Aktenzeichen AN 3 K 16.30505
Leitsatz
Keine drohende Verfolgung allein wegen einer Betätigung für eine oppostionelle Organsation im Ausland oder wegen einer nicht herausgehobenen politschen Betätigung für eine durch den äthiopischen Staat als nicht terroristisch eingestufte äthiopische Exilorganisation. (Rn. 30 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 28. April 2016 ist im Umfange des Klagebegehrens rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Ihr steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a GG noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG (Hauptantrag) zu noch auf Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder auf Feststellung des Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Hilfsanträge) zu.
1. Vorliegend ist kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG und damit wegen der Identität der Schutzgüter auch kein Anspruch nach Art. 16 a GG gegeben.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling i.S.d. Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Ver-folgung, wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, des-sen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vor-herigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen die-ser Furcht nicht zurückkehren will.
Ergänzend hierzu bestimmt § 3 a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3 b AsylG die Ver-folgungsgründe, § 3 c AsylG die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, § 3 d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3 e AsylG den internen Schutz.
§ 3 a Abs. 3 AsylG regelt ausdrücklich, dass zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. den in § 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3 a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen muss.
Ausschlussgründe, wonach ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, sind in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG geregelt.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des AufenthG.
Die Angaben der Klägerin sind weder zu den angeblich im Heimatland erlittenen Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Stellen noch zu den Umständen ihrer Ausreise aus Äthiopien glaubhaft.
Die Klägerin konnte nicht erklären, weshalb sie trotz der Ausreise mit echten Papieren der Hilfe eines Schleusers bei dem Direktflug von … nach … bedurft haben soll. Dass die Klägerin nichts über die näheren Umstände der Reise und ihrer Organisation, insbesondere über die Funktion ihres Schleusers und die Gründe der Übergabe ihrer persönlichen Dokumente an ihn kurz nach der Einreise wissen will, ist vor allem angesichts des differenzierten Eindrucks, den sie in der mündlichen Verhandlung machte, nicht glaubhaft.
Hinsichtlich der Gründe, die zur Ausreise geführt haben sollen, ist nach den Einlassungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gesteigertes Vorbringen festzustellen, was die Glaubhaftigkeit ihrer Schilderungen insgesamt in Frage stellt (vgl. BVerfG, B. v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, U. v. 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135; B. v. 21.7.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113). Sie hat in ihrer Anhörung weder berichtet, dass sie an Universitäten und Hochschulen Flugblätter verteilt hat, noch hat sie geschildert, dass sie sich längere Zeit beobachtet fühlte und dass ihre eine Tasche mit Flugblättern darin gestohlen wurde. Die Erklärungen der Klägerin hierzu, sie habe zusätzlich zu der Verteilung im Frisörsalon außerhalb ihrer Berufstätigkeit an den Universitäten Flugblätter verteilt und habe in der Anhörung nicht alles vortragen können, erscheint wenig glaubhaft, zumal die Klägerin ausweislich der Niederschrift gefragt wurde, ob sie ihre Asylgründe ergänzen wolle. Einen so wesentlichen und einschneidenden Sachverhalt wie den Raub der Tasche hätte sie – wäre er denn tatsächlich passiert – bereits in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt schildern können und müssen. Denn direkte Kontakte mit staatlichen Verfolgern hat die Klägerin bislang nicht vorgetragen.
Nachdem die Klägerin nicht vorverfolgt aus Äthiopien ausgereist ist, steht bei Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ihr im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdungen drohen.
Insbesondere ist das erstmals in der mündlichen Verhandlung geschilderte exilpolitische Engagement nicht geeignet, eine derartige Gefahrenlage zu begründen.
In der äthiopischen exilpolitischen Szene gibt es zahlreiche Gruppierungen. Insgesamt ist den verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zu entnehmen, dass die äthiopische Regierung die Aktivitäten der äthiopischen Exilorganisationen genau beobachtet bzw. durch die Auslands-vertretungen beobachten lässt. Dem Auswärtigen Amt liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei der Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Grundsätzlich kommt es darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen als terroristisch angesehen und welche Art exilpoliti-scher Aktivität festgestellt wird (führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen). Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass jedenfalls Personen, die sich exponiert politisch betätigt haben, mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben. Dagegen ist eine Verfolgung von nicht herausgehoben exilpolitischen tätigen Personen – wie der Klägerin – nicht beachtlich wahrscheinlich (VGH München, U.v. 25.2.2008 – 21 B 07.30363 -, juris; VGH München, B.v. 14.7.2015 – 21 ZB 15.30119 -, juris, VG Ansbach, U.v. 21.2.2017 – AN 3 K 176.30481 -, juris; VG Gießen, U.v. 11.7.2017 – 6 K 4787/15.GI.A -, juris).
Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Würzburg, das in seiner Entscheidung vom 24. Juli 2017 (W 3 K 16.30710, juris) von der bisherigen Rechtsprechung – wie oben dargestellt – abweicht, ist die Rückkehrgefährdung der Klägerin nicht anders zu beurteilen.
Die Einzelrichterin verkennt nicht, dass sich die politische Situation seit 2015 in Äthiopien noch einmal verschärft hat (siehe auch VG Würzburg, U.v. 24.7.2017 – W 3 K 17.30710). Aus der diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Auskunftslage ist aber nicht der Schluss zu ziehen, dass jedwede exilpolitische Betätigung – auch von untergeordneter Bedeutung oder aus rein asyltaktischen Gründen – zur Zuerkennung internationalen Schutzes führen müsste, da die Schwelle der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ staatlicher Verfolgung auch aufgrund der neueren Entwicklungen in Äthiopien nicht allgemein angenommen werden kann. Dass politische Verfolgung nicht ausgeschlossen werden kann, genügt nicht den Anforderungen an die „beachtliche Wahrscheinlichkeit“ im Einzelfall.
Letztlich kommt es hierauf aber für die vorliegende Entscheidung nicht an. Denn auch nach der vom VG Würzburg zugrunde gelegten Auskunftslage ist jedenfalls die Mitwirkung in einer vom äthiopischen Staat als terroristisch eingestuften Organisation für die Annahme einer relevanten Verfolgungsgefahr erforderlich. Die Klägerin gab nicht an, in einer solchen Organisation exilpolitisch tätig zu sein.
Vielmehr erklärte sie, sie sei in einer namentlich nicht benannten Organisation tätig und setze sich dort für die Zusammenarbeit der verschiedenen nach Volksgruppen getrennt in Deutschland arbeitenden Exilorganisationen ein. Sie spreche äthiopische Staatsangehörige in Deutschland an und lade sie zu den Treffen der Gruppe ein, wo gemeinsam gekocht und Reden bedeutender Exilpolitiker gehalten würden. Dass sie aufgrund der von ihr beschriebenen Tätigkeit in den Fokus der äthiopischen Sicherheitsorgane gerückt sein könnte, ist nicht ersichtlich, zumal sie nach eigenen Angaben mit regierungskritischer Arbeit noch nicht begonnen hat, sondern damit erst beginnen will, wenn sie genügend Mitstreiter gefunden hat, die sich über ihre Volksgruppenzugehörigkeit hinweg für eine Veränderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien einsetzen wollen.
Das Engagement der Klägerin erreicht damit nicht die Schwelle, bei der staatliche Verfolgungshandlungen für den Fall einer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten wären.
2. Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG zu. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). In diesem Rahmen sind gemäß § 4 Abs. 3 AsylG die §§ 3 c bis 3 e AsylG entsprechend anzuwenden.
Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich oder vorgetragen, dass der Klägerin bei einer Rückkehr in ihr Heimatland ein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht.
3. Auch nationale Abschiebungsverbote sind nicht gegeben.
a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Mangels Erkennbarkeit diesbezüglicher Anhaltspunkte ist festzustellen, dass diese Vorausset-zungen vorliegend nicht erfüllt sind.
b. Ebenso wenig besteht im Falle der Klägerin ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Insbesondere ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass für die Klägerin für den Fall ihrer Rückkehr nach Äthiopien eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Denn sie ist nicht als alleinstehende Frau anzusehen, die ohne familiären Rückhalt mit einer existenzbedrohenden Situation rechnen müsste (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Rückkehr einer jungen, alleinstehenden Frau, 13. Oktober 2009).
Zu den Familienverhältnissen befragt, gab die Klägerin an, sie habe zu niemandem mehr in Äthiopien Kontakt, auch nicht zu dem Onkel, der ihre Ausreise organisiert und finanziert habe. Nahezu alle Asylbewerberinnen äthiopischer Herkunft geben im Asylverfahren an, seit der Ausreise keinerlei Kontakt mehr zu ihrer Familie zu haben. Gründe für den Kontaktabbruch werden dabei nicht genannt. So ist es auch vorliegend nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin zu dem Onkel, der sie nach eigenem Vorbringen bei der Ausreise organisatorisch und finanziell unterstützt hat, keinerlei Kontakt mehr haben sollte. Nachdem sowohl an dem Vorbringen zu ihrer Ausreise als auch zu den Gründen ihrer Ausreise erhebliche Zweifel bestehen, ist es auch nicht glaubhaft, dass die Klägerin in Äthiopien nicht mit Unterstützungsleistungen jedenfalls ihrer Großfamilie für die Anfangszeit rechnen könnte, zumal der Onkel sich noch in … aufhalten dürfte. Da die Klägerin ortskundig, gesundheitlich in guter Verfassung ist und bis zu ihrer Ausreise als Frisörin tätig war, kann sie sich in Äthiopien eine bescheidene Existenz aufbauen.
4. Auch die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreisesaufforderung unter Abschie-bungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
5. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte das ihr im Rahmen des § 11 Abs. 1 und 3 AufenthG eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, bestehen nicht und wurden von der Klägerin nicht vorgetragen.
Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Klage war demnach abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.