Arbeitsrecht

Zuordnung zum Allgemeinen Ärztlichen Bereitschaftsdienst

Aktenzeichen  S 49 KA 330/16

Datum:
27.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 128115
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 75 Abs. 1 S. 2, § 95 Abs. 1 S. 2
Ärzte-ZV § 24 Abs. 1, Abs. 3
BDO-KVB § 2

 

Leitsatz

1 Mangels Rechtsgrundlage erweist es sich als rechtswidrig, den nur über eine Zulassung verfügenden Arzt im Umfang eines Anrechnungsfaktors von 1,5 zum Bereitschaftsdienst heranzuziehen. Diese Rechtsgrundlage kann weder in § 2 Abs. 4 BDO-KVB noch in dessen § 2 Abs. 2 noch in § 75 SGB V iVm § 95 Abs. 3 SGB V gesehen werden. Insgesamt darf nur eine Heranziehung mit dem Anrechnungsfaktor 1,0 erfolgen. (Rn. 12, 14, 17 und 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es verstößt zudem gegen höherrangiges Gesetzesrecht, über das Satzungsrecht die Verpflichtung zum Bereitschaftsdienst auf das Eineinhalbfache zu erweitern. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Heranziehung zum Allgemeinen Ärztlichen Bereitschaftsdienst steht eine jahrzehntelange rein orthopädischen Tätigkeit im Hinblick auf die Ausbildung und die Fortbildungsmöglichkeiten nicht entgegen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 17.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die fristgerecht erhobene Anfechtungsklage ist zulässig. Das notwendige Vorverfahren wurde durchgeführt. Da der Kläger mit Bescheid vom 10.03.2014 lediglich über die in § 2 Abs. 4 BDO-KVB getroffene Regelung informiert wurde und erst mit Zuordnungsbescheid vom 17.04.2014 eine konkrete, den Kläger betreffende Regelung erlassen wurde, ist auch ein Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen.
Die Klage ist auch begründet. Die streitgegenständliche Zuordnung der Klägers zum Bereitschaftsdienst am Ort der genehmigten Filiale mit dem Anrechnungsfaktor 0,5 zusätzlich zu seiner bereits bestehenden Bereitschaftsdienstverpflichtung am Vertragsarztsitz mit dem Anrechnungsfaktor 1,0 erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Klage war deshalb stattzugeben.
Entgegen der Ansicht des Klägers steht seiner Heranziehung zum Allgemeinen Ärztlichen Bereitschaftsdienst am Ort der genehmigten Filiale nicht seine jahrzehntelange ausschließlich orthopädische Tätigkeit entgegen. Wie das BSG in seiner Entscheidung vom 19.08.2015 (B 6 KA 41/14 R) klargestellt hat, dürfen grundsätzlich alle Arztgruppen zum Bereitschaftsdienst herangezogen werden und auch Fachärzte verfügen nach ihrer medizinischen Aus- und Weiterbildung über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten, den auf die Akutversorgung des Patienten ausgerichteten Anforderungen des Bereitschaftsdienstes zu genügen. Sollten diese Fähigkeiten nicht mehr vorliegen, könne dem durch eine regelmäßige Fortbildung Rechnung getragen werden.
Vorliegend fehlt es allerdings an einer Rechtsgrundlage, den Kläger, der insgesamt nur über eine Zulassung und damit einen vollen Versorgungsauftrag verfügt, im Umfang eines Anrechnungsfaktors von 1,5 zum Bereitschaftsdienst heranzuziehen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG folgt aus der Zulassung eines Vertragsarztes seine grundsätzliche Verpflichtung zur Teilnahme am Bereitschaftsdient (vgl. BSG B 6 KA 39/12 R mwN.). Aus dem Sicherstellungsauftrag der Beklagten gemäß § 75 Abs. 1 S. 2 SGB V, der auch die vertragsärztliche Versorgung zu sprechstundenfreien Zeiten umfasst, resultiert deshalb auch deren Berechtigung, alle Vertragsärzte zum Bereitschaftsdienst heranzuziehen. Die Beklagte hat dabei, wie von ihr ausgeführt, einen weiten Gestaltungsspielraum, dem allerdings Grenzen gesetzt sind, unter anderem durch den Grundsatz der gleichwertigen Teilnahme am Bereitschaftsdienst (LSG BW vom 26.11.2014, L 5 KA 3306/12).
§ 2 der mit Beschluss der Vertreterversammlung der Beklagten vom 23.11.2012 neugefassten BDO-KVB regelt die Teilnahme am Bereitschaftsdienst. Gemäß Abs. 1 umfasst diese Verpflichtung unter anderem Vertragsärzte mit einem vollen und hälftigen Versorgungsauftrag. In Abs. 2 ist vorgesehen, dass für die Berechnung der Anzahl von Bereitschaftsdiensten die Anrechnungsfaktoren der Mitglieder einer Bereitschaftsdienstgruppe zum Zeitpunkt der Dienstplanerstellung maßgeblich sind. Abs. 2 S. 3 sieht in Ziffer 1 vor, dass der Anrechnungsfaktor für Vertragsärzte mit einer Vollzulassung bzw. Zulassung für zwei Fachgebiete 1,00 beträgt. In § 2 Abs. 4 ist wiederum geregelt:
„Wird eine Filiale gem. § 24 Abs. 1 Ärzte-ZV in einem anderen Bereitschaftsdienstbereich als dem des Vertragsarztsitzes betrieben, ist der Betreiber der Filiale verpflichtet, im Bereitschaftsdienstbereich der Filiale am Ärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen. Beschäftigt der Betreiber der Filiale angestellte Ärzte ausschließlich für die ärztliche Behandlung am Ort der Filiale gemäß § 15a Abs. 6 Satz 2 BMV-Ä, richtet sich seine Teilnahmepflicht im Bereitschaftsdienstbereich der Filiale nach den gemäß Absatz 2 Satz 3 Nr. 4 zu bestimmenden Anrechnungsfaktoren der am Ort der Filiale beschäftigten angestellten Ärzte. Ansonsten beträgt der Anrechnungsfaktor 0,5.“
Aus § 2 Abs. 4 BDO-KVB ergibt sich keine Befugnis der Beklagten, Vertragsärzte mit einer genehmigten Filiale in einem anderen Bereitschaftsdienstbereich als dem ihres Vertragsarztsitzes insgesamt mit einem Anrechnungsfaktor von 1,5 zum Bereitschaftsdienst heranzuziehen. Schließlich stellt § 2 Abs. 3 Nr. 1 BDO-KVB klar, dass aus einer Vollzulassung ein Anrechnungsfaktor von nur 1,00 resultiert. Eine Heranziehung des Klägers im Umfang von insgesamt 1,5 widerspricht daher bereits § 2 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 BDO-KVB. Eine Auslegung von § 2 Abs. 4 BDO-KVB, wie sie von der Beklagten vertreten wird, würde dazu führen, dass § 2 in sich widersprüchlich ist.
Darüber hinaus würde eine Auslegung des § 2 Abs. 4 BDO-KVB, wie sie die Beklagte vornimmt, gegen höherrangiges Gesetzesrecht verstoßen. Die Beklagte ist nicht berechtigt, die Verpflichtung des Klägers zum Bereitschaftsdienst über Satzungsrecht auf das eineinhalbfache zu erweitern. In seinem Urteil vom 09.02.2011 (B 6 KA 44/10 B) hat das BSG ausführlich dargelegt, dass die Flexibilisierungsoptionen des Vertragsarztrechtsänderungsgesetztes und damit auch die in § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV vorgesehenen Möglichkeiten nichts daran ändern, dass einem Arzt (nur) ein Vertragsarztsitz und (nur) ein voller Versorgungsauftrag zugeordnet ist. Da für den Umfang der Heranziehung zum Bereitschaftsdienst der sich aus der Zulassung ergebende Versorgungsauftrag maßgebend ist (dazu ausführlich LSG BW, aaO) und sich durch eine Filialgenehmigung, wie vorliegend, der Versorgungsauftrag in seinem Umfang nicht verändert, darf der Kläger nicht über den Anrechnungsfaktor 1,0 hinaus zum Bereitschaftsdienst herangezogen werden. In diesem Sinne argumentiert auch das BSG in einem aktuellen Urteil vom 23.03.2016 (B 6 KA 7/15 R, Rn. 17), wo im Hinblick auf Mund-, Kiefer- und Gesichts-Chirurgen ausgeführt wird, dass es sich auch bei einer zugelassenen Tätigkeit in zwei Fachgebieten stets nur um eine Zulassung und ebenso nur um einen vollen Versorgungsauftrag handelt. Dementsprechend kommt auch bei MKG-Chirurgen eine doppelte Inpflichtnahme nicht in Betracht. Vorliegend ist schließlich auch fraglich, kann im Ergebnis aber offen bleiben, ob eine bereits aus den oben genannten Gründen gesetzeswidrige Heranziehung des Klägers in einem über den Anrechnungsfaktor 1,00 hinausgehenden Umfang nicht auch gegen Art. 3 GG verstößt. Dies im Hinblick auf eine Ungleichbehandlung mit Vertragsärzten, deren Filiale im Bereitschaftsdienstbezirk des Vertragsarztsitzes liegt und die deshalb maximal mit dem Anrechnungsfaktor 1,00 herangezogen werden.
Der Bescheid kann somit, wie ausgeführt, nicht auf § 2 Abs. 4 BDO-KVB und damit auch nicht auf § 75 SGB V iVm § 95 Abs. 3 SGB V gestützt werden. § 2 Abs. 4 BDO-KVB kann gesetzes- und verfassungskonform nur in der Weise ausgelegt werden, dass bei einer Heranziehung eines Vertragsarztes zusätzlich im Bereitschaftsdienstbereich einer genehmigten Filiale die Bereitschaftsdienstverpflichtung am Vertragsarztsitz entsprechend reduziert wird. Insgesamt darf nur eine Heranziehung mit dem Anrechnungsfaktor 1,00 erfolgen. Eine entsprechende Reduzierung der Bereitschaftsdienstverpflichtung im Bereitschaftsdienstbereich am Vertragsarztsitz des Klägers ist vorliegend nicht erfolgt, so dass die zusätzliche Heranziehung am Ort der Filiale mit dem Anrechnungsfaktor 0,5 sich als rechtswidrig erweist.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 2. HS SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.

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