Aktenzeichen VII R 48/10
§ 56 Abs 1 FGO
Verfahrensgang
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 17. November 2009, Az: 11 K 121/06, Urteil
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) meldete bei dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt –HZA–) “Spargeltabletten (unlackiert), 14,8 % Stärke, keine Saccharose, kein Milchfett, keine Milchproteine enth., nicht in Aufmachung für den Einzelverkauf” zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr der Europäischen Union unter der Unterpos. 2106 90 98 der Kombinierten Nomenklatur (KN) –zollfrei– an. Aufgrund eines Einreihungsgutachtens der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt setzte das HZA die Einfuhrabgaben nach Maßgabe der Unterpos. 2005 60 00 KN (17,6 % Zoll) fest. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) gab der gegen diese Entscheidung erhobenen Klage statt. Es urteilte, die Spargeltabletten seien der Unterpos. 2106 90 98 KN zuzuordnen, da es sich um eine Lebensmittelzubereitung handele, die anderweitig weder genannt noch inbegriffen sei, insbesondere nicht in den Positionen 0712 KN und 2005 KN.
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Der Bundesfinanzhof (BFH) ließ die Revision gegen dieses Urteil mit Beschluss vom 11. August 2010, dem HZA zugestellt am 23. August 2010, zu. Am 24. September 2010 ging die Revisionsbegründung des HZA mit dem Antrag, das Urteil des FG aufzuheben, per Fax beim BFH ein. Auf entsprechenden Hinweis der Geschäftsstelle des VII. Senats des BFH beantragte das HZA Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen des verspäteten Eingangs der Revisionsbegründung. Zur Begründung reichte es eidesstattliche Versicherungen seiner Prozessvertreterin (A) sowie eines weiteren Beamten (B) ein. A erklärte, sie habe die Akte mit der unterschriebenen Revisionsbegründung über eine Mitarbeiterin ihres Sachgebiets dem Beamten B persönlich aushändigen lassen und erwartet, dass dieser die Revision an den BFH senden werde. Da das persönliche Überbringen ein besonderer Vorgang sei, sei sie davon ausgegangen, dass B auch ohne entsprechenden ausdrücklichen Hinweis erkennen werde, dass in dem Vorgang etwas, nämlich die Versendung des Schriftstücks, zu veranlassen sei, zumal auch bei der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde in diesem Verfahren so vorgegangen worden sei. Der Beamte B erklärte, er sei bei Übergabe des Vorgangs davon ausgegangen, dass die Revisionsbegründung entsprechend dem sonst üblichen Geschäftsgang bereits der Poststelle des HZA zur Aufgabe bei der Post übergeben worden sei. Er habe dies allerdings nicht nachgeprüft. Erst als er am 24. September 2010 den Vorgang habe weiter bearbeiten wollen, habe er bemerkt, dass die Revisionsbegründung noch gar nicht der Poststelle zugeleitet worden sei.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO).
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1. Das HZA hat die Frist für die Begründung der Revision versäumt. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Diese Frist lief im Streitfall am 23. September 2010 ab. Die Revisionsbegründung des HZA ist jedoch erst am 24. September 2010 beim BFH eingegangen.
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2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann nicht gewährt werden.
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a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. Juni 2008 X R 38/07, BFH/NV 2008, 1517, und vom 11. Mai 2010 XI R 24/08, BFH/NV 2010, 1834, m.w.N.).
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b) Nach der Rechtsprechung des BFH gelten die Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für das HZA in gleicher Weise wie für einen Steuerpflichtigen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 1834, m.w.N.). Auch die Beurteilung, ob eine Behörde eine gesetzliche Frist schuldhaft versäumt hat, richtet sich nach den von der Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelten Maßstäben (BFH-Beschluss vom 25. November 2008 III R 78/06, BFH/NV 2009, 407). Das bedeutet, dass das HZA das Verschulden eines mit dem Postversand einer Fristsache betrauten Mitarbeiters nur dann nicht gegen sich gelten lassen muss, wenn eine wirksame Ausgangskontrolle besteht oder der Mitarbeiter zumindest auf die Bedeutung und Eilbedürftigkeit des Schriftstücks ausdrücklich hingewiesen wurde (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 407, m.w.N.). Auch eine Behörde ist zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet. Eine wirksame Postausgangskontrolle setzt voraus, dass die Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes, d.h. die Übergabe des Schriftstücks an die Post, durch eine Person kontrolliert wird, die den gesamten Bearbeitungsvorgang überwachen kann. Die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks reicht selbst an eine amtsinterne Postausgangsstelle nicht aus; umso weniger reicht ein bloßer Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an diese Postausgangsstelle weiterleitet, weil dadurch noch nicht ausreichend sichergestellt ist, dass das Schriftstück auch tatsächlich unmittelbar zur Weiterbeförderung an die Post gelangt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 407). Entsprechendes gilt, wenn ein Schriftstück zur Weiterleitung per Fax bestimmt ist. Das HZA muss u.a. vortragen, welche Maßnahmen zur Überwachung der Einhaltung der Fristen im Amtsbetrieb getroffen sind (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1517).
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c) Unter Beachtung dieser Maßstäbe rechtfertigt das Vorbringen des HZA keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist, denn bei Würdigung aller vom HZA vorgetragenen und in den eidesstattlichen Versicherungen bekräftigten Umstände ist ein Organisationsverschulden des HZA nicht auszuschließen.
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Es fehlt bereits an der schlüssigen Darlegung, dass die Prozessvertreterin A des HZA sicher davon ausgehen durfte, der Beamte B werde wegen der persönlichen Überbringung der Akte mit der unterzeichneten Revisionsbegründung erkennen, dass ihm die Aufgabe übertragen war, die Revisionsbegründung zur Post aufzugeben. Mit ihrer Erklärung, sie habe erwartet und erwarten können, dass B allein aufgrund der besonderen Überbringungsweise diese ihm übertragene Aufgabe erkennen werde, macht die A vielmehr gerade deutlich, dass es sich nicht um einen geordneten und überwachten Bearbeitungsvorgang, sondern um ein atypisches Geschehen handelte, das, um Fehler auszuschließen, zumindest einer ausdrücklichen Anweisung bedurft hätte. Die dazu von B abgegebene Erklärung, er sei davon ausgegangen, dass die Revisionsbegründung entsprechend dem sonst üblichen Geschäftsgang bereits der Poststelle des HZA zur Aufgabe bei der Post übergeben worden sei, macht aber gerade deutlich, dass ihm die mit der “besonderen Überbringungsweise” vermeintlich verbundene Übertragung der Aufgabe des Postversandes gar nicht bekannt war.
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Der gesamte Geschäftsvorgang zeigt, dass ihm kein geordneter Organisationsablauf zugrunde lag, geschweige denn, dass die nach der Rechtsprechung erforderlichen Maßnahmen zur Überwachung des fristgerechten Postversands fristwahrender Schriftsätze –wie im Streitfall der Revisionsbegründung– angeordnet und vollzogen worden sind.
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Ein entschuldbares Versehen eines Mitarbeiters des HZA, das eine Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist rechtfertigen könnte, liegt nicht vor.