Arbeitsrecht

Ansatz der Fahrtkosten eines Arbeitnehmers nach Reisekostengrundsätzen anstelle der Entfernungspauschale bei Aufsuchen der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers an nur einem von fünf Arbeitstagen

Aktenzeichen  4 K 1836/15

Datum:
8.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2016, 1692
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a
EStG EStG § 9 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Hat ein Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 4 EStG 2014 und bestimmt der Arbeitgeber durch dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegungen (einschließlich Absprachen und Weisungen), dass der Arbeitnehmer sich dauerhaft typischerweise arbeitstäglich an einem festgelegten Ort, der die Kriterien für eine erste Tätigkeitsstätte nicht erfüllt, einfinden soll, um von dort seine unterschiedlichen eigentlichen Einsatzorte aufzusuchen oder von dort seine berufliche Tätigkeit aufzunehmen, werden die Fahrten des Arbeitnehmers von der Wohnung zu diesem, vom Arbeitgeber festgelegten Ort wie Fahrten zu einer ersten Tätigkeitsstätte behandelt; für diese Fahrten darf nur die Entfernungspauschale angesetzt werden.
2. Sucht der Arbeitnehmer dauerhaft typischerweise die betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers nur an einem von fünf Arbeitstagen auf, sind die Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen zu berücksichtigen.

