Europarecht

Unzulässige Beschwerde wegen Nichtvorlage geeigneter Nachweise einer ladungsfähigen Anschrift

Aktenzeichen  19 CS 15.2696

Datum:
23.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 82 Abs. 1 S. 1, § 147 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 81 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 82 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine Beschwerde setzt – auch bei anwaltlicher Vertretung – außer dem Namen des Antragstellers seine aktuelle landungsfähige Anschrift voraus, also die Benennung seiner Wohnung mit Anschrift. (redaktioneller Leitsatz)
2 Es reicht nicht aus, dass ein Ausländer durch seinen Bevollmächtigten dem Gericht eine neue Anschrift mitteilt, ohne persönlich bei der Ausländerbehörde vorzusprechen oder die notwendige melderechtliche Neuerfassung zu beantragen. Denn damit unterstellt er sich nicht der ausländerbehördlichen Kontrolle und verstößt gegen seine Mitwirkungspflicht nach § 82 Abs. 1 AufenthG. Fehlt es an der Angabe einer aktuellen ladungsfähigen Anschrift, die die Möglichkeit der ausländerbehördlichen Kontrolle gewährleistet, ist die Beschwerde unzulässig. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 9 S 15.2022 2015-11-25 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Die Beschwerde wird verworfen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller (kosovarischer Staatsangehöriger) begehrt, entgegen der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage auf Verpflichtung des Antragsgegners, ihm eine Aufenthaltserlaubnis und eine Fiktionsbescheinigung, hilfsweise eine Duldung zu erteilen.
Die Beschwerde ist unzulässig.
Eine Beschwerde muss den Antragsteller bezeichnen (§§ 147 Abs. 1, 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 147 Rn. 2 m. w. N.). Außer dem Namen ist die aktuelle ladungsfähige Anschrift anzugeben (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2005 – 10 ZB 04.1600 – juris, B.v. 6.6.2006 – 24 CE 06.1102 – juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 13.4.1999 – 1 C 24/97 -juris Rn. 28 ff.) ist hierfür die Benennung einer Wohnung mit ihrer Anschrift, unter der der Antragsteller tatsächlich zu erreichen ist, erforderlich, denn die Verwaltungsgerichtsordnung setzt es als selbstverständlich voraus, dass jede in Deutschland lebende Person im Regelfall über eine Wohnung verfügt, die sich mit Hilfe einer Anschrift eindeutig bestimmen lässt. Jeder Einwohner ist verpflichtet, sich bei der Meldebehörde unter Angabe seiner Wohnung an- und bei einem Wohnungswechsel umzumelden. Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift liegt im Interesse einer geordneten Rechtspflege. Von ihr kann die Zuständigkeit einer Behörde oder eines Gerichts abhängen. Auch muss ein Gericht in manchen Fällen wissen, wo ein Rechtsuchender tatsächlich wohnt (BVerwG, U.v. 13.4.1999, a. a. O.). Die Mitteilung einer aktuellen Anschrift ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Antragsteller durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (vgl. BVerwG, U.v. 13.4.1999, a. a. O.; BayVGH, B.v. 12.5.2005, a. a. O.). Regelmäßig reicht es auch nicht aus, dass ein Ausländer durch seinen Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Gericht eine neue Anschrift mitteilt, unter der er angeblich nunmehr tatsächlich erreichbar sein soll, ohne persönlich bei der Ausländerbehörde vorzusprechen oder persönlich die notwendige melderechtliche Neuerfassung zu beantragen. Denn in einem solchen Fall unterstellt sich der Ausländer nicht der Möglichkeit der ausländerbehördlichen Kontrolle und verstößt gegen die ihm in seinen ausländerrechtlichen Belangen obliegende Mitwirkungspflicht nach § 82 Abs. 1 AufenthG (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2013 – 19 C 12.2465, B.v. 19.12.2012 – 19 CE 12.2085 sowie OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 17.1.2005 – 18 B 2527/04 mit Hinweis auf BVerfG, B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris). Fehlt es an der Angabe einer aktuellen ladungsfähigen Anschrift, welche die Möglichkeit der ausländerbehördlichen Kontrolle gewährleistet, ist eine Beschwerde unzulässig (vgl. BayVGH, B.v. 6.6.2006, a. a. O.; vgl. auch Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 82 Rn. 2 für das Klageverfahren).
