Verwaltungsrecht

Flüchtlingsschutz wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung in Somalia

Aktenzeichen  M 11 K 14.31131

Datum:
29.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 S. 1, § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6, § 3c Nr. 1, Nr. 2, § 3d

 

Leitsatz

Wirksamer Schutz von Frauen und Mädchen gegen Vergewaltigung, Verschleppung und Versklavung ist in Südsomalia wegen fehlender staatlicher Autorität nicht gewährleistet. Gefahrerhöhend wirkt sich der Vorwurf des Ehebruchs als Verstoß gegen die von Frauen einzuhaltenden Normen und Konventionen durch das soziale Umfeld aus. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamts … vom 13.10.2014 wird in den Nrn. 1, 3, 4 und 5 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.
Die im Hauptantrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen; der angefochtene Bescheid ist in den Nummern 1, 3 4 und 5, welche dieser Verpflichtung entgegen stehen, aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Klägerin hat Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil ihr in Somalia seitens nichtstaatlicher Akteure im Sinne des § 3 c Nr. 3 AsylG geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. § 3 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6 AsylG droht und die in § 3 c Nummern 1 und 2 AsylG genannten Akteure erwiesenermaßen nicht in der Lage sind, ihr im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor dieser Verfolgung zu bieten.
Im vorliegenden Fall muss zur Beurteilung der Frage, welche Gefahren der Klägerin in Somalia drohen, davon ausgegangen werden, dass die Klägerin alleine nach Somalia zurückkehren würde. Von ihren beiden zwei Jahre bzw. drei Monate alten Kinder besitzt jedenfalls das ältere laut Bescheid des Bundesamts vom 4. August 2014 den subsidiären Schutzstatus; ihm ist laut den von der Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegten Unterlagen eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 AufenthG erteilt worden. Da dem älteren Kind der Klägerin – … – eine Rückkehr aus zielstaatsbezogenen Gründen nicht zumutbar ist, kann aus Rechtsgründen nicht unterstellt werden, dass es mit der Klägerin zurückkehren werde. Zweifellos ist die Klägerin mit dem Vater der beiden Kinder – das zweite Kind heißt … – nicht verheiratet. Das ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt, wonach sie bereits in Somalia einen anderen Mann – … – geheiratet habe, aus den Bundesamtsakten und der dort befindlichen Geburtsurkunde sowie aus dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung, wonach der ebenfalls bereits verheiratete Kindsvater – … – seine Frau mittlerweile nach Deutschland geholt hat.
Nach Ansicht des Gerichts droht der Klägerin durch ihr soziales Umfeld im Falle einer Rückkehr mit hinreichender Gefahr geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne des § 3 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG, die durch staatliche oder andere Stellen nicht abgewendet werden kann.
Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in Somalia vom 1. Dezember 2015 ist die Lage von Frauen und Mädchen in Südsomalia, woher die Klägerin stammt, weiterhin besonders prekär. Sie bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen Versklavung ausgesetzt. Ein wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe ist dem Lagebericht zufolge mangels staatlicher Autorität nicht gewährleistet. Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen, häusliche Gewalt gegen Frauen ist weit verbreitet.
Im Falle der Klägerin kommt als deutlich gefahrenerhöhender Umstand hinzu, dass es sich bei ihr um eine Frau handelt, die zwei nichteheliche Kinder hat. Darauf, dass bei der Klägerin noch einmal gefahrenerhöhend hinzukommt, dass aufgrund ihres Vortrags, dass sie bereits in Somalia verheiratet sei und die Kinder somit nicht „nur“ nichtehelich, sondern „außerehelich“ wären, kommt es dabei nicht entscheidend an, da es bereits ausreicht, dass die Kinder jedenfalls „unehelich“ sind. Inwieweit dieser Umstand außerhalb ihrer engsten Familienangehörigen in Somalia bereits bekannt ist, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist es der Klägerin nicht zumutbar, dass sie ihre Mutterschaft gegenüber ihrem Umfeld verschweigt, insbesondere dann nicht, wenn sie wieder eine Beziehung mit einem Mann eingehen will bzw. wenn sie die Beziehung zu ihrem somalischen Ehemann wieder aufnehmen soll oder will. Hinzu kommt, dass es für das soziale Umfeld der Klägerin nicht nachvollziehbar wäre, weshalb sich – was aber aus Rechtsgründen zugrunde zu legen ist (siehe oben) – ihre Kinder, die noch in hohem Maße der elterlichen Fürsorge bedürfen, nicht bei ihr befinden. Nach den sich aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes ergebenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Somalia ist davon auszugehen, dass das weitere soziale Umfeld der Klägerin vorwerfen wird, in schwerwiegender Weise gegen die von Frauen einzuhaltenden Normen und Konventionen zu verstoßen bzw. verstoßen zu haben; das gilt in jedem Fall, in noch höherem Maß, wenn ihr der vorgetragene Ehebruch vorgeworfen würde. Nach Ansicht des Gerichts besteht angesichts dieser Umstände für die Klägerin deshalb insgesamt die erhebliche Gefahr, geschlechtsspezifische Verfolgung asylerheblicher Intensität durch nichtstaatliche Akteure erleiden zu müssen.
Nach alledem ist der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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