Europarecht

Innerprozessuale Präklusion wegen Verstoß gegen die Zehn-Wochen-Frist im UmwRG

Aktenzeichen  8 A 19.40009

Datum:
12.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7351
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2, § 81 Abs. 1, § 84, § 87b Abs. 3 S. 1 Nr. 2
UmwRG § 1 Abs. 1 S. 1, § 6
GG Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die Anforderungen an den innerhalb der zehn Wochen Frist zu liefernden Tatsachenvortrag richten sich nach Sinn und Zweck von § 6 UmwRG, also der Straffung des Gerichtsverfahrens, indem der Prozessstoff zu einem frühen Zeitpunkt handhabbar gemacht wird. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der erforderliche Tatsachenvortrag muss zwar nicht erschöpfend sein, aber aus Sinn und Zweck des § 6 UmwRG ist zu folgern, dass die Klagepartei die maßgeblichen Tatsachen mit einem Mindestmaß an Schlüssigkeit und Substanz vortragen muss. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es genügt regelmäßig nicht, wenn die Klagepartei allein pauschal auf Einwände verweist, die sie im behördlichen Verfahren zur Sprache gebracht hat (ebenso BayVGH BeckRS 2021). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten über die Klage durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO).
A.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere sind die Kläger klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO. Denn sie machen geltend, durch den Planfeststellungsbeschluss in ihrem Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG verletzt zu sein; auch die Klägerin zu 3 kann sich als „juristische Person“ im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG hierauf berufen (vgl. BVerfG, B.v. 18.7.2015 – 1 BvQ 25/15 – NJW 2015, 2485 – juris Rn. 1 und 5).
B.
Die Klage ist aber unbegründet.
Die Kläger sind mit ihrem Klagevortrag nach § 6 UmwRG präkludiert.
Gemäß § 6 Satz 1 UmwRG hat eine Person innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage gegen eine Entscheidung im Sinn von § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind grundsätzlich nur zuzulassen, wenn die Verspätung genügend entschuldigt ist (§ 6 Satz 2 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Die Frist kann nach § 6 Satz 4 UmwRG (nur) dann auf Antrag verlängert werden, wenn die Person in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren keine Möglichkeit der Beteiligung hatte.
1. Die Kläger haben die zehnwöchige Begründungsfrist ab dem Zeitpunkt der Erhebung ihrer Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss zum Gewässerausbau, der eine Zulassungsentscheidung im Sinn von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UmwRG darstellt (vgl. § 74 Abs. 1 UVPG i.V.m. Nr. 13.13 der Anlage 1 zum UVPG i.d.F.v. 1.8.2013), nicht eingehalten. Die Frist begann mit Erhebung der Klage nach § 81 Abs. 1 VwGO, d.h. mit dem Eingang der Klage beim Verwaltungsgericht am 21. September 2018, zu laufen und endete mit dem 30. November 2018 (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Innerhalb dieser Frist erfolgte kein Tatsachenvortrag der Kläger. Dem Gericht lag allein der mit der Klageerhebung vorgelegte Planfeststellungsbeschluss vor. Damit sind die Kläger ihrer Begründungsobliegenheit nach § 6 Satz 1 UmwRG nicht nachgekommen.
1.1 Die Anforderungen an den innerhalb der Frist zu liefernden Tatsachenvortrag richten sich nach Sinn und Zweck von § 6 UmwRG. Dieser besteht darin, zur Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen, indem der Prozessstoff zu einem frühen Zeitpunkt handhabbar gemacht wird (vgl. BT-Drs. 18/12146 S. 16). Die Klagepartei hat den Prozessstoff grundsätzlich innerhalb der Begründungsfrist festzulegen. Damit soll für das Gericht und die übrigen Beteiligten klar und unverwechselbar feststehen, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten eine behördliche Entscheidung angegriffen wird, was späteren lediglich vertiefenden Tatsachenvortrag nicht ausschließt (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2018 – 9 A 8.17 – NVwZ 2019, 1202 = juris Rn. 14 m.w.N.). Die klagende Partei muss alle Tatsachenkomplexe benennen, die aus ihrer Sicht die Klage begründen (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 13 m.w.N.). Der erforderliche Tatsachenvortrag muss zwar nicht erschöpfend sein. Aus Sinn und Zweck der Norm ist jedoch zu folgern, dass die Klagepartei die maßgeblichen Tatsachen mit einem Mindestmaß an Schlüssigkeit und Substanz vortragen muss. Der Vortrag muss geeignet sein, dem Gericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten einen hinreichenden Eindruck von dem jeweiligen Tatsachenkomplex zu verschaffen und ihnen zu ermöglichen, bei verbleibenden Unsicherheiten gezielt nachzuforschen (vgl. OVG HH, U.v. 29.11.2019 – 1 E 23/18 – juris Rn. 142). Bei einer Anfechtungsklage muss sich die Klagebegründung mit der angegriffenen Entscheidung selbst auseinandersetzen. Nur diese ist Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens. Es genügt regelmäßig nicht, wenn die Klagepartei allein pauschal auf Einwände verweist, die sie im behördlichen Verfahren zur Sprache gebracht hat (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 13; Bunge, UmwRG, 2. Aufl. 2019, § 6 Rn. 19, jeweils m.w.N.).
1.2 Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist fristgemäß keine den Anforderungen des § 6 UmwRG entsprechende Klagebegründung bei Gericht eingegangen. Der Vorhalt der Kläger, § 6 UmwRG finde auf rein rechtliche Bewertungen aktenkundiger Tatsachen keine Anwendung, greift nicht durch. Allein durch die Vorlage des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses haben sich die Kläger nicht mit der Zurückweisung ihrer Einwendungen im Verwaltungsverfahren auseinandergesetzt. Im Fall eines Individualklägers sind alle Tatsachen zu benennen, die aus seiner Sicht zu seiner unmittelbaren Betroffenheit oder zu einer adressatengleichen Beeinträchtigung seiner rechtlich geschützten Belange führen (BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 14; Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, UmweltR, Stand: August 2020, § 6 UmwRG Rn. 59; vgl. zu § 43e EnWG auch BVerwG, U.v. 6.4.2017 – 4 A 16.16 – DVBl 2017, 1039 = juris Rn. 37). Noch viel weniger genügt es, dass die Einwendungen im Anhörungsverfahren aktenkundig geworden sind. Andernfalls würde § 6 UmwRG, der Rechtssicherheit für das Gericht und die Verfahrensbeteiligten durch frühzeitige Fixierung des Prozessstoffes erreichen und so zur Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen soll (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2018 – 9 A 8.17 – NVwZ 2019, 1202 = juris Rn. 14; OVG NW, B.v. 18.2.2020 – 11 B 13/20 – juris Rn. 17 ff.), faktisch leerlaufen.
2. Die Voraussetzungen des § 6 Satz 3 UmwRG i.V. m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO liegen nicht vor. Danach tritt die Präklusion nicht ein, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln. Umstände, aus denen sich ergibt, dass die klägerische Beschwer derart auf der Hand lag, dass sich die Angabe von Klagegründen als bloße Förmlichkeit erwiesen würde (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 17 f. m.w.N.), zeigen die Kläger nicht auf und sind auch sonst für den Senat nicht erkennbar.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 und 162 Abs. 3 VwGO.
D.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ZPO.
E.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.


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