Arbeitsrecht

Arbeitnehmer, Interessenausgleich, Betriebsrat, Sozialauswahl, Auswahlverfahren, Arbeitsvertrag, Arbeitsleistung, Anstellungsvertrag, Namensliste, Vergleich, Berufung, Organisationseinheit, Beendigung, Feststellung, soziale Auswahl, sozial gerechtfertigt, grober Fehler

Aktenzeichen  17 Ca 2864/21

Datum:
25.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 53823
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Der Streitwert wird festgesetzt auf € 12.266,00.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen. Denn die ordentliche Kündigung der Klägerin durch die Beklagte vom 09.03.2021 ist sozial gerechtfertigt und daher rechtswirksam, sodass das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 30.06.2021 sein Ende gefunden hat. Die von der Beklagten vorgenommene soziale Auswahl war nicht grob fehlerhaft i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG.
I.
Der Feststellungsantrag der Klägerin war abzuweisen, da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 09.03.2021 mit Ablauf des 30.06.2021 beendet wurde.
1. Unstreitig war die Rechtswirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 09.03.2021 am Maßstab des § 1 Abs. 2, 3 u. 5 KSchG zu messen, denn das Arbeitsverhältnis der Parteien hatte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung weit länger als sechs Monate bestanden, wobei im Betrieb der Beklagten weit mehr als zehn Arbeitnehmer regelmäßig in Vollzeit beschäftigt sind (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG). Ebenso unstreitig hat die Klägerin durch ihre beim Arbeitsgericht München am 22.03.2021 eingegangene Kündigungsschutzklage die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG gewahrt und damit rechtzeitig die fehlende soziale Rechtfertigung ihrer Kündigung geltend gemacht.
2. Die zwischen den Parteien zuletzt noch allein umstrittene Frage, ob die Beklagte bei der sozialen Auswahl der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 u. 5 KSchG einen groben Fehler begangen hat, ist zu verneinen, sodass die Kündigung auch unter diesem Aspekt sich nicht als angreifbar darstellt.
a) Nach ständiger Rechtsprechung gilt (vgl. nur BAG, Urteil vom 24.05.2005 – 8 AZR 398/04, zit. nach Juris, dort Rz. 37): Die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG erstreckt sich innerhalb des Betriebes auf Arbeitnehmer, die miteinander verglichen werden können. Die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer setzt im Einzelnen voraus, dass die unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer auf einem vorhandenen Arbeitsplatz tatsächlich und rechtlich einsetzbar sind. Daher können in die Sozialauswahl nur solche Arbeitnehmer einbezogen werden, deren Aufgabenbereich miteinander vergleichbar ist (tatsächliche Einsetzbarkeit); ferner muss der Arbeitgeber in der Lage sein, den Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz wegfällt, nach den arbeitsvertraglichen Vorgaben kraft Direktionsrecht auf den in Betracht kommenden Arbeitsplatz umzusetzen bzw. zu versetzen (rechtliche Einsetzbarkeit). Schließlich können nur Arbeitnehmer auf derselben Ebene der Betriebshierarchie in die Sozialauswahl einbezogen werden (horizontale Vergleichbarkeit).
Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl i.S.d. § 1 Abs. 5 KSchG dann, wenn eine evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt. Eine grob fehlerhafte Sozialauswahl kann sich auch daraus ergeben, dass der auswahlrelevante Personenkreis evident verkannt wurde. Dabei muss sich die getroffene Auswahl gerade mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer als grob fehlerhaft erweisen. Nicht entscheidend ist, ob das gewählte Auswahlverfahren als solches zu Beanstandungen Anlass gibt.
Dem entspricht es, dass der Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage, jedenfalls wenn er ausreichend unterrichtet worden ist, die soziale Auswahl konkret rügen, d.h. geltend machen muss, ein bestimmter, mit ihm vergleichbarer Arbeitnehmer sei weniger sozial schutzwürdig, sodass diesem habe gekündigt werden müssen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl ergibt, liegt grundsätzlich beim Arbeitnehmer (s. BAG, Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 516/11, zit. nach Juris, Rz. 45 f.).
b) Jedenfalls nach dem hier allein maßgeblichen strengen Maßstab des § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG führt die von der Beklagten vorgenommene soziale Auswahl nicht zur Rechtsunwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 09.03.2021. Denn die soziale Auswahl der Beklagten – Ausspruch der Kündigung gegenüber der Klägerin und nicht gegenüber dem Mitarbeiter M. – stellt keine „evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG“ dar.
