Verwaltungsrecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Belgien

Aktenzeichen  M 8 S 17.50455

Datum:
27.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Asylbewerber laufen in Belgien nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für … (Bundesamt) vom 9. Februar 2017.
Die Antragsteller sind ukrainische Staatsangehöriger, reisten am 26. Januar 2017 in die … ein und stellten hier am 1. Februar 2017 einen Asylantrag. Eine EURODAC-Recherche ergab Treffer der Kategorie 1 für Belgien.
Am 6. Februar 2017 wurden vom Bundesamt Übernahmeersuchen an Belgien gerichtet. Die zuständige belgische Behörde erklärte mit Schreiben vom 7. Februar 2017 die Bereitschaft zur Aufnahme der Antragsteller.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 9. Februar 2017, den Antragsteller zugestellt am 13. Februar 2017, wurden in Nummer 1 die Anträge auf Asyl als unzulässig abgelehnt, in Nummer 2 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen, in Nummer 3 die Abschiebung nach Belgien angeordnet und in Nummer 4 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 20. Februar 2017, der bei Gericht am selben Tag eingegangen ist, haben die Antragsteller Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 9. Februar 2017 erhoben. Mit gleichzeitig gestelltem Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wird beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 9. Februar 2017 anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsteller hätten einen Rechtsanspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland und Gewährung von Flüchtlingsschutz bzw. subsidiären Schutz bzw. Abschiebungsverboten. Die Antragsteller sein gebürtige Ostukrainer. Dem Antragsteller zu 1 werde vorgeworfen, einer terroristischen Vereinigung, nämlich der Separatistenbewegung in der Ostukrainer anzugehören. Ein entsprechender Haftbefehl der Ukraine liege vor. Die Antragsteller hätten bereits in Belgien Asyl beantragt, der Antrag sei jedoch abgelehnt worden. Auch ein Folgeantrag sei erfolglos geblieben, sodass die Antragsteller Belgien hätten verlassen müssen. Während des Verfahrens über den Folgeantrag habe der belgische Staat lediglich Zugang zu medizinischen Leistungen gewährt, hingegen Wohnraum, Bargeld, Essen oder Bekleidungsgutscheine nicht zur Verfügung gestellt. Der Antragsteller zu 1 sei nach Stellung seines Folgeantrags in Belgien nicht zur Anhörung geladen worden, sodass es am rechtlichen Gehör gefehlt habe. Der Antragsteller zu 1 habe die begründete Sorge, bei einer Überstellung nach Belgien in einem erneuten Folgeverfahren wieder nicht die Möglichkeit zu bekommen, die Beweise für das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen, hier einen ukrainischen Haftbefehl vom 15. Dezember 2016, darlegen zu können. Zudem wurden eidesstattliche Versicherungen der Antragsteller zu 1 und 2 sowie weitere, sämtlich nicht deutschsprachige Unterlagen vorgelegt.
Das Bundesamt hat die Verfahrensakte elektronisch übersandt. Eine Antragstellung erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Akte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid ist unbegründet, da die in der Hauptsache erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
1. Lehnt das Bundesamt auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Durchführung eines Asylverfahrens als unzulässig ab und ordnet nach § 34a Abs. 1 AsylG die Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – hier nach Belgien – an, besteht die Besonderheit, dass das Bundesamt lediglich die Frage nach dem für die Prüfung des Asylbegehrens des Antragstellers zuständigen Mitgliedstaat erwogen hat, sich aber nicht mit den Gründen für die Gewährung von Asyl und der Frage nach einer Abschiebung in den Herkunftsstaat befasst hat. Die Zuständigkeitsprüfung nach der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), und die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens erfolgt in zwei getrennten Verfahren. Die Frage nach der Prüfung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaates ist der inhaltlichen Prüfung des Asylantrags vorgelagert.
2. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist hier mit Blick auf Belgien der Fall.
Belgien ist als Mitgliedsstaat, in dem die Antragsteller ausweislich der erzielten EURODAC-Treffers einen Asylantrag gestellt haben, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Dublin-III-VO.
Art. 3 Abs. 1 der Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitel III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Belgien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Ausgehend vom Vortrag der Antragsteller und nach den EURODAC-Treffern haben sie in Belgien einen Asylantrag gestellt. Der Umstand der Asylantragstellung in Belgien wird belegt durch die für die Antragsteller erzielten EURODAC-Treffer mit der Kennzeichnung „BE1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 der VO (EU) Nr. 603/2013 vom 26.6.2013). Die für die Antragsteller vorliegende EURODAC-Treffer erbringen den Nachweis der Asylantragstellung in Belgien zudem mit normativer Rechtmäßigkeits- und Richtigkeitsgewähr des Unionsrechts (vgl. Art. 23 der VO (EU) Nr. 603/2013).
Das Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin-III-VO wurde von Belgien für sämtliche Antragsteller mit Schreiben vom 7. Februar 2017 positiv beantwortet, sodass Belgien für die Prüfung der Anträge zuständig ist.
3. Die Abschiebung nach Belgien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 der Dublin-III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Belgien als den zuständigen Mitgliedsstaat an Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin-III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Belgien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wären.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung (vgl. aktuell VG Hannover, B.v. 1.4.2016 – 13 B 1180/16 – juris Rn. 36 ff. m.w.N.) ist nicht davon auszugehen, dass die Antragsteller in Belgien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Mängel im belgischen Asylsystem. Beispielsweise der Bericht des Auswärtigen Amtes der Vereinigten Staaten von Amerika (Belgium 2012 – Human Rights Report) beschreibt auf S. 7 ff. die Flüchtlingssituation in Belgien, ohne Beanstandungen systemischer Art auch nur im Ansatz zu erwähnen. Im Übrigen wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG insoweit auch auf die zutreffenden Ausführungen im streitbefangenen Bescheid zur Situation des Asylsystems in Belgien (vgl. dort Seite 4 f.) Bezug genommen. Hinsichtlich der von den Antragstellern vorgelegten Bestätigungen ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass diese sämtlich nicht in deutscher Sprache (§ 184 Satz 1 GVG) verfasst sind und daher auch – namentlich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – nicht zu ihren Gunsten verwertbar sind. Im Übrigen würde sich aus ihnen – selbst wenn unterstellt würde, dass den Antragstellern tatsächlich zeitweise in Belgien kein Wohnraum bzw. keine finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite zur Verfügung gestellt wurden – kein Rückschluss auf systemische Defizite des belgischen Asylsystems ziehen lassen. Voraussetzung hierfür ist nämlich, wie vorstehend bereits ausgeführt, dass die Umstände des Asylrechtsvollzugs regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Hierfür ist auch mit Blick auf den – an dieser Stelle als wahr unterstellten – Vortrag der Antragsteller zu ihren Erfahrungen mit dem Vollzug des Asylrechts in Belgien allerdings nichts ersichtlich.
Sonach ist davon auszugehen, dass ein weiterer Asylfolgeantrag der Antragsteller in Belgien – maßgeblich mit Blick auf den nunmehr anscheinend vorliegenden Haftbefehl gegen den Antragsteller zu 1 – ordnungsgemäß geprüft wird und dort gegebenenfalls auch ausreichender Rechtsschutz zur Verfügung steht.
4. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-VO notwendig machen, sind ebenso wenig ersichtlich wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge der § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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