Vorliegend fehlt es an der Erfüllung dieses Erfordernisses mit der Folge der Unzulässigkeit der Beschwerde. Der Antragsteller hat im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht die Adresse „Stauseestraße 2 in D.“ angegeben. Diese Anschrift hat er auch im Beschwerdeschriftsatz vom 4. Dezember 2015 genannt. In späteren Schriftsätzen hat er es vermieden, eine Anschrift zu benennen. Der Akte des Verwaltungsgerichts im Verfahren RN 9 E 15.2207 (Bl. 58, 69 ff.) ist zu entnehmen, dass die Regierung von N. (zentrale Ausländerbehörde) dem Gericht am 22. Dezember 2015 telefonisch und unter dem 23. Dezember 2015 schriftlich mitgeteilt hat, der Antragsteller sei seit geraumer Zeit für die Behörden nicht mehr erreichbar. Er sei während seines Asylverfahrens vom 10. April bis zum 8. Juli 2015 in einer Notunterkunft der Aufnahmeeinrichtung D. unter der von ihm angegebenen Anschrift Stauseestraße 2 in D. untergebracht gewesen. Mit Zuweisungsbescheid der Regierung vom 15. Juli 2015 sei er verpflichtet worden, zum 21. Juli 2015 in eine dezentrale Unterkunft des Landratsamtes P. (Passauer Straße 5 in W.) umzuziehen (Bl. 100 der Ausländerakte). Dort sei er nie eingezogen. Er sei nach „unbekannt“ abgemeldet und am 28. September 2015 gemäß § 50 Abs. 6 AufenthG zur Fahndung ausgeschrieben worden (Bl. 162 ff. der Ausländerakte). Anlässlich eines Abschiebungsversuches (geplante Luftabschiebung am 28.9.2015) sei er auch nicht in der (damaligen) Wohnung seiner Verlobten in der E.-M.-Arndt-Straße in A. angetroffen worden. Dort habe der anwesende Vater der Verlobten dem Behördenvertreter mitgeteilt, dass der Antragsteller dort schon seit längerer Zeit nicht mehr gesehen worden sei. Eine Abschiebung des Antragstellers ist laut Auskunft der Regierung von N. schon allein wegen seines unbekannten Aufenthalts gegenwärtig nicht möglich.
In Anbetracht dessen hat das Verwaltungsgericht im Verfahren RN 9 E 15.2207 den Antragsteller unter dem 22. Dezember 2015 aufgefordert, bis 4. Januar 2016 (Frist mit ausschließender Wirkung) unter Beifügung geeigneter Nachweise (z. B. aktuelle Bescheinigung über die Vorsprache bei der Ausländerbehörde, aktuelle Meldebescheinigung) eine ladungsfähige Anschrift zu benennen. Daraufhin hat der Antragsteller dem Verwaltungsgericht die Anschrift Schellingstraße 16 in A. mitgeteilt und einen Mietvertrag der Verlobten des Antragstellers, Frau A., vom 4. August 2015 über die dort befindliche Wohnung vorgelegt, zudem eine Meldebescheinigung der Frau A. (Tag des Einzugs 12.11.2015) sowie eine Bestätigung der Vermieterin, dass die Aufnahme des Antragstellers in diese Wohnung widerruflich genehmigt werde. Dies alles belegt, dass der Antragsteller dort zivilrechtlich Wohnung nehmen könnte, nicht aber, dass er dort Wohnung genommen hat. Die vom Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 22. Dezember 2015 im Verfahren RN 9 E 15.2207 angeforderten geeigneten Nachweise über eine ladungsfähige Anschrift hat der Antragsteller nicht beigebracht. Diesen Anforderungen hat er auch im Beschwerdeverfahren 19 CE 16.214 nicht genügt. Trotz der Ausführungen des Antragsgegners zur Unzulässigkeit seiner hiesigen Beschwerde im Schriftsatz vom 7. Januar 2016 hat er sich dazu nicht geäußert.
