Aktenzeichen 11 UF 1524/15
Leitsatz
Wird ein Anrecht nach § 18 II VersAusglG nicht ausgeglichen, kann der Versorgungsträger nicht mit der Begründung Beschwerde einlegen, ein Verwaltungsaufwand liege bei ihm nicht vor. (amtlicher Leitsatz)
Verfahrensgang
4 F 260/15 2015-10-22 Bes AGSCHWABACH AG Schwabach
Gründe
Oberlandesgericht Nürnberg
Az. 11 UF 1524/15
Beschluss
vom 29.01.2016
Anschluss an OLG Bamberg FamRZ 2011, 1232;
OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.06.2011, Az.: 15 UF 129/11.
004 F 260/15 AG Schwabach
In der Familiensache
wegen Versorgungsausgleich
ergeht durch das Oberlandesgericht Nürnberg – 11. Zivilsenat und Senat für Familiensachen – durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Redel, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Zorn und den Richter am Oberlandesgericht Kirchmeier folgender Beschluss
1. Die Beschwerde wird verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdeführerin zu tragen.
3. Der Beschwerdewert wird auf 1.000,- € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I. Das Amtsgericht – Familiengericht – hat mit Beschluss vom 22.10.2015 die Ehe der Beteiligten geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt.
Dabei hat es die beiderseitigen West-Anrechte der Beteiligten bei der Deutschen Rentenversicherung intern geteilt, das Ost-Anrecht der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung aber gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG vom Versorgungsausgleich ausgeschlossen. Zur Begründung wird (allein) ausgeführt, das Anrecht mit einem Kapitalwert von 1.606,46 € überschreite nicht den Grenzwert des § 18 Abs. 3 VersAusglG.
Gegen diesen, der Deutschen Rentenversicherung am 12.11.2015 zugestellten Beschluss wendet sie sich mit ihrer am 18.11.2015 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde und beantragt, im Wege der internen Teilung auch das Ost-Anrecht auszugleichen.
Mit den gesetzlichen Regelungen in § 18 Abs. 1 und 2 VersAusglG solle vornehmlich ein hoher Verwaltungsaufwand für den Versorgungsträger vermieden werden, der durch die Teilung und Aufnahme eines neuen Anwärters verursacht werde und der im Hinblick auf geringwertige Anrechte unverhältnismäßig wäre. Der Ausschluss von Bagatellanrechten finde seine Grenze in der unverhältnismäßigen Durchbrechung des Halbteilungsgrundsatzes. Anrechte, die der allgemeinen Rentenversicherung (Ost) zugeordnet seien, würden auf demselben Konto verwaltet, wie jene, die in der allgemeinen Rentenversicherung erworben würden. Für den Ausgleichsberechtigten müsse kein neues Konto eingerichtet oder geführt werden. Neben dem einmaligen Verwaltungsvorgang der Teilung des Anrechts entstehe kein weiterer erheblicher Verwaltungsaufwand. Ein Entlastungseffekt trete also beim Versorgungsträger nicht oder nur in unwesentlichem Umfang ein.
Die Antragsgegnerin hat gegen die Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung keine Einwendungen erhoben. Der Antragstellerin hat erklärt, der Beschwerde sei stattzugeben, mit der Maßgabe, dass ein Ausgleich des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung (Ost) stattfinde.
Zur Beschwerdebefugnis führt die Beschwerdeführerin nach einem Hinweis des Senats aus, finde bei der internen Teilung eine Verrechnung bei demselben oder zwischen verschiedenen Versorgungsträgern statt (§ 10 Abs. 2 Satz 1, 2 VersAusglG), sei im Versorgungsausgleichsverfahren die Beteiligung beider Versorgungsträger geboten, auf die sich die interne Teilung durch Zu- oder Abschläge an Versorgungspunkten auswirke. Die Nichtberücksichtigung von einzelnen Anrechten könne sich direkt auf die Rentenhöhe auswirken. Aufgabe des Rentenversicherungsträgers sei auch die Wahrung der Interessen der Versichertengemeinschaft. Die Entscheidung des Amtsgerichts lasse eine Ermessensausübung nicht erkennen, es liege eine fehlerhafte Rechtsanwendung vor. Die vom Senat in seinem Hinweis genannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte [Bamberg und Stuttgart, vgl. unter II.] würden darauf abstellen, dass die grundrechtlich geschützte Position allein den Ehegatten, jedoch nicht dem Versorgungsträger zustehe. Bei § 18 VersAusglG würde dies voraussetzen, dass das Gericht die Belange der Ehegatten in seiner Entscheidung ausdrücklich gewürdigt hätte. Wenn ein Gericht aber auf die Belange der Ehegatten gar nicht eingehe, müsse umfassend Sinn und Zweck des § 18 VersAusglG herangezogen werden und auch die Belange des Versorgungsträgers beachtet werden.
Gegen die Ankündigung des Senats, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wurden keine Einwände erhoben.
II. Die Beschwerde ist zwar gemäß §§ 58 ff., 228 FamFG statthaft, aber unzulässig, weil es der Beschwerdeführerin an der Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 1 FamFG fehlt.
Der Senat hat von einer mündlichen Erörterung abgesehen, da die Beteiligten rechtliches Gehör hatten und der Sachverhalt hinreichend geklärt ist (§ 69 Abs. 3, § 221 Abs. 1 FamFG).
Die Rechtsprechung hat den Versorgungsträgern bei der Entscheidung über den Wertausgleich von Versorgungsanrechten ein weites Beschwerderecht eingeräumt. Gefordert wird lediglich ein im Gesetz nicht vorgesehener, also unrichtiger Eingriff in seine Rechte. Ohne Bedeutung ist, ob sich dieser Eingriff auch als finanzielle Mehrbelastung auswirkt (BGH FamRZ 2013, 207 mit Anm. Borth; FamRZ 2008, 678).
§ 59 Abs. 1 FamFG verlangt allerdings einen Eingriff in eine geschützte Rechtsposition des Beschwerdeführers durch die anzufechtende Entscheidung, wodurch eine Popularbeschwerde verhindert wird (vgl. Althammer in Johannsen/Henrich, Familienrecht, 6. Aufl., § 59 FamFG, Rn. 3). Ob der Versorgungsträger gegen den nach richterlichem Ermessen entschiedenen Nichtausgleich wegen Geringfügigkeit geltend machen kann, der als Grundlage des Nichtausgleichs angenommene Verwaltungsaufwand bei ihm liege nicht vor, ist umstritten.
Höchstrichterlich ist diese Frage bislang nicht geklärt. Der Bundesgerichtshof hat in seinen Entscheidungen vom 9.1.2013 (FamRZ 2013, 612 mit Anmerkung) und vom 8.1.2014 (FamRZ 2014, 549) ausgeführt, ein Versorgungsträger sei jedenfalls dann zur Beschwerde berechtigt, wenn er mit seinem Rechtsmittel gegen einen Nichtausgleich nach § 18 Abs. 1 oder Abs. 2 VersAusglG geltend mache, dass schon der Anwendungsbereich von § 18 VersAusglG nicht eröffnet sei, weil dem Gericht entweder Bewertungs- oder Berechnungsfehler unterlaufen und die Rechtsbegriffe Gleichartigkeit oder Geringfügigkeit von ihm unrichtig beurteilt worden sei. Der Bundesgerichtshof hat zudem entschieden (FamRZ 2015, 2125 mit Anm. Borth Rn. 10), dass gleiches gelten müsse, wenn das Gericht der Ausgangsentscheidung ein Anrecht übersehe und sich daher von vorneherein der Frage verschließe, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung § 18 VersAusglG in Bezug auf das übergangene Anrecht vorlägen.