Gründe

Die Klage ist begründet.
I. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2014 vom 13.05.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.11.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zu Unrecht ist das Finanzamt davon ausgegangen, dass der Kläger nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG 2014 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG 2014 für die Fahrten von der Wohnung zur betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers nur die Entfernungspauschale geltend machen kann, denn der Kläger musste weder nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen noch den diese ausfüllenden Weisungen und Absprachen zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort (betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers) typischerweise arbeitstäglich aufsuchen. Die Voraussetzungen für die Annahme eines sog. Sammelpunktes liegen nicht vor.
1. Grundsätzlich sind beruflich veranlasste Fahrtkosten Erwerbsaufwendungen, die gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG 2014 in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Hinsichtlich der Aufwendungen eines Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte gelten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG 2014 Einschränkungen. Insoweit greift die sog. Entfernungspauschale, die lediglich einen Ansatz von 0,30 € pro Entfernungskilometer zulässt.
a) Erste Tätigkeitsstätte ist nach § 9 Abs. 4 EStG 2014 die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung im Sinne des Satzes 1 wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
b) Die Finanzverwaltung lässt die Zuordnung eines Arbeitnehmers zu einer betrieblichen Einrichtung allein aus tarifrechtlichen, mitbestimmungsrechtlichen oder organisatorischen Gründen (z. B. Personalaktenführung), ohne dass der Arbeitnehmer in dieser Einrichtung tätig werden soll, nicht als Zuordnung im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG 2014 ausreichen (vgl. BMF-Schreiben zur Reform des steuerlichen Reisekostenrechts ab 1.1.2014 vom 24.10.2014, IV C 5 – S 2353/14/10002, Rz. 6 ff.). Sofern der Arbeitnehmer in einer vom Arbeitgeber festgelegten Tätigkeitsstätte zumindest in ganz geringem Umfang tätig werden soll, z. B. Hilfs- und Nebentätigkeiten (abgeben von Auftragsbestätigungen, Stundenzettel, Krank- und Urlaubsmeldung etc.), kann der Arbeitgeber nach Auffassung der Finanzverwaltung den Arbeitnehmer zu dieser Tätigkeitsstätte zuordnen, selbst wenn für die Zuordnung letztlich tarifrechtliche, mitbestimmungsrechtliche oder organisatorische Gründe ausschlaggebend sind. Auf die Qualität des Tätigwerdens soll es dabei nicht ankommen.
Der Arbeitgeber kann nach Auffassung der Finanzverwaltung dienst- oder arbeitsrechtlich nicht festlegen, dass der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte hat (Negativfestlegung). Er kann allerdings (ggf. auch ausdrücklich) darauf verzichten, eine erste Tätigkeitsstätte dienst- oder arbeitsrechtlich festzulegen oder ausdrücklich erklären, dass organisatorische Zuordnungen keine erste Tätigkeitsstätte begründen sollen (vgl. BMF-Schreiben vom 24.10.2014, a.a.O., Rz. 12). In diesen Fällen hat die Prüfung, ob eine erste Tätigkeitsstätte gegeben ist, nach den Vorgaben des BMF-Schreibens vom 24.10.2014 anhand der quantitativen Zuordnungskriterien nach § 9 Absatz 4 Satz 4 EStG zu erfolgen (vgl. BMF-Schreiben vom 24.10.2014, a.a.O., Rz. 25 ff.).
c) Im Streitfall hat der Kläger eine Bestätigung seines Arbeitgebers, der Firma Fa. 1, vorgelegt, aus der hervorgeht, dass der Kläger keiner Tätigkeitsstätte im Unternehmen zugeordnet ist. Sein Einsatzort sind die verschiedenen Baustellen. Nach § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG 2014 wird die Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer ersten Tätigkeitsstätte durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Vorliegend wurde der Kläger durch dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegungen gerade keiner Tätigkeitsstätte zugeordnet; entsprechende Nachweise wurden erbracht. Eine solche arbeitsrechtliche Entscheidung des Arbeitgebers (keine Zuordnung vorzunehmen) wird auch von der Finanzverwaltung anerkannt, die einen Verzicht des Arbeitgebers, eine erste Tätigkeitsstätte dienst- oder arbeitsrechtlich festzulegen, ausdrücklich anerkennt (vgl. BMF-Schreiben vom 24.10.2014, a.a.O., Rz. 12).
Zwar muss der Kläger einmal pro Woche die betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers aufsuchen, um dort beruflichen Tätigkeit, wie das Beladen eines Firmenautos, das Abgeben von Stundenzetteln oder Urlaubsanträgen, nachzugehen. Allerdings führt dies nicht automatisch dazu, dass der Kläger damit der betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers in K zugeordnet ist. Eine solche betriebliche Zuordnung wurde vom Arbeitgeber des Klägers bewusst nicht getroffen. Vielmehr reichen diese Tätigkeiten in ganz geringem Umfang (Hilfs- und Nebentätigkeiten) aus, um eine Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers zu dieser Tätigkeitsstätte zu rechtfertigen. Sie muss jedoch vom Arbeitgeber auch getroffen werden. Verzichtet der Arbeitgeber bewusst auf eine solche Zuordnung, kann in der Vorgabe, die betriebliche Einrichtung einmal pro Woche zur Ausführung von Hilfs- und Nebentätigkeiten aufzusuchen, keine konkludente Zuordnung gesehen werden.
d) Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft typischerweise arbeitstäglich oder je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll, vgl. § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG 2014 (quantitative Zuordnungskriterien). Dabei muss der Arbeitnehmer an der betrieblichen Einrichtung seine eigentliche berufliche Tätigkeit ausüben. Allein ein regelmäßiges Aufsuchen der betrieblichen Einrichtung, z. B. zur Abgabe von Auftragsbestätigungen, Stundenzetteln, Krankmeldungen und Urlaubsanträgen führt noch nicht zu einer Qualifizierung der betrieblichen Einrichtung als erste Tätigkeitsstätte. Im Streitfall übt der Kläger seine eigentliche berufliche Tätigkeit auf den unterschiedlichen Baustellen aus. Er ist weder zwei volle Arbeitstage noch mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit in der betrieblichen Einrichtung tätig. Wie bereits ausgeführt, nimmt der Kläger in der betrieblichen Einrichtung lediglich Hilfs- und Nebentätigkeiten – wie das Beladen des Fahrzeugs, die Abgabe von Stundenzetteln und Urlaubsanträgen – wahr. Die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte nach quantitativen Zuordnungskriterien scheidet demnach aus.
2. Hat ein Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 4 EStG 2014 und bestimmt der Arbeitgeber durch dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegungen (einschließlich Absprachen und Weisungen), dass der Arbeitnehmer sich dauerhaft typischerweise arbeitstäglich an einem festgelegten Ort, der die Kriterien für eine erste Tätigkeitsstätte nicht erfüllt, einfinden soll, um von dort seine unterschiedlichen eigentlichen Einsatzorte aufzusuchen oder von dort seine berufliche Tätigkeit aufzunehmen, werden die Fahrten des Arbeitnehmers von der Wohnung zu diesem, vom Arbeitgeber festgelegten Ort, gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG 2014 wie Fahrten zu einer ersten Tätigkeitsstätte behandelt; für diese Fahrten dürfen Fahrtkosten nur im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG 2014 (Entfernungspauschale) angesetzt werden.
Davon ist im Streitfall nicht auszugehen. Entgegen dem Vortrag des Finanzamtes in der Klageerwiderung ist es nicht ausreichend, dass der Kläger dauerhaft typischerweise einmal pro Woche die betriebliche Einrichtung seines Arbeitgebers aufsuchen muss. Der Kläger arbeitet fünf Tag pro Woche. An vier von fünf Arbeitstagen sucht er die betriebliche Einrichtung nicht auf. Somit muss der nicht dauerhaft denselben Ort typischerweise arbeitstäglich aufsuchen.
Die Fahrten des Klägers von der Wohnung zur betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers werden daher nicht gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG 2014 wie Fahrten zu einer ersten Tätigkeitsstätte behandelt. Zu Unrecht hat das Finanzamt bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten von der Wohnung zur betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers in K (nur) nach den Grundsätzen der Entfernungspauschale berücksichtigt. Die Aufwendungen sind nach Reisekostengrundsätzen zu berücksichtigen.
II. Die Einkommensteuer der Kläger wird demnach gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO für das Streitjahr 2014 wie folgt festgesetzt:
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Minusstunden im Sommerloch: Was ist erlaubt?

In vielen Branchen ist das Sommerloch sehr präsent. Doch wie ist das eigentlich bei einem flexiblen Arbeitszeitmodell, wenn durch weniger Arbeit Minusstunden entstehen? Wir erklären, was zulässig ist und was nicht erlaubt ist.
Mehr lesen

Befristeter Arbeitsvertrag – Regelungen und Ansprüche

Dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einem befristeten Vertrag eingestellt werden, ist längst keine Seltenheit mehr. Häufig taucht der Arbeitsvertrag auf Zeit bei jungen Mitarbeitenden auf. Über die wichtigsten Regelungen und Ansprüche informieren wir Sie.
Mehr lesen