Zivil- und Zivilprozessrecht

Revisionsverfahren: Wirksamkeit des Klägerantrags auf Erlass eines Anerkenntnisurteils vor Ende der mündlichen Verhandlung bei zuvor abgegebener Erklärung, einen solchen Antrag nicht zu stellen; Recht auf Widerruf des Anerkenntnisses

Aktenzeichen  X ZR 33/20

Datum:
21.9.2021
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:210921UXZR33.20.0
Normen:
§ 307 ZPO
§ 555 Abs 3 ZPO
Spruchkörper:
10. Zivilsenat

Leitsatz

1. Ein vor dem Ende der mündlichen Verhandlung über die Revision gestellter Antrag des Klägers auf Erlass eines Anerkenntnisurteils ist nicht deshalb unwirksam, weil der Kläger auf das vor Eingang seiner Revisionsbegründung abgegebene Anerkenntnis hin zunächst erklärt hat, ein Antrag nach § 555 Abs. 3 ZPO solle nicht gestellt werden, und zu Beginn der mündlichen Verhandlung ein streitiges Urteil beantragt hat.
2. Ein diesbezügliches Verhalten des Klägers begründet auch kein Recht zum Widerruf eines wirksam abgegebenen Anerkenntnisses.

Verfahrensgang

vorgehend LG Köln, 17. März 2020, Az: 11 S 33/19, Urteilvorgehend AG Köln, 14. Dezember 2018, Az: 124 C 146/18, Urteil

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 17. März 2020 aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 14. Dezember 2018 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 300,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15. Januar 2018 zu bezahlen.
Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zwei Drittel und der Kläger ein Drittel.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt die Beklagte.

Tatbestand

1
Der Kläger nimmt die Beklagte auf eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung in Anspruch.
2
Der Kläger hat ursprünglich Zahlung von 600 Euro nebst Zinsen begehrt. Hinsichtlich eines Teilbetrags von 300 Euro haben die Parteien den Rechtsstreit in erster Instanz übereinstimmend für erledigt erklärt.
3
Im danach noch anhängigen Umfang hat die Klage in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Dagegen wendet sich der Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
4
Die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben die Klageforderung vor Eingang der Revisionsbegründung vollumfänglich anerkannt. Der Kläger hat hierauf erklärt, ein Antrag nach § 555 Abs. 3 ZPO solle nicht gestellt werden. Ebenfalls noch vor Eingang der Revisionsbegründung haben die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten mitgeteilt, die Beklagte ziehe ihr Anerkenntnis zurück und werde beim Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwälte mit ihrer weiteren Vertretung betrauen. Nach Eingang der Revisionsbegründung ist die Beklagte dem Rechtsmittel entgegengetreten.
5
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zunächst die in seiner Revisionsbegründung angekündigten Anträge gestellt. Die Beklagte hat die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt. Im weiteren Verlauf der Verhandlung hat der Kläger den Erlass eines Anerkenntnisurteils beantragt.

Entscheidungsgründe

6
I. Die Beklagte ist ihrem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen.
7
1. Das von der Beklagten abgegebene Anerkenntnis ist wirksam erklärt worden.
8
Ein nicht beim Bundesgerichtshof zugelassener Rechtsanwalt kann den Klageanspruch für die von ihm vertretene Partei in der Revisionsinstanz jedenfalls dann wirksam anerkennen, wenn der Kläger seine Revision noch nicht begründet hat (BGH, Urteil vom 6. Mai 2014 – X ZR 11/14, NJW-RR 2014, 831 Rn. 4 ff.).
9
Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.
10
2. Den nach § 555 Abs. 3 ZPO erforderlichen Antrag auf Erlass eines Anerkenntnisurteils hat der Kläger wirksam gestellt.
11
a) Ein Antrag dieses Inhalts ist in der Revisionsinstanz auch dann erforderlich, wenn das Anerkenntnis vor Beginn der mündlichen Verhandlung abgegeben worden ist (BGH, Urteil vom 14. August 2019 – IV ZR 279/17, NJW 2019, 3582 Rn. 9 f.).
12
b) Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag des Klägers ist nicht deshalb unwirksam, weil der Kläger zuvor erklärt hatte, einen solchen Antrag nicht zu stellen.
13
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein Kläger auf sein Recht, einen Antrag nach § 555 Abs. 3 ZPO zu stellen, wirksam verzichten kann. Der im Streitfall abgegebenen Erklärung lässt sich ein solcher Verzicht jedenfalls nicht entnehmen. Sie enthält der Sache nach zwar die Ankündigung, dass der Kläger ein streitiges Revisionsurteil anstrebt, nicht aber eine endgültige Verfügung über das Antragsrecht oder eine Verpflichtung, an der angekündigten Vorgehensweise unter allen Umständen festzuhalten.
14
c) Der Kläger hat sein Antragsrecht auch nicht dadurch verloren, dass er in der mündlichen Verhandlung zunächst eine streitige Entscheidung beantragt hat.
15
aa) In dieser Erklärung kann ebenfalls kein endgültiger Verzicht auf das Antragsrecht gesehen werden.
16
bb) Der Sinn und Zweck von § 555 Abs. 3 ZPO stehen einem erst im Verlauf der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Erlass eines Anerkenntnisurteils nicht entgegen.
17
§ 555 Abs. 3 ZPO schränkt die Dispositionsmaxime zugunsten des öffentlichen Interesses an einer höchstrichterlichen Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen ein. Der Beklagte soll es nicht in der Hand haben, ein ihm ungünstiges Grundsatzurteil durch Anerkenntnis abzuwenden (BT-Drucks. 17/13948 S. 35).
18
Die Entscheidung darüber, ob ein streitiges Urteil ergeht, ist den Parteien aber nicht vollständig entzogen. Vielmehr liegt es nach dem Gesetz in der Hand des Klägers, ob er die ihm günstigen Wirkungen eines Anerkenntnisses in Anspruch nehmen oder eine Grundsatzentscheidung herbeiführen will (BT-Drucks. 17/13948 S. 35).
19
Eine zeitliche Grenze für die Ausübung dieser Wahlmöglichkeit sieht das Gesetz nicht vor. Angesichts dessen kann es dem Kläger grundsätzlich nicht verwehrt werden, den Erlass eines Anerkenntnisurteils erst kurz vor dem Ende der mündlichen Verhandlung zu beantragen.
20
Dass der Kläger seine Entscheidung über die Stellung des Antrags vom Verlauf der mündlichen Verhandlung abhängig macht, steht zwar in gewissem Widerspruch zur generellen Zielsetzung des § 555 Abs. 3 ZPO. Dies ist aber hinzunehmen, weil das Gesetz die Dispositionsbefugnis der Parteien nur hinsichtlich einzelner Aspekte beschränkt, nicht aber vollständig aufhebt.
21
3. Die Beklagte hat ihr Anerkenntnis nicht wirksam widerrufen.
22
a) Ein Anerkenntnis im Sinne von § 307 ZPO ist eine Prozesshandlung und kann deshalb grundsätzlich weder angefochten noch widerrufen werden (BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 – IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389 = NJW 1981, 2193, juris Rn. 8 f.).
23
Eine besondere Konstellation, in der ein Widerruf ausnahmsweise zulässig ist, liegt im Streitfall nicht vor.
24
b) Ein Widerruf war im Streitfall auch nicht deshalb möglich, weil der Kläger zunächst angekündigt hat, keinen Antrag auf Erlass eines Anerkenntnisurteils zu stellen.
25
Ein prozessuales Anerkenntnis ist keine auf den Abschluss eines Vertrags gerichtete Erklärung, die im Falle einer Ablehnung erlischt. Es bleibt vielmehr zumindest bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der jeweiligen Instanz wirksam. Dementsprechend verliert ein im schriftlichen Vorverfahren erster Instanz abgegebenes Anerkenntnis seine Wirkung nicht dadurch, dass der Kläger in einer nachfolgenden mündlichen Verhandlung ein Versäumnisurteil beantragt oder streitig zur Sache verhandelt hat (BGH, Urteil vom 17. März 1993 – XII ZR 256/91, NJW 1993, 1717 juris Rn. 10 ff.).
26
4. Die Berufung des Klägers auf das Anerkenntnis verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben.
27
a) Ein Antrag auf Erlass eines Anerkenntnisurteils kann treuwidrig sein, wenn die Verurteilung der materiellen Rechtslage nicht entspricht und die Unrichtigkeit dem Kläger bekannt ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 – IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389 = NJW 1981, 2193, juris Rn. 22).
28
Anhaltspunkte hierfür sind im Streitfall nicht ersichtlich.
29
Nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung konnte der Kläger nicht sicher davon ausgehen, wie der Senat in der Sache entscheiden würde. Dass er in dieser Situation den für ihn sicheren Weg gewählt hat, ist unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden.
30
b) Ein prozessuales Verhalten kann – wie jedes andere Verhalten (dazu etwa BGH, Urteil vom 7. Mai 2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 = NJW 2014, 2646 Rn. 40) – auch dann gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen, wenn eine Partei durch ihr Verhalten für den anderen Teil einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (BGH, Urteil vom 5. Juni 1997 – X ZR 73/95, NJW 1997, 3377, juris Rn. 24 ff. – Weichvorrichtung II).
31
Auch unter diesem Aspekt erscheint das Verhalten des Klägers im Streitfall nicht treuwidrig.
32
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger durch die Erklärung, er werde kein Anerkenntnisurteil beantragen, einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, der die Beklagte zur Beauftragung eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts veranlasst hat. Dieser Vertrauenstatbestand ist jedenfalls deshalb nicht schutzwürdig, weil die Beklagte in dieselbe Lage versetzt worden wäre, wenn der Kläger von einer solchen Ankündigung abgesehen und lediglich seine Revisionsbegründung eingereicht hätte. In der zuletzt genannten Konstellation hätte die Beklagte nicht ohne weiteres darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung an seinem Bestreben nach einer streitigen Entscheidung festhält. Die im Streitfall ergänzend abgegebene Erklärung, ein Antrag nach § 555 Abs. 3 ZPO werde nicht gestellt, schafft keinen weitergehenden Vertrauenstatbestand und kann deshalb nicht zu einer abweichenden Beurteilung führen.
33
II. Das Anerkenntnis bezieht sich lediglich auf den Teil des Klageanspruchs, der im Zeitpunkt seiner Abgabe noch anhängig war. Soweit die Parteien hinsichtlich eines Teils des Streitgegenstands bereits in erster Instanz den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, kann es keine Wirkungen entfalten.
34
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 91a und § 92 Abs. 1 ZPO.
35
Die hinsichtlich des beiderseits für erledigt erklärten Teils des Streitgegenstands getroffene Kostenentscheidung des Berufungsgerichts unterliegt nur insoweit der revisionsrechtlichen Nachprüfung, als es um die Voraussetzungen der Anwendung von § 91a ZPO geht (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2006 – IX ZR 66/05, NJW 2007, 1591 Rn. 24; Urteil vom 12. Mai 2011 – I ZR 20/10, GRUR 2011, 1140 Rn. 30). Insoweit erhebt die Revision keine Rügen.
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