(1) Dabei kann offengelassen werden, ob für den Fall einer zu treffenden Auswahlentscheidung zwischen der Klägerin und dem Mitarbeiter M. der von der Beklagten ermittelte (fiktive) Unterschied bei der Ermittlung der für die soziale Auswahl maßgeblichen Punkte (Klägerin: 91 Punkte / Mitarbeiter M. unstr.: „ca. 75 Punkte“) im Hinblick auf die soziale Schutzbedürftigkeit der Klägerin derart erheblich gewesen wäre, um von einem groben Fehler auszugehen – oder ob sich (auch insoweit) die (fiktive) Entscheidung der Beklagten im Rahmen des ihr zuzubilligenden Beurteilungsermessens gehalten hätte.
(2) Denn jedenfalls war die Entscheidung der Beklagten, die Klägerin nicht mit dem Mitarbeiter M. in den auswahlrelevanten Personenkreis einzubeziehen, nicht grob fehlerhaft.
(a) Auch insoweit kann wiederum offengelassen werden, ob – was zwischen den Parteien streitig ist – die Klägerin aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation und ihrer bei der Beklagten bereits ausgeübten Tätigkeiten in der Lage ist, die Aufgaben des Mitarbeiters M. als Teamleiter Logistik / Lager auszuüben – wobei es auch insoweit schwerfällt, infolge der Darlegungs- und Beweislast der Klägerin nach dem Vortrag der Parteien auf eine grob fehlerhafte Einschätzung durch die Beklagte schließen zu können.
(b) Denn jedenfalls hat die Beklagte vorliegend die (fehlende) rechtliche Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem Arbeitsplatz des Mitarbeiters M. nicht grob fehlerhaft verkannt. Nach dem im Kammertermin von Seiten der Parteien einvernehmlich vorgenommenen Klarstellungen (s. Sitzungsprotokoll, Bl. 184 d.A.) steht nämlich fest, dass durch den Änderungsvertrag vom 04.12.2020 / 12.12.2020 das arbeitsvertraglich angebundene Aufgabengebiet der Klägerin seit dem 01.01.2021 auf die Aufgabe einer Teamleiterin / Teammanagerin in der Organisationseinheit Kundenservice eingeschränkt wurde. Denn § 1 der im Änderungsvertrag in Bezug genommenen Vereinbarung vom 19.12.2013 / 07.01.2014 (Bl. 18 d.A.) wurde durch § 1 („Aufgabengebiet“) der Änderungsvereinbarung ersetzt, sodass auch die in § 1 Ziffer 5 der ursprünglichen Vereinbarung enthaltene Versetzungsklausel aufgehoben wurde. Wegen dieser engen Aufgabenzuweisung erscheint es der Kammer zumindest zweifelhaft, ob es der Beklagten rechtlich überhaupt möglich gewesen wäre, der Klägerin einseitig das Aufgabengebiet des Mitarbeiters M. zuzuweisen. Je enger die Tätigkeit eines Arbeitnehmers sowie die Einzelheiten seiner Beschäftigung im Arbeitsvertrag nämlich festgeschrieben sind, umso geringer ist der Spielraum des Arbeitgebers zur Ausübung seines Weisungsrechts, wobei die vertragliche Reichweite des Weisungsrechts wiederum unmittelbare Auswirkungen auf die Feststellung der Vergleichbarkeit im Rahmen der Sozialauswahl hat (vgl. nur Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21.Aufl.,§ 106 GewO, Rz. 8; Oetker, ebenda, § 1 KSchG, Rz. 323, jeweils m.N. zur Rspr.). Dabei mag es ggf. zweifelhaft sein, ob es dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien bei Abschluss der Änderungsvereinbarung vom Dezember 2020 entsprochen haben mag, auch eine solche Versetzung – trotz der guten Erfahrungen, die beide Seiten bei den vorangegangen Einsätzen der Klägerin unstreitig gemacht hatten – auszuschließen; die Einschätzung der Beklagten, eine solche Versetzungsmöglichkeit sei durch die arbeitsvertragliche Änderung nun aber ausgeschlossen worden, erscheint aber nach dem Regelwerk der Änderungsvereinbarung keinesfalls evident falsch.
II.
Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2021 war auch der auf Weiterbeschäftigung gerichtete Antrag zu 2 abzuweisen. Denn die Tatsache, dass der Kündigungsschutzprozess noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, begründet jenseits des Kündigungstermins keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
2. Für den gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzenden Urteilsstreitwert wurde der Wert von vier Bruttomonatslöhnen zugrunde gelegt (drei Bruttomonatslöhne für den Feststellungsantrag, ein Bruttomonatslohn für den Weiterbeschäftigungsantrag, vgl. §§ 42 Abs. 2 GKG, 3 ZPO).
3. Gegen diese Entscheidung steht nur der beschwerten Klägerin das Rechtsmittel der Berufung zum Landesarbeitsgericht München zu, und zwar nach näherer Maßgabe der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrung.


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