Aktenzeichen W 3 K 16.30686
Leitsatz
1 Allein die Heranziehung zum Nationaldienst stellt keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung dar, weil die Heranziehung zum Militärdienst ausweislich der Regelung in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG schon grundsätzlich nicht dem Schutzversprechen unterfällt. Dies ist nur anders, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 AsylG fallen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nach den vorliegenden Erkenntnissen haben auch einfache Mitglieder von Eritreischen Exilorganisationen im Falle einer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten (Anschluss an HessVGH BeckRS 2007, 23737) (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für … vom 23. Mai 2016 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er wird daher durch den Bescheid vom 23. Mai 2016, soweit er dem entgegensteht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Ergänzend hierzu bestimmt § 3a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3b AsylG die Verfolgungsgründe, § 3c AsylG die Akteure, von denen die Verfolgung ausgehen kann, § 3d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3e AsylG den internen Schutz.
Nach § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Verbindung mit den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.
Der Kläger befindet sich noch im dienstpflichtigen Alter und hat nach seinen glaubhaften Angaben den Nationaldienst noch nicht abgeleistet. Er müsste daher im Falle einer Rückkehr nach Eritrea mit seiner Einziehung zum Nationaldienst rechnen.
Allein die Heranziehung zum Nationaldienst stellt keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung dar, weil die Heranziehung zum Militärdienst ausweislich der Regelung in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG schon grundsätzlich nicht dem Schutzversprechen unterfällt (vgl. hierzu VG München, U.v. 13.7.2016 – M 12 K 16.31184 – juris). Relevanz i.S. des § 3 Abs. 1 AsylG kann die Einberufung zum Wehrdienst nur dann haben, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 AsylG fallen. Hierfür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte, auch wenn der Konflikt mit Äthiopien fortbesteht (Bericht des Auswärtigen Amtes über die Asyl- und Abschiebungsrelevante Lage in Eritrea v. 21.11.2016, Stand November 2016 [nachfolgend Lagebericht], S. 7). Die Heranziehung zum Nationaldienst in Eritrea knüpft auch nicht an persönlichkeitsmerkmale i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an. Denn bei Heranziehung zum Nationaldienst werden in Eritrea alle Gruppen der Gesellschaft im Wesentlichen gleich behandelt; eine Unterscheidung nach Rasse, Religion usw. findet nicht statt (vgl. hierzu VG Potsdam, U.v. 17.2.1016 – 6 K 1995/15.A – juris; VG München, U.v. 13.7.2016 – M 12 K 16.31184 – juris; VG Regensburg, U.v. 27.10.2016 – RN 2 K 16.31289 – juris.
Es kann zur Überzeugung des Gerichts derzeit auch nicht davon ausgegangen werden, dass die illegale Ausreise, um sich den Nationaldienst zu entziehen, vom eritreischen Staat allgemein und in jedem Fall als Regimegegnerschaft angesehen wird und der Bestrafung damit ein politischer Sanktionscharakter zukommt (so aber: z.B. VG Schwerin, U.v.29.2.2016 – 15 A 3628/15 AsSN –; VG Frankfurt, U.v. 12.8.2013 – 8 K 2202/13.FA -; VG Saarland, U.v.17.1.2017 – 3 K 2357/16 -; alle: juris).
Der Kläger hat sich aber nach seinen glaubhaften Angaben sowohl in Saudi-Arabien als auch in Deutschland in einer oppositionellen Partei betätigt. Er ist Mitglied der ENP und hat auch in Deutschland eine Veranstaltung dieser Partei besucht. Nach den vorliegenden Erkenntnissen haben auch einfache Mitglieder von Eritreischen Exilorganisationen im Falle einer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten (vgl. VGH Kassel, U.v. 21.3.2007 – E 1676/06.A – und U.v. 27.3.2006 – 9 UE 705/05.A-; BayVGH, U.v. 14.8.2006 – 9 B 04.30627 – alle: juris). … S … führt im Gutachten vom 30. Oktober 2006 an den Verwaltungsgerichtshof Kassel aus:
„Die staatlichen eritreischen Sicherheitsdienste haben seit 2001 die geheimdienstliche Ausspähung und Überwachung der gesamten eritreischen Diaspora erheblich intensiviert. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die eritreische Diaspora weltweit mit einem dichten Netz von geheimen Mitarbeitern und Zuträgern dieser Dienste durchsetzt ist. Diese haben die Aufgabe, alle oppositionellen Aktivitäten von Angehörigen der Diaspora, und seien sie auch noch so geringfügig, festzuhalten und weiterzuleiten. Es gehört zur Logik dieser geheimdienstlichen Strukturen eines autoritären Systems, das die unterste Ebene alle Informationen weiterleitet und keine Selektion nach Wichtigkeit vornimmt, da die Angst zu groß ist, etwas Wichtiges zu übersehen und dafür später hin sanktioniert zu werden“.
Das Auswärtige Amt führt im Lagebericht (S. 17) aus, zu der Frage, inwieweit – über die bloße Asylantragstellung hinaus – die Betätigung im Ausland für eine Oppositionsbewegung oder – Partei bei einer Rückkehr nach Eritrea zu Verfolgungsmaßnahmen führen würde, lägen dem Auswärtigen Amt keine neuen Erkenntnisse vor. Weiterhin sei nur der Fall eines Eritreas aus dem Jahre 2005 bekannt, dem nach seiner Rückkehr der Vorwurf gemacht worden sei, in Deutschland an einer Veranstaltung der Opposition teilgenommen zu haben, zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei. Ebenso lägen keine Erkenntnisse dazu vor, ob und wie die eritreischen Behörden auf die unterschiedlichen Arten einer Betätigung für eine Oppositionsorganisation reagieren würden.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung und dieser Erkenntnisquellen wäre der Kläger zur Überzeugung des Gerichts im Falle einer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt. Es ist davon auszugehen, dass dem Kläger unterstellt werden würde, dass sein langjähriger Auslandsaufenthalt, die bisherige Nichtableistung des Nationaldienstes und seine Ausreise aus Eritrea auf politischen Gründen, nämlich einer Gegnerschaft zur eritreischen Regierung beruht. Nach § 3b Abs. 2 AsylG ist bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist unerheblich, ob er tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Aus diesem Grund war die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.