Verwaltungsrecht

Zulassung zum Studium außerhalb der festgesetzten Kapazität

Aktenzeichen  7 CE 16.10111 u. a.

Datum:
11.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 50163
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
HZV § 46 Abs. 2, § 53

 

Leitsatz

1. Wenn eine Hochschule bei der Ermittlung der Bestandszahlen der Studierenden sämtliche beurlaubten Studierenden nicht berücksichtigt, gibt dieses – kapazitätsgünstige – Verhalten keinen Anlass zu Beanstandungen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Korrektur der in die Schwundberechnung einbezogenen Bestandszahlen der Studierenden kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Studierendenzahlen aufgrund außergewöhnlicher Einflussfaktoren in atypischer Weise entwickeln und diese im sonstigen Studienverlauf ungewöhnliche Entwicklung in geeigneter Weise rechnerisch auszugleichen oder zu neutralisieren ist. Dies kann etwa bei gerichtlich nachträglich zugelassenen Studierenden (den sog. „Gerichtsmedizinern“) der Fall sein, wenn sich bei Zugrundelegung der Bestandszahlen eine ganz ungewöhnliche (positive) Schwundquote ergeben würde. (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine über die festgesetzte Zulassungszahl hinausgehende Überbuchung von Studienplätzen ist als kapazitätsdeckend anzuerkennen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 7 E 15.20298 u. a. 2016-02-23 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II.
Die Antragsteller und Antragstellerinnen tragen jeweils die Kosten der Beschwerdeverfahren.
III.
Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird jeweils auf 2.500,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller und Antragstellerinnen (im Folgenden: Antragsteller) begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin (Vorklinik) im ersten Fachsemester an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Universität) nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2015/2016. Sie machen geltend, die Universität habe ihre tatsächliche Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft.
Das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg hat die Anträge mit Beschlüssen vom 23. Februar 2016 abgelehnt.
Mit ihren Beschwerden verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie tragen vor, die Angabe der Studierendenzahlen sei im Hinblick auf Beurlaubungen im ersten Fachsemester zu überprüfen. Ebenso seien zugunsten der Strahlenschutzbeauftragten vorgenommene Minderungen der Lehrverpflichtungen erneut zu überprüfen. Ferner werde die Berechnung der Schwundquote dadurch verfälscht, dass Bestandszahlen der Studierenden zu einem bestimmten Stichtag ermittelt werden. Dies gelte auch im Hinblick auf – infolge gerichtlicher Vergleiche vom Juli 2015 – zusätzlich zugelassene sechs Studierende. Schließlich sei die Überbuchung der Zulassungszahl nicht zulässig. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragsteller vom 11. April 2016 verwiesen.
Der Antragsgegner widersetzt sich den Beschwerden.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerden haben keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch der Antragsteller nicht. Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Universität ihre Ausbildungskapazität im Studiengang Humanmedizin (Vorklinik) ausgeschöpft hat. Der Senat folgt den Gründen des streitgegenständlichen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen zu bemerken:
a) Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Angaben der Universität zu den Studierendenzahlen glaubhaft sind. Wenn die Universität – wie von ihr vorgetragen – bei der Ermittlung der Bestandszahlen der Studierenden sämtliche beurlaubten Studierenden nicht berücksichtigt, gibt dieses – kapazitätsgünstige – Verhalten keinen Anlass zu Beanstandungen. Es gibt auch sonst keinen Anlass, die Angaben der Universität zu den Studierendenzahlen in Zweifel zu ziehen. Der gewünschten Vorlage einer „Belegungsliste“ bedarf es nicht.
