Kosten- und Gebührenrecht

Weiterführung der Tätigkeit des Sachverständigen während eines Ablehnungsverfahrens

Aktenzeichen  9 W 1171/20 Bau

Datum:
29.10.2020
Fundstelle:
ZfBR – 2021, 61
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 47, § 406 Abs. 1

 

Leitsatz

Sachverständige können zwar aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden (§ 406 Abs. 1 ZPO). Daraus kann aber keine Verweisung auf die Regelungen über unaufschiebbare Amtshandlungen eines Richters in § 47 ZPO entnommen werden. Die Tätigkeiten eines Richters und eines Sachverständigen sind zu unterschiedlich. Infolgedessen steht es einem abgelehnten Sachverständigen frei, seine Tätigkeit auch während des Schwebens eines Ablehnungsverfahrens fortzusetzen (hier: Durchführung eines Ortstermins). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 OH 8918/18 2020-06-26 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Nebenintervenientin M. A. B. GmbH & Co. KG gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 26.06.2020 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 100.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Durch Schriftsätze vom 24.04.2020 und 06.05.2020 ihres Prozessbevollmächtigten lehnte die Nebenintervenientin der Antragsgegnerin, die Firma M. A. B. GmbH & Co. KG (künftig: Nebenintervenientin) den gerichtlichen Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) W. M. wegen Befangenheit ab. Der im Hinblick auf laufende Renovierungsarbeiten kurzfristig für 27.04.2020 bestimmte Ortstermin sei einseitig zwischen der Antragstellerin und dem Sachverständigen verabredet worden, der Sachverständige habe die Nebenintervenientin nicht dazu geladen und dann habe er den Termin in Kenntnis des Ablehnungsgesuchs vom 24.04.2020 durchgeführt.
Ausdrücklich trotz der beiden laufenden Ablehnungsgesuche gestattete das Landgericht durch Verfügung vom 14.05.2020 dem Sachverständigen einen weiteren kurzfristigen Ortstermin zur Zustandsfeststellung.
Unter dem 22.05.2020 nahm der Sachverständige zu den beiden Ablehnungsanträgen Stellung.
Durch Beschluss vom 26.06.2020 wies das Landgericht die Befangenheitsanträge zurück, wogegen sich die Nebenintervenientin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 16.07.2020 wendete. Durch Beschluss vom 19.08.2020 half das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht ab. Mit Schriftsatz vom 07.09.2020 nahm die Nebenintervenientin dazu Stellung und wiederholte ihre Vorwürfe.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.
1. Auch bei der Beweisaufnahme vor Ort durch den Sachverständigen gilt als elementarer Verfahrensgrundsatz die Parteiöffentlichkeit nach § 357 Abs. 1 ZPO (OLG München NJW 1984, 807; OLG Koblenz NJW-RR 2013, 796).
Dass die Antragsgegnerin ausweislich des Schriftsatzes ihrer Prozessbevollmächtigten vom 23.04.2020 an den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mit dem für Montag, den 27.04.2020 vorgesehenen Ortstermin einverstanden war und an Ladungs statt davon Kenntnis nahm, ändert nichts daran, dass die Nebenintervenientin auf Grund der Parteiöffentlichkeit ein eigenes Anwesenheitsrecht hat. Dieses unterliegt auch nicht der Disposition der unterstützten Antragsgegnerin, die sich ausdrücklich nur für sich selbst erklärt hat.
Das Anwesenheitsrecht erfordert eine Ladung der Nebenintervenientin durch den Sachverständigen.
Die etwaige Verletzung von Ladungsvorschriften wiegt im vorliegenden Einzelfall aber nicht schwer.
Denn ausweislich seines Schriftsatzes vom Freitag, den 24.04.2020 hatte der Prozessbevollmächtigte der Nebenintervenientin vorab Kenntnis von dem Termin. Diese Kenntnis hatte er auch mit Wissen und Wollen des Sachverständigen erlangt, der seine Einladung zum Ortstermin durch Faxschreiben vom 24.04.2020 am selben Tag an alle Prozessbevollmächtigten, auch den der Nebenintervenientin, übermittelt hat. Sollte das Faxschreiben nicht bei allen dort im Verteiler angegebenen Adressaten angelangt sein, ist doch davon auszugehen, dass der Sachverständige die Faxversendung am Nachmittag des 24.04.2020 durch sein Sekretariat veranlasst hat. Somit hat er sich um die Wahrung der Parteiöffentlichkeit bemüht und folgt aus dem Nichterreichen einzelner Adressaten nicht der Anschein der Voreingenommenheit und Parteilichkeit des Sachverständigen.
