Zivil- und Zivilprozessrecht

Staats- und Verfassungsrecht

Aktenzeichen  112/20

Datum:
6.4.2022
Gerichtsart:
Thüringer Verfassungsgerichtshof
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VERFGHT:2022:0406.112.20.00
Normen:
Art 92 GG
Art 101 Abs 1 S 2 GG
Art 42 Abs 5 S 1 Verf TH
Art 87 Abs 3 Verf TH
§ 4 Abs 1 VGHG TH
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Spruchkörper:
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Leitsatz

Einzelfall erfolgloser Ablehnungsgesuche wegen Besorgnis der Befangenheit

Verfahrensgang

vorgehend VG Meiningen, 7. Juli 2020, 2 E 651/20 Me, Beschlussvorgehend VG Meiningen, 5. Oktober 2020, 2 E 864/20 Me, Beschluss

Tenor

1. Das Ablehnungsgesuch gegen den ehemaligen Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshofs … wird als unzulässig verworfen.
2. Das Ablehnungsgesuch gegen das Mitglied X wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe

A.
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 7. Juli 2020 und vom 5. Oktober 2020.
II.
1. Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2021 lehnte die Beschwerdeführerin den damaligen Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshofs … wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zwei Wochen später schied der abgelehnte Präsident des Thüringer Verfassungsgerichtshofs … wegen Vollendung seines 68. Lebensjahrs nach § 6 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 des Gesetzes über den Thüringer Verfassungsgerichtshof (Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz – ThürVerfGHG) aus dem Amt aus. Hierauf wurde die Beschwerdeführerin hingewiesen.
2. Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2022 lehnte die Beschwerdeführerin das Mitglied X wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dazu nahm sie auf das Ablehnungsgesuch vom 16. Dezember 2021 Bezug, mit dem der ausgeschiedene Präsident … wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden war. Die Gründe gälten auch für das Mitglied X. Darüber hinaus sei eine Einbindung des Berichterstatters X in das Verfahren unterblieben. Vom Akteninhalt habe dieser bis zum Ablehnungsgesuch vom 16. Dezember 2021 keine Kenntnis gehabt. Es sei jedoch davon auszugehen, dass er von dem Schreiben des Vertreters des Präsidenten vom 2. Februar 2022 Kenntnis gehabt habe.
3. Mit Schriftsatz vom 16. März 2022 verwies die Beschwerdeführerin ergänzend auf Stellungnahmen, die von ihrem Bevollmächtigten im Zusammenhang mit Befangenheitsanträgen in anderen beim Thüringer Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren abgegeben wurden. Diese Verfassungsbeschwerden wurden nicht von der Beschwerdeführerin erhoben und die dort gestellten Befangenheitsanträge beziehen sich auf die Mitglieder … und Prof. … .
II.
Das Mitglied X gab am 16. Februar 2022 eine dienstliche Erklärung zum Ablehnungsgesuch ab.
In dieser führte er aus, dass er, da der Verweis auf das Ablehnungsgesuch vom 16. Dezember 2021 lediglich pauschal erfolgt sei, dazu keine Erklärung abgeben könne. Die Behauptung, er habe bis zum Ablehnungsgesuch vom 16. Dezember 2021 keine Kenntnis vom Akteninhalt gehabt, sei unrichtig. Er verfüge über eine Handakte. Vom Inhalt des Schreibens vom 2. Februar 2022 habe er Kenntnis gehabt. Die darin gegebenen Auskünfte zu den Arbeitsabläufen beim Thüringer Verfassungsgerichtshof seien zutreffend.
III.
Die Erklärung wurde der Beschwerdeführerin und den Anhörungsberechtigten mit Gelegenheit zur Stellungnahme übermittelt.
B.
I.
An die Stelle des ausgeschiedenen und abgelehnten Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshof … in dessen Funktion als Vorsitzender tritt nach § 7 Satz 2, § 8 Abs. 1 Satz 4, § 6 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 ThürVerfGHG vertretungsweise das Mitglied … . An die Stelle des Präsidenten in dessen Funktion als Richter tritt vertretungsweise nach § 8 Abs. 1 Sätze 1 und 4, § 6 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 ThürVerfGHG das stellvertretende Mitglied P. Das abgelehnte Mitglied X wird nach § 8 Abs. 1 Satz 1 ThürVerfGHG durch das stellvertretende Mitglied Licht vertreten.
II.
Die Entscheidung ergeht nach § 14 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG ohne mündliche Verhandlung.
III.
1. Nach § 14 Abs. 1 ThürVerfGHG kann ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs von den Beteiligten wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfGHG ist die Ablehnung zu begründen.
Die Besorgnis der Befangenheit setzt nach § 14 Abs. 1 Halbsatz 1 ThürVerfGHG einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er sich selbst befangen fühlt. Entscheidend ist, ob ein am Verfahren Mitwirkender bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Dabei ist nicht auf den subjektiven Standpunkt des Ablehnenden, sondern auf die Sicht einer „vernünftigen Prozesspartei“ abzustellen, die von den zu würdigenden Umständen betroffen ist (st. Rspr., vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 2. Juni 2021 – VerfGH 104/20 -, juris Rn. 10 m. w. N.).
2. Die Ablehnung des ausgeschiedenen Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshofs … war zu verwerfen, weil sie offensichtlich unzulässig ist.
Ein Ablehnungsgesuch ist insbesondere dann offensichtlich unzulässig, wenn der abgelehnte Richter nicht zur Mitwirkung im Verfahren berufen ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Dezember 1988 – 1 BvR 1487/87 -, juris und Beschluss vom 1. März 2016 – 2 BvB 1/13 -, juris Rn. 12). Dies ist hier der Fall. Mit Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze ist der von der Beschwerdeführerin abgelehnte Richter … aus dem Verfassungsgerichtshof ausgeschieden und somit nicht mehr zur Mitwirkung in diesem Verfahren berufen. Aufgrund der offensichtlichen Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs bedurfte es auch keiner dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. März 2016 – 2 BvB 1/13 -, juris Rn. 12).
3. Ob das Ablehnungsgesuch bezüglich des Mitglieds X zulässig ist, kann dahingestellt bleiben. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze ist die Ablehnung jedenfalls unbegründet. Die vorgetragenen Gründe vermögen keine Zweifel an der Unparteilichkeit des Mitglieds X zu begründen.
Das Befangenheitsgesuch rügt im Kern nicht die möglicherweise fehlende Unparteilichkeit des Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs X, sondern wendet sich gegen die interne Gerichtsorganisation des Verfassungsgerichtshofs und die dabei den Wissenschaftlichen Mitarbeitern zukommende Rolle. Hierin erblickt die Beschwerdeführerin Verstöße gegen § 19 Satz 1 und § 36 Abs. 3 ThürVerfGHG sowie gegen Art. 42 Abs. 5 Satz 1 und Art. 87 Abs. 3 ThürVerf. Die Beschwerdeführerin ist insbesondere der Auffassung, dass die vorbereitenden Aufgaben, die den Wissenschaftlichen Mitarbeitern zukommen, rechtlich unzureichend geregelt seien und faktisch zu einer Determinierung des späteren richterlichen Entscheidungsfindungsprozesses führten.
Mit diesem Vorbringen dringt die Beschwerdeführerin nicht durch. Dies ergibt sich aus Folgendem:
a) Es liegt kein Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters nach Art. 87 Abs. 3 ThürVerf vor. Ziel dieser grundrechtsgleichen Garantie ist es, ebenso wie aufgrund von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Eingriffe in die Rechtspflege zu verhindern und der Gefahr vorzubeugen, dass die Justiz durch Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. März 2018 – 2 BvR 760/18 -, BVerfGE 148, 69 [86] = juris Rn. 47). In materiell-rechtlicher Hinsicht verleiht Art. 87 Abs. 3 ThürVerf den Prozessparteien das Recht, vor einem Richter zu stehen, der den Anforderungen des Grundgesetzes wie auch der Thüringer Verfassung entspricht und der damit vor allem die Gewähr der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bietet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. März 2018 – 2 BvR 760/18 -, BVerfGE 148, 69 [87] = juris Rn. 48). Der Einsatz von Wissenschaftlichen Mitarbeitern zur Vorbereitung von Entscheidungsentwürfen, die später der Berichterstatter im Plenum oder im Ausschuss vorträgt, beeinträchtigt nicht dessen richterliche Neutralität. Die Zuständigkeit für die inhaltliche Ausrichtung und Gestaltung eines Entwurfs kommt nach der Geschäftsordnung und der ständigen Praxis des Verfassungsgerichtshofs allein dem Berichterstatter zu. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist zudem entscheidend, dass der Entscheidungsvorschlag sowie die Gründe in vollem Umfang zur Disposition des Spruchkörpers stehen, der sie ganz oder teilweise verwerfen oder auch in seinen Willen übernehmen und von daher seiner Entscheidung zugrunde legen kann. Dies schließt es aus, in der vorbereitenden Tätigkeit eines Wissenschaftlichen Mitarbeiters einen sachfremden Einfluss auf die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs zu sehen, der als Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters nach Art. 87 Abs. 3 ThürVerf zu werten wäre.
b) Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 42 Abs. 5 Satz 1 ThürVerf vor. Die Frage des Einsatzes wissenschaftlicher Mitarbeiter berührt für sich gesehen nicht die Möglichkeit des Bürgers, effektiven Rechtsschutz vor den Gerichten zu erlangen.
c) Das hat auch Folgen für die Frage, wann rechtsprechende Gewalt im Sinne von Art. 92 GG ausgeübt wird, die den Richtern vorbehalten ist. Rechtsprechende Gewalt übt der Verfassungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung über Verfassungsbeschwerden unter anderem aus, soweit er über deren Zulässigkeit und Begründetheit entscheidet. Keine rechtsprechende Gewalt wird dagegen ausgeübt, solange Wissenschaftliche Mitarbeiter interne Entwürfe oder Schreiben fertigen, die die Grundlage für Beratungen des Verfassungsgerichtshofs oder Verfügungen des Präsidenten bilden. Richterliche Gewalt wird erst ausgeübt, wenn der Spruchkörper einen solchen Entwurf seinen Beratungen zugrunde legt. Hierbei ist es aber nicht der Wissenschaftliche Mitarbeiter, sondern der Verfassungsgerichtshof, der richterlich tätig wird, selbst wenn er im Ergebnis der Beratungen einen Entwurf in seinen eigenen Willen übernimmt.
d) Auch der verfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist nicht verletzt. Vielmehr bleibt die Frage des internen Einsatzes von Wissenschaftlichen Mitarbeitern dem Weisungsrecht des Präsidenten und ggf. dem Geschäftsordnungsrecht vorbehalten. Die Beschwerdeführerin verkennt zudem, dass in allen Bereichen staatlichen Handelns der organisationsrechtliche Parlamentsvorbehalt nicht greift, soweit Entscheidungen lediglich intern vorbereitet werden, solange sich aus diesen Entscheidungsvorschlägen keine Bindungswirkungen auf die eigentlich zur Entscheidung berufenen Stellen oder Personen ergeben (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 – VerfGH 14/18 -, juris Rn. 117 m. w. N.).
e) Darüber hinaus trägt die Beschwerdeführerin nichts vor, was im konkreten Verfahren die Besorgnis der Befangenheit von Herrn X als Berichterstatter begründen könnte. Solches wäre beispielsweise der Fall, wenn der Inhalt des Hinweisschreibens konkrete Rückschlüsse auf die fehlende Unparteilichkeit schließen ließe und die Äußerung dem Berichterstatter auch rechtlich zurechenbar wäre. Solche in einzelnen Äußerungen zu suchenden Gründe wurden jedoch weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich.
Der pauschale Verweis der Antragstellerin auf das Verhalten Dritter vermag ebenfalls keine Zweifel an der Unparteilichkeit des Mitglieds X zu begründen. Das betrifft zum einen das Ablehnungsgesuch vom 16. Dezember 2021 gegenüber dem früheren Präsidenten … und zum anderen die Bezugnahme auf Stellungnahmen zu Befangenheitsanträgen, die sich in anderen Verfassungsbeschwerdeverfahren Dritter gegen die Mitglieder … und Prof. … richten. Es wird in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich, inwiefern sich aus dem jeweiligen Vorbringen zu anderen Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofs inhaltlich etwas in Bezug auf das Mitglied X ergibt und Anlass dafür bietet, an dessen Unvoreingenommenheit zu zweifeln.


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