgemeiner Gefahren, so dass es keines Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG bedarf. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 22. Mai 2017 entscheiden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. In der ordnungsgemäßen Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).
I.
Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Dem Kläger steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) kein Anspruch auf Asylanerkennung oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Asylgesetz -AsylG-), oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG zu. Das Gericht verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 Asyl G). Zugunsten des Klägers legt das Gericht den Antrag nach „§ 60 Abs. 1 AufenthG“ als Antrag nach § 3 AsylG auf Anerkennung als Flüchtling aus. Ein Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG wurde nicht gestellt. Eine Asylanerkennung scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger auf den Landweg eingereist ist.
1. Der Kläger hat zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, §§ 3 ff. AsylG.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furch nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Nach diesen Grundsätzen droht dem Kläger bei einer Rückkehr ins Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung in diesem Sinne.
Der Kläger hat keine Verfolgungshandlung im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG glaubhaft gemacht.
Soweit der Kläger seine Verfolgungsgeschichte auf eine Bedrohung wegen einer Arbeit bei einer amerikanischen Sicherheitsfirma stützt, ist seine vorgetragene Geschichte nicht glaubwürdig. Der Kläger hat sich vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung in so erhebliche Widersprüche verwickelt, dass ihm das Gericht seine Verfolgungsgeschichte nicht glaubt. So hat sich der Kläger hinsichtlich seiner Umzüge vor der Ausreise erheblich widersprochen. Auch ist nicht erkennbar oder nachvollziehbar, dass der Kläger nachdem er seine Arbeit bei einer Sicherheitsfirma aufgegeben hatte, deswegen noch bedroht worden sein soll. Die Angaben des Klägers hierzu sind ebenfalls widersprüchlich und verworren und nicht glaubhaft.
Es liegt auch keine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak vor. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung weitgehend geklärt (vgl. zuletzt BVerwG v. 21.4.2009, Az.: 10 C 11.08, AuAs 2009, 173-175, zu Sunniten im Irak; ferner BVerwG v. 1.2.2007, Az.: 1 C 24.06, NVwZ 2007, 590 = InfAuslR 2007, 211 = AuAS 2007, 68, zu Tschetschenen; BVerwG v. 5.1.2007, Az.: 1 B 59.06, juris; BVerwG v. 18.7.2006, Az.: 1 C 15.05, BVerwGE 126, 243 = NVwZ 2006, 1420 = DVBl 2006, 1512 = ZAR 2006, 410 = InfAuslR 2007, 33 = BayVBl 2007, 151, zu Christen im Irak; jeweils mit weiteren Nachweisen). Nach Auffassung des Gerichts liegt die für eine Gruppenverfolgung von Sunniten erforderliche Gefahrendichte in der Herkunftsregion des Klägers nicht vor. Zwar wurde die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Iraks bildete, nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003 insbesondere in den Jahren 2006 bis 2014 aus öffentlichen Positionen gedrängt. Allerdings erkennt die Verfassung des Iraks das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an und es findet keine systematische Diskriminierung oder Verfolgung von religiösen oder ethnischen Minderheiten durch Behörden statt. (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 18. Februar 2016, S. 9, 13; vgl. auch die ständige Rechtsprechung der Kammer und des BayVGH).
2. Die Feststellung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG scheidet schon deshalb aus, weil sie vor Gericht nicht beantragt wurde. Im Übrigen lägen – auch wenn dies nicht mehr entscheidungserheblich ist – auch die Voraussetzungen für den Kläger nicht vor; das Gericht verweist insoweit auf die Ausführungen im Bescheid.
Eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 26 Abs. 5 AsylG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Der Kläger wurde im Bescheid (Rechtsbehelfsbelehrung:) und in der Erstzustellung nach § 87b VwGO belehrt. Trotzdem hat der Kläger erstmals zum Ende der mündlichen Verhandlung am 22. Mai 2017 eine Fotokopie eines Bescheids, der seiner Ehefrau und seinen Kindern die Zuerkennung des subsidiären Schutzes belegen soll, vorgelegt. Es wurde im Verfahren weder eine Heiratsurkunde vorgelegt noch vorgetragen oder nachgewiesen, dass die Voraussetzungen des § 26 Abs. 5 i.V.m. § 26 Abs. 1 AsylG vorliegen. Außerdem ist nicht vorgetragen oder nachgewiesen, dass die Ehe des Klägers überhaupt noch besteht. Der Kläger hat bei seiner Antragstellung im März 2016 und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er von seiner Ehefrau getrennt lebe (wegen Alkoholproblemen seinerseits). Das Gericht legt § 26 AsylG so aus, dass dieser neben dem formalen Band einer Ehe den Bestand einer ehelichen Lebensgemeinschaft voraussetzt. Diese liegt offensichtlich seit mehr als einem Jahr nicht (mehr) vor.
3. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben/vorgetragen.
a) Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht ersichtlich.
b) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekannt gegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehörigen grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420).
Sonstige Gefahren i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern erfasst werden, sind nicht ersichtlich.
4. Der Bescheid des Bundesamtes gibt auch hinsichtlich seiner Ziff. 5, wonach der Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert wird, keinerlei Anlass zu Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber dem Kläger entgegenstünden, nicht ersichtlich, denn er ist, wie oben ausgeführt, weder als Flüchtling anzuerkennen, noch steht ihm subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu; er besitzt auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.