Aktenzeichen M 9 S 16.51301
AsylG AsylG § 34a Abs. 1
Leitsatz
Es ist nicht davon auszugehen, dass ein Asylbewerber in Kroatien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Kroatien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist (alles nach eigenen Angaben) pakistanischer Staatsangehöriger punjabischer Volkszugehörigkeit und am … 1986 geboren. Auf seine Angaben im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Erstbefragung am 29. Juli 2016 (vgl. die Niederschrift Bl. 6 – 9 der Bundesamtsakte) wird Bezug genommen. Er habe sein Heimatland erstmalig im Oktober 2015 verlassen und sei über den Iran, die Türkei, Griechenland, „die Balkanroute“ und Österreich nach Deutschland gereist, wo er am 24. November 2015 angekommen sei und wo er am 29. Juli 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag gestellt hat.
Für den Antragsteller folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang neben einem EURODAC-Treffer für Griechenland (GR …) ein EURODAC-Treffer für Kroatien (HR …, Bl. 40 der Bundesamtsakten).
Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 29. Septemer 2016 erklärten die kroatischen Behörden mit Schreiben vom 28. November 2016 (Bl. 57 der Bundesamtsakten) ihr Einverständnis.
Am 15. Dezember 2016 fand das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung statt. Im Rahmen dieses Gesprächs gab der Antragsteller an, er wolle in keinen anderen Staat überstellt werden. Auf die Frage, aus welchen Gründen er das nicht wolle, gab der Antragsteller an, er wolle in Deutschland bleiben. Er wisse nicht, wie es „zu diesen Asylanträgen“ gekommen sei. Er wolle nicht zurück, denn „dort“ finde man keine Arbeit. Im Übrigen wird auf die Niederschrift über die Zweitbefragung (Bl. 87 – 89 der Bundesamtsakten) Bezug genommen.
Mit Bescheid vom … Dezember 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Kroatien an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Mit Begleitschreiben vom 19. Dezember 2016 wurde der Bescheid an den Antragsteller versandt. Laut der bei den Bundesamtsakten befindlichen Kopie der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid dem Antragsteller am 21. Dezember 2016 zugestellt.
Der Antragsteller erhob hiergegen am 27. Dezember 2016 zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts München Klage (Az.: M 9 K 16.51300) mit dem Antrag, den Bescheid vom … Dezember 2016 aufzuheben.
Außerdem beantragte der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Kroatien anzuordnen.
Zur Begründung nahm der Antragsteller Bezug auf seine Angaben gegenüber dem Bundesamt.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Klage in der Hauptsache hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom … Dezember 2016, auf den im Sinne von
§ 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Kroatien ist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Kroatien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Der Umstand der illegalen Einreise nach Kroatien wird belegt durch den für den Antragsteller erzielten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“. Die Zuständigkeit Kroatiens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen. Damit ist vorliegend Kroatien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
Die Behörden Kroatiens haben die Zuständigkeit von Kroatien bejaht und der Aufnahme des Antragstellers zugestimmt.
2. Die Abschiebung nach Kroatien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung nach Kroatien als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Kroatien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 -, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung ist, abgesehen davon, dass seitens des Antragstellers nichts dazu vorgetragen ist, dass das kroatische Asylverfahren an systemischen Mängeln leiden würde, nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Kroatien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. VG München, B.v.22.11.2016 – M 9 S. 16.51032 -; B.v.31.10.2016 – M 18 S. 16.50812 -, juris; Beschlüsse vom 14.10.2016 – M 6 S. 16.50632 und M 6 S. 16.50640 -, beide juris; VG Saarland, B.v.22.07.2016 – 5 L 974/16 -, juris Rn. 15 – 19; VG Düsseldorf, U.v.26.03.2015 – 8 K 460/15.A -, juris Rn. 30).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen liegen ebenso wenig vor wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Der Antragsteller hat nichts vorgetragen, was mit seiner individuellen Situation zu tun hätte.
Der Umstand, den der Antragsteller im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung geltend gemacht hat, nämlich, dass er nicht in einen Mitgliedstaat überstellt werden wolle, weil man dort keine Arbeit finde, begründet keine systemischen Mängel des kroatischen Asylverfahrens und ist weder für ein Asylverfahren des Antragstellers noch im Rahmen des Verfahrens zur Überstellung nach der Dublin III-Verordnung relevant.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen keine Bedenken.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).