b) Die von den Antragstellern angesprochenen Minderungen der Lehrverpflichtungen (§ 46 Abs. 2 der Verordnung über die Hochschulzulassung an den staatlichen Hochschulen in Bayern [Hochschulzulassungsverordnung – HZV] vom 18.6.2007 [GVBl S. 401, BayRS 2210-8-2-1-1-K], zuletzt geändert durch Verordnung vom 31.3.2015 [GVBl S. 74]) sind in der Vergangenheit wiederholt gerichtlich überprüft worden und zu Recht unbeanstandet geblieben (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 12.2.2014 – 7 ZB 13.10357 – juris; B. v. 27.11.2013 – 7 CE 13.10354 – juris; B. v. 22.8.2013 – 7 CE 13.10181 u. a. – juris; B. v. 22.8.2013 – 7 CE 13.10180 – juris). Anlass zu einer neuerlichen Prüfung besteht nicht.
c) Die Zweifel der Antragsteller an der Berechnung der Schwundquote sind unbegründet.
Die Studienanfängerzahl ist nach der Bestimmung des § 53 HZV dann zu erhöhen, wenn zu erwarten ist, dass wegen Aufgabe des Studiums oder Fachwechsels oder Hochschulwechsels die Zahl der Abgänge an Studierenden in höheren Fachsemestern größer ist als die Zahl der Zugänge (Schwundquote). Maßgebend für die Ermittlung der Zugänge und Abgänge sind die jeweiligen (Stichtags)Erhebungen über den Bestand der im betreffenden Studiengang vorhandenen (eingeschriebenen) Studierenden, welche in der amtlichen Statistik des Bayerischen Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung enthalten sind. Entgegen der Ansicht der Antragsteller kommt es daher nicht auf Bestandszahlen an, die zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt erhoben worden sind.
Eine „Korrektur“ der in die Schwundberechnung einbezogenen Bestandszahlen der Studierenden kommt nach der Rechtsprechung des Senats nur dann in Betracht, wenn sich die Studierendenzahlen aufgrund außergewöhnlicher Einflussfaktoren in „atypischer“ Weise entwickeln und diese im sonstigen Studienverlauf ungewöhnliche Entwicklung in geeigneter Weise rechnerisch auszugleichen oder zu neutralisieren ist. Dies kann etwa bei gerichtlich nachträglich zugelassenen Studierenden (den sog. „Gerichtsmedizinern“) der Fall sein, wenn sich bei Zugrundelegung der Bestandszahlen eine „ganz ungewöhnliche (positive) Schwundquote“ ergeben würde (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 24.8.2009 – 7 CE 09.10352 u. a. – juris Rn. 24 ff.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Unbeschadet dessen haben die zuletzt – aufgrund gerichtlicher Vergleiche vom Juli 2015 – zugelassenen Studierenden auf die Berechnung der Schwundquote für das streitgegenständliche Wintersemester 2015/2016 keinen Einfluss, weil in die Berechnung ausschließlich die Bestandszahlen der Vorsemester einfließen.
d) Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist die über die festgesetzte Zulassungszahl (154 Studienanfänger) hinausgehende „Überbuchung“ von Studienplätzen als kapazitätsdeckend anzuerkennen. Sie beruht auf einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage (§ 7 Abs. 3 Satz 6, § 10 Abs. 1 Satz 4 HZV) und bezweckt, die knappe Ausbildungskapazität der Universität möglichst zeitnah auszuschöpfen. Die im Wege der Überbuchung vergebenen Studienplätze sind daher nicht mehr „frei“ und stehen für eine außerkapazitäre Vergabe nicht zur Verfügung (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 17.4.2014 – 7 CE 14.10046 – juris Rn. 9 f.; B. v. 8.5.2013 – 7 CE 13.10021 – juris Rn. 24 m. w. N.).
Die – aufgrund der genannten gerichtlichen Vergleiche – nunmehr im ersten Fachsemester aufgenommenen sechs Studierenden hat das Verwaltungsgericht bei der Prüfung der erschöpfenden Vergabe der festgesetzten Zulassungszahl von Studienplätzen im streitgegenständlichen Wintersemester 2015/2016 zu Recht unberücksichtigt gelassen, weil diese sechs Studierenden nach Maßgabe der Rechtsverhältnisse früherer Vorsemester aufzunehmen waren. Auch ohne diese sechs Studierenden ist die festgesetzte Zulassungszahl (154) aufgrund der anzuerkennenden Überbuchung (158 Studierende im ersten Fachsemester) jedoch vollständig ausgeschöpft.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i. V. m. Nr. 1.5 und Nr. 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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