Verwaltungsrecht

Voraussetzungen an die Ablehnung eines Zweitantrags als unzulässig

Aktenzeichen  B 7 S 18.31632

Datum:
16.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 50196
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1. Ein Zweitantrag liegt vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG oder einem der in § 71a AsylG sonst genannten Staaten im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein “erfolgloser Abschluss” des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in der Ziffer 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 17.09.2018 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die ihr drohende Abschiebung nach Äthiopien.
Die Antragstellerin ist äthiopische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens und oromischer Volkszugehörigkeit und stellte am 27.09.2016 einen Asylantrag beim Bundesamt für … (Bundesamt).
Aufgrund eines Informationsersuchens der Antragsgegnerin gem. Art. 34 Dublin-III-VO vom 25.10.2017 teilte die Schweizer Eidgenossenschaft – State Secretariat for Migration SEM mit Schreiben vom 30.10.2017 folgendes mit:
“The applicant lodged an asylum application on 13.07.2016. She was interviewed on 02.08.2016, on 06.09.2016, she withdrew her asylum request. At that date, she left the center and was reported as missing. Therefore, on 21.10.2016, her application was struck off the Swiss records”.
Die Antragsgegnerin stellte daraufhin mit Aktenvermerk vom 26.03.2018 fest, dass aus dem Antwortschreiben der schweizerischen Behörden ersichtlich sei, dass die Antragstellerin am 13.07.2016 in der Schweiz einen Asylantrag gestellt habe. Am 02.08.2016 habe sie eine Anhörung gehabt und am 06.09.2016 ihr Asylgesuch zurückgenommen, woraufhin ihr Verfahren am 21.10.2016 eingestellt worden sei. Somit handele es sich gem. § 71a Abs. 1 AsylG um einen Zweitantrag.
Am 10.04.2018 wurde die informatorische Anhörung der Antragstellerin in Regensburg durchgeführt. Danach befragt, ob sie hier dieselben Asylgründe wie in der Schweiz vortragen wolle oder neue Asylgründe habe, gab die Antragstellerin an, sie sei schwer krank gewesen und habe in der Schweiz kein richtiges Interview gehabt. In der Schweiz sei sie auch im Krankenhaus gewesen. Um ins Krankenhaus zu kommen, habe sie einen Ausweis gebracht. Diesen habe sie dann in der Schweiz erhalten. Diese kleine Befragung habe sie nur wegen des Ausweises gehabt. Richtige Asylgründe habe sie nicht vorgetragen.
Mit Bescheid vom 17.09.2018 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig ab (Ziff. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2) und drohte ihr die Abschiebung nach Äthiopien an (Ziff. 3).
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin u.a. aus, dass der Antrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig sei, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Die Antragstellerin hätte ihre Asylgründe bereits in der Schweiz vortragen müssen, da sie sich auf die Zeit vor ihrer Ausreise aus Äthiopien bezögen.
Hiergegen ließ die Antragstellerin mit Schriftsatz ihre Bevollmächtigten vom 24.09.2018, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 25.09.2018, Klage erheben. Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziff. 3 des Bescheids des Bundeamtes für … vom 17.09.2018, …, anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 01.10.2018, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung bezieht sich die Antragsgegnerin auf die angefochtene Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegte Behördenakte, die Gerichtsakte des Klageverfahrens (B 7 K 18.31633) und des Eilverfahrens, sowie die Gerichtsakte des Ehemannes der Klägerin (B 7 K 18.31583) und die zugehörige Behördenakte, welche dem Gericht in elektronischer Form vorliegt, verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.
1. Der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung (vgl. § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG) ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, und auch begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf entsprechend der verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 16a Abs. 4 Satz 1 HS 1 GG die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris). Es müssen gewichtige Gründe vorliegen, die den Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nähren (vgl. BVerfG a.a.O.). Anknüpfungspunkt der fachgerichtlichen Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes muss daher die Frage sein, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als Zweitantrag gem. § 71a AsylG gewertet und die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu Recht darauf gestützt hat, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen.
Entsprechend des Maßstabs des Bundesverfassungsgerichts ist die aufschiebende Wirkung vorliegend anzuordnen.
Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernstliche Zweifel daran, dass der Asylantrag der Antragstellerin unter Verweis auf § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG als unzulässig abgelehnt wurde, mit der Folge, dass die Antragsgegnerin nach §§ 71a Abs. 4, 34, 36 Abs. 1 AsylG eine Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche erließ.
Gemäß § 71a AsylG ist im Falle eines Zweitantrags ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Ein Zweitantrag liegt vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG oder einem der in § 71a AsylG sonst genannten Staaten im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Ein “erfolgloser Abschluss” des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-)Verfahren noch wiedereröffnet werden kann, wobei eine solche Wiedereröffnung oder Wiederaufnahme nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen ist, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris; BVerwG, U.v. 21.11.2017 – 1 C 39.16 – juris). Die Vorschrift bezweckt die Gleichbehandlung erfolgloser Asylverfahren in anderen sicheren Vertragsstaaten mit solchen in Deutschland. Dies setzt dementsprechend voraus, dass der Gegenstand des ersten, in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Asylverfahrens der gleiche wie der eines in Deutschland durchzuführenden Verfahrens ist. Nur dann ist die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gerechtfertigt. Soweit aber bestimmte Verfahrensgegenstände erstmals in Deutschland geprüft werden würden, weil sie im ersten Asylverfahren von den dort zuständigen Behörden nicht zu prüfen waren, kann der erneute Asylantrag in Deutschland auch nicht als Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG angesehen werden, wenn das Begehren des Antragstellers über das hinausgeht, was Gegenstand des ersten Verfahrens war (vgl. Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylVfG, Rn. 2).
Die diesbezügliche Aufklärung obliegt zunächst dem Bundesamt (vgl. BVerwG, B.v. 18.2.2015 – 1 B 2.15 – juris). Es muss zu der gesicherten Erkenntnis gelangen, dass das Asylerstverfahren im Drittstaat mit einer für den Asylbewerber bindenden Entscheidung endgültig abgeschlossen wurde. Diese Voraussetzungen müssen feststehen – bloß Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylVfG, Rn. 9). Ist dem Bundesamt der aktuelle Stand des Verfahrens in dem anderen Mitgliedstaat nicht bekannt, muss es diesbezüglich zunächst weitere Ermittlungen anstellen, insbesondere im Rahmen der für den Informationsaustausch vorgesehenen Info-Request (vgl. Art. 34 Dublin-III-VO; VG München, B. v. 20.11.2017, M 11 S 17.48158 m.w.N.). Erforderlich sind die Informationen zum Verfahrensstand und zum Tenor einer ggf. getroffenen Entscheidung in diesem Mitgliedstaat und zudem – im Hinblick auf eine Beurteilung der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG – zumindest in der Regel die Entscheidungsgründe der Ablehnung in dem anderen Mitgliedstaat (vgl. VG München, B.v. 20.11.2017 – M 11 S 17.48158 – juris).
Dies zugrunde gelegt kann nach dem bisherigen Vorbringen und den von der Antragsgegnerin vorgelegten Stellungnahmen und Unterlagen vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren vorliegt. Grundlage für die dahingehende Entscheidung der Antragsgegnerin ist ein Schreiben der Schweizer Behörden vom 30.10.2017. Hieraus geht jedoch nach Ansicht des Gerichts nicht eindeutig hervor, ob die Antragstellerin im Falle einer Rückkehr in die Schweiz das dort eingeleitete Asylverfahren ohne inhaltliche Beschränkung ihres Vortrags wie ein Erstverfahren weiterbetreiben bzw. wiederaufnehmen könnte und damit auch ihre Fluchtgründe (erneut) darlegen dürfte.
In der Bescheinigung ist zwar von einer Einstellung des Verfahrens die Rede (“state of the proceedings: Procedure closed”), allerdings wird weiterhin auch davon gesprochen, dass der Antrag der Antragstellerin aufgrund der Rücknahme (“she withdrew her asylum request”) aus den Schweizer Akten gestrichen/ ausgetragen/ abgeschrieben (“her application was struck off the Swiss records”) wurde. Welche rechtlichen Folgen sich hieraus für die Antragstellerin konkret ergeben, z.B. ob ein erneutes Asylbegehren ihrerseits in der Schweiz wie ein Erstverfahren behandelt würde oder ob bereits eine abschließende Entscheidung getroffen wurde, ist weder im Schreiben der Schweizer Behörden, noch in den Stellungnahmen der Antragsgegnerin dargelegt.
Insbesondere wurde auch nicht zu den Einwänden der Antragstellerin Stellung genommen, sie sei schwer krank gewesen und habe kein richtiges Interview in der Schweiz gehabt. Um ins Krankenhaus zu kommen, habe sie einen Ausweis gebraucht und hierfür eine kleine Befragung gehabt. Richtige Asylgründe habe sie hingegen nicht vorgetragen (vgl. S. 5 der Anhörungsniederschrift).
Art. 25a AsylG (Schweiz) legt fest, dass vor Anhandnahme des Asylverfahrens mit dem Asylsuchenden zu klären sei, ob ein Asylgesuch nach diesem Gesetz vorliegt und dieses Asylgesuch hinreichend begründbar ist. Sollte dies nicht der Fall sein und ziehe die asylsuchende Person ihr Gesuch zurück, so werde dieses formlos abgeschrieben und die Rückreise eingeleitet. Damit, ob die Antragstellerin ihren Antrag in der Schweiz im Rahmen dieses “Beratenden Vorgesprächs” zurückgenommen oder sich bereits in einem weitergehenden Stadium des dortigen Verfahrens befunden hat und mit welchen jeweiligen Rechtsfolgen im Hinblick auf ein weiteres Verfahren dies für die Antragstellerin verbunden ist, hat sich die Antragsgegnerin nicht auseinandergesetzt.
Da derzeit also nicht feststeht, in welchem Stadium sich das Asylverfahren der Antragstellerin in der Schweiz befindet und ob die Antragsgegnerin zu Recht ein Zweitverfahren annehmen durfte, ist dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage stattzugeben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83 b AsylG.
Dieser Beschluss ist gem. § 80 AsylG unanfechtbar.


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