Arbeitsrecht

Annahmeverzug – unterlassener Zwischenverdienst – Böswilligkeit

Aktenzeichen  5 AZR 213/20

Datum:
23.2.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2021:230221.U.5AZR213.20.0
Normen:
§ 615 S 1 BGB
§ 615 S 2 BGB
§ 293 BGB
§ 242 BGB
Spruchkörper:
5. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Wiesbaden, 7. Februar 2019, Az: 4 Ca 232/18, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 20. Dezember 2019, Az: 14 Sa 329/19, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 20. Dezember 2019 – 14 Sa 329/19 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten in der Revision noch über Vergütung wegen Annahmeverzugs und dabei insbesondere darüber, ob der Kläger es böswillig unterlassen hat, anderweitigen Verdienst zu erzielen.
2
Der Kläger ist seit 1998 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt, seit dem 1. Oktober 2001 als Leiter des Glutolin-Betriebs, in dem ca. 65 Produktionsmitarbeiter tätig sind. Das monatliche Grundentgelt des Klägers beträgt 12.815,28 Euro brutto. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 10. Oktober 2001, der auszugsweise lautet:
        
„Sehr geehrter Herr Dr. H,
        
anstelle früherer Anstellungsverträge, die mit uns oder einer mit uns wirtschaftlich verbundenen Firma bestehen, wird zwischen Ihnen und uns mit Wirkung vom 1. Oktober 2001 nachfolgender
        
Vertrag
        
geschlossen.
        
I. Arbeitsbereich
        
Sie stehen als leitender Angestellter in unseren Diensten.
        
Sollte es aus persönlichen oder betrieblichen Gründen erforderlich werden, erklären Sie sich bereit, eine andere angemessene, ggf. auch mit einer anderen Vertragsstufe bewerteten Aufgabe in unserem oder einem wirtschaftlich mit uns verbundenen Unternehmen zu übernehmen.
        
Aufgrund Ihrer derzeitigen Aufgabe sehen wir Sie als leitenden Angestellten im Sinne des § 5 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetzes an.
        
…       
        
III. Vergütung
        
1. Maßgebend für Ihre Vergütung ist das in unserem Unternehmen jeweils geltende Vergütungs- und Beteiligungssystem für in Vertragsstufen geführte leitende Angestellte, das Bestandteil des Arbeitsvertrages ist.
        
Das Vergütungs- und Beteiligungssystem besteht aus Basiseinkommen (= Grundentgelt) und erfolgsabhängigem variablen Einkommen (= Bonus).
        
…“    
3
Die Beklagte ist Mitglied im Arbeitgeberverband der Chemischen Industrie. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Manteltarifvertrag für akademisch gebildete Angestellte in der chemischen Industrie idF vom 2. Mai 2000 (iF Akademiker MTV Chemie) Anwendung. Dieser enthält keine Ausschlussfristenregelung, im Manteltarifvertrag der Chemischen Industrie vom 24. Juni 1992 idF vom 17. Mai 2017 (iF MTV Chemie), an den die Beklagte ebenfalls kraft Tarifbindung gebunden ist, ist dagegen eine Ausschlussfristenregelung enthalten. In einer von Geschäftsführung, Betriebsrat und Sprecherausschuss der Beklagten unterzeichneten „Betriebsvereinbarung Nr. 9 – Arbeitsordnung“ vom 17. Juni 2013, heißt es unter IV. 17. Buchst. c:
        
„Die Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen.“
4
Seit Januar 2017 ist der Kläger wegen seiner aus Sicht der Beklagten mangelnden Führungs- und Sozialkompetenz von der Leitung des Glutolin-Betriebs entbunden. Die Beklagte wies ihm stattdessen bei unverändertem Grundentgelt die Tätigkeit eines „Technical Supervisor Plaquemine“ zu. Die dagegen erhobene Klage war in beiden Tatsacheninstanzen erfolgreich (Hessisches Landesarbeitsgericht 8. November 2017 – 18 Sa 686/17 -). Nachdem der Kläger am 22. November 2017 verlangt hatte, ihn ab dem 8. Dezember 2017 wieder in seiner alten Funktion als Betriebsleiter zu beschäftigen, versetzte ihn die Beklagte mit Schreiben vom 11. Dezember 2017 mit sofortiger Wirkung bei unverändertem Grundentgelt auf eine Stelle als „Beauftragter für Unternehmenssicherheit“ und erweiterte mit Schreiben vom 22. Januar 2018 seine Aufgaben um den Bereich „IT-Sicherheit“. Der Kläger erhielt nunmehr den Titel „Senior Manager Security“. Dieser erneuten Versetzung leistete der Kläger zunächst Folge, erhob jedoch auch dagegen Klage und obsiegte – rechtskräftig – in beiden Tatsacheninstanzen (Hessisches Landesarbeitsgericht 26. Juli 2019 – 18 Sa 607/18 -). Am 14. Mai 2018 bot der Kläger seine Arbeitsleistung als Betriebsleiter vor Ort an, wurde aber abgewiesen.
5
Daraufhin hat der Kläger in einem seit dem 22. März 2018 wegen einer Zulage anhängigen Verfahren im Wege mehrfacher Klageerweiterungen zuletzt Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 14. Mai 2018 bis zum 8. September 2019 verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe sich aufgrund ihrer unwirksamen Versetzung im Annahmeverzug befunden. Es sei ihm nicht zuzumuten gewesen, die zugewiesene geringwertigere Tätigkeit auszuüben. Ein Arbeitnehmer, der einer unwirksamen und damit unverbindlichen Weisung des Arbeitgebers nicht folge, handele nicht böswillig. Zudem fehle es ihm für eine Tätigkeit als Senior Manager Security an den dafür erforderlichen Qualifikationen und der nötigen praktischen Erfahrung.
6
Der Kläger hat – soweit für die Revision von Belang – sinngemäß beantragt,
        
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
        
205.879,81 Euro brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes iHv. 27.697,55 Euro nebst Zinsen nach bestimmter zeitlicher und betragsmäßiger Staffelung zu zahlen.
7
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Kläger habe böswillig anderweitigen Verdienst unterlassen. Es sei ihm zumutbar gewesen, die durch die – wenn auch unwirksame – Versetzung angebotene Tätigkeit auszuüben.
8
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers der Klage – soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist – stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht beschränkt auf die Grundvergütung zugelassenen Revision begehrt die Beklagte insoweit die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.


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