Aktenzeichen V ZR 1/18
§ 679 BGB
§ 742 BGB
§ 745 Abs 2 BGB
§ 748 BGB
§ 1020 S 2 BGB
Verfahrensgang
vorgehend LG Berlin, 1. Dezember 2017, Az: 55 S 67/16vorgehend AG Pankow-Weißensee, 24. Februar 2016, Az: 2 C 127/15
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der Zivilkammer 55 des Landgerichts Berlin vom 1. Dezember 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungs-gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der klagende eingetragene Verein ist Eigentümer einer Straße, die 2008 zu Erschließungszwecken ausgebaut wurde und an der weit über 100 Grundstücke einer Wohnsiedlung anliegen. Eigentümer eines dieser Grundstücke ist der Beklagte. Das Straßengrundstück wurde mit einer Vielzahl von Grunddienstbarkeiten (Geh-, Fahr- und Leitungsrechte) zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Anliegergrundstücke, darunter auch das Grundstück des Beklagten, belastet. Der Kläger vereinbarte mit einzelnen Anliegern die Bestellung einer Reallast zur Sicherung der Unterhaltungs- und Instandsetzungskosten, mit anderen schloss er schriftliche Vereinbarungen über die Kostenbeteiligung ab. Der Beklagte, der sich bis einschließlich 2010 an den Unterhaltungskosten beteiligte, unterzeichnete eine entsprechende Vereinbarung nicht.
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Ende 2011 schloss der Kläger mit einer Immobilienverwaltungsgesellschaft einen Vertrag über die Verwaltung des Vereinsgeländes nebst der Privatstraße. Die Vereinbarung wurde rückwirkend zum 1. Januar 2015 durch einen Vertrag über die Verwaltung der Privatstraße und der Mitgliederbeiträge ersetzt.
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Der Kläger hat von dem Beklagten auf der Grundlage von Abrechnungen die Zahlung anteiliger Kosten für die Jahre 2011 bis 2014 in Höhe von insgesamt 1.035,28 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten verlangt. Ferner hat er die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten erreichen wollen, sich auch künftig an den notwendigen Kosten für die Unterhaltung und Verwaltung der Straße zu beteiligen. Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 642,37 € verurteilt und dem Feststellungsantrag in Bezug auf die Kosten der Wartung und Reinigung, des Stromverbrauchs der Hebeanlage, der Schnee- und Eisbeseitigung sowie des Stromverbrauchs der Straßenbeleuchtung entsprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren haben die Parteien einen Teilvergleich geschlossen; streitig bleiben danach die Kosten der Haftpflichtversicherung, der von dem Kläger beauftragten Verwaltung und der Kontoführung. Der Kläger hat zuletzt auch Zahlung der anteiligen Kostenpositionen für die Jahre 2015 und 2016 verlangt. Das Landgericht hat bezüglich der noch streitigen Positionen die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, will der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung der anteiligen noch streitigen Kosten für die Jahre 2012 bis 2016 in Höhe von insgesamt 608,15 € sowie die Feststellung erreichen, dass der Beklagte auch ab dem Jahr 2017 verpflichtet ist, die noch streitigen Kostenpositionen anteilig zu tragen.
Entscheidungsgründe
I.
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Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist eine vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien über die anteilige Kostentragung nicht zustande gekommen. Selbst wenn es den Entwurf einer entsprechenden Abrede gegeben haben sollte, sei dieser jedenfalls nicht unterzeichnet worden. Gegen die Annahme eines Vertragsschlusses spreche bereits die in § 154 Abs. 2 BGB enthaltene Auslegungsregel. Allein der Umstand, dass der Beklagte Teilzahlungen an den Kläger geleistet habe, rechtfertige nicht die Annahme eines Vertragsschlusses, zumal der Beklagte den ihm übersandten Abrechnungen widersprochen habe.
5
Ein Zahlungsanspruch des Klägers ergebe sich auch nicht nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag. Zwar sei dem Beklagten ein Geh-, Fahr- und Leitungsrecht bestellt worden, so dass ihn nach § 1020 Satz 2 BGB die Verpflichtung treffe, die auf dem Grundstück gehaltene Anlage in ordnungsgemäßem Zustand zu unterhalten. Die abgeschlossene Haftpflichtversicherung diene aber nicht der Unterhaltung der Anlage oder der Erfüllung von Verkehrssicherungspflichten, sondern allein dem Interesse des Klägers als Eigentümer der Straße im Fall einer möglichen Haftung gegenüber Dritten und damit seiner finanziellen Absicherung im Schadensfall. Auch seien weder die Verwaltungskosten noch die Kontoführungsgebühren Kosten, die der Unterhaltung der Anlage dienten. Dies ergebe sich, soweit es die Zeit bis einschließlich 2014 betreffe, aus dem Leistungskatalog in § 3 Abs. 1 des zunächst abgeschlossenen Verwaltungsvertrages. Dessen Gegenstand betreffe in weiten Teilen vereinsinterne Angelegenheiten und Aufgaben. Er diene daher allein der Wahrnehmung von Interessen des Klägers. Selbst wenn die Übertragung von Verwaltungsaufgaben als Wahrnehmung der Pflichten nach § 1020 Satz 2 BGB verstanden würde, entspreche die Einschaltung eines Verwalters nicht dem Willen des Beklagten. Er habe mit seinen Widersprüchen gegen die Abrechnungen zum Ausdruck gebracht, dass er mit dem Abschluss des Verwaltungsvertrages nicht einverstanden sei. Zwar sei ein entgegenstehender Wille des Geschäftsherrn in den Fällen des § 679 BGB unbeachtlich. Die Voraussetzungen dieser Ausnahmeregelung lägen hier aber nicht vor.
II.
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Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung kann ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf anteilige Tragung der noch zwischen den Parteien streitigen Kosten nicht verneint werden.
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1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass zwischen den Parteien keine Vereinbarung über die anteilige Tragung dieser Kosten zustande gekommen ist, weil der schriftliche Vertrag von dem Beklagten nicht unterzeichnet worden ist.
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a) Die Nichtunterzeichnung der Vertragsurkunde führt nach der Auslegungsregel des § 154 Abs. 2 BGB, die auch auf die Errichtung einer privatschriftlichen Urkunde Anwendung findet (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 2008 – XII ZR 66/06, NJW 2009, 433 Rn. 27; Urteil vom 15. September 2009 – X ZR 115/05, GRUR 2010, 322, 326), im Zweifel zum Scheitern des Vertragsschlusses. Die Auslegungsregel greift allerdings nicht ein, wenn die Vertragsurkunde für die Parteien keine konstitutive Bedeutung hat, der Vertragsschluss also nicht mit der vorgesehenen Form steht und fällt. An einer konstitutiven Bedeutung fehlt es etwa dann, wenn die Vertragsurkunde nur Beweiszwecken dienen soll. Voraussetzung ist insoweit die Feststellung ausreichender Anhaltspunkte. Auch wenn die Parteien den noch nicht unterzeichneten Vertrag einvernehmlich in Vollzug setzen, können sie damit zu erkennen geben, dass der Vertrag wirksam werden soll (vgl. Senat, Urteil vom 8. März 2019 – V ZR 343/17, NJW 2019, 2615 Rn. 8 mwN).
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b) Nach diesen Maßstäben ist die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden. Feststellungen, die die Schlussfolgerung zulassen, dass der Vertragsurkunde keine konstitutive Bedeutung zukommen sollte, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Die Revision zeigt auch keinen Vortrag auf, der in dieser Hinsicht Anhaltspunkte liefert. Ohne Erfolg verweist sie ferner darauf, dass der Vertrag von den Parteien in Vollzug gesetzt worden sei. Zwar ist zugunsten des Grundstücks des Beklagten eine Grunddienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen worden. Dies führt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Beklagte bis einschließlich 2010 entsprechend der nicht unterzeichneten Vereinbarung an den Kosten beteiligt hat, aber nicht zur Annahme eines gleichwohl erfolgten Vertragsschlusses.
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2. Die Kostentragungspflicht des Beklagten ergibt sich jedoch aus einer entsprechenden Anwendung von § 745 Abs. 2, §§ 748, 742 BGB.
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a) Sind die Berechtigten einer Grunddienstbarkeit und der Eigentümer des dienenden Grundstücks zur gleichberechtigten Mitbenutzung des Grundstücks befugt, können sie voneinander in entsprechender Anwendung von § 745 Abs. 2 BGB eine Regelung verlangen, dass die Unterhaltungspflicht für die der Ausübung der Dienstbarkeit dienenden Anlagen einheitlich wahrgenommen wird, wenn anders eine geordnete und sachgerechte Erfüllung dieser Pflicht nicht gewährleistet ist. Die Kosten für die einheitliche Wahrnehmung der Unterhaltungspflicht tragen in einem solchen Fall entsprechend §§ 748, 742 BGB anteilig die Dienstbarkeitsberechtigten und der mitnutzungsberechtigte Grundstückseigentümer (vgl. näher Senat, Urteil vom 8. März 2019 – V ZR 343/17, NJW 2019, 2615 Rn. 10 f., 14 f.).
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b) Nach diesen Grundsätzen ist der Beklagte gegenüber dem Kläger entsprechend §§ 748, 742 BGB zur anteiligen Tragung der Kosten verpflichtet, weil die Wahrnehmung der Unterhaltungspflichten für die Anlagen durch ihn entsprechend § 745 Abs. 2 BGB billigem Ermessen entspricht.
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aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht von einer Unterhaltungspflicht des Beklagten nach § 1020 Satz 2 BGB aus. Rechtsfehlerfrei nimmt es an, dass es sich bei der Straße und den in ihr befindlichen Leitungen um Anlagen im Sinne von § 1020 Satz 2 BGB handelt. Auch steht die Mitbenutzung durch den Eigentümer oder Dritte einem „Halten“ der Anlage durch den Beklagten als Dienstbarkeitsberechtigten nicht entgegen (vgl. Senat, Urteil vom 8. März 2019 – V ZR 343/17, NJW 2019, 2615 Rn. 17 mwN).
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bb) Die einheitliche Wahrnehmung der Unterhaltungspflicht durch eine Person entspricht im vorliegenden Fall billigem Ermessen. Die Straße und die in ihr verlegten Leitungen dienen der Erschließung einer Wohnsiedlung und weisen eine erhebliche räumliche Ausdehnung aus. Ihnen kommt zudem eine wesentliche funktionale Bedeutung für die Erschließung der Wohnsiedlung zu. Angesichts der weit über 100 Dienstbarkeitsberechtigten bedarf daher die Erfüllung der Unterhaltungspflicht einer einheitlichen Regelung. Nur durch sie kann sichergestellt werden, dass die Unterhaltungspflichten durch ein koordiniertes Vorgehen ordnungsgemäß und effektiv erfüllt werden.
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cc) Auch kann der klagende Verein auf der Grundlage seines revisionsrechtlich zu unterstellenden Vortrages verlangen, dass die Unterhaltungspflichten allein durch ihn erbracht werden. Danach hat der Kläger die Unterhaltungspflichten für die Anlagen, zu deren Nutzung die Dienstbarkeitsberechtigten befugt sind, seit ihrer Erstellung wahrgenommen. Nach der Bestellung der Grunddienstbarkeiten ist diese Praxis fortgesetzt worden. Das Zustandekommen einer Vereinbarung scheiterte nicht daran, dass der Kläger die Unterhaltungspflichten wahrnimmt, sondern an Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Umfangs und der Höhe der umgelegten Kosten. Der Beklagte hat nicht geltend gemacht, dass die Erfüllung der Unterhaltungspflichten durch den Kläger nicht sachgerecht ist oder nicht ordnungsgemäß erfolgt. Daher ist davon auszugehen, dass es auch unter Berücksichtigung der Interessen der Dienstbarkeitsberechtigten jedenfalls bislang billigem Ermessen entspricht, dass der klagende Verein deren Unterhaltungspflichten wahrnimmt.
16
dd) Der Kläger kann von dem Beklagten dem Grunde nach die anteilige Tragung der Vergütung der beauftragten Immobilienverwaltungsgesellschaft, der Kosten des Girokontos und der Haftpflichtversicherung verlangen (vgl. Senat, Urteil vom 8. März 2019 – V ZR 343/17, NJW 2019, 2615 Rn. 21 f.).
III.
17
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil noch Feststellungen zur Höhe der Kostentragungspflicht zu treffen sind. Mangels Entscheidungsreife ist die Sache daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat weist für die weitere Sachbehandlung auf Folgendes hin:
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1. In Bezug auf die Kosten der von dem Kläger beauftragten Immobilienverwaltungsgesellschaft können nur Kosten für Tätigkeiten umgelegt werden, die im Zusammenhang mit den Unterhaltungspflichten erforderlich sind. Die Verwaltung von Grundstücken, die nicht mit Grunddienstbarkeiten belastet sind, oder von Vermögenswerten, die nicht im Zusammenhang mit der Unterhaltungspflicht stehen, fällt nicht hierunter. Dies gilt auch für Mitgliedsbeiträge, es sei denn, diese werden für die Unterhaltungspflicht der Straße verwandt.
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2. Die Kosten für die Führung des Girokontos sind anteilig nur erstattungsfähig, wenn dieses ausschließlich für die Abwicklung von Zahlungen genutzt wird, die mit den Unterhaltungspflichten in Zusammenhang stehen.
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3. Die Kosten der Haftpflichtversicherung sind nur dann anteilig von dem Beklagten zu tragen, wenn sie das Risiko der Verletzung von Unterhaltungs- und Verkehrssicherungspflichten durch den klagenden Verein abdeckt und damit im Ergebnis auch die Dienstbarkeitsberechtigten schützt. Hingegen besteht eine anteilige Kostentragungspflicht nicht, soweit die Haftpflichtversicherung Risiken erfasst, die mit den Pflichten der Dienstbarkeitsberechtigten nicht in Zusammenhang stehen.
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Kazele
Haberkamp
Hamdorf