Dem Sachverständigen ging es – für alle Beteiligten ersichtlich – darum, sich die laufenden Renovierungsarbeiten in der Hotelküche für Einblicke in das Bauwerk zu Nutze zu machen und spätere zerstörende Bauteilöffnungen so zu vermeiden. Hinzu kommt, dass beispielsweise die Anfertigung von Fotografien sehr wenig Fachkunde erfordert und diese erst später bei Erarbeitung eines Gutachtens zum Tragen kommt. Erst dann wird ein Erscheinungsbild fachkundig gewürdigt. Angesichts der Tatsache fortschreitender Renovierungsarbeiten hätte die Nebenintervenientin wohl auch keinen Anspruch auf Verlegung des Termins gehabt (vgl. Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, Teil 14 Rdnr. 163).
Daraus folgt, dass aus Sicht einer ruhig und besonnen denkenden Partei die Kurzfristigkeit und Form der Ladung keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen weckt.
2. Soweit der Sachverständige im Schreiben vom 24.04.2020 im Hinblick auf die CoronaInfektionsgefahr eine möglichst reduzierte Teilnehmeranzahl verlangt und dazu anregt, dass für Antragsteller und Antragsgegner maximal je ein Vertreter teilnehmen soll, ändert das daran nichts. Das Schreiben enthält keine Ausführungen zu den Nebenintervenienten. Es mag sein, dass sich die Nebenintervenientin dadurch eher ausgeladen als eingeladen gefühlt hat. Wie in der Stellungnahme des Sachverständigen ausgeführt, sollte dadurch kein prozessuales Anwesenheitsrecht unterbunden werden. Dies dürfte auch der Nebenintervenientin erkennbar geworden sein und unter diesem Aspekt keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen hervorgerufen haben.
Überdies war es der Nebenintervenientin unbenommen, zum Ortstermin des Sachverständigen zu erscheinen und ihr Anwesenheitsrecht auszuüben. Ohne die Teilnahme erfolglos versucht zu haben, erscheint es jedenfalls treuwidrig, wenn die Nebenintervenientin bei den hier gegebenen Umständen des Einzelfalls nun einen Befangenheitsantrag auf Ladungsmängel stützt.
Anders wäre es, wenn der Sachverständige einer anwesenden und teilnahmewilligen Beteiligten die Teilnahme am Ortstermin verweigert hätte (vgl. OLG Saarbrücken MDR 2014, 180). Ein solches gravierendes Verhalten des Sachverständigen liegt hier aber nicht vor.
3. Auch soweit die Nebenintervenientin dem Sachverständigen einseitige Kommunikation mit der Antragstellerin vorwirft, hat der Ablehnungsantrag keinen Erfolg. Die Kommunikation betraf im wesentlichen Terminfragen. Dabei spielten der durch die Antragstellerin zu gewährende Zutritt sowie die fortschreitenden Renovierungsarbeiten eine Rolle. Erst nach einer Vorklärung der Gegebenheiten durch den Sachverständigen war eine Terminsbestimmung durch ihn samt Einladung der Beteiligten sinnvoll. Sollte der Sachverständige die Kommunikation nicht ausreichend in das Beweisverfahren eingeführt haben, läge darin ein Verfahrensfehler, der aber kein solches Gewicht hat, dass daraus der Anschein der Befangenheit des Sachverständigen folgen würde.
4. Der Sachverständige hat bei Durchführung des Termins am 27.04.2020 den Befangenheitsantrag der Nebenintervenientin vom 24.04.2020 gekannt. Daraus folgt ebenfalls kein Ablehnungsgrund.
Sachverständige können zwar aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden (§ 406 Abs. 1 ZPO). Daraus kann aber keine Verweisung auf die Regelungen über unaufschiebbare Amtshandlungen eines Richters in § 47 ZPO entnommen werden. Die Tätigkeiten eines Richters und eines Sachverständigen sind zu unterschiedlich. Infolgedessen steht es einem abgelehnten Sachverständigen frei, seine Tätigkeit auch während des Schwebens eines Ablehnungsverfahrens fortzusetzen (OLG München, Beschluss vom 26.03.2012, Az. 1 W 260/12 – zitiert nach juris).
III.
Kosten: § 97 ZPO


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