Da das Vorbringen den dargestellten Anforderungen an die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift nicht genügt, ist die Beschwerde unzulässig. Der Aufenthalt des Antragstellers ist als unbekannt zu betrachten. Der Antragsteller entzieht sich weiterhin einer ausländerbehördlichen Kontrolle seines Aufenthalts und missachtet seine Verpflichtung, in der ihm zugewiesenen Unterkunft zu wohnen. Einen Antrag auf Genehmigung einer Aufenthaltsnahme bei seiner Verlobten in A. hat er nie gestellt. Es mag zwar sein, dass sich der Antragsteller zeitweise bei seiner Verlobten in A. aufhält. Wie der gescheiterte Abschiebungsversuch vom 28. September 2015 zeigt, geht es ihm aber darum, selbst zu bestimmen, ob er für die Ausländerbehörde erreichbar ist oder nicht. Die bloße Behauptung des Antragstellers, er halte sich an einem bestimmten Ort auf, genügt angesichts seines bisherigen Verhaltens den dargelegten Anforderungen an die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift nicht.
Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt auch nicht, weil ihre Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen (BVerwG, U.v. 13.4.1999 – 1 C 24/97 – juris Rn. 40). Derartige Umstände sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Antragsteller hat sich an dem ihm zugewiesenen Wohnsitz nie eingefunden. Er hat sich um einen Umzug zu seiner Verlobten nicht bemüht. Seine Rechtschutzmöglichkeiten werden nicht dadurch unnötig erschwert, dass er seiner Pflicht zur Angabe einer ladungsfähigen Anschrift nachkommt.
Wegen des Verstoßes gegen die (in der dargestellten Hinsicht zwingende) Verfahrensvorschrift des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann offen bleiben, ob die Beschwerde auch deshalb unzulässig ist, weil der Antragsteller durch sein Verhalten zum Ausdruck gebracht hat, an einer gerichtlichen Entscheidung nicht interessiert zu sein, mithin ein Rechtsschutzinteresse nicht geltend machen kann (im Falle eines „Untertauchens“ bejahend: BayVGH, B.v. 6.6.2006 – 24 CE 06.1102 m. w. N. – juris; erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit der Beschwerde mangels Rechtsschutzbedürfnis: BayVGH, B.v. 4.2.2013 – 19 C 12.2465; vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl., vor § 124 Rn. 37 m. w. N.).
Die Beschwerde wäre auch unbegründet.
Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses. Die Richtigkeit der die Entscheidung tragenden Gründe wird durch das Beschwerdevorbringen nicht in Frage gestellt.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, der Antrag, die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller erhobenen Klage (RN 9 K 15.2023) sei unzulässig. Es sei nicht ersichtlich, dass eine stattgebende Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO geeignet wäre, die Rechtsposition des Antragstellers zu verbessern. Dies könnte nur dann der Fall sein, wenn der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG die Fiktion eines erlaubten Aufenthalts zur Folge hätte. Der Antragsteller halte sich nicht im Sinne des § 81 Abs. 1 Satz 1 AufenthG rechtmäßig im Bundesgebiet auf, nachdem sein Asylantrag bestandskräftig abgelehnt worden und er vollziehbar ausreisepflichtig sei. Die Beantragung eines Aufenthaltstitels habe deshalb nicht zum Eintritt eines fiktiven Aufenthaltsrechts geführt, so dass die ablehnende Entscheidung des Antragsgegners keine Fiktionswirkung beendet habe und daher ein Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO eine solche Fiktionswirkung nicht wiederherstellen könne.
Demgegenüber greift der Vortrag des Antragstellers im Beschwerdeverfahren nicht durch, er habe sich zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund seines Asylverfahrens und einer ihm deshalb erteilten Aufenthaltsgestattung rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten mit der Folge des Eintritts der Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Zu Recht weist der Antragsgegner – dessen Ausführungen der Antragsteller nichts entgegengesetzt hat – darauf hin, dass in Fällen der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis während eines laufenden Asylverfahrens die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht eintritt und eine solche Beantragung deshalb keinen rechtmäßigen Aufenthalt vermitteln kann (vgl. z. B. Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., § 81 AufenthG Rn. 32 m. w. N.). Da die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG von vornherein nicht bestanden hat, kann sie auch durch vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht herbeigeführt werden.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren erfolgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. Nrn. 8.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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