Grundlegend hat der Bundesgerichtshof schon in seiner Entscheidung vom 9.1.2013 (Rn. 12 – Hervorhebung durch den Senat) zur Beschwerdebefugnis ausgeführt:
„Aus dem grundsätzlichen Anspruch des Versorgungsträgers auf eine gesetzmäßige Durchführung des Wertausgleichs folgt allerdings nicht, dass der Versorgungsträger uneingeschränkt über die materielle Richtigkeit gerichtlicher Anordnungen zum Wertausgleich zu wachen hätte. Wie schon unter der Geltung des Rechtszustands bis zum 31. August 2009 kann sich insbesondere aus der Anwendung oder Nichtanwendung von solchen Vorschriften, die eine Abweichung vom Halbteilungsgrundsatz allein im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse der Ehegatten legitimieren, keine unmittelbare Beeinträchtigung von Rechten der Versorgungsträger ergeben. Daher kann sich der Versorgungsträger mit seinem Rechtsmittel nicht auf eine unrichtige Handhabung der Härteklausel des § 27 VersAusglG stützen (…). Auch die Wirksamkeit von Vereinbarungen der Ehegatten zum Versorgungsausgleich (§§ 6 bis 8 VersAusglG), mit denen der Versorgungsausgleich ausgeschlossen wurde (…) oder Ausgleichsansprüchen nach der Scheidung vorbehalten worden ist (…) und die das Familiengericht gemäß § 6 Abs. 2 VersAusglG für bindend gehalten hat, kann durch einen Versorgungsträger mangels unmittelbarer Beeinträchtigung eigener Rechte grundsätzlich nicht zum Gegenstand der Überprüfung in einem Rechtsmittelverfahren gemacht werden.“ Die Beschwerdebefugnis kann deshalb nicht allgemein darauf gestützt werden, dass sich wegen der Ungewissheit zukünftiger Versicherungsverläufe regelmäßig nicht feststellen lasse, ob sich die Nichteinbeziehung des Anrechts im konkreten Falle wirtschaftlich zum Nachteil des Versorgungsträgers auswirken könne, vielmehr kommt es auf den konkreten Grund der Nichteinbeziehung des Anrechts an. Aus der Aufgabe des Rentenversicherungsträgers die Interessen der Versichertengemeinschaft zu wahren lässt sich auch keine Befugnis ableiten, die Rechte des einzelnen Versicherten geltend zu machen.
Noch vor den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs haben sich sowohl das OLG Bamberg (FamRZ 2011, 1232), als auch das OLG Stuttgart (Beschluss vom 13.6.2011, Az. 15 UF 129/11, zitiert nach juris) in einem obiter dictum dahingehend erklärt, es würde keinen Eingriff in die Rechtsposition des Versorgungsträgers darstellen, wenn der Ausgleich des bei ihm bestehenden Anrechts nach § 18 Abs. 2 VersAusglG unterblieben wäre (OLG Bamberg a. a. O.). Das Oberlandesgericht Stuttgart führt zur Begründung näher aus, mit einer auf das Absehen vom Ausgleich nach § 18 VersAusglG gestützten Beschwerde mache der Versorgungsträger eine Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes geltend. Diese grundrechtlich geschützte Position stehe jedoch allein den Ehegatten zu und nicht dem Versorgungsträger. Sein Auftrag umfasse nicht die Durchsetzung rein privater Rechte der Ehegatten, besonders dann nicht, wenn diese den Ausspruch zum Versorgungsausgleich nicht angefochten und damit zum Ausdruck gebracht hätten, dass sie es dabei bewenden lassen wollten (OLG Stuttgart, a. a. O.).
In der Literatur wird die Frage unterschiedlich beurteilt. Während eine Ansicht dem Oberlandesgericht Stuttgart folgt (Wick, Versorgungsausgleich, 3. Aufl., Rn. 628; Strohal FamFR 2013, 125, 127; Meyer-Holz in Keidel, FamFG, 18. Aufl., § 59 Rn. 72; Althammer, a. a. O., § 59 FamFG Rn. 12a), gehen andere davon aus, dass die Beschwerdeberechtigung auch im Falle eines Nichtausgleichs nach § 18 VersAusglG aufgrund einer Ermessensentscheidung des Gerichts zu bejahen sei. Zwar gehe es insoweit um die beiderseitigen (vorrangigen) Belange der Ehegatten, das Gericht habe aber die Belange der Ehegatten nur unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des Halbteilungsgrundsatzes mit dem Verwaltungsaufwand des Versorgungsträgers abzuwägen. Der Versorgungsträger sei deshalb auch bei dieser Sachlage in seinen Rechten betroffen (Borth, FamRZ 2013, 614, 615; Götsche in Götsche/Rehbein/Breuers, VersAusglG, 2. Aufl., § 219 FamFG, Rn. 19).
Der Senat folgt der Ansicht der Oberlandesgerichte Stuttgart und Bamberg. Es genügt für die Beschwerdebefugnis nicht, wenn die Rechtsposition des Versorgungsträgers in die Abwägung mit einzubeziehen ist (so Borth a. a. O., wodurch eine Abgrenzung zu den Fällen des § 27 VersAusglG und § 8 VersAusglG erreicht würde), vielmehr muss gerade seine Rechtsposition verletzt sein, andernfalls entstünde, worauf Ruland (Versorgungsausgleich, 4. Aufl., Rn. 1237) zutreffend hinweist, immer mehr eine „Garantenstellung“ von Versorgungsträgern für die Richtigkeit der Entscheidung über den Versorgungsausgleich. Es kommt entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin auch nicht darauf an, ob ein Ermessensfehlgebrauch oder ein Ermessensnichtgebrauch des Ausgangsgerichts gerügt wird. Das Amtsgericht hat von dem Ausgleich gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG abgesehen. Im Rahmen seiner Ermessensentscheidung hat das Familiengericht, worauf der Beschwerdeführer zu Recht hinweist, stets eine Abwägung zwischen der Verwaltungseffizienz auf Seiten des Versorgungsträgers gegen das Interesse des ausgleichsberechtigten Ehegatten an der Erlangung auch geringfügiger Anrechte zu erfolgen (vgl. zuletzt BGH FamRZ 2015, 2125 Rn. 22 ff.). Die tragenden Gründe sind dabei nach Überzeugung des Senats auch im Falle des Nichtausgleichs in der Entscheidung zu benennen (zum Ausgleich: BGH FamRZ 2015, 313 Rn. 30; OLG Düsseldorf NJW-RR 2011, 808 Rn. 26). Kann bei der Abwägung die mit der Regelung des § 18 VersAusglG bezweckte Verwaltungsvereinfachung nicht in einem den Ausschluss des Ausgleichs rechtfertigenden Maße erreicht werden, gebührt dem Halbteilungsgrundsatz der Vorrang (grundlegend BGH FamRZ 2012, 189, 190). Zudem dient die Vorschrift der Vermeidung von Splitterversorgungen (zuletzt BGH FamRZ 2015, 2125 Rn. 24). Es ist im vorliegenden Verfahren (zum hier nicht einschlägigen Fall verbundener Anrechte OLG Karlsruhe FamRZ 2013, 306) aber keine Rechtsposition des Versorgungsträgers zu erkennen, die im Rahmen der Ermessensausübung nach § 18 Abs. 2 VersAusglG „für“ einen Ausgleich sprechen könnte. Auch bei einem Ermessensnichtgebrauch ist der Versorgungsträger deshalb nicht beschwert.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
IV. Die Festsetzung des Verfahrenswertes folgt aus § 50 Abs. 1 FamGKG.
V. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil die Beschwerdeberechtigung des Versorgungsträgers bei unterbliebenem Ausgleich nach § 18 Abs. 2 VersAusglG von grundsätzlicher Bedeutung ist und bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist (§ 70 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FamFG).
Rechtsbehelfsbelehrung: