Aktenzeichen M 5 K 14.1609
MVergV aF § 3
BayBG Art. 87 Abs. 2
Leitsatz
1. Das bloße faktische und vom Dienstherrn stillschweigend gebilligte Ableisten von Überstunden stellt keine Mehrarbeit im Sinne des bayerischen Beamtengesetzes dar. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn die behördliche Personalausstattung der Beklagten einer Dienstbefreiung entgegengestanden wäre, so hat der Beamte den primär vom Gesetz vorgesehenen Anspruch auf Dienstbefreiung geltend zu machen und der Dienstherr darüber zu befinden, ob Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Eine Entscheidung konnte mit Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren ergehen (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Leistungsklage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf die Vergütung von – nach Ansicht der Klagepartei angefallenen – 7361,42 Mehrarbeitsstunden.
1. Ein Anspruch eines Beamten auf Mehrarbeitsarbeitsvergütung kommt nach Art. 80 Abs. 2 Satz 2 und 3 Bayerisches Beamtengesetz/BayBG (in der bis zum 31.3.2009 geltenden Fassung) i.V.m. §§ 2, 3 Mehrarbeitsvergütungsverordnung/MVergV (in der Fassung vom 21.6.2002) bzw. gemäß Art. 87 Abs. 2 BayBG (in der ab 1.4.2009 geltenden Fassung) nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht.
a) Grundsätzlich ist der Beamte verpflichtet, ohne Entschädigung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt (Art. 80 Abs. 2 Satz 1 BayBG a.F. bzw. Art. 87 Abs. 2 Satz 1 BayBG). Wird er durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als 5 Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, ist ihm innerhalb eines Jahres für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren (Art. 80 Abs. 2 Satz 2 BayBG a.F. bzw. Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayBG). Ist die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, so können an ihrer Stelle Beamte in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern – bis 31. August 2007 beschränkt auf einen Zeitraum von bis zu 480 Stunden im Jahr – eine Vergütung erhalten (Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayBG a.F. bzw. Art. 87 Abs. 2 Satz 3 BayBG). Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass die Mehrarbeit mit der Folge einer dafür zu zahlenden Vergütung als Ausnahmetatbestand geregelt ist. Vergütungen für über den gesetzlich bestimmten Umfang hinaus geleistete Mehrarbeit dürfen nur nach Maßgabe der gesetzlichen Regelung gewährt werden (BVerwG, U.v. 2.4.1981 – II C I.81 – juris Rn.16).
Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit ist ein Verwaltungsakt, der sich auf konkrete Mehrarbeitstatbestände beziehen und der von einem entsprechenden Willen bzw. Bewusstsein des Dienstherrn getragen sein muss und von der bloßen Anordnung von Arbeit, die durch innerdienstliche Weisung erfolgt und ggf. in Dienstplänen konkretisiert wird, zu unterscheiden ist. Das bloße faktische und vom Dienstherrn (stillschweigend) gebilligte Ableisten von Überstunden stellt demnach keine Mehrarbeit in diesem Sinne dar. Bei der Anordnung von Mehrarbeit hat der Dienstherr vielmehr auf der Grundlage und unter Abwägung der im konkreten Zeitpunkt maßgeblichen Umstände eine (einzelfallbezogene) Ermessensentscheidung zu treffen und zu prüfen, ob nach den dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll (BVerwG, U.v. 2.4.1981, a.a.O., Rn.20; U.v. 28.5.2003 – 2 C 28.02 – juris Rn.14 und 2 C 35.02 – juris, Rn.11). Demgemäß bestimmt Nr.1 Abs. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des BMI vom 6. August 1974 (GMBl S. 368) zu § 3 Abs. 1 Nr. 1 MVergV a.F., dass sich die Anordnung und Genehmigung von Mehrarbeit auf konkrete, zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen müssen und allgemeine (pauschale) Anweisungen hinsichtlich künftiger oder bereits geleisteter Mehrarbeit nicht genügen.
Allein aus einer über das geforderte Stundenmaß hinausgehenden Dienstleistung kann nicht auf Mehrarbeit geschlossen werden (BVerwG, B.v. 3.1.2005 – 2 B 57.04 – juris, Rn.4). Die Vergütungsregelung des § 3 MVergV a.F. ist eine eng begrenzte Ausnahme von dem Grundsatz des Art. 80 Abs. 2 Satz 1 BayBG a.F., dass der Beamte bei zwingenden dienstlichen Erfordernissen ohne Entschädigung auch über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun hat (BVerwG, U.v. 21.2.1991 – 2 C 48.88 – juris Rn.20). Die strikte Gesetzesbindung der Besoldung schließt weitergehende Ansprüche auf Vergütungen aus (vgl. grundlegend BayVGH, B.v. 10.12.2013 – 3 ZB 09.531 – juris).
b) Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob seitens des Klägers tatsächlich 7361,42 Übersunden abgeleistet worden sind (was im strafrechtlichen Verfahren jedenfalls nicht widerlegt werden konnte, vgl. Urteil des Landgerichts München I vom 16.4.2014 – … … … … … – Seite 5). Denn auch dies zu Grunde legend fehlt es insoweit an einer (schriftlich) dienstlich angeordneten oder genehmigten Mehrarbeit, an der fehlenden Geltendmachung von Dienstbefreiung und an der aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht gegebenen Möglichkeit der Gewährung von Dienstbefreiung.
aa) Da sich der Zeitraum des Anfalls der fraglichen Überstunden beginnend ab Anfang der 90er Jahre bis zum Zeitpunkt der beginnenden Dienstunfähigkeit des Klägers Anfang 2007 erstreckt, bedurfte es insoweit einer ausdrücklichen und schriftlichen (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 MVergV a.F.) Anordnung oder Genehmigung der Mehrarbeit. Eine solche liegt nicht vor. Sämtliche seitens der Beklagten vorgelegten Regelungen von Dienstvereinbarungen über die gleitende Arbeitszeit (DVglAZ) sowie der hierauf Bezug nehmenden Dienstanweisungen (DAglAZ) regeln in umfassender Weise die Erfassung und Festlegung der Arbeitszeit mit Umfang und Grenzen der Arbeitszeiteinteilung. Hierbei handelt es sich, ebenso wie bei den damals gebräuchlichen Zeiterfassungskarten, um Instrumente der Regelung der Arbeitszeiten. Die für den Kläger auf der sogenannten B-Karte festgehaltenen Überstunden dokumentieren lediglich – wie auch die Anweisung vom 19. Januar 1994 für den EDV-Bereich – außerhalb des Gleitrahmens anerkannte anrechenbare Arbeitszeiten. Damit ist jedoch – wie schon unter a) ausgeführt – seinem Sinngehalt nach keine Bestimmung über allein vergütungsfähige Mehrarbeit getroffen. Denn es bedurfte auch nach den vorgenannten Regelungen für vergütungsberechtigte Überstunden einer ausdrücklichen Anordnung des Vorgesetzten und einer gesonderten Dokumentation auf einem Überstundenzettel.
Diesem Befund entspricht es, dass keiner der früheren Vorgesetzten des Klägers Kenntnis der konkret angefallenen Überstunden hatte. Denn dieses ist nachvollziehbar für den jeweiligen Stand des Arbeitszeitkontos eines Mitarbeiters, nicht jedoch für die nur im Ausnahmefall gesondert und ausdrücklich anzuordnende, allein vergütungsfähige Mehrarbeit.
bb) Es fehlt auch an der Geltendmachung von Dienstbefreiung für die fraglichen Überstunden durch den Kläger. Eine derartige Geltendmachung des Klägers vor dem Eintritt seiner Dienstunfähigkeit ist weder vorgetragen, noch aus den Akten ersichtlich. Wenn seitens des Klägers hierzu eingewandt wird, dass die Personalausstattung der Beklagten einer Dienstbefreiung entgegengestanden wäre, so verkennt er den Verfahrensablauf: Es ist Sache des Beamten, den primär vom Gesetz vorgesehenen Anspruch auf Dienstbefreiung geltend zu machen und Sache des Dienstherrn, darüber zu befinden, ob Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich ist. Diesen Weg hat der Kläger nicht beschritten (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 10.12.2013, a.a.O., Rn.19).
cc) Darüber hinaus steht einem Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entgegen, dass vorliegend – auch nach dem Vortrag der Klagepartei – in seiner Person liegende Umstände, seine Dienstunfähigkeit, die Unmöglichkeit der Gewährung von Dienstbefreiung bedingen. Derartige Umstände erfüllen nicht die Voraussetzungen für die Gewährung einer Mehrarbeitsvergütung (BVerwG, B.v. 24.5.1985 – 2 B 45/85 – juris; NdsOVG, B.v. 29.4.2013 – 5 LA 186/12 – juris; BayVGH, B.v. 17.9.2014 – 3 ZB 13.1516 – juris sowie B.v. 6.11.2006 – 3 ZB 03.1390 – juris; VG München, U.v. 22.5.2014 – M 5 K 12.4298 – juris sowie U.v. 2.10.2013 – M 5 K 12.3848 – juris, U.v. 25.6.2013 – M 5 K 11.4573 – juris, U.v. 1.7.2003 – M 5 K 02.1390 – juris; VG Düsseldorf, U.v. 6.3.2012 – 26 K 2249/11 – juris; a.A. VG Würzburg, U.v. 5.3.2013 – W 1 K 12.455 – juris).
dd) Lediglich ergänzend, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme, dürfte der größte Teil der geltend gemachten Mehrarbeitsstunden vor dem Jahr 2005 angefallen und somit – selbst unter Berücksichtigung einer einjährigen Frist zur Gewährung von Dienstbefreiung – ein diesbezüglicher Abgeltungsanspruch auch gemäß Art. 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Gesetz zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs/AGBGB erloschen sein.
2. Fehlt es an den nationalen gesetzlichen Voraussetzungen für einen Vergütungsanspruch für Mehrarbeit, so ergibt sich ein solcher auch weder aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG (BVerwG, B.v. 1.7.2014 – 2 B 39/13 – juris), noch gebietet es die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die Ruhestandsversetzung eines Beamten wegen Dienstunfähigkeit so lange hinauszuschieben, bis ein evtl. Abgeltungsanspruch realisiert ist (BayVGH, B.v. 14.9.2016 – 3 ZB 14.920 – juris). Auch soweit in anderen (vergleichbaren) Fällen seitens der Beklagten eine Mehrarbeitsvergütung gewährt worden sei, könnte der Kläger wider den fehlenden rechtlichen Voraussetzungen keine Gleichbehandlung verlangen (BayVGH, B.v. 17.9.2014, a.a.O., Rn.11).
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.