Aktenzeichen 18 Qs 49/17
Leitsatz
1. Jedenfalls in Fällen der Komplettspiegelung von Datenträgern (hier: „Datensicherung“ der internen Festplatte eines Notebooks und einer weiteren externen Festplatte) steht ein so weitreichender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Raum, dass die Rechtmäßigkeit der Datenbeschlagnahme auch nach deren Erledigung durch Löschung der Daten entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO gerichtlich überprüfbar ist. (Rn. 16)
2. An der für Beschlagnahmeanordnungen nach § 94 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO erforderlichen Beweisbedeutung fehlt es, sobald mit hinreichender Sicherheit abzusehen ist, dass es zu keinem Gerichtsverfahren gegen den Beschuldigten oder gegen mit ihm bzw. dem beschlagnahmten Gegenstand in Verbindung zu bringende Dritte kommen wird. (Rn. 16 – 20)
Verfahrensgang
58 Gs 7552/17 2017-10-04 Bes AGNUERNBERG AG Nürnberg
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten F. wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 04.10.2017 (Gz. 58 Gs 7552/17) aufgehoben.
2. Es wird angeordnet, die von dem Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 04.10.2017 (Gz. 58 Gs 7552/17) erfassten Gegenstände an den Beschuldigten herauszugeben.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Die Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts Nürnberg-Süd führt gegen den Beschuldigten F. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zu Steuerhinterziehungen der Mitbeschuldigten L. und H. zugunsten der T. GmbH bzw. der K. GmbH. Ausgangspunkt des Verfahrens war der Verdacht, der Beschuldigte habe die Mitbeschuldigten bewusst bei der Verlagerung von Gewinnen dieser Gesellschaften ins Ausland unterstützt, indem er als „verwaltungstechnischer Geschäftsführer“ der allein zu diesem Zweck in Geschäftsbeziehungen zu den Endkunden zwischengeschalteten, im Großherzogtum Luxemburg ansässigen H. S.à.r.l. (im Folgenden kurz: S.à.r.l.) fungierte. Hinsichtlich der S.à.r.l. bestand der Verdacht, es handele sich um eine Domizilgesellschaft ohne eigenen Geschäftsbetrieb, was – wie der Beschuldigte gewusst habe – die Mitbeschuldigten in von ihnen für die Inlandsgesellschaften abgegebenen bzw. veranlassten Steuererklärungen verschwiegen, um in den Jahren 2011 bis 2014 Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuer in nicht unerheblicher Höhe zu verkürzen.
Aufgrund dieser Verdachtslage ordnete der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Nürnberg (Ermittlungsrichter) mit Beschlüssen vom 12.04.2017 und 25.04.2017 (Az. 58 Gs 3285 und 3590/17) in beiden Tatkomplexen die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten im Anwesen G.straße in B. an. Beim Vollzug der Beschlüsse am 03.05.2017 wurde festgestellt, dass der Beschuldigte unter dieser Meldeanschrift keine Wohnung unterhält, sondern tatsächlich mit seiner Lebensgefährtin in der L.straße in B. wohnhaft ist. Der Beschuldigte und dessen Lebensgefährtin gestatteten daraufhin die Durchsuchung ihrer Wohnung im Anwesen L.straße ohne richterlichen Beschluss.
Dabei wurden folgende Beweismittel aufgefunden, die der Beschuldigte freiwillig herausgab:
– Notebook „…“ (Sicherstellungsverzeichnis vom 03.05.2017, Kennzeichnung – Kennz. – IIIa/1)
– Festplatte „…“ (Kennz. IIIa/2)
– Leitzordner (LO) „…“ (Kennz. IIIa/3)
– LO „…“ (Kennz. IIIa/4)
– LO „…“ (Kennz. IIIa/5)
– LO „…“ (Kennz. IIIa/6)
– LO „…“ (Kennz. IIIa/7)
– LO „…“ (Kennz IIIa/8)
– LO „…“ (Kennz. IIIa/9)
– LO „…“ (Kennz. IIIa/10)
– Mappe mit Unterlagen „…“ (Kennz. IIIa/11).
Die sichergestellte Hardware (Kennz. IIIa/1 und IIIa/2) wurde nach Erstellung von Datensicherungen durch die in Amtshilfe an der Durchsuchung mitwirkende Steuerfahndungsstelle des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen B. bereits am Folgetag (04.05.2017) an den Beschuldigten zurückgegeben. Kopien der Datensicherungen wurden an die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts Nürnberg-Süd (Steuerfahndung) übermittelt; die Originale der Datensicherungen verblieben bei der Abteilung für IT-Forensik des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen B.
Eine weitergehende Rückgabe lehnte die Steuerfahndung am 22.06.2017 ab, wobei der damalige Verteidiger des Beschuldigten die Einholung eines Beschlagnahmebeschlusses nicht für erforderlich hielt.
Mit an das Landgericht Nürnberg-Fürth gerichtetem Schreiben vom 20.07.2017 legte der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr anwaltlich vertretene Beschuldigte „gegen die weitere Beschlagnahme der asservierten Gegenstände Beschwerde“ ein.
Am 23.08.2017 vermerkte die Steuerfahndung den Abschluss der Durchsicht der Papiere und die Beendigung der Durchsuchung in den Akten.
Auf Antrag der Bußgeld- und Strafsachenstelle ordnete der Ermittlungsrichter mit Beschluss vom 04.10.2017 (Az. 58 Gs 7552/17) die Beschlagnahme der unter den Kennzeichnungen IIIa/3-IIIa/11 erfassten Überführungsstücke an; zu den erstellten Datensicherungen traf er keine Entscheidung.
Gegen diesen Beschluss legte der Beschuldigte mit Schreiben vom 10.10.2017 „Rechtsmittel“ ein.
Dem half der Ermittlungsrichter nicht ab.
Mit Schreiben vom 01.12.2017 teilte die Steuerfahndung auf Anfrage der Beschwerdekammer mit, es lägen neue Erkenntnisse vor, wonach sich der Verdacht nicht bestätigt habe, bei der S.à.r.l. handele es sich lediglich um eine inaktive Domizilgesellschaft; Steuerverkürzungen seien nach aktuellem Kenntnisstand nicht eingetreten. Gleichwohl seien die beschlagnahmten Unterlagen weiterhin beweiserheblich, da sie Auskunft über die Wohnanschriften bzw. Aufenthaltsorte des Beschuldigten im In- und Ausland, dessen berufliche Tätigkeit in Luxemburg und die dortige Ansässigkeit der S.à.r.l. gäben. Dies belegte die Steuerfahndung durch einen beigefügten Aktenvermerk vom 13.11.2017 hinsichtlich einzelner Dokumente aus den Überführungsstücken mit den Kennzeichnungen IIIa/3, IIIa/4 und IIIa/8.
Am 13.12.2017 teilte die Steuerfahndung der Kammer mit, die Datensicherungen seien am 05.12.2017 gesichtet worden; auch hieraus hätten sich keine den Beschuldigten belastenden Umständen ergeben, sodass diese inzwischen gelöscht worden seien.
II.
Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist im – für die Beurteilung maßgeblichen – Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung begründet.
1. a) Soweit sich der Beschuldigte mit Schreiben vom 10.10.2017 unmittelbar gegen die Beschlagnahmeanordnung vom 04.10.2017 wendet, handelt es sich bei dem von ihm eingelegten „Rechtsmittel“ unzweifelhaft um eine zulässige Beschwerde.
b) Soweit er sich bereits mit Schreiben vom 20.07.2017 mittels „Beschwerde“ gegen die „weitere Beschlagnahme“ der von ihm zunächst freiwillig herausgegebenen Gegenstände gewandt hatte, war darin gemäß § 300 StPO ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Sinne von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO zu sehen. Davon waren – ohne Einschränkung – alle „asservierten Gegenstände“ erfasst, also sowohl die sachlichen Überführungsstücke (Kennz. IIIa/3-IIIa/11) als auch die aus den vormaligen Überführungsstücken mit den Kennzeichnungen IIIa/1 und IIIa/2 gewonnenen Datensicherungen (bei rechtsschutzgewährender Auslegung kommt es nicht darauf an, ob dem Beschuldigten bekannt war, dass vor Rückgabe dieser Überführungsstücke entsprechende Kopien der gespeicherten Daten erstellt wurden). Spätestens zu diesem Zeitpunkt (20.07.2017) hatte der Beschuldigte gegenüber den Ermittlungsbehörden zu erkennen gegeben, von nun an nicht mehr mit der Sicherstellung der „asservierten Gegenstände“ einverstanden zu sein, also seine Einwilligung in deren behördliche Verwahrung zu widerrufen. In der gleichwohl erfolgten Aufrechterhaltung des amtlichen Gewahrsams lag – jedenfalls nach Abschluss der Durchsicht der Papiere am 23.08.2017 – eine konkludente Beschlagnahmeanordnung seitens der Steuerfahndung, welche nach Maßgabe von § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO der gerichtlichen Bestätigung bedurft hätte.
Über den Antrag des Beschuldigten auf gerichtliche Entscheidung hat der Ermittlungsrichter nicht entschieden. Stattdessen hat er auf Antrag der Bußgeld- und Strafsachenstelle eine richterliche Beschlagnahmeanordnung erlassen (§ 98 Abs. 1 Satz 1 StPO), die sich lediglich auf die Überführungsstücke mit den Kennzeichnungen IIIa/3-IIIa/11 bezog. Dadurch war zwar der Antrag des Beschuldigten auf gerichtliche Entscheidung insoweit prozessual überholt. Hinsichtlich der aus den Überführungsstücken mit den Kennzeichnungen IIIa/1 und IIIa/2 gewonnenen Datensicherungen ist dieser Antrag jedoch nach wie vor bei dem Ermittlungsrichter anhängig und folglich keiner Beschwerdeentscheidung durch die Kammer zugänglich (eine beschwerdefähige stillschweigende Entscheidung – s. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., 2017, § 309 Rn. 5 – kann die Kammer nicht erkennen; sie geht vielmehr von einem Versehen des Ermittlungsrichters aus). Die Sache muss daher zur gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Datenbeschlagnahme an das Amtsgericht zurückgehen. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Daten bereits gelöscht worden sind. Angesichts der mit der Sicherung sämtlicher – also auch überschießender – Daten einhergehenden besonderen Intensität des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 94 Rn. 18a m.w.N.) steht die Erledigung der Maßnahme ihrer Überprüfung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entgegen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 98 Rn. 23 a.E.).
2. Die Kammer kann dahinstehen lassen, ob die Beschlagnahmeanordnung vom 04.10.2017 formellen Anforderungen noch genügt, obwohl sie keine Darstellung des dem Beschuldigten (seinerzeit) zur Last liegenden Lebenssachverhalts (Tatverdacht) enthält. Dies dürfte in versehentlicher Verkennung des Umstands geschehen sein, dass für die Wohnung, in der die in Rede stehenden Überführungsstücke sichergestellt wurden, gerade kein Durchsuchungsbeschluss vorlag, dessen Tatverdachtsschilderung die angegriffene Anordnung – eine ausdrückliche Bezugnahme einmal unterstellt – als bekannt hätte „voraussetzen“ oder an die sie hätte „anknüpfen“ können. Einer weiteren Aufrechterhaltung des amtlichen Gewahrsams an den Überführungsstücken mit den Kennzeichnungen IIIa/3-IIIa/11 steht entgegen, dass es ihnen auf Basis des zwischenzeitlich erreichten Ermittlungsstands an der einen solchen Grundrechtseingriff rechtfertigenden potentiellen Beweisbedeutung fehlt.
a) Die Beschlagnahme eines Gegenstands setzt gemäß § 94 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO voraus, dass er „als Beweismittel“ für die Untersuchung von Bedeutung sein kann. Damit ist in erster Linie gemeint, dass der betreffende Gegenstand – bei bereits bestehendem oder durch ihn erst ausgelöstem Anfangsverdacht – im späteren gerichtlichen Verfahren den Tatnachweis (mit-)begründen soll. Folglich fehlt es an der erforderlichen Beweisbedeutung, sobald mit hinreichender Sicherheit abzusehen ist, dass es zu keinem Gerichtsverfahren gegen den Beschuldigten oder gegen mit ihm bzw. dem Gegenstand in Verbindung zu bringende Dritte kommen wird (vgl. BGH, BGHSt 9, 351, unter II.4.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 94 Rn. 7).
Vorliegend haben die Ermittlungen der Steuerfahndung ergeben, dass es sich bei der S.à.r.l. entgegen ursprünglicher Verdachtslage nicht um eine Domizilgesellschaft, sondern um ein im Tatzeitraum werbend tätiges Unternehmen handelte. Davon ausgehend ist sie zu dem – nach dem Inhalt des Aktenvermerks vom 13.11.2017 voraussichtlich endgültigen – Ergebnis gelangt, weder das Verhalten des Beschuldigten noch dasjenige der Mitbeschuldigten habe zu Steuerverkürzungen i.S.v. § 370 AO geführt. Damit entfällt die tatnachweisbegründende Beweisbedeutung der in Rede stehenden Überführungsstücke in Gänze. Die Fragen des ursprünglichen Tatverdachts und der ursprünglichen Beweisbedeutung der Überführungsstücke – bezogen auf den Zeitpunkt der Sicherstellung – sind unter den gegebenen Umständen nicht mehr von Belang. Auch kommt es nicht mehr darauf an, dass die Steuerfahndung im Zuge der Aktenvorlage an den Ermittlungsrichter eine Beweisbedeutung nur in Bezug auf die Überführungsstücke mit den Kennzeichnungen IIIa/3, IIIa/4 und IIIa/8 dargelegt hatte.
b) Dem läuft nicht zuwider, dass § 160 Abs. 2 StPO die Ermittlungsbehörden dazu verpflichtet, in gleichem Maße bewie entlastende Umstände aufzuklären. Allein auf diesen sich zugunsten des Beschuldigten auswirkenden Ermittlungsauftrag können Grundrechtseingriffe wie die Beschlagnahme von Unterlagen nicht gestützt werden, weil es dem Beschuldigten jederzeit möglich ist, solches Material im Rahmen seiner Verteidigung selbst vorzulegen (vgl. BVerfG, NJW 2008, 2422, unter III.3.a). Da die Strafverfolgungstätigkeit vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO) aber auch nachvollziehbar und überprüfbar sein muss, spricht aus verfassungsrechtlichen Gründen nichts dagegen, einzelne rechtmäßig erlangte entlastende Beweismittel zur Vorbereitung einer Verfahrenseinstellung vor Rückgabe der Originale in Kopie zur Akte zu nehmen.
III.
Die Rückgabe der Überführungsstücke mit den Kennzeichnungen IIIa/3-IIIa/11 an den Beschuldigten kann auch durch deren Bereitstellung zur Abholung erfolgen (vgl. BGH, NJW 2005, 988; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 94 Rn. 22).
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.