Verwaltungsrecht

Widerruf von Waffenbesitzkarten

Aktenzeichen  AN 14 S 16.00462

Datum:
26.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG WaffG § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 2
BayVwZVG BayVwZVG Art. 21a S. 2

 

Leitsatz

Im Rahmen der nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG anzustellenden – gerichtlich uneingeschränkt überprüfbaren – Prognose ist der allgemeine Zweck des Waffengesetzes zu berücksichtigen, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren (§ 1 Abs. 1 WaffG), nämlich zum Schutz der Allgemeinheit diese vor den schweren Folgen eines nicht ordnungsgemäßen Umgangs mit Waffen zu bewahren. (redaktioneller Leitsatz)
Liegen gesicherte Erkenntnisse darüber vor, dass eine Rockergruppierung der Organisierten Kriminalität in Gestalt der Rockerkriminalität mit den Schwerpunkten im Rotlichtmilieu und dem Drogen- und Waffenhandel zuzurechnen ist, lässt dies den Schluss zu, dass ein Mitglied dieser Rockergruppe selbst Waffen und Munition missbräuchlich verwendet und nichtberechtigten Personen überlassen wird, sodass er allein wegen einer solchen Mitgliedschaft waffenrechtlich unzuverlässig ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nummer 3 des Bescheides des Beklagten vom 3. März 2016 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf 3.250,– € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Widerruf von drei Waffenbesitzkarten sowie gegen die daraus resultierenden waffenrechtlichen Folgemaßnahmen.
Der Antragsteller war Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse in Form der Waffenbesitzkarten Nr. …, Nr. …sowie Nr. …, die ihm jeweils von der Stadt … erteilt worden waren. In den drei Waffenbesitzkarten sind insgesamt sechs Einzellader-Büchsen der Kategorie C, eine Bockdoppelflinte der Kategorie D, eine Repetierbüchse der Kategorie C, vier halbautomatische Pistolen der Kategorie B sowie ein Revolver der Kategorie B eingetragen.
Im Jahr 2015 erlangte das Landratsamt … vom Polizeipräsidium … (Kommissariat … – Rockerkriminalität) Kenntnis davon, dass der Antragsteller Mitglied des Motorradclubs „… …“, einem Chapter des in Deutschland als Outlaw Motorcycle Gang (OMCG) eingestuften „…“, ist. So wurde der Antragsteller am 10. Februar 2015 im Rahmen einer Tresorkontrolle mit einem „Black Seven“ Pullover mit den Schriftzügen „Gremium“ und „1%“ angetroffen. In einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil, das anlässlich einer Hochzeit am 17. Juli 2015 entstanden ist, ist der Antragsteller in einer Vereinsjacke des „…“ zu sehen. In der Behördenakte befinden sich des Weiteren Lichtbilder aus dem Jahr 2014, die zeigen, dass der Antragsteller seinen Bekannten Schusswaffen zum Posieren zur Verfügung stellt, sowie Gruppenfotos des „… …“, auf denen auch der Antragsteller mit abgebildet ist.
Vor diesem Hintergrund teilte das Landratsamt … dem Antragsteller mit Schreiben vom 16. Dezember 2015 mit, es sei aufgrund seiner erst jetzt bekannt gewordenen Mitgliedschaft beim „… …“ beabsichtigt, seine waffenrechtlichen Erlaubnisse zu widerrufen. Der Antragsteller erhielt Gelegenheit, hierzu bis zum 10. Januar 2016 Stellung zu nehmen. Eine Äußerung des Antragstellers erfolgte mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 7. Januar 2016.
Mit Bescheid vom 3. März 2016 widerrief das Landratsamt … die waffenrechtlichen Erlaubnisse in Form der Waffenbesitzkarten Nr. …, Nr. … sowie Nr. … (Nummer 1 des Bescheides). Unter Nummer 2 des Bescheides wurde angeordnet, dass der Antragsteller diese waffenrechtlichen Erlaubnisse spätestens vier Wochen nach Zustellung dieses Bescheides dem Landratsamt … zu übergeben hat. Des Weiteren wurde der Antragsteller verpflichtet, seine Schusswaffen an Berechtigte (z. B. Waffenhändler) zu übergeben oder zu veräußern. Dem Antragsteller wurde unter Nummer 3 des Bescheides für den Fall der Nichterfüllung der Verpflichtung, seine Waffenbesitzkarten zurückzugeben, ein Zwangsgeld in Höhe von 500,– Euro je Waffenbesitzkarte angedroht.
