Verwaltungsrecht

Albanien als sicherer Herkunftsstaat – Erfolglose Asylanträge

Aktenzeichen  M 17 S 16.31229

Datum:
6.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4, § 29a
GG GG Art. 16a Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

Dass ein Minderjähriger nicht getrennt von seinen Eltern nach Albanien zurückkehren kann, begründet kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot iSv § 60 AufenthG, sondern ist von der Ausländerbehörde bei der Aufenthaltsbeendigung zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 S. 1 AsylG). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die am … Juli 2014 in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Antragsteller sind Staatsangehörige Albaniens. Sie stellten am 30. Dezember 2014 Asylantrag.
Die Asylanträge der Eltern vom 15. April 2014 wurden mit Bescheid vom 13. April 2016 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Die Eltern hatten im Wesentlichen angegeben, dass der Großvater der Antragsteller den Eltern mit Blutrache gedroht habe und die Mutter der Antragsteller an einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen leide sowie Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung bestehe. Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte der Eltern der Antragsteller am 25. Mai 2016 Klage und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung (Vf. M 21 K 16.31189 und M 17 21 S 16.31190).
Mit Bescheid vom 18. Mai 2016, zugestellt am 24. Mai 2016, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und auf Asylanerkennung (Nr. 2) als offensichtlich unbegründet ab, lehnte die Anträge auf subsidiären Schutz ab (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte die Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihnen die Abschiebung nach Albanien oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes angeordnet und auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigte offensichtlich nicht vorlägen. Die Antragsteller stammten aus einem sicheren Herkunftsstaat, so dass vermutet werde, dass sie nicht verfolgt würden. Sie hätten nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass, entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage in ihrem Herkunftsstaat, in ihrem Fall die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung erfüllt seien. Durch die gesetzlichen Vertreter der Antragsteller seien keine eigenen Asylgründe vorgetragen worden und auch aus dem Asylverfahren der Eltern ergäben sich keine asylrelevanten Vorträge für die Antragsteller. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor, insbesondere sei der Vortrag der Antragsteller nicht geeignet, zu einer individuellen Gefährdung zu gelangen. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Albanien führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Eine schwierige soziale und wirtschaftliche Lage begründe kein Abschiebungsverbot, sie müsse von den Antragstellern ebenso wie von vielen ihrer Landsleute bewältigt werden. Den Antragstellern drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller am 30. Mai 2016 zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 17 K 16.31228) und beantragten gleichzeitig, hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt sowie auf die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Eltern der Antragsteller in den Verfahren M 21 K 16.31189 und M 21 S 16.31190 Bezug genommen. Die dortige Klage bzw. der Eilantrag wurden bisher jedoch nicht begründet.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 16. 31228 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die Antragsteller möchten erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 18. Mai 2016 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
1. Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG offensichtlich (vgl. §§ 29a, 30 AsylG) nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob dieser weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) und die Voraussetzungen des § 3 AsylG offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S.v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
2. An der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidungen bestehen hier keine derartigen ernstlichen Zweifel.
2.1 Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Anerkennung als Asylberechtigte bzw. die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtlinge rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag der Antragsteller nicht erkennbar.
Das Heimatland der Antragsteller, Albanien, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung Albaniens als sicherer Herkunftsstaat bestehen jedoch nicht. Das Gericht schließt sich insoweit den detaillierten Ausführungen des Verwaltungsgerichts Berlin (B.v. 22.12.2015 – 33 L 357.15 A – juris Rn. 13ff.) an, auf die Bezug genommen wird.
Die Antragsteller haben die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Eigene Verfolgungsgründe wurden für die Antragsteller nicht vorgebracht. Das Gericht folgt insoweit der zutreffenden Begründung der Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid, auf die verwiesen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2.2 Das Bundesamt hat im Übrigen auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt. Das Gericht nimmt auch insoweit auf die Begründung des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
a) Nach dem Vortrag der Eltern der Antragsteller hat der Großvater zwar diese, aber nicht die Antragsteller selbst bedroht. Im Übrigen hätten die Antragsteller bzw. ihre Eltern bei einer Rückkehr die Möglichkeit, die Hilfe – übergeordneter – staatlicher Stellen in Anspruch zu nehmen bzw. sich in einem anderen Landesteil niederzulassen (vgl. z. B. VG Aachen, B.v. 18.7.2014 – 9 L 424/14.A – juris Rn. 10; VG Gelsenkirchen, U.v. 30.5.2012 – 7a K 646/12.A – juris Rn. 20; VG Würzburg, B.v. 29.11.2010 – W 1 S 10.30287 – juris Rn. 20).
b) Dass die Antragsteller als Minderjährige wohl nicht getrennt von ihren Eltern nach Albanien zurückkehren können, begründet kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 AufenthG. Dieser Umstand ist vielmehr von der Ausländerbehörde bei der Aufenthaltsbeendigung zu berücksichtigen (vgl. § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
2.3 Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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