In der Begründung heißt es, der Widerruf beruhe auf § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG, da nachträglich Tatsachen eingetreten seien, die zur Unzuverlässigkeit des Antragstellers führen. Der „… …“, dessen Chapter der Antragsteller angehöre, werde den sog. Rockergruppen zugeordnet, die wiederum der Organisierten Kriminalität im Sinne von Art. 1 Abs. 3 BayVSG in Gestalt der Rockerkriminalität mit den Schwerpunkten im Rotlichtmilieu und dem Drogen- und Waffenhandel zugerechnet werden sowie den von den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden so bezeichneten Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG). Auch die bloße Mitgliedschaft könne die Prognose der Unzuverlässigkeit begründen. Der Antragsteller bewege sich langjährig im Umfeld des „…“ und damit in einem kriminellen Milieu. Der Antragsteller könne nicht nur Schusswaffen für seine kriminelle Vereinigung bereitstellen, er könnte auch fabrikneue Munition für illegale Waffen des OMCG … mit einem nur geringen Entdeckungsrisiko durch die Strafverfolgungsbehörden beschaffen. Da der Antragsteller seine Waffen bereits innerhalb seiner Rockergruppierung herumgereicht und gezeigt habe, sei dort nun auch bekannt, dass er Schusswaffen besitze. Rechtsgrundlage für die Anordnung unter Nummer 2 des Bescheides sei § 46 Abs. 1 WaffG.
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18. März 2016 Klage gegen den Bescheid erheben und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen lassen.
Von einer waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit könne nach den Urteilen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (vgl. BayVGH vom 10.10.2013, 21 BV 13.429 und 21 B 12.964) nur ausgegangen werden, wenn der Antragsteller nicht nur einfaches Mitglied, sondern in hervorgehobener Position oder als sonstiger Funktionsträger im Verein tätig wäre. Der Antragsteller sei zwar Mitglied des Motorradclubs „…“, allerdings nicht in einer hervorgehobenen Position als Präsident, Vizepräsident oder sonstiger Funktionsträger tätig. Auch sonstige Gründe, die für eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Antragstellers sprächen, seien nicht ersichtlich. Hingegen spreche für die waffenrechtliche Zuverlässigkeit des Antragstellers, dass dieser seit Jahren unbeanstandetes Mitglied im Bund der Militär- und Polizeischützen e.V. (BdMP) sowie im Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. (VdRBw) sei. Auch sei der Antragsteller seit nahezu 29 Jahren unbeanstandet als Busfahrer bei der … (im öffentlichen Dienst) beschäftigt und bisher auch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten.
Es sei zwar richtig, dass der Antragsteller bei einem Treffen mit Freunden in seinem Haus in … auf der Terrasse einem seiner Freunde eine Waffe ausgehändigt habe und ein anderer Bekannter hiervon ein Foto mit dem Handy gefertigt habe. Die Waffe sei aber selbstverständlich nicht geladen gewesen und Munition sei auch nicht vorhanden gewesen. Dies lasse keine Rückschlüsse auf eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit zu. Der Antragsteller hätte im Übrigen jederzeit die Möglichkeit gehabt, seinem Bekannten die Waffe wieder abzunehmen. Zu der Zeit, als das Foto gemacht worden sei, sei der Antragsteller auch noch kein Mitglied des „Gremiums MC“ gewesen. Es existiere auch ein Foto des Antragstellers in Facebook, auf dem dieser mit der Vereinsjacke posiere. Das Bild sei anlässlich der Hochzeit des Antragstellers aufgenommen worden, da er in „Motorradtracht“ geheiratet habe. Auch dies lasse keine Rückschlüsse auf eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Antragstellers zu.
Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt der Antragsteller,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 3. März 2016 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller hat seinen Waffenbestand am 3. Mai 2016 bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zur Verwahrung an eine Waffenhändlerin in … übergeben. Die drei Waffenbesitzkarten hat der Bevollmächtigte des Antragstellers am 19. Mai 2016 dem Landratsamt … übergeben.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist nur teilweise zulässig und hat auch in der Sache nur teilweise Erfolg.
1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den vom Landratsamt … in Nummer 1 des Bescheides vom 3. März 2016 verfügten Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse anzuordnen, ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Denn die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 WaffG entfällt von Gesetzes wegen nach §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 45 Abs. 5 WaffG, sofern die waffenrechtliche Erlaubnis wegen des Nichtvorliegens oder Entfallens der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG zurückgenommen oder widerrufen wird.
Soweit der Antrag gegen die in Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Zwangsgeldandrohung gerichtet ist, ist er ebenfalls zulässig. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. Art. 21a Satz 1 des Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) entfaltet die Klage gegen die Zwangsgeldandrohung keine aufschiebende Wirkung. Nach Art. 21a Satz 2 VwZVG i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in einem solchen Fall auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen.
Im Hinblick auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nummer 2 des Bescheides vom 3. März 2016 (Rückgabe der Waffenbesitzkarten) ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO allerdings nicht statthaft und damit unzulässig, da die aufschiebende Wirkung bei Folgemaßnahmen (hier: § 46 Abs. 1 WaffG) nicht von Gesetzes wegen entfällt und der Antragsgegner diese Anordnung auch nicht nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt hat.
2. Der Antrag hat auch in der Sache nur teilweise Erfolg.
Entfaltet ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen bzw. wiederherstellen. Bei der vom Gericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu treffenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs kann das Verwaltungsgericht neben einer etwaigen gesetzlichen Wertung (vgl. § 45 Abs. 5 Satz 1 WaffG) und der Bewertung etwa eintretender Folgen für den Fall der Anordnung und den Fall der Nichtanordnung der aufschiebenden Wirkung für den Betroffenen und für das öffentliche Interesse auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens berücksichtigen. Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Sind die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren als offen anzusehen, findet eine reine Interessenabwägung statt.
In Anwendung dieser Grundsätze ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nur im Hinblick auf die Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheides begründet. Denn bei der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage wird die Klage gegen den Bescheid vom 3. März 2016 nur insoweit Aussicht auf Erfolg haben.
2.1. Der unter Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheides verfügte Widerruf der Waffenbesitzkarten Nr. …, Nr. … und Nr. … ist – summarisch geprüft – aller Voraussicht nach rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2007 – 6 C 24/06 – juris Rn. 35; BayVGH, B.v. 18.8.2008 – 21 BV 06.3271 – juris Rn. 25) war der Widerruf der Waffenbesitzkarten des Antragstellers rechtmäßig, weil dieser als Vollmitglied des „… …“, waffenrechtlich unzuverlässig im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 a, b und c WaffG ist.
Rechtsgrundlage für den Widerruf der Waffenbesitzkarten (§ 10 Abs. 1 WaffG) ist § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Danach ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung einer Erlaubnis hätten führen müssen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Ein Versagungsgrund ergibt sich unter anderem aus § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG, der für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis die Zuverlässigkeit (§ 5 WaffG) und die persönliche Eignung (§ 6 WaffG) voraussetzt.
Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen Personen unter anderem dann nicht, wenn bei ihnen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 a WaffG) oder Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 c WaffG). § 5 Abs. 1 WaffG regelt in Abgrenzung zur regelmäßigen Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 WaffG die Fälle der absoluten waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit, in denen eine waffenrechtliche Erlaubnis nicht erteilt werden darf (vgl. BayVGH, U.v. 10.10.2013 – 21 BV 12.1280 -, juris).
Im Rahmen der nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG anzustellenden – gerichtlich uneingeschränkt überprüfbaren – Prognose ist der allgemeine Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren (§ 1 Abs. 1 WaffG), nämlich zum Schutz der Allgemeinheit diese vor den schweren Folgen eines nicht ordnungsgemäßen Umgangs mit Waffen zu bewahren (vgl. BT-Drs. 14/7758, S. 51).
Ausgehend davon genügt für die Prognoseentscheidung über die waffenrechtliche Zuverlässigkeit ein rationaler Schluss von der Verhaltensweise eines Betroffenen auf dessen in Zukunft zu erwartendes Verhalten. Dabei wird angesichts des präventiven Charakters der gesetzlichen Regelungen in § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, b und c WaffG und der erheblichen Gefahren, die von Waffen oder Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, für die Prognose nicht der Nachweis verlangt, der Betroffene werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden, mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren oder Personen überlassen, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind. Es genügt eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Einschätzung, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss (st. Rspr. vgl. z. B. BVerwG B.v. 31.1.2008 – 6 B 4.08 -, juris; B.v. 12.10.1998 – 1 B 245.97 -, juris; BayVGH, B.v. 28.11.2013 – 21 CS 13.1758 -, juris Rn. 9; B.v. 4.12.2013 – 21 CS 13.1969 -, juris Rn. 14; B.v. 16.9.2008 – 21 ZB 08.655 -, juris).
Erforderlich sind konkrete Tatsachen, die den nachvollziehbaren und plausiblen Schluss rechtfertigen, dass der Erlaubnisinhaber in Zukunft entweder selbst mit Waffen in einer vom Waffengesetz nicht geduldeten Form umgehen oder Dritten einen solchen Umgang durch willentliche Überlassung ermöglichen wird (vgl. BayVGH, U.v. 10.10.2013 – 21 B 12.960 -, juris). Auch die Zugehörigkeit einer Person zu einer Rockergruppierung kann als derartige Tatsache herangezogen und gewürdigt werden, sofern bestimmte Strukturmerkmale der Gruppe die Annahme rechtfertigen, dass gerade auch die zu verurteilende Person künftig Verhaltensweisen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG verwirklichen wird (BVerwG, U. 28.1.2015 – 6 C 1.14 -, juris, Rn. 11 ff. zur Rockergruppierung „Bandidos“ unter Bestätigung BayVGH, U.v. 10.10.2013 – 21 B 12.1280; 21 B 12.960 und 21 B 12.964 -, alle juris; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, B. v. 27.11.2015 – 7 B 10844/15.OVG -, juris).
Davon ausgehend liegen hier die Voraussetzungen für die Annahme einer waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers vor. Bereits die – nicht bestrittene – Vollmitgliedschaft des Antragstellers beim „…“, Chapter …, rechtfertigt den nachvollziehbaren und plausiblen Schluss, dass der Antragsteller selbst Waffen und Munition missbräuchlich verwenden (§ 5 abs. 1 Nr. 2 a WaffG) und nichtberechtigten Personen überlassen wird (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 c WaffG) und damit waffenrechtlich unzuverlässig ist. Die Kammer stützt sich dabei auf die Erkenntnisse über Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG), vor allem den „…“, den „Bandidos MC“ und den „Hells Angels MC“ sowie über die Organisierte Kriminalität (OK), die sich unter anderem aus den allgemein zugänglichen Quellen (Wikipedia), den Verfassungsschutzberichten Bayern 2009 – 2015 sowie der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich die Kammer ausdrücklich anschließt, ergeben.
Der „…“ ist eine Rockergruppierung, die in keiner Hinsicht ein Potenzial für gewaltfreie Konfliktlösungen besitzt. Er ist mit über 100 Chaptern der größte deutsche „1%er“ Motorradclub (vgl. auch den Verfassungsschutzbericht Bayern 2015) und wird ebenso wie etwa die „Bandidos“ oder die „Hells Angels“ den so genannten Rockergruppen zugeordnet, die wiederum der Organisierten Kriminalität im Sinn von Art. 1 Abs. 3 BayVSG in Gestalt der Rockerkriminalität mit den Schwerpunkten im Rotlichtmilieu und dem Drogen- und Waffenhandel zugerechnet werden, sowie den von den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden so bezeichneten Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG) (vgl. BayVerfSchBer 2015, S. 239 ff.; BayVGH, a. a. O., Rn. 37, 66). Mit der Bezeichnung „OMCG“ werden weltweit die polizeilich besonders relevanten Rockergruppierungen von der breiten Masse der Motorradclubs abgegrenzt, die zwar im Einzelfall auch kriminelle Aktivitäten verfolgen können, diese aber nicht als Hauptmotivation ihrer Existenz verstehen (BayVerfSchBer 2015, S. 239).
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass bereits die Mitgliedschaft des Antragstellers im „…“ die waffenrechtliche Zuverlässigkeit grundsätzlich ausschließt. Unerheblich ist, dass der Antragsteller im Zusammenhang mit seiner Mitgliedschaft des „…“ bisher strafrechtlich nicht verurteilt worden ist. Denn die Prognoseentscheidung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit erfordert nicht erst den Nachweis eines bestimmten Fehlverhaltens und wird nicht dadurch widerlegt, dass eine Person im Zusammenhang mit ihrer Mitgliedschaft in einer Gruppierung strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist (BayVGH, U. v. 10.10.2013 – 21 BV 12.1280 – juris Rn. 61). Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs genügt als Tatsache für die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit, dass sich der Erlaubnisinhaber regelmäßig in einem Milieu bewegt, in dem üblicherweise Straftaten begangen werden. Denn in diesem Fall ist auch ohne konkrete Vorfälle die Annahme gerechtfertigt, Waffen könnten rechtswidrig verwendet oder abgegeben werden (BayVGH, a. a. O., Rn. 65). Es würde dem präventiven Zweck des Waffenrechts widersprechen, wenn die Waffenbehörde in derartigen Fällen so lange mit dem Widerruf oder der Rücknahme waffenrechtlicher Erlaubnisse warten müsste, bis es zu Straftaten und Verurteilungen gekommen ist (BayVGH, a. a. O.).
Auch die Tatsache, dass der Antragsteller – im Gegensatz zu den vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fällen – „nur“ ein „einfaches“ Vollmitglied des „…“ ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Wie sich aus den Entscheidungsgründen des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Oktober 2013 (21 BV 12.1280 -, juris) ergibt, ist bei der Auslegung des Begriffs der missbräuchlichen Verwendung in § 5 Abs. 1 Nr. 2 a WaffG und der Bestimmung des Prognosemaßstabs nicht allein auf eine bestimmte Funktion oder einzelne Aktivitäten des Erlaubnisinhabers abgestellt worden, sondern auf die – auch für jedes Vollmitglied ohne Funktion geltende – lebenslange Zugehörigkeit und bedingungslose Loyalität gegenüber dem Motorcycle Club (BayVGH, a. a. O., Rn. 43), auf eine in sonstigen gesellschaftlichen Gruppierungen nicht vorzufindende gegenseitige Verbundenheit der besonders restriktiv ausgewählten MC-Mitglieder (BayVGH, a. a. O., Rn. 43, 68), auf die Verzahnung und Vernetzung der einzelnen Chapter des „…“ durch ortsgruppenübergreifende hierarchische Strukturen (BayVGH, a. a. O., Rn. 68) und auf die Parallelen zwischen der Organisierten Kriminalität und den 1%er Rockergruppen wie der Begehung schwerer Straftaten, des hierarchischen inneren Aufbaus und eines internen Ehrenkodexes mit strengen, ungeschriebenen Regeln, der Durchsetzung von Gebietsansprüchen durch Gewaltanwendung, des Macht- und Gewinnstrebens und des arbeitsteiligen Vorgehens (BayVGH, a. a. O., Rn. 45).
Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die wesentlichen Gründe, die für die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit von OMCG-Mitgliedern sprechen, in Bezug auf die Person des Antragstellers nicht vorliegen. Wie sich aus der Behördenakte ergibt, bewegt sich der Antragsteller schon längere Zeit im Umfeld des Motorradclubs „…“ und damit in einem kriminellen Milieu. Auch wenn der genaue Aufnahmezeitpunkt nicht bekannt ist, ergibt sich aus den dem Gericht vorliegenden Lichtbildern und dem vom Antragsgegner im streitgegenständlichen Bescheid erwähnten Facebook-Profil, dass der Antragsteller sich mit dem Club identifiziert. Auf den in der Behördenakte befindlichen Gruppenfotos des „…“ vom 30. Oktober 2014 (Blatt 16 und 17 der Behördenakte) ist auch der Antragsteller abgebildet. In dem Facebook-Profil ist der Antragsteller anlässlich einer Hochzeit am 17. Juli 2015 in einer „…“ zu sehen. Weitere Lichtbilder (Blätter 18 – 20 der Behördenakte) lassen darauf schließen, dass der Antragsteller seine Waffen leichtfertig anderen Personen überlässt. Dass der Antragsteller Freunden Waffen ausgehändigt hat, damit diese sich mit der Waffe fotografieren lassen können, hat der Antragsteller selbst auch eingeräumt.
Soweit er vortragen lässt, für seine waffenrechtliche Zuverlässigkeit spreche, dass er seit Jahren unbeanstandetes Mitglied im Bund der Militär- und Polizeischützen e.V. (BdMP) sowie im Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. (VdRBw) sei, ist diese Tatsache allein nicht geeignet, die aus der Mitgliedschaft beim „…“ zu ziehenden Schlussfolgerungen zu widerlegen. Auch ist darin keine Distanzierung von den Aktivitäten des „…“ oder seinen für die Mitglieder geltenden Regeln zu sehen.
Selbst bei offenen Erfolgsaussichten der Klage würde das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der waffenrechtlichen Erlaubnisse gegenüber dem Interesse des Antragsstellers, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache seine Waffenbesitzkarten behalten zu dürfen, überwiegen. Dies folgt aus der gesetzgeberischen Wertung in § 45 Abs. 5 WaffG, wegen der damit verbundenen Gefahren die Allgemeinheit sofort vor höchstwahrscheinlich unzuverlässigen Waffenbesitzern zu schützen. Demgegenüber hat das private Interesse des Antragstellers, der auf seine Waffen beruflich oder wegen sonst schützenswerter Belange nicht angewiesen ist, zurückzutreten (vgl. BayVGH, B. v. 19. März 2010 – 21 CS 10.59 -, juris Rn. 14).
2.2 Im Hinblick auf die Androhung des Zwangsgeldes (Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheides) wird die Anfechtungsklage – so die summarische Prüfung – voraussichtlich begründet sein, weil der Bescheid insoweit aller Voraussicht nach rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 19 VwZVG können Verwaltungsakte vollstreckt werden, wenn sie nicht mehr mit einem förmlichen Rechtsbehelf angefochten werden können (Nr. 1) oder wenn der förmliche Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat (Nr. 2) oder wenn die sofortige Vollziehung angeordnet ist (Nr. 3).
Zwar ist der in Nummer 1 des Bescheides vom 3. März 2016 verfügte Widerruf der dem Antragsteller erteilten Waffenbesitzkarten bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbar (vgl. § 45 Abs. 5 WaffG). Dies gilt allerdings nicht für Folgemaßnahmen nach § 46 Abs. 1 und 2 WaffG. Insoweit kann die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO besonders angeordnet werden. Im vorliegenden Fall hat das Landratsamt … die sofortige Vollziehung der dem Antragsteller in Nummer 2 des Bescheides auferlegten Pflichten allerdings nicht angeordnet, so dass die Klage des Antragstellers insoweit aufschiebende Wirkung entfaltet. Die für eine Zwangsgeldandrohung erforderlichen Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 1 VwZVG sind deshalb nicht gegeben, so dass die Zwangsgeldandrohung in Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheides rechtswidrig ist.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Antragsteller obsiegt nur in einem für die Kostenentscheidung unerheblichen Teil.
4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i. V. m. Nr. 1.5 Satz 1, 50.2 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Danach ist für den Widerruf der Waffenbesitzkarten der Auffangstreitwert (5.000,- EUR) in Ansatz zu bringen, der sich für die beiden weiteren Waffen um jeweils 750,- EUR erhöht. Der sich daraus ergebende Streitwert in Höhe von 6.500,- EUR ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel zu halbieren (3.250,